„Frühromantik“ – Versionsunterschied

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Die Frühromantik (auch „Jenaer Frühromantik“) ist ein kulturhistorische Strömung der Moderne und Zeitabschnitt der [[Romantik]].<ref>{{Literatur |Autor=Stefan Matuschek |Titel=Die Romantik. Themen – Strömungen – Personen |Sammelwerk=C.H.Beck Wissen |Nummer=2950 |Auflage=1 |Verlag=C.H.Beck |Ort=München |Datum=2024 |ISBN=9783406814983 |Seiten=7–11}}</ref> Sie begann 1796 mit der Übersiedlung [[August Wilhelm Schlegel|August Wilhelm Schlegels]] und [[Caroline Schelling|Caroline Schlegels]] nach Jena und endete 1803 mit dem Fortgang Caroline Schlegels und [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Friedrich Wilhelm Joseph Schellings]]. Die Frühromantik gilt als Keimzelle der deutschen Romantik und hatte erhebliche Auswirkungen auf die Kunst und Kultur der [[Moderne]]. Ausgehend und beeinflusst von [[Romantikerhaus|Jena]] gelten Berlin mit seinen literarischen Salons und Dresden als weitere frühromantische Zentren.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Helmut Schanze |Titel=Erfindung der Romantik |Verlag=J. B. Metzler |Ort=Stuttgart |Datum=2018 |ISBN=9783476047076 |Seiten=2–93}}</ref>
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Die '''Frühromantik''', ein Zeitabschnitt der [[Romantik]], auch genannt die „Ältere Romantik“, dauerte von 1795 bis 1804.


== Voraussetzungen und Verlauf ==
* Theoretischer Aufbau der neuen [[Lebenseinstellung]] und [[Kunst]]anschauung
* Zeitschrift ''[[Athenäum (Schlegel)|Athenäum]]'' (Philosophie, Theorie, literarische Werke)
* Zentren sind [[Jena]] (Universität),<ref>[https://www.britannica.com/event/Jena-Romanticism Encyclopedia Britannica]</ref> [[Berlin]] ([[Literarischer Salon|literarische Salons]])


Als kulturhistorische Strömung der Moderne ist der Beginn der Frühromantik nicht auf einen genauen Zeitpunkt festzulegen.<ref name=":0" /> Prägende Impulse erfährt die Frühromantik u. a. durch die [[Aufklärung|Philosophie der Aufklärung]], die Literatur der [[Empfindsamkeit]], die Schriften [[Immanuel Kant|Immanuel Kants]], die Literatur des [[Sturm und Drang]], durch [[Johann Gottlieb Fichte|Johann Gottlieb Fichtes]] [[Idealismus|idealistische Philosophie]] und [[Friedrich Schiller|Friedrich Schillers]] [[Über die ästhetische Erziehung des Menschen]]. Einen entscheidenden Einfluss haben auch die Werke [[Johann Wolfgang von Goethe|Johann Wolfgang von Goethes]], insbesondere dessen [[Die Leiden des jungen Werthers|Werther]], [[Gelegenheitsdichtung|Gelegenheitsgedichte]] und [[Wilhelm Meisters Lehrjahre]]. Außerdem haben die politischen Umbrüche im Zuge der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] und die damit verbundenen Freiheits-Diskurse erheblichen Anteil an der Gedankenwelt der Frühromantiker, die sich Mitte der 1790er Jahre insbesondere in [[Jena]] zu formieren beginnen.<ref name=":0" />
== Philosophen ==
[[Datei:Johann Friedrich August Tischbein- Caroline Schlegel, 1798, Städtische Museen Jena.jpg|mini|Caroline Schlegel ist mit ihrem Mann August Wilhelm Schlegel eine der ersten, die aus dem Kreis der Romantiker nach Jena übersiedeln.]]
Obwohl es nicht sinnvoll ist, ein einzelnes Datum als Startpunkt der Frühromantik festzulegen, kann der 8. Juli 1796 als symbolischer Beginn der [[Romantikerhaus|Jenaer Romantik]] ausgemacht werden. An diesem Tag trafen [[August Wilhelm Schlegel]] und seine Frau [[Caroline Schelling|Caroline Schlegel]] in Jena ein. August Wilhelm Schlegel siedelte auf Empfehlung Friedrich Schillers nach Jena über, um an dessen neu erschienen Zeitschrift [[Die Horen (Schiller)|Die Horen]] mitzuarbeiten. Auf den Seiten der Horen, formierte sich erstmals ein intellektueller Kreis, der an den Ideen der Frühromantik entscheidenden Anteil hatte und die Strahlkraft Jenas um 1800 mitbegründete. Neben Schiller und August Wilhelm Schlegel publizierten etwa auch [[Alexander von Humboldt|Alexander]] und [[Wilhelm von Humboldt]], [[Johann Gottlieb Fichte]], [[Johann Wolfgang von Goethe|Johann Wolfgang von Goeth]]<nowiki/>e und [[Sophie Mereau]] in der Zeitschrift, die repräsentativ für Jenas geistiges Klima steht.<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Andrea Wulf |Titel=Fabelhafte Rebellen. Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich |Auflage=1 |Verlag=C.Bertelsmann |Ort=München |Datum=2022 |ISBN=9783570103951 |Seiten=314–332}}</ref>


Jena hatte um 1800 den Ruf eines liberalen Zentrums der Philosophie: Die [[Friedrich-Schiller-Universität Jena|Universität]] zog Gelehrte aus allen Regionen der deutschsprachigen Ländern an und insbesondere der Universitäts- und Kulturpolitik Goethes ist es zu verdanken, dass sich in Jena ein freier und aufgeklärter Geist verbreiten konnte. Hinzu kamen die günstigen bildungspolitischen Verhältnisse. Denn die Universität Jena unterstand der Aufsicht von vier Herzögen. Der damit verbundene bürokratische Aufwand erschwerte die Zensur, sodass die Professoren der Universität eine größere Lehrfreiheit hatten als in anderen Herzogtümern.<ref>{{Literatur |Autor=Gerhard Schmid |Titel=Einleitung |Hrsg=Friedrich Strack |Sammelwerk=Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte |Verlag=Klett-Cotta |Ort=Stuttgart |Datum=1994 |ISBN=3608916784 |Seiten=9–11}}</ref>
; [[Johann Gottlieb Fichte]]


Das geistig rege Klima der kleinen Stadt Jena lag im besonderen Maße in der Universität begründet. In 800 Häusern lebten 4500 Einwohner, von denen 800 als Studenten immatrikuliert waren. Eine Leihbücherei, die Universitätsbibliothek mit über 5000 Bänden und sieben Buchhandlungen versorgten die lesehungrigen Bürger. Hinzu kam ein reges Verlags- und Zeitungswesen. Das bedeutendste Publikationsorgan war die Allgemeine Literaturzeitung, die zu den am meisten gelesenen und täglich erscheinenden Zeitungen im deutschsprachigen Raum gehörte.<ref name=":1" />
Fichte knüpft unmittelbar an [[Immanuel Kant|Kant]] an und widmet sich rein menschlich einer auf dem Ich fundierten Theorie von Erkenntnis. Das [[Ich]] (= die schöpferische menschliche Persönlichkeit) schafft sich mit Hilfe der schöpferischen Phantasie das Nicht-Ich (= Außen-/Umwelt), an dem es sich sittlich betätigen kann. Das Nicht-Ich ist daher nichts Fremdes, sondern eine Schöpfung des Ichs!


In der [[Allgemeine Literatur-Zeitung|Allgemeinen Literaturzeitung]] publizierten und kritisierten auch August Wilhelm und sein Bruder [[Friedrich Schlegel]]. Friedrich Schlegel siedelte als wirkmächtigster Theoretiker der Frühromantik ebenfalls 1796 nach Jena über, musste die Stadt aber bereits im Juli 1797 nach einem Zerwürfnis mit Schiller wieder verlassen. Er zog nach Berlin um und lernt [[Friedrich Schleiermacher]] und seine spätere Frau [[Dorothea Schlegel|Dorothea Veit]] kennen. Gedanklich und in Briefen bleibt Friedrich Schlegel jedoch mit Jena verbunden. Gemeinsam mit seinem Bruder August Wilhelm gibt Friedrich Schlegel etwa die Zeitschrift [[Athenaeum (Schlegel)|Athenaeum]] heraus, die als zentrales und programmatisches Organ der Frühromantik gilt.<ref name=":2">{{Literatur |Autor=Peer Kößling |Titel=Die Familie der herrlichen Verbannten. Die Frühromantik in Jena |Auflage=1 |Verlag=Jenzig-Verlag Gabriel Köhler |Ort=Golsdorf bei Jena |Datum=2010 |ISBN=9783910141933}}</ref><ref name=":3">{{Literatur |Autor=Christiane Klein |Titel=Das Jenaer Romantikertreffen im November 1799: Dokumentation und Analyse- Nebst einer kritischen Edition des Epikurisch Glaubensbekentniß von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling |Auflage=1 |Verlag=Universitätsverlag Winter |Ort=Heidelberg |Datum=2017 |ISBN=978-3-8253-6778-7 |Seiten=79–98}}</ref>
; [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]]
[[Datei:Jena, Romantikerhaus 2023-1.jpg|mini|Das Romantikerhaus Jena im ehemaligen Wohnhaus des Philosophen Johann Gottlieb Fichte]]
Obwohl zeitweilig räumlich getrennt, bilden August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie ihre Frauen Caroline Schlegel und Dorothea Veit den Mittelpunkt der Jenaer Frühromantik. Caroline und August Wilhelm beziehen im September 1796 ein geräumiges Hinterhaus in der Leutragasse 5. Dieses historische Romantikerhaus bildet bis 1800 das gesellige und intellektuelle Zentrum der beginnenden Romantik. In ihm fand vom 11. bis 14./15. November 1799 auch das „Jenaer Frühromantikertreffen“ statt, das als Höhepunkt der jungen Geistesströmung gilt.<ref name=":3" />


Zum Zeitpunkt des Frühromantikertreffens sind Friedrich Schlegel und Dorothea Veit aus Berlin nach Jena zurückgekehrt und leben mit Caroline und August Wilhelm Schlegel unter einem Dach. Außerdem nehmen [[Novalis|Friedrich von Hardenberg (Novalis)]], [[Ludwig Tieck]] und [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]] an dem Treffen teil. Ludwig Tieck hatte die Pfade der Romantik schon zuvor in Berlin eingeschlagen und war im Oktober 1799 mit seiner Frau nach Jena gezogen. Der junge Philosoph Schelling war 1798 als jüngster Professor an die Universität Jena berufen worden und wohnte seit August in der Stadt. Das Frühromantikertreffen zeichnete sich durch intensive Gespräche der frühromantischen Protagonisten aus, die gemeinsame Ausflüge unternahmen und ihre Werke im Sinne der romantischen „Symphilosophie“ besprachen und kritisierten.<ref name=":2" />
Schelling schließt kritisch an Fichtes Wissenschaftslehre an. Natur und Geist bilden eine Einheit. Sie sind zwei Offenbarungen desselben Prinzips, der „[[Weltseele]]“. Alles im Universum ist beseelt. Die Kunst ist die höchste Gestaltung alles Irdischen.


Kurz nach dem Romantikertreffen begann die Gruppe der Frühromantiker zunehmend auseinanderzubrechen. Johann Gottlieb Fichte, der mit den Romantikern im engen und freundschaftlichen Kontakt stand, hatte Jena in Folge des [[Atheismusstreit|Atheismusstreits]] bereits verlassen und die offen gelebte Affäre zwischen Caroline Schlegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling führte zunehmend zur Spaltung der Freunde.<ref name=":1" />
; [[Friedrich Schleiermacher]]


Der plötzliche Tod von Caroline Schlegels Tochter Auguste Böhmer am 12. Juli 1800 muss neben dem Tod von Novalis am 25. März 1801 als zusätzliche Belastung für den Frühromantikerkreis angesehen werden. Ludwig Tieck verlässt den zerstrittenen Freundeskreis und kehrt nach Berlin zurück. Auch Friedrich Schlegel und Dorothea Veit kehren Jena 1802 den Rücken. August Wilhelm und Caroline Schlegel finden nach dem Tod Augustes nicht mehr zueinander. Sie beenden ihre langjährige und für die frühromantische Gedankenwelt produktive Beziehung im Frühjahr 1802. Nach der Scheidung von August Wilhelm verlässt Caroline gemeinsam mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 21. Mai 1803 die Stadt. Mit ihnen verlassen die letzten Vertreter der Frühromantik Jena.<ref name=":1" />
Wissen und Glauben, Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Religion sind für die Romantiker eins → romantische [[Universalpoesie]] → Schleiermacher: Religion ist Einssein des Einzelnen mit dem Unendlichen.


== Theoretiker ==
== Bedeutung ==


Die Jenaer Frühromantik hatte erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die Entwicklung der europäischen [[Romantik]], sondern auch auf die Entwicklung des Kunst- und Kulturverständnisses der [[Moderne]]. Insbesondere die kunsttheoretischen Überlegungen zur (romantischen) Ironie, dem Fragment und Abstrakten wirkten auf die Kunst und Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist das moderne Verständnis von Individualität, Kunst als Ausdruck einer subjektiven Künstlerseele, der Einheit von Mensch und Natur, der Fantasie und des Irrationalen grundlegend durch die Frühromantik geprägt. Diesbezüglich ist auch das formale und motivische Interesse an Themen wie dem Geheimnisvollen, Zwielichtigen und Traumhaften zu nennen.
; [[August Wilhelm Schlegel]]


== Vertreter (Auswahl) ==
Vorlesungen, Übersetzungen (u.&nbsp;a. hat August Wilhelm Schlegel zusammen mit seiner damaligen Ehefrau [[Caroline Schelling|Caroline]] (später: Schelling) und Ludwig Tieck [[Shakespeare]] ins Deutsche übersetzt)


; [[Friedrich Schlegel]]
* [[Clemens Brentano]]
* [[Johann Gottlieb Fichte]]

* [[Johann Wolfgang von Goethe]]
Der Dichter schafft mit Hilfe der Phantasie Werke („Genie“ = Steigerung einer allen Menschen angeborenen Fähigkeit). So, wie das menschliche Ich das Nicht-Ich schafft, ist Dichten Umsetzung des Geistes um dichterische Bilder: 1. Akt der dichterischen Phantasie = Gegenstände zu erschaffen; 2. Akt der dichterischen Phantasie = diese Gegenständlichkeit in Gleichnisse und dichterische Bilder aufzulösen. → Der Dichter deutet die Welt neu. Er kann das von ihm Geschaffene jederzeit wieder zerstören (Zerstörung einer zuvor geschaffenen Illusion = [[romantische Ironie]]).
* [[Novalis|Friedrich von Hardenberg (Novalis)]]

* [[Alexander von Humboldt]]
== Dichter ==
* [[Wilhelm von Humboldt]]

; [[Ludwig Tieck]]
* [[Sophie Mereau]]
* [[Johann Wilhelm Ritter]]

* [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]]
* Shakespeare-[[Übersetzung (Linguistik)|Übersetzung]] mit August Wilhelm Schlegel
* [[August Wilhelm Schlegel]]
* Bearbeitung deutscher [[Volksbuch|Volksbücher]] (in seltsamer Mischung von lyrischen, epischen und dramatischen Darstellungsformen)
* [[Caroline Schelling|Caroline Schlegel]]
* [[Novelle]]n, romantische [[Märchendrama|Märchendramen]]
* [[Friedrich Schlegel]]

* [[Friedrich Schleiermacher]]
; [[Novalis]]
* [[Ludwig Tieck]]

* [[Dorothea Schlegel|Dorothea Veit]]
* [[Lyrik]]: innige [[Religiosität]] im Sinne der Romantik (Novalis fordert Rückkehr zur katholischen Einheit Europas), v.&nbsp;a. ''Hymnen an die Nacht'' = rhythmische [[Prosa]] (tiefe Erschütterung über den Tod seiner 15-jährigen Braut – [[Todessehnsucht]]: der Geliebten „nachsterben“)
* Phantastischer [[Entwicklungsroman]] ''Heinrich von Ofterdingen'' (dieser galt in der Romantik als Schöpfer des [[Nibelungenlied]]s): Symbol der [[Blaue Blume|blauen Blume]] (verheißt Heinrich im Traum alle Seligkeit → Symbol der Sehnsucht), Verschmelzung von Traum und Wirklichkeit; unvollendet (Novalis stirbt mit 29 Jahren an einem Lungenleiden)


== Literatur ==
== Literatur ==

Version vom 5. April 2024, 13:59 Uhr

Die Frühromantik (auch „Jenaer Frühromantik“) ist ein kulturhistorische Strömung der Moderne und Zeitabschnitt der Romantik.[1] Sie begann 1796 mit der Übersiedlung August Wilhelm Schlegels und Caroline Schlegels nach Jena und endete 1803 mit dem Fortgang Caroline Schlegels und Friedrich Wilhelm Joseph Schellings. Die Frühromantik gilt als Keimzelle der deutschen Romantik und hatte erhebliche Auswirkungen auf die Kunst und Kultur der Moderne. Ausgehend und beeinflusst von Jena gelten Berlin mit seinen literarischen Salons und Dresden als weitere frühromantische Zentren.[2]

Voraussetzungen und Verlauf

Als kulturhistorische Strömung der Moderne ist der Beginn der Frühromantik nicht auf einen genauen Zeitpunkt festzulegen.[2] Prägende Impulse erfährt die Frühromantik u. a. durch die Philosophie der Aufklärung, die Literatur der Empfindsamkeit, die Schriften Immanuel Kants, die Literatur des Sturm und Drang, durch Johann Gottlieb Fichtes idealistische Philosophie und Friedrich Schillers Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Einen entscheidenden Einfluss haben auch die Werke Johann Wolfgang von Goethes, insbesondere dessen Werther, Gelegenheitsgedichte und Wilhelm Meisters Lehrjahre. Außerdem haben die politischen Umbrüche im Zuge der Französischen Revolution und die damit verbundenen Freiheits-Diskurse erheblichen Anteil an der Gedankenwelt der Frühromantiker, die sich Mitte der 1790er Jahre insbesondere in Jena zu formieren beginnen.[2]

Caroline Schlegel ist mit ihrem Mann August Wilhelm Schlegel eine der ersten, die aus dem Kreis der Romantiker nach Jena übersiedeln.

Obwohl es nicht sinnvoll ist, ein einzelnes Datum als Startpunkt der Frühromantik festzulegen, kann der 8. Juli 1796 als symbolischer Beginn der Jenaer Romantik ausgemacht werden. An diesem Tag trafen August Wilhelm Schlegel und seine Frau Caroline Schlegel in Jena ein. August Wilhelm Schlegel siedelte auf Empfehlung Friedrich Schillers nach Jena über, um an dessen neu erschienen Zeitschrift Die Horen mitzuarbeiten. Auf den Seiten der Horen, formierte sich erstmals ein intellektueller Kreis, der an den Ideen der Frühromantik entscheidenden Anteil hatte und die Strahlkraft Jenas um 1800 mitbegründete. Neben Schiller und August Wilhelm Schlegel publizierten etwa auch Alexander und Wilhelm von Humboldt, Johann Gottlieb Fichte, Johann Wolfgang von Goethe und Sophie Mereau in der Zeitschrift, die repräsentativ für Jenas geistiges Klima steht.[3]

Jena hatte um 1800 den Ruf eines liberalen Zentrums der Philosophie: Die Universität zog Gelehrte aus allen Regionen der deutschsprachigen Ländern an und insbesondere der Universitäts- und Kulturpolitik Goethes ist es zu verdanken, dass sich in Jena ein freier und aufgeklärter Geist verbreiten konnte. Hinzu kamen die günstigen bildungspolitischen Verhältnisse. Denn die Universität Jena unterstand der Aufsicht von vier Herzögen. Der damit verbundene bürokratische Aufwand erschwerte die Zensur, sodass die Professoren der Universität eine größere Lehrfreiheit hatten als in anderen Herzogtümern.[4]

Das geistig rege Klima der kleinen Stadt Jena lag im besonderen Maße in der Universität begründet. In 800 Häusern lebten 4500 Einwohner, von denen 800 als Studenten immatrikuliert waren. Eine Leihbücherei, die Universitätsbibliothek mit über 5000 Bänden und sieben Buchhandlungen versorgten die lesehungrigen Bürger. Hinzu kam ein reges Verlags- und Zeitungswesen. Das bedeutendste Publikationsorgan war die Allgemeine Literaturzeitung, die zu den am meisten gelesenen und täglich erscheinenden Zeitungen im deutschsprachigen Raum gehörte.[3]

In der Allgemeinen Literaturzeitung publizierten und kritisierten auch August Wilhelm und sein Bruder Friedrich Schlegel. Friedrich Schlegel siedelte als wirkmächtigster Theoretiker der Frühromantik ebenfalls 1796 nach Jena über, musste die Stadt aber bereits im Juli 1797 nach einem Zerwürfnis mit Schiller wieder verlassen. Er zog nach Berlin um und lernt Friedrich Schleiermacher und seine spätere Frau Dorothea Veit kennen. Gedanklich und in Briefen bleibt Friedrich Schlegel jedoch mit Jena verbunden. Gemeinsam mit seinem Bruder August Wilhelm gibt Friedrich Schlegel etwa die Zeitschrift Athenaeum heraus, die als zentrales und programmatisches Organ der Frühromantik gilt.[5][6]

Das Romantikerhaus Jena im ehemaligen Wohnhaus des Philosophen Johann Gottlieb Fichte

Obwohl zeitweilig räumlich getrennt, bilden August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie ihre Frauen Caroline Schlegel und Dorothea Veit den Mittelpunkt der Jenaer Frühromantik. Caroline und August Wilhelm beziehen im September 1796 ein geräumiges Hinterhaus in der Leutragasse 5. Dieses historische Romantikerhaus bildet bis 1800 das gesellige und intellektuelle Zentrum der beginnenden Romantik. In ihm fand vom 11. bis 14./15. November 1799 auch das „Jenaer Frühromantikertreffen“ statt, das als Höhepunkt der jungen Geistesströmung gilt.[6]

Zum Zeitpunkt des Frühromantikertreffens sind Friedrich Schlegel und Dorothea Veit aus Berlin nach Jena zurückgekehrt und leben mit Caroline und August Wilhelm Schlegel unter einem Dach. Außerdem nehmen Friedrich von Hardenberg (Novalis), Ludwig Tieck und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an dem Treffen teil. Ludwig Tieck hatte die Pfade der Romantik schon zuvor in Berlin eingeschlagen und war im Oktober 1799 mit seiner Frau nach Jena gezogen. Der junge Philosoph Schelling war 1798 als jüngster Professor an die Universität Jena berufen worden und wohnte seit August in der Stadt. Das Frühromantikertreffen zeichnete sich durch intensive Gespräche der frühromantischen Protagonisten aus, die gemeinsame Ausflüge unternahmen und ihre Werke im Sinne der romantischen „Symphilosophie“ besprachen und kritisierten.[5]

Kurz nach dem Romantikertreffen begann die Gruppe der Frühromantiker zunehmend auseinanderzubrechen. Johann Gottlieb Fichte, der mit den Romantikern im engen und freundschaftlichen Kontakt stand, hatte Jena in Folge des Atheismusstreits bereits verlassen und die offen gelebte Affäre zwischen Caroline Schlegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling führte zunehmend zur Spaltung der Freunde.[3]

Der plötzliche Tod von Caroline Schlegels Tochter Auguste Böhmer am 12. Juli 1800 muss neben dem Tod von Novalis am 25. März 1801 als zusätzliche Belastung für den Frühromantikerkreis angesehen werden. Ludwig Tieck verlässt den zerstrittenen Freundeskreis und kehrt nach Berlin zurück. Auch Friedrich Schlegel und Dorothea Veit kehren Jena 1802 den Rücken. August Wilhelm und Caroline Schlegel finden nach dem Tod Augustes nicht mehr zueinander. Sie beenden ihre langjährige und für die frühromantische Gedankenwelt produktive Beziehung im Frühjahr 1802. Nach der Scheidung von August Wilhelm verlässt Caroline gemeinsam mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling am 21. Mai 1803 die Stadt. Mit ihnen verlassen die letzten Vertreter der Frühromantik Jena.[3]

Bedeutung

Die Jenaer Frühromantik hatte erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die Entwicklung der europäischen Romantik, sondern auch auf die Entwicklung des Kunst- und Kulturverständnisses der Moderne. Insbesondere die kunsttheoretischen Überlegungen zur (romantischen) Ironie, dem Fragment und Abstrakten wirkten auf die Kunst und Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist das moderne Verständnis von Individualität, Kunst als Ausdruck einer subjektiven Künstlerseele, der Einheit von Mensch und Natur, der Fantasie und des Irrationalen grundlegend durch die Frühromantik geprägt. Diesbezüglich ist auch das formale und motivische Interesse an Themen wie dem Geheimnisvollen, Zwielichtigen und Traumhaften zu nennen.

Vertreter (Auswahl)

Literatur

  • Ernst Behler: Frühromantik (= Sammlung Göschen. Band 2807). De Gruyter, Berlin u. a. 1992, ISBN 3-11-011888-2, Einführung.
  • Manfred Frank: „Unendliche Annäherung“. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft. Band 1328). 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-28928-4.
  • Lothar Pikulik: Frühromantik. Epoche, Werke, Wirkung (= Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte). 2., bibliographisch ergänzte Auflage. Beck, München 2000, ISBN 3-406-47030-0.

Einzelnachweise

  1. Stefan Matuschek: Die Romantik. Themen – Strömungen – Personen. In: C.H.Beck Wissen. 1. Auflage. Nr. 2950. C.H.Beck, München 2024, ISBN 978-3-406-81498-3, S. 7–11.
  2. a b c Helmut Schanze: Erfindung der Romantik. J. B. Metzler, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-476-04707-6, S. 2–93.
  3. a b c d Andrea Wulf: Fabelhafte Rebellen. Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich. 1. Auflage. C.Bertelsmann, München 2022, ISBN 978-3-570-10395-1, S. 314–332.
  4. Gerhard Schmid: Einleitung. In: Friedrich Strack (Hrsg.): Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Klett-Cotta, Stuttgart 1994, ISBN 3-608-91678-4, S. 9–11.
  5. a b Peer Kößling: Die Familie der herrlichen Verbannten. Die Frühromantik in Jena. 1. Auflage. Jenzig-Verlag Gabriel Köhler, Golsdorf bei Jena 2010, ISBN 978-3-910141-93-3.
  6. a b Christiane Klein: Das Jenaer Romantikertreffen im November 1799: Dokumentation und Analyse- Nebst einer kritischen Edition des Epikurisch Glaubensbekentniß von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. 1. Auflage. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2017, ISBN 978-3-8253-6778-7, S. 79–98.