„Beutelsbacher Konsens“ – Versionsunterschied

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[[Sibylle Reinhardt]] bettet das Prinzip der ''Schülerinteressen'' ein: Es sei nicht – wie zu seiner Entstehungszeit interpretiert – „ausschließlich auf das einzelne Individuum hin ausgelegt“.<ref name="Reinhardt_S30">Sibylle Reinhardt: ''Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II.'' 2012, S. 30.</ref> Seine mittlerweile konsensuelle Lesart meine nicht „die Möglichkeit rücksichtslosen Durchsetzens von Eigeninteressen“<ref name="Reinhardt_S30" /> und verhindere nicht den Gedanken des „längerfristigen Allgemeininteresses“.
[[Sibylle Reinhardt]] bettet das Prinzip der ''Schülerinteressen'' ein: Es sei nicht – wie zu seiner Entstehungszeit interpretiert – „ausschließlich auf das einzelne Individuum hin ausgelegt“.<ref name="Reinhardt_S30">Sibylle Reinhardt: ''Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II.'' 2012, S. 30.</ref> Seine mittlerweile konsensuelle Lesart meine nicht „die Möglichkeit rücksichtslosen Durchsetzens von Eigeninteressen“<ref name="Reinhardt_S30" /> und verhindere nicht den Gedanken des „längerfristigen Allgemeininteresses“.


Reinhardt konkretisiert ebenfalls die ''Kontroversität''. Je nach Lerngruppe müsse der Lehrende seine Rolle verändern: Eine „‚politische‘ Lerngruppe [braucht] den politischen Lehrer gar nicht […], während die ‚un[[politisch]]e‘ Lerngruppe ihn benötigt“.<ref>Sibylle Reinhardt: ''Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II.'' 2012, S. 31.</ref> Würde der einseitig ‚politisch‘ Lehrende seine Rolle anschließend nicht aufklären, hätte er so noch keine weitere Sicht eröffnet, also wieder manipuliert. Besser wäre also, nach verschiedenen Blickwinkeln auf ‚Gegenstände‘ (Situationen, Regeln, …) suchen zu lassen, den Forscherdrang zu wecken, auch [[Skurrilität|skurrile]] und sogar unangenehme Fragen stellen, denen nachgehend immer mehrere Antworten suchen, Vor- und Nachteile abwägen und nach den gesamtgesellschaftlichen, globalen Auswirkungen – auch nach der Rückwirkung auf einen selbst und folgende Generationen – suchen zu lassen.
Reinhardt konkretisiert ebenfalls die ''Kontroversität''. Je nach Lerngruppe müsse der Lehrende seine Rolle verändern: Eine „‚politische‘ Lerngruppe [braucht] den politischen Lehrer gar nicht […], während die ‚un[[politisch]]e‘ Lerngruppe ihn benötigt“. Würde der einseitig ‚politisch‘ Lehrende seine Rolle anschließend nicht aufklären, hätte er so noch keine weitere Sicht eröffnet, also wieder manipuliert. Besser wäre also, nach verschiedenen Blickwinkeln auf ‚Gegenstände‘ (Situationen, Regeln, …) suchen zu lassen, den Forscherdrang zu wecken, auch [[Skurrilität|skurrile]] und sogar unangenehme Fragen stellen, denen nachgehend immer mehrere Antworten suchen, Vor- und Nachteile abwägen und nach den gesamtgesellschaftlichen, globalen Auswirkungen – auch nach der Rückwirkung auf einen selbst und folgende Generationen – suchen zu lassen.<ref>Sibylle Reinhardt: ''Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II.'' 2012, S. 31.</ref>

Aus Sicht der kritischen politischen Bildung kritisiert Bettina Lösch, dass der Beutelsbacher Konsens normativ unbestimmt und damit in vielerlei Richtung instrumentalisierbar sei und hebt hervor, dass der Konsens stets auch auch eine ideologische Funktion hatte, die es erlaubte „Ansprüche nach Emanzipation oder Demokratisierung als Überwältigung von Schüler*innen zurückzuweisen, in dem der gesellschaftliche status quo (etwa der eingeschränkten bürgerlich-liberalen Demokratie) aufrechterhalten werden sollte“.<ref>{{Literatur |Autor=Bettina Lösch |Titel=Wie politisch darf und sollte Bildung sein? Die aktuelle Debatte um ‚politische Neutralität‘ aus Sicht einer kritisch-emanzipatorischen politischen Bildung |Sammelwerk=Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik: Diskurse zwischen Theologie, Pädagogik und Politischer Bildung |Verlag=Springer Fachmedien |Ort=Wiesbaden |Datum=2020 |ISBN=978-3-658-28759-7 |DOI=10.1007/978-3-658-28759-7_21 |Seiten=383–402}}</ref>


In Untersuchungen unter Politiklehrkräften zeigt sich zudem, dass diese den Beutelsbacher Konsens vielfach als Neutralitätsgebot missverstehen und fälschlicherweise davon ausgehen, dass der Beutelsbacher Konsens sie zur gleichberechtigten Darstellung extremistischer Positionen im Unterricht verpflichte.<ref>{{Literatur |Autor=Monika Oberle, Sven Ivens, Johanna Leunig |Titel=Grenzenlose Toleranz? Lehrervorstellungen zum Beutelsbacher Konsens und dem Umgang mit Extremismus im Unterricht |Hrsg=Laura Möllers, Sabine Manzel |Sammelwerk=Populismus und politische Bildung |Verlag=Wochenschau Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=2018 |Reihe=Schriftenreihe der Gesellschaft für Politikdidaktik und Politische Jugend- und Erwachsenenbildung |ISBN=978-3-7344-0680-5 |Seiten=53–61}}</ref>
In Untersuchungen unter Politiklehrkräften zeigt sich zudem, dass diese den Beutelsbacher Konsens vielfach als Neutralitätsgebot missverstehen und fälschlicherweise davon ausgehen, dass der Beutelsbacher Konsens sie zur gleichberechtigten Darstellung extremistischer Positionen im Unterricht verpflichte.<ref>{{Literatur |Autor=Monika Oberle, Sven Ivens, Johanna Leunig |Titel=Grenzenlose Toleranz? Lehrervorstellungen zum Beutelsbacher Konsens und dem Umgang mit Extremismus im Unterricht |Hrsg=Laura Möllers, Sabine Manzel |Sammelwerk=Populismus und politische Bildung |Verlag=Wochenschau Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=2018 |Reihe=Schriftenreihe der Gesellschaft für Politikdidaktik und Politische Jugend- und Erwachsenenbildung |ISBN=978-3-7344-0680-5 |Seiten=53–61}}</ref>

Version vom 22. Februar 2021, 17:43 Uhr

Der Beutelsbacher Konsens ist das Ergebnis einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zusammen mit Politikdidaktikern unterschiedlicher parteipolitischer oder konfessioneller Herkunft im Herbst 1976 in Beutelsbach, einem Stadtteil der Großen Kreisstadt Weinstadt im Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg. Der Konsens legt die Grundsätze für die politische Bildung fest.

Grundsätze

Der Konsens legt drei Prinzipien für den Politikunterricht fest. Von der Bundeszentrale für politische Bildung anerkannte Bildungsträger müssen alle drei Prinzipien anerkennen, um förderungsfähig zu sein.

Überwältigungsverbot

Gemäß dem Überwältigungsverbot (auch: Indoktrinationsverbot) dürfen Lehrende Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen Schüler in die Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können. Dies ist der Zielsetzung der politischen Bildung geschuldet, die Schüler zu mündigen Bürgern heranzubilden.

Kontroversität

Das Gebot der Kontroversität (auch: Gegensätzlichkeit) zielt ebenfalls darauf ab, den Schülern freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren können, wenn es in der Wissenschaft oder Politik kontrovers erscheint.[1] Seine eigene Meinung und seine politischen wie theoretischen Standpunkte sind dabei für den Unterricht unerheblich und dürfen nicht zur Überwältigung der Schüler eingesetzt werden. Beim Kontroversitätsgebot handelt es sich allerdings nicht um ein Neutralitätsgebot für die Lehrkraft.[2]

Schülerorientierung

Das Prinzip Schülerorientierung soll den Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und seine eigene Position zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen sowie „nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“[3]

Kritik

Sibylle Reinhardt bettet das Prinzip der Schülerinteressen ein: Es sei nicht – wie zu seiner Entstehungszeit interpretiert – „ausschließlich auf das einzelne Individuum hin ausgelegt“.[4] Seine mittlerweile konsensuelle Lesart meine nicht „die Möglichkeit rücksichtslosen Durchsetzens von Eigeninteressen“[4] und verhindere nicht den Gedanken des „längerfristigen Allgemeininteresses“.

Reinhardt konkretisiert ebenfalls die Kontroversität. Je nach Lerngruppe müsse der Lehrende seine Rolle verändern: Eine „‚politische‘ Lerngruppe [braucht] den politischen Lehrer gar nicht […], während die ‚unpolitische‘ Lerngruppe ihn benötigt“. Würde der einseitig ‚politisch‘ Lehrende seine Rolle anschließend nicht aufklären, hätte er so noch keine weitere Sicht eröffnet, also wieder manipuliert. Besser wäre also, nach verschiedenen Blickwinkeln auf ‚Gegenstände‘ (Situationen, Regeln, …) suchen zu lassen, den Forscherdrang zu wecken, auch skurrile und sogar unangenehme Fragen stellen, denen nachgehend immer mehrere Antworten suchen, Vor- und Nachteile abwägen und nach den gesamtgesellschaftlichen, globalen Auswirkungen – auch nach der Rückwirkung auf einen selbst und folgende Generationen – suchen zu lassen.[5]

Aus Sicht der kritischen politischen Bildung kritisiert Bettina Lösch, dass der Beutelsbacher Konsens normativ unbestimmt und damit in vielerlei Richtung instrumentalisierbar sei und hebt hervor, dass der Konsens stets auch auch eine ideologische Funktion hatte, die es erlaubte „Ansprüche nach Emanzipation oder Demokratisierung als Überwältigung von Schüler*innen zurückzuweisen, in dem der gesellschaftliche status quo (etwa der eingeschränkten bürgerlich-liberalen Demokratie) aufrechterhalten werden sollte“.[6]

In Untersuchungen unter Politiklehrkräften zeigt sich zudem, dass diese den Beutelsbacher Konsens vielfach als Neutralitätsgebot missverstehen und fälschlicherweise davon ausgehen, dass der Beutelsbacher Konsens sie zur gleichberechtigten Darstellung extremistischer Positionen im Unterricht verpflichte.[7]

Literatur

  • Klaus Ahlheim: Die ‚weiße Flagge gehißt‘? Wirkung und Grenzen des Beutelsbacher Konsenses. In: Klaus Ahlheim, Johannes Schillo: Politische Bildung zwischen Formierung und Aufklärung (= Kritische Beiträge zur Bildungswissenschaft. Band 6). Offizin Verlag, Hannover 2012, ISBN 978-3-930345-96-0, S. 75–92.
  • Armin Scherb: Der Beutelsbacher Konsens. In: Dirk Lange, Volker Reinhardt (Hrsg.): Strategien der politischen Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht (= Basiswissen politische Bildung. Band 2). Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 2007, ISBN 978-3-8340-0207-5, S. 31–39.
  • Sibylle Reinhardt: Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. 4., überarb. Neuauflage. Cornelsen, Berlin 2012, ISBN 978-3-589-23201-7.
  • Siegfried Schiele, Herbert Schneider (Hrsg.): Reicht der Beutelsbacher Konsens? (= Didaktische Reihe der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg). Wochenschau-Verl., Schwalbach/Ts. 1996, ISBN 3-879-20384-9.
  • Benedikt Widmaier, Peter Zorn (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung (= Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg.]: Schriftenreihe. Band 1793). BpB, Bonn 2016, ISBN 978-3-8389-0793-2.

Weblinks

Fußnoten

  1. Hans-Georg Wehling. In: Siegfried Schiele, Herbert Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung (= Anmerkungen und Argumente zur historischen und politischen Bildung. Band 17). Klett, Stuttgart 1977, ISBN 3-12-927580-0, S. 179 f.
  2. Kerstin Pohl: Wie weit geht das Kontroversitätsgebot für die politische Bildung? In: Dossier Politische Bildung. Bundeszentrale für politische Bildung, 19. März 2015, abgerufen am 23. September 2018.
  3. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Beutelsbacher Konsens. In: lpb-bw.de, abgerufen am 12. Juni 2009.
  4. a b Sibylle Reinhardt: Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. 2012, S. 30.
  5. Sibylle Reinhardt: Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. 2012, S. 31.
  6. Bettina Lösch: Wie politisch darf und sollte Bildung sein? Die aktuelle Debatte um ‚politische Neutralität‘ aus Sicht einer kritisch-emanzipatorischen politischen Bildung. In: Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik: Diskurse zwischen Theologie, Pädagogik und Politischer Bildung. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-658-28759-7, S. 383–402, doi:10.1007/978-3-658-28759-7_21.
  7. Monika Oberle, Sven Ivens, Johanna Leunig: Grenzenlose Toleranz? Lehrervorstellungen zum Beutelsbacher Konsens und dem Umgang mit Extremismus im Unterricht. In: Laura Möllers, Sabine Manzel (Hrsg.): Populismus und politische Bildung (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Politikdidaktik und Politische Jugend- und Erwachsenenbildung). Wochenschau Verlag, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-7344-0680-5, S. 53–61.