„Gravitationstunnel“ – Versionsunterschied

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Ein '''Gravitationstunnel''' ist ein [[Physikdidaktik|physikdidaktisches]]<ref>Zu didaktischen Aspekten siehe A. Klotz (Literaturliste).</ref> [[Gedankenexperiment]],<ref>Die [[Kola-Bohrung]] mit etwa zwölf Kilometern Tiefe ist seit 1979 die tiefste Bohrung der Welt.</ref> bei dem zwei Punkte auf der Oberfläche eines [[Himmelskörper]]s (ein [[Planet]] oder [[Satellit (Astronomie)|Mond]]) durch einen [[Tunnel]] miteinander verbunden werden. In antriebsloser, reibungsfreier Bewegung soll darin ein '''Gravitationszug''' (englisch ''Gravity Train'') von einem Ende des Tunnels zum anderen verkehren. Dabei beschleunigt das Fahrzeug auf der ersten Hälfte der Strecke – bis zum tiefsten Punkt – durch die [[Gravitation]] und wird auf der zweiten Hälfte abgebremst.
Ein '''Gravitationstunnel''' ist ein [[Physikdidaktik|physikdidaktisches]]<ref>Zu didaktischen Aspekten siehe A. Klotz (Literaturliste).</ref> [[Gedankenexperiment]],<ref>Die [[Kola-Bohrung]] mit etwa zwölf Kilometern Tiefe ist seit 1979 die tiefste Bohrung der Welt.</ref> bei dem zwei Punkte auf der Oberfläche eines [[Planet]]en oder [[Satellit (Astronomie)|Mondes]] durch einen [[Tunnel]] miteinander verbunden werden. In antriebsloser, reibungsfreier Bewegung soll darin ein '''Gravitationszug''' (englisch ''Gravity Train'') von einem Ende des Tunnels zum anderen verkehren. Dabei beschleunigt das Fahrzeug auf der ersten Hälfte der Strecke – bis zum tiefsten Punkt – durch die [[Gravitation]] und wird auf der zweiten Hälfte durch diese abgebremst.


== Physikalische Grundlagen ==
== Physikalische Grundlagen ==
[[Datei:Gravity elevator.gif|thumb|200px|In einem Schacht durch den Mittelpunkt der Erde pendelt eine Masse von Oberfläche zu Oberfläche.]]
[[Datei:Gravity elevator.gif|thumb|In einem Schacht durch den Mittelpunkt der Erde pendelt eine Masse von Oberfläche zu Oberfläche.]]
=== Modell ===
=== Modell ===
Die physikalischen Grundlagen des Konzepts sind vergleichsweise simpel. Sie beruhen auf der Newtonschen Mechanik. Meist wird stillschweigend oder explizit die [[Corioliskraft]] vernachlässigt und eine homogene Massenverteilung angenommen. Der Tunnel lässt sich als Zusammenfügung von zwei gleich langen Gefällestrecken beschreiben, die an dem Punkt zusammentreffen, an dem der Tunnel dem Mittelpunkt – oder genauer gesagt: dem [[Massenschwerpunkt]] des Himmelskörpers am nächsten ist. Vom Startpunkt bis zu diesem tiefsten Punkt findet also eine Abwärtsbewegung und damit eine Beschleunigung des Transportmittels statt. Die [[potenzielle Energie]] des Transportmittels im Schwerefeld wird in [[kinetische Energie]] umgewandelt. Auf der zweiten Hälfte der Strecke befindet sich das Fahrzeug auf einer Steigung und wird folglich abgebremst. Wenn das Fahrzeug keine zusätzliche positive oder negative Beschleunigung erfährt, es also ausschließlich durch die Gravitation bewegt wird und keine Reibungsverluste auftreten, dann kommt es genau am Ende des Tunnels wieder zum Stehen. Von dort aus kann es wieder zurück pendeln und immer so fort.<ref name="eremenko">http://www.math.purdue.edu/~eremenko/train.html</ref><ref name="GraCass">Kevin R. Grazier, Stephen Cass: ''Hollyweird Science: From Quantum Quirks to the Multiverse'', 2015, ISBN 3319150723.</ref><sup>&nbsp;S.&nbsp;125</sup>
Die physikalischen Grundlagen des Konzepts sind vergleichsweise einfach. Sie beruhen auf der Newtonschen Mechanik. Meist wird stillschweigend oder explizit die [[Corioliskraft]] vernachlässigt und eine homogene Massenverteilung der Erde angenommen. Der Tunnel lässt sich als Zusammenfügung von zwei gleich langen Gefällestrecken beschreiben, die an dem Punkt zusammentreffen, an dem der Tunnel dem Mittelpunkt – oder genauer gesagt: dem [[Massenschwerpunkt]] des [[Himmelskörper]]s am nächsten ist. Vom Startpunkt bis zu diesem tiefsten Punkt findet also eine Abwärtsbewegung und damit eine Beschleunigung des Transportmittels statt. Die [[potenzielle Energie]] des Transportmittels im Schwerefeld wird in [[kinetische Energie]] umgewandelt. Auf der zweiten Hälfte der Strecke befindet sich das Fahrzeug auf einer Steigung und wird folglich abgebremst. Wenn das Fahrzeug keine zusätzliche positive oder negative Beschleunigung erfährt, es also ausschließlich durch die Gravitation bewegt wird und keine Reibungsverluste auftreten, dann kommt es genau am Ende des Tunnels wieder zum Stehen. Von dort aus kann es wieder zurück pendeln und immer so fort.<ref name="eremenko">http://www.math.purdue.edu/~eremenko/train.html</ref><ref name="GraCass">Kevin R. Grazier, Stephen Cass: ''Hollyweird Science: From Quantum Quirks to the Multiverse'', 2015, ISBN 3319150723.</ref><sup>&nbsp;S.&nbsp;125</sup>


Wie Cooper zeigte, ist bei Annahme einer gleichmäßigen Dichte des Erdkörpers die Reisezeit auf jeder geraden Verbindung zwischen zwei Punkten der Erdoberfläche A, B rund 42 Minuten, nicht nur auf der zwischen gegenüberliegenden Punkten (oder gleich der Zeit auf geradem Weg von A zum Mittelpunkt der Erde und von dort auf geradem Weg zu B). Das ist allerdings nicht die schnellste Verbindung, außer im Fall gegenüberliegender Punkte (siehe unten).
Wie Cooper zeigte,<ref>Siehe Paul W. Cooper: ''Through the earth in forty minutes'', American Journal of Physics, Band 34, 1966, S. 68-70</ref> ist bei Annahme einer gleichmäßigen Dichte des Erdkörpers die Reisezeit auf jeder geraden Verbindung zwischen zwei Punkten der Erdoberfläche A, B rund 42 Minuten, nicht nur auf der zwischen gegenüberliegenden Punkten (oder gleich der Zeit auf geradem Weg von A zum Mittelpunkt der Erde und von dort auf geradem Weg zu B). Das ist allerdings nicht die schnellste Verbindung, außer im Fall [[Antipoden|gegenüberliegender Punkte]] (siehe unten).


Ein Spezialfall eines Gravitationstunnels ist ein Tunnel direkt durch den Mittelpunkt eines Himmelskörpers. Das Transportmittel befindet sich hier im [[Freier Fall|freien Fall]]. Die Passagiere wären folglich während der gesamten Reisedauer [[Schwerelosigkeit|schwerelos]].<ref name="MGard">Martin Gardner: ''Mathematical Puzzle Tales'', 2000, ISBN 088385533X.</ref><sup>&nbsp;S.&nbsp;96</sup>
Ein Spezialfall eines Gravitationstunnels ist ein Tunnel direkt durch den Mittelpunkt (Massenschwerpunkt) eines Himmelskörpers. Das Transportmittel befindet sich hier im [[Freier Fall|freien Fall]]. Die Passagiere wären folglich während der gesamten Reisedauer [[Schwerelosigkeit|schwerelos]].<ref name="MGard">Martin Gardner: ''Mathematical Puzzle Tales'', 2000, ISBN 088385533X.</ref><sup>&nbsp;S.&nbsp;96</sup>


=== Form des Tunnels ===
=== Form des Tunnels ===
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=== Reisezeit und Reisegeschwindigkeit ===
=== Reisezeit und Reisegeschwindigkeit ===
Unter der Voraussetzung einer homogenen Masseverteilung - die allerdings in der Realität bei Planeten und Monden nicht gegeben ist - ist die Reisezeit für jede beliebige gerade Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Oberfläche ein und desselben sphärischen Himmelskörpers gleich groß. Sie ist nur von der [[Gravitationskonstante]] und der Dichte des Himmelskörpers abhängig.<ref name="GraCass" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;127</sup> Bspw. würde eine Reise durch den Erdmittelpunkt genauso lange dauern wie die Reise durch einen geraden Tunnel von Berlin nach Moskau. Entsprechend ist die durchschnittliche Geschwindigkeit und die Höchstgeschwindigkeit umso höher, je länger der Tunnel ist. Sie sind am höchsten für einen Tunnel durch den Mittelpunkt eines Himmelskörpers. Die maximale Reisegeschwindigkeit durch den Erdmittelpunkt würde 7,9 km/s betragen. Dies entspricht auch der [[Fluchtgeschwindigkeit (Raumfahrt)|ersten kosmischen Geschwindigkeit]] (siehe hierzu die Ausführungen zum Schuler-Pendel weiter unten).<ref>http://www.math.purdue.edu/~eremenko/dvi/gravsol.pdf</ref>
Unter der Voraussetzung einer homogenen Masseverteilung - die allerdings in der Realität bei Planeten und Monden nicht gegeben ist - ist die Reisezeit für jede beliebige gerade Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Oberfläche ein und desselben sphärischen Himmelskörpers gleich groß. Sie ist nur von der [[Gravitationskonstante]] und der Dichte des Himmelskörpers abhängig.<ref name="GraCass" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;127</sup> Eine Reise durch den Erdmittelpunkt würde also genauso lange dauern wie die Reise durch einen geraden Tunnel von Berlin nach Moskau. Folglich ist die durchschnittliche Geschwindigkeit und die Höchstgeschwindigkeit umso höher, je länger der Tunnel ist. Sie sind am höchsten für einen Tunnel durch den Mittelpunkt eines Himmelskörpers. Die maximale Reisegeschwindigkeit durch den Erdmittelpunkt würde 7,9 km/s betragen. Dies entspricht auch der [[Fluchtgeschwindigkeit (Raumfahrt)|ersten kosmischen Geschwindigkeit]] (siehe hierzu die Ausführungen zum Schuler-Pendel weiter unten).<ref>http://www.math.purdue.edu/~eremenko/dvi/gravsol.pdf</ref>


Wegen der alleinigen Abhängigkeit von der Gravitation kann die Reisezeit auf größeren Himmelskörpern niedriger sein als auf kleineren Himmelskörpern. Auf der Erde betrüge die Reisezeit durch jeden beliebigen ''geraden'' Gravitationstunnel bei nicht vorhandener Reibung unter der Bedingung einer homogenen Masseverteilung ca. 42 Minuten, auf dem irdischen [[Mond]] dagegen, der nur ca. ein Sechstel der irdischen Schwerkraft aufweist, 53 Minuten – obwohl der Mond sehr viel kleiner ist als die Erde.<ref name="Time">{{cite web |url= http://content.time.com/time/magazine/article/0,9171,842469,00.html | title= To Everywhere in 42 Minutes}}</ref> Klotz gibt für eine Reise in einem geraden Tunnel durch den Erdmittelpunkt eine Zeit von 38 Minuten an, wobei die tatsächliche Masseverteilung im Erdkörper auf der Grundlage seismischer Daten berücksichtigt wird.<ref>Alexander Klotz: Gravity tunnel in a non-uniform earth, American Journal of Physics, Band 83, 2015.</ref>
Wegen der alleinigen Abhängigkeit von der Gravitation kann die Reisezeit auf größeren Himmelskörpern niedriger sein als auf kleineren Himmelskörpern. Auf der Erde betrüge die Reisezeit durch jeden beliebigen ''geraden'' Gravitationstunnel bei nicht vorhandener Reibung unter der Bedingung einer homogenen Masseverteilung ca. 42 Minuten, auf dem irdischen [[Mond]] dagegen, der nur ca. ein Sechstel der irdischen Schwerkraft aufweist, 53 Minuten – obwohl der Mond sehr viel kleiner ist als die Erde.<ref name="Time">{{cite web |url= http://content.time.com/time/magazine/article/0,9171,842469,00.html | title= To Everywhere in 42 Minutes}}</ref> Klotz gibt für eine Reise in einem geraden Tunnel durch den Erdmittelpunkt eine Zeit von 38 Minuten an, wobei die tatsächliche Masseverteilung im Erdkörper auf der Grundlage seismischer Daten berücksichtigt wird.<ref>Alexander Klotz: Gravity tunnel in a non-uniform earth, American Journal of Physics, Band 83, 2015.</ref>


Wenn statt einer Geraden eine Hypozykloide als Tunnelstrecke gewählt wird (Brachistochrone), kann sich die Reisezeit erheblich verkürzen. So betrüge unter der Annahme einer homogenen Masseverteilung die Reisezeit eines Gravitationszugs von New York nach Los Angeles auf einer Geraden ca. 42 Minuten (s.o.), auf einer Hypozykloide dagegen nur ca. 27,4 Minuten.<ref name="AMax" />
Wenn statt einer Geraden eine Hypozykloide als Tunnelstrecke gewählt wird (Brachistochrone), kann sich die Reisezeit erheblich verkürzen. So betrüge unter der Annahme einer homogenen Masseverteilung die Reisezeit eines Gravitationszugs von New York nach Los Angeles auf einer Geraden ca. 42&nbsp;Minuten, auf einer Hypozykloide dagegen nur ca. 27,4&nbsp;Minuten.<ref name="AMax" />


=== Der Gravitationszug als Schuler-Pendel ===
=== Der Gravitationszug als Schuler-Pendel ===
Die Bewegung eines Gravitationszugs lässt sich auch als [[Pendel]]-Bewegung auffassen. Die theoretische Reisezeit für einen Hin- und Rückweg durch einen irdischen Gravitationstunnel beträgt ca. 84 Minuten. Dies entspricht einer [[Schuler-Periode]], also der Zeit, die ein hypothetisches Pendel mit der Länge des [[Erdradius]]', das unmittelbar über der Erdoberfläche schwingt, für eine komplette Schwingung benötigen würde. Eine Schuler-Periode ist auch die Zeit, die ein Objekt im freien Fall um die Erde im kleinstmöglichen Orbit (also in der Nähe der Erdoberfläche) für eine Erdumrundung benötigen würde, unter der Voraussetzung, dass kein Luftwiderstand existierte.<ref name="MGard" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;99f</sup> Die Geschwindigkeit eines solchen Objekts entspricht der ''ersten kosmischen Geschwindigkeit'' (s.o.), die auch ein Gravitationszug im Erdmittelpunkt erreichen würde.
Die Bewegung des Gravitationszuges stellt eine [[harmonische Schwingung]] mit Periodendauer (theoretische Reisezeit für einen Hin- und Rückweg) 84&nbsp;Minuten dar. Die Bewegung eines Gravitationszugs lässt sich auch als [[Pendel]]-Bewegung auffassen. Dies entspricht einer [[Schuler-Periode]], also der Zeit, die ein hypothetisches Pendel mit der Länge des [[Erdradius]], das unmittelbar über der Erdoberfläche schwingt, für eine komplette Schwingung benötigen würde. Eine Schuler-Periode ist auch die Zeit, die ein Objekt im freien Fall um die Erde im kleinstmöglichen Orbit (also in unmittelbarer Nähe zur Erdoberfläche) für eine Erdumrundung benötigen würde, unter der Voraussetzung, dass kein Luftwiderstand existierte.<ref name="MGard" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;99f</sup> Die Geschwindigkeit eines solchen Objekts entspricht der ''ersten kosmischen Geschwindigkeit'' (s.&nbsp;o.), die auch ein Gravitationszug im Erdmittelpunkt erreichen würde.


== Ideengeschichte ==
== Ideengeschichte ==
Das Konzept des Gravitationstunnels wurde bereits von dem britischen Physiker [[Robert Hooke]] im 17. Jahrhundert in einem Brief an [[Isaac Newton]] beschrieben.<ref name="GraCass" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;125</sup> Im 19. Jh. wurde ein Konzept für einen Gravitationszug bei der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgestellt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurde das Konzept von einigen Wissenschaftlern wieder aufgegriffen und mathematisch formalisiert. Bspw. schlug der Physiker Paul Cooper Gravitationszüge in einem 1966 im ''[[American Journal of Physics]]'' erschienen Aufsatz als mögliches zukünftiges Transportsystem vor. Der Artikel wurde vom [[Time|Time Magazine]] aufgegriffen und einem größeren Publikum vorgestellt.<ref name="Time" /><ref name="MGard" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;99f</sup>
Das Konzept des Gravitationstunnels wurde bereits von dem britischen Physiker [[Robert Hooke]] im 17.&nbsp;Jahrhundert in einem Brief an [[Isaac Newton]] beschrieben.<ref name="GraCass" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;125</sup> Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurde ein Konzept für einen Gravitationszug bei der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgestellt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 20.&nbsp;Jahrhunderts wurde das Konzept von einigen Wissenschaftlern wieder aufgegriffen und mathematisch formalisiert. Beispielsweise schlug der Physiker Paul Cooper Gravitationszüge in einem 1966 im ''[[American Journal of Physics]]'' erschienen Aufsatz als mögliches zukünftiges Transportsystem vor. Der Artikel wurde vom [[Time|Time Magazine]] aufgegriffen und einem größeren Publikum vorgestellt.<ref name="Time" /><ref name="MGard" /><sup>&nbsp;S.&nbsp;99f</sup> Physik-Lehrbücher verwenden den ''Gravitrain'' als Übungsaufgabe.<ref>{{cite book|title=Gerthsen Physik|url=http://books.google.com/books?id=HKCnBgAAQBAJ&pg=PA1023|date=2. Juli 2013|publisher=Springer-Verlag|isbn=978-3-662-07462-6|pages=1023}}</ref>
Weiterhin findet das Konzept des Gravitationstunnels in Werken der [[Science Fiction]] Verwendung, bspw. (physikalisch korrekt) in [[Stephen Baxter]]s Buch ''Ultima'' oder (mit groben physikalischen Fehlern) in dem Film [[Total Recall (2012)|''Total Recall'']].
Weiterhin findet das Konzept des Gravitationstunnels in Werken der [[Science Fiction]] Verwendung, beispielsweise (physikalisch korrekt) in [[Stephen Baxter]]s Buch ''Ultima'' oder (mit groben physikalischen Fehlern) in dem Film [[Total Recall (2012)|''Total Recall'']].


==Literatur==
==Literatur==
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[[Kategorie:Gravitation]]
[[Kategorie:Gravitation]]
[[Kategorie:Gedankenexperiment]]

Version vom 27. September 2015, 22:17 Uhr

Ein Gravitationstunnel ist ein physikdidaktisches[1] Gedankenexperiment,[2] bei dem zwei Punkte auf der Oberfläche eines Planeten oder Mondes durch einen Tunnel miteinander verbunden werden. In antriebsloser, reibungsfreier Bewegung soll darin ein Gravitationszug (englisch Gravity Train) von einem Ende des Tunnels zum anderen verkehren. Dabei beschleunigt das Fahrzeug auf der ersten Hälfte der Strecke – bis zum tiefsten Punkt – durch die Gravitation und wird auf der zweiten Hälfte durch diese abgebremst.

Physikalische Grundlagen

In einem Schacht durch den Mittelpunkt der Erde pendelt eine Masse von Oberfläche zu Oberfläche.

Modell

Die physikalischen Grundlagen des Konzepts sind vergleichsweise einfach. Sie beruhen auf der Newtonschen Mechanik. Meist wird stillschweigend oder explizit die Corioliskraft vernachlässigt und eine homogene Massenverteilung der Erde angenommen. Der Tunnel lässt sich als Zusammenfügung von zwei gleich langen Gefällestrecken beschreiben, die an dem Punkt zusammentreffen, an dem der Tunnel dem Mittelpunkt – oder genauer gesagt: dem Massenschwerpunkt – des Himmelskörpers am nächsten ist. Vom Startpunkt bis zu diesem tiefsten Punkt findet also eine Abwärtsbewegung und damit eine Beschleunigung des Transportmittels statt. Die potenzielle Energie des Transportmittels im Schwerefeld wird in kinetische Energie umgewandelt. Auf der zweiten Hälfte der Strecke befindet sich das Fahrzeug auf einer Steigung und wird folglich abgebremst. Wenn das Fahrzeug keine zusätzliche positive oder negative Beschleunigung erfährt, es also ausschließlich durch die Gravitation bewegt wird und keine Reibungsverluste auftreten, dann kommt es genau am Ende des Tunnels wieder zum Stehen. Von dort aus kann es wieder zurück pendeln und immer so fort.[3][4] S. 125

Wie Cooper zeigte,[5] ist bei Annahme einer gleichmäßigen Dichte des Erdkörpers die Reisezeit auf jeder geraden Verbindung zwischen zwei Punkten der Erdoberfläche A, B rund 42 Minuten, nicht nur auf der zwischen gegenüberliegenden Punkten (oder gleich der Zeit auf geradem Weg von A zum Mittelpunkt der Erde und von dort auf geradem Weg zu B). Das ist allerdings nicht die schnellste Verbindung, außer im Fall gegenüberliegender Punkte (siehe unten).

Ein Spezialfall eines Gravitationstunnels ist ein Tunnel direkt durch den Mittelpunkt (Massenschwerpunkt) eines Himmelskörpers. Das Transportmittel befindet sich hier im freien Fall. Die Passagiere wären folglich während der gesamten Reisedauer schwerelos.[6] S. 96

Form des Tunnels

Ein Gravitationstunnel kann verschiedene geometrische Formen annehmen. Möglich sind Geraden oder gekrümmte Linien. Die schnellste Verbindung zwischen zwei einander nicht gegenüberliegenden Punkten auf der Oberfläche (Brachistochrone) ist die Hypozykloide. Die schnellste Verbindung zwischen zwei gegenüberliegenden Punkten (also durch den Mittelpunkt eines sphärischen Himmelskörpers) ist die Gerade.[7]

Reibung

Ein Fahrzeug kann im Rahmen des beschriebenen Konzepts zwei Arten von Reibung ausgesetzt sein:

  1. Reibung durch Kontakt mit dem Untergrund (Rollwiderstand) bzw. der Aufhängung
  2. Luftwiderstand

Das Konzept ist grundsätzlich auch bei vorhandenem Reibungswiderstand realisierbar, jedoch würde das Transportmittel dann einen zusätzlichen Antrieb bzw. zumindest einen Anschub am Startpunkt benötigen. Wenn das Konzept ohne solche Hilfsmittel, also mit reiner Gravitationsbeschleunigung, realisiert werden soll, muss die Reibung eliminiert werden. Zudem müsste der Luftwiderstand schon deshalb ganz erheblich verringert werden, weil bei den Reisegeschwindigkeiten, die ein Gravitationszug erreichen würde, dieser bei vollem Atmosphärendruck zerstört würde.[4] S. 127

Luftwiderstand kann nur auf Himmelskörpern mit einer Atmosphäre auftreten. Auf der Erde bzw. sonstigen Himmelskörpern mit nennenswerter Atmosphäre müsste der Tunnel leergepumpt und luftdicht versiegelt werden.[3] Das Problem des Rollwiderstands könnte bspw. durch magnetische Aufhängungen (Magnetschwebebahn) umgangen werden.[4] S. 127 Weitgehend reibungsfreie Lösungen wären mit den heutigen technischen Möglichkeiten somit grundsätzlich realisierbar, wobei jedoch das Herstellen eines annähernden Vakuums in Tunneln von hunderten oder gar tausenden Kilometern Länge enorm aufwendig wäre.

Reisezeit und Reisegeschwindigkeit

Unter der Voraussetzung einer homogenen Masseverteilung - die allerdings in der Realität bei Planeten und Monden nicht gegeben ist - ist die Reisezeit für jede beliebige gerade Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Oberfläche ein und desselben sphärischen Himmelskörpers gleich groß. Sie ist nur von der Gravitationskonstante und der Dichte des Himmelskörpers abhängig.[4] S. 127 Eine Reise durch den Erdmittelpunkt würde also genauso lange dauern wie die Reise durch einen geraden Tunnel von Berlin nach Moskau. Folglich ist die durchschnittliche Geschwindigkeit und die Höchstgeschwindigkeit umso höher, je länger der Tunnel ist. Sie sind am höchsten für einen Tunnel durch den Mittelpunkt eines Himmelskörpers. Die maximale Reisegeschwindigkeit durch den Erdmittelpunkt würde 7,9 km/s betragen. Dies entspricht auch der ersten kosmischen Geschwindigkeit (siehe hierzu die Ausführungen zum Schuler-Pendel weiter unten).[8]

Wegen der alleinigen Abhängigkeit von der Gravitation kann die Reisezeit auf größeren Himmelskörpern niedriger sein als auf kleineren Himmelskörpern. Auf der Erde betrüge die Reisezeit durch jeden beliebigen geraden Gravitationstunnel bei nicht vorhandener Reibung unter der Bedingung einer homogenen Masseverteilung ca. 42 Minuten, auf dem irdischen Mond dagegen, der nur ca. ein Sechstel der irdischen Schwerkraft aufweist, 53 Minuten – obwohl der Mond sehr viel kleiner ist als die Erde.[9] Klotz gibt für eine Reise in einem geraden Tunnel durch den Erdmittelpunkt eine Zeit von 38 Minuten an, wobei die tatsächliche Masseverteilung im Erdkörper auf der Grundlage seismischer Daten berücksichtigt wird.[10]

Wenn statt einer Geraden eine Hypozykloide als Tunnelstrecke gewählt wird (Brachistochrone), kann sich die Reisezeit erheblich verkürzen. So betrüge unter der Annahme einer homogenen Masseverteilung die Reisezeit eines Gravitationszugs von New York nach Los Angeles auf einer Geraden ca. 42 Minuten, auf einer Hypozykloide dagegen nur ca. 27,4 Minuten.[7]

Der Gravitationszug als Schuler-Pendel

Die Bewegung des Gravitationszuges stellt eine harmonische Schwingung mit Periodendauer (theoretische Reisezeit für einen Hin- und Rückweg) 84 Minuten dar. Die Bewegung eines Gravitationszugs lässt sich auch als Pendel-Bewegung auffassen. Dies entspricht einer Schuler-Periode, also der Zeit, die ein hypothetisches Pendel mit der Länge des Erdradius, das unmittelbar über der Erdoberfläche schwingt, für eine komplette Schwingung benötigen würde. Eine Schuler-Periode ist auch die Zeit, die ein Objekt im freien Fall um die Erde im kleinstmöglichen Orbit (also in unmittelbarer Nähe zur Erdoberfläche) für eine Erdumrundung benötigen würde, unter der Voraussetzung, dass kein Luftwiderstand existierte.[6] S. 99f Die Geschwindigkeit eines solchen Objekts entspricht der ersten kosmischen Geschwindigkeit (s. o.), die auch ein Gravitationszug im Erdmittelpunkt erreichen würde.

Ideengeschichte

Das Konzept des Gravitationstunnels wurde bereits von dem britischen Physiker Robert Hooke im 17. Jahrhundert in einem Brief an Isaac Newton beschrieben.[4] S. 125 Im 19. Jahrhundert wurde ein Konzept für einen Gravitationszug bei der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgestellt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Konzept von einigen Wissenschaftlern wieder aufgegriffen und mathematisch formalisiert. Beispielsweise schlug der Physiker Paul Cooper Gravitationszüge in einem 1966 im American Journal of Physics erschienen Aufsatz als mögliches zukünftiges Transportsystem vor. Der Artikel wurde vom Time Magazine aufgegriffen und einem größeren Publikum vorgestellt.[9][6] S. 99f Physik-Lehrbücher verwenden den Gravitrain als Übungsaufgabe.[11] Weiterhin findet das Konzept des Gravitationstunnels in Werken der Science Fiction Verwendung, beispielsweise (physikalisch korrekt) in Stephen Baxters Buch Ultima oder (mit groben physikalischen Fehlern) in dem Film Total Recall.

Literatur

  • Paul W. Cooper: Through the earth in forty minutes, American Journal of Physics, Band 34, 1966, S. 68-70
  • Alexander Klotz: Gravity tunnel in a non-uniform earth, American Journal of Physics, Band 83, 2015, S. 231, Arxiv
  • Alexander Klotz: A Guided Tour of Planetary Interiors, Department of Physics, McGill University Montreal, 25. Mai 2015, [1]

Einzelnachweise

  1. Zu didaktischen Aspekten siehe A. Klotz (Literaturliste).
  2. Die Kola-Bohrung mit etwa zwölf Kilometern Tiefe ist seit 1979 die tiefste Bohrung der Welt.
  3. a b http://www.math.purdue.edu/~eremenko/train.html
  4. a b c d e Kevin R. Grazier, Stephen Cass: Hollyweird Science: From Quantum Quirks to the Multiverse, 2015, ISBN 3319150723.
  5. Siehe Paul W. Cooper: Through the earth in forty minutes, American Journal of Physics, Band 34, 1966, S. 68-70
  6. a b c Martin Gardner: Mathematical Puzzle Tales, 2000, ISBN 088385533X.
  7. a b Amanda Maxham: Brachistochrone inside the Earth: The Gravity Train, UNLV Department of Physics and Astronomy, September 26, 2008, http://www.physics.unlv.edu/~maxham/gravitytrain.pdf
  8. http://www.math.purdue.edu/~eremenko/dvi/gravsol.pdf
  9. a b To Everywhere in 42 Minutes.
  10. Alexander Klotz: Gravity tunnel in a non-uniform earth, American Journal of Physics, Band 83, 2015.
  11. Gerthsen Physik. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-662-07462-6, S. 1023 (google.com).