„Magnetische Helizität“ – Versionsunterschied

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Version vom 1. November 2020, 18:36 Uhr

Magnetische Helizität ist eine ideale quadratische Invariante[1][2] (eine Erhaltungsgröße, wenn der spezifische Widerstand des Systems null ist) von den magnetohydrodynamischen Gleichungen, die einen inversen Transfer im Fourierraum aufweist.[3] Das heißt, dass von kleinskaligen magnetischen Strukturen, immer größere Strukturen geformt werden.

Aufgrund dieser zwei Eigenschaften (ideale Invariante und inversen Transfer) ist die magnetische Helizität in vielen astrophysikalische Systemen von großer Relevanz, da in diesen der spezifische Widerstand typischerweise sehr gering ist. Beispielsweise ist die Dynamik der magnetischen Helizität in Sonneneruptionen und koronale Massenauswürfen[4] von Bedeutung. Der Sonnenwind enthält magnetische Helizität[5], was durch die Heliosphärische Stromschicht auf den größten Skalen zu sehen ist[6]. Die Erhaltung der magnetischen Helizität ist in Dynamo-Prozessen von großer Bedeutung[7][8][9][10] und magnetische Helizität spielt auch in der Fusionforschung eine Rolle, beispielsweise in Reversed field pinch Experimenten[11].

Mathematische Formulierung

Die Helizität eines glatten Vektorfeldes , definiert in einem dreidimensionalen Raum, ist das Standardmaß, das zeigt, wie die Feldlinien einander verketten und umeinander kreisen[12][13]. Sie wird durch das Volumenintegral des Skalarproduktes von und dessen Rotation definiert:

,

wobei das Differenzvolumenelement ist, und die Integration über das gesamte betrachtete Gebiet stattfindet.

Die magnetische Helizität wird als die Helizität des magnetischen Vektorpotenzials definiert, wobei dem Magnetfeld entspricht[10]:

.

Die Helizität des Magnetfeldes, , mit der elektrische Stromdichte, wird auf englisch "current helicity"[14] genannt, ist jedoch keine ideale Invariante.

Ideale quadratische Invarianz

In den späten 1950er Jahren entdeckten Lodewijk Woltjer und Walter M. Elsässer unabhängig voneinander, dass die magnetische Helizität eine ideale Invariante ist[1][2]. Dies bedeutet, dass sie in Systemen die keinen spezifischen Widerstand aufweisen eine Erhaltungsgröße ist. Im folgenden wird Woltjers Beweis, gültig für ein geschlossenes System, wiedergegeben:

Die Gleichung zur zeitlichen Entwicklung des Magnetfeldes und des magnetischen Vektorpotenzials lauten im Fall eines idealen magnetohydrodynamischen Systems:

.

Die zweite Gleichung erhält man bei der "Entrotationierung" (manchmal wird der Begriff "uncurling" auf englisch benutzt) der ersten Gleichung und der Term ist ein Skalarpotential, definiert durch die gewählte Eichung (siehe den Abschnitt über die Eichung). Wenn die Eichung so gewählt wird, dass das Skalarpotential verschwindet (=0), wird die Zeitentwicklung der magnetischen Helizität durch die folgende Gleichung beschrieben:

.

Das erste Integral ist Null, da orthogonal zum Kreuzprodukt ist. Das zweite Integral kann partiell integriert werden, sodass:

Die erste Integration geschieht über das Gesamtvolumen und ist Null, da , wie oben bereits erwähnt. Das zweite Integral ist das Oberflächenintegral über die Grenzen des geschlossenen Systems . Dieses Integral ist Null, da die Bewegungen im geschlossenen System nicht das magnetische Vektorpotenzial außerhalb beeinflussen können, sodass auf der Systemgrenze , da das magnetische Vektorpotenzial eine kontinuierliche Funktion ist.

Wenn die magnetische Helizität Eichinvariant ist (siehe Abschnitt unten) bleibt deshalb die magnetische Helizität selbst dann ideal erhalten, wenn die besondere Eichung nicht erfüllt ist.

Die magnetische Helizität bleibt auch in Situationen mit einem kleinen, endlichen spezifischen Widerstand näherungsweise erhalten. Hierbei kann zum Beispiel magnetische Rekonnexion stattfinden, wodurch magnetische Energie in kinetische Energie umgewandelt wird[6][10].

Inversen Transfer im Fourierraum

Magnetische Helizität erfährt einen inversen Transfer im Fourierraum, was bedeutet, dass von kleinen magnetischen helikalen Fluktuationen sich immer größere Strukturen ausbilden. Die Möglichkeit von solch einem inversen Transfer wurde zuerst bei Uriel Frisch und dessen Mitarbeitern entdeckt[3] und wurde durch mehrere numerische Experimente bestätigt[15][16][17][18][19][20].


Eine Begründung für diesen inversen Transfer von dieser Referenz[3] ist im folgenden wiederholt. Diese basiert auf der sogenannte "Realisierbarkeitsbedingung" ("realizability condition" auf englisch) von der magnetischen Helizität im Fourierspectrum (wo der Fourierkoeffizient vom Wellenvektor des Magnetfeldes ist, und in ähnlicher Weise für ). Der Stern * bedeutet das komplexe Konjugat. Die "Realisierbarkeitsbedingung" entspricht der Cauchy-Schwarzsche Ungleichung, angewandt an , und lautet:

,

mit der Spektrum der magnetischen Energie. Die Eigenschaft (mit der divergenzfreie Teil des Fourierspektrums des magnetischen Vektorpotenzialfeldes, orthogonal zum Wellenvektor im Fourierraum) wurde benutzt, um diese Ungleichung zu erhalten, da . Im Artikel[3] fehlt der Faktor 2, da in diesem eine alternative Definition der magnetischen Helizität, und zwar , benutzt wird.


Stellen wir uns eine Ausgangssituation ohne Geschwindigkeitsfeld und mit einem Magnetfeld vor, das aus einer Überlagerung von zwei Moden besteht, und zwar an die Wellenvektoren and . Wir nehmen an, dass das Magnetfeld völlig helikal ist, das heißt, dass es die Realisierbarkeitsbedingung sättigt: und . Angenommen, dass alle Energie- und magnetischen Helizitätstransfers zu einem dritten Wellenvektor geschehen, liefern die Erhaltung der magnetischen Helizität und die Erhaltung der Gesamtenergie (die Summe von der (m)agnetischen und der (k)inetischen Energien) die Gleichungen:

Die zweite Gleichung für die Gesamtenergie beruht auf die Tatsache, dass wir eine Anfangsbedingung ohne Geschwindigkeitsfeld betrachten. Dann gilt zwangsläufig . Angenommen wir hätten , dann:

und dies würde die Realisierbarkeitsbedingung brechen. Dies impliziert, dass . Insbesondere, für , wird die magnetische Helizität zu einem kleineren Wellenvektor transferiert, das heißt, zu größeren Skalen.

Topologische Interpretation

Magnetische Helizität ist eine Verallgemeinerung vom topologischen Konzept der Verknüpfungsnummer, um die Magnetfeldstruktur zu beschreiben[6]. Magnetische Helizität (die Magnetfeldlinien beschreibt) ist eng mit der kinetischen Helizität (die Stromlinien beschreibt) verbunden, und deren Dynamik sind miteinander verknüpft[3][21].

Falls Magnetfeldlinien den Strängen eines verdrillten Seils folgen würden, würde diese Konfiguration eine gewisse Helizität besitzen: bei linksgängigen Seilen würde eine negative Helizität aufreten und bei rechtsgängigen eine positive[14].

Über die Eichung

Da das magnetische Vektorpotenzial nicht eichinvariant ist (es kann umdefiniert werden, indem man einen Gradienten addiert, ohne das Magnetfeld zu ändern), ist auch die magnetische Helizität in der Regel nicht eichinvariant. Für perfekt-leitende Systemgrenzen oder periodische Systeme ohne magnetischen Fluß durch die Grenzen des physikalischen Systems ist die magnetische Helizität jedoch eichinvariant[14], unabhängig von der gewählte Eichung. Im allgemeinen Fall wurde eine sogenannte relative Helizität definiert, die eichinvariant ist, auch wenn der magnetische Fluß an den Rändern ungleich Null ist[6].

Einzelnachweise

  1. a b L. Woltjer: A THEOREM ON FORCE-FREE MAGNETIC FIELDS. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 44. Jahrgang, Nr. 6, 1. Juni 1958, ISSN 0027-8424, S. 489–491, doi:10.1073/pnas.44.6.489 (doi.org).
  2. a b Walter M. Elsasser: Hydromagnetic Dynamo Theory. In: Reviews of Modern Physics. 28. Jahrgang, Nr. 2, 1. April 1956, ISSN 0034-6861, S. 135–163, doi:10.1103/revmodphys.28.135 (doi.org).
  3. a b c d e U. Frisch, A. Pouquet, J. LÉOrat, A. Mazure: Possibility of an inverse cascade of magnetic helicity in magnetohydrodynamic turbulence. In: Journal of Fluid Mechanics. 68. Jahrgang, Nr. 4, 29. April 1975, ISSN 0022-1120, S. 769–778, doi:10.1017/s002211207500122x (doi.org).
  4. Vorlage:Citation
  5. J. W. Bieber, P. A. Evenson, W. H. Matthaeus: Magnetic helicity of the Parker field. In: The Astrophysical Journal. 315. Jahrgang, April 1987, ISSN 0004-637X, S. 700, doi:10.1086/165171 (doi.org).
  6. a b c d M.A. Berger: Introduction to magnetic helicity. In: Plasma Physics and Controlled Fusion. 41. Jahrgang, 12B, 1999, S. B167–B175, doi:10.1088/0741-3335/41/12B/312, bibcode:1999PPCF...41..167B.
  7. Ethan T. Vishniac, Jungyeon Cho: Magnetic Helicity Conservation and Astrophysical Dynamos. In: The Astrophysical Journal. 550. Jahrgang, Nr. 2, April 2001, ISSN 0004-637X, S. 752–760, doi:10.1086/319817 (doi.org).
  8. A. Brandenburg, A. Lazarian: Astrophysical Hydromagnetic Turbulence. In: Space Science Reviews. 178. Jahrgang, Nr. 2-4, 31. August 2013, ISSN 0038-6308, S. 163–200, doi:10.1007/s11214-013-0009-3 (doi.org).
  9. A. Brandenburg: Hydromagnetic Dynamo Theory. In: Scholarpedia. 2. Jahrgang, Nr. 3, 2009, rev #73469, S. 2309, doi:10.4249/scholarpedia.2309, bibcode:2007SchpJ...2.2309B (scholarpedia.org).
  10. a b c E.G. Blackman: Magnetic Helicity and Large Scale Magnetic Fields: A Primer. In: Space Science Reviews. 188. Jahrgang, Nr. 1–4, 2015, S. 59–91, doi:10.1007/s11214-014-0038-6, arxiv:1402.0933, bibcode:2015SSRv..188...59B.
  11. D. F. Escande, P. Martin, S. Ortolani, A. Buffa, P. Franz, L. Marrelli, E. Martines, G. Spizzo, S. Cappello, A. Murari, R. Pasqualotto: Quasi-Single-Helicity Reversed-Field-Pinch Plasmas. In: Physical Review Letters. 85. Jahrgang, Nr. 8, 21. August 2000, ISSN 0031-9007, S. 1662–1665, doi:10.1103/physrevlett.85.1662 (doi.org).
  12. Cantarella J, DeTurck D, Gluck H, et al. Influence of geometry and topology on helicity[J]. Magnetic Helicity in Space and Laboratory Plasmas, 1999: 17-24. doi:10.1029/GM111p0017
  13. H. K. Moffatt: The degree of knottedness of tangled vortex lines. In: Journal of Fluid Mechanics. 35. Jahrgang, Nr. 1, 16. Januar 1969, ISSN 0022-1120, S. 117–129, doi:10.1017/s0022112069000991 (doi.org).
  14. a b c K. Subramanian, A. Brandenburg: Magnetic helicity density and its flux in weakly inhomogeneous turbulence. In: The Astrophysical Journal Letters. 648. Jahrgang, Nr. 1, 2006, S. L71–L74, doi:10.1086/507828, arxiv:astro-ph/0509392, bibcode:2006ApJ...648L..71S.
  15. A. Pouquet, U. Frisch, J. Léorat: Strong MHD helical turbulence and the nonlinear dynamo effect. In: Journal of Fluid Mechanics. 77. Jahrgang, Nr. 2, 24. September 1976, ISSN 0022-1120, S. 321–354, doi:10.1017/s0022112076002140 (doi.org).
  16. M. Meneguzzi, U. Frisch, A. Pouquet: Helical and Nonhelical Turbulent Dynamos. In: Physical Review Letters. 47. Jahrgang, Nr. 15, 12. Oktober 1981, ISSN 0031-9007, S. 1060–1064, doi:10.1103/physrevlett.47.1060 (doi.org).
  17. D. Balsara, A. Pouquet: The formation of large-scale structures in supersonic magnetohydrodynamic flows. In: Physics of Plasmas. 6. Jahrgang, Nr. 1, Januar 1999, ISSN 1070-664X, S. 89–99, doi:10.1063/1.873263 (doi.org).
  18. Mattias Christensson, Mark Hindmarsh, Axel Brandenburg: Inverse cascade in decaying three-dimensional magnetohydrodynamic turbulence. In: Physical Review E. 64. Jahrgang, Nr. 5, 22. Oktober 2001, ISSN 1063-651X, doi:10.1103/physreve.64.056405 (doi.org).
  19. Axel Brandenburg: The Inverse Cascade and Nonlinear Alpha‐Effect in Simulations of Isotropic Helical Hydromagnetic Turbulence. In: The Astrophysical Journal. 550. Jahrgang, Nr. 2, April 2001, ISSN 0004-637X, S. 824–840, doi:10.1086/319783 (doi.org).
  20. Alexandros Alexakis, Pablo D. Mininni, Annick Pouquet: On the Inverse Cascade of Magnetic Helicity. In: The Astrophysical Journal. 640. Jahrgang, Nr. 1, 20. März 2006, ISSN 0004-637X, S. 335–343, doi:10.1086/500082 (doi.org).
  21. Moritz Linkmann, Ganapati Sahoo, Mairi McKay, Arjun Berera, Luca Biferale: Effects of Magnetic and Kinetic Helicities on the Growth of Magnetic Fields in Laminar and Turbulent Flows by Helical Fourier Decomposition. In: The Astrophysical Journal. 836. Jahrgang, Nr. 1, 6. Februar 2017, ISSN 1538-4357, S. 26, doi:10.3847/1538-4357/836/1/26 (doi.org).