Anekdote

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Die Anekdote (griechisch ἀνέκδοτον, anékdoton, „nicht herausgegeben“) ist ein literarisches Genre. Eine Anekdote hat eine bemerkenswerte oder charakteristische Begebenheit, meist im Leben einer Person, zur Grundlage. Die drei wichtigsten Merkmale sind: die Pointe, die Reduktion auf das Wesentliche und die scharfe Charakterisierung einer oder auch mehrerer Personen.

In der Alltagssprache bezeichnet Anekdote die (meist mündliche) Schilderung einer kuriosen, ungewöhnlichen oder komischen Begebenheit (ohne jeden literarischen Anspruch).

Als anekdotisch wird auch ein Kenntnisstand bezeichnet, der von zufällig erworbenen einzelnen Fakten geprägt ist. Systematisches Wissen oder tiefere Zusammenhänge fehlen.

Definition

Justinian I.
Entwicklung

Der Begriff stammt von dem spätantiken Historiker Prokopios von Caesarea (Προκόπιος), der im 6. Jahrhundert ein kritisches Werk mit Indiskretionen über den oströmischen Kaiser Justinian I. verfasste, das nach dessen Tod unter dem Titel Ἀνέκδοτα (Anekdota, oft übersetzt als „unveröffentlichte Memoiren“ oder „Geheimgeschichte“) erschien. Mit diesem Werk, das literarisch als Schmähschrift einzuordnen ist, verbreitete Prokopios gezielt Klatschgeschichten (von solchen berichteten allerdings bereits frühere Autoren, etwa Sueton) oder teils schlichte Unterstellungen bzw. Unwahrheiten; im Gegensatz zu seinem Geschichtswerk, den berühmten Historien, bemühte sich Prokopios in den Anekdota nicht um (wenigstens scheinbare) Objektivität. Vielmehr betrieb Prokopios hier offene, sehr scharfe Kritik am Kaiser und seinem Umfeld.

Seither gilt die Anekdote als eine zunächst mündlich verbreitete Erzählung aus dem Leben einer bekannten Persönlichkeit. Ein wesentliches Merkmal der Anekdote ist es, dass sie versucht, durch eine scheinbar zufällige Äußerung oder Handlung die Eigenart einer Person zu verdeutlichen. Anekdoten wurden auch schon früher von Historikern genutzt, um Persönlichkeiten, die zu der Zeit als Legenden galten, zu charakterisieren. Bekannt dafür ist der Historiker Plutarch, von dem mittlerweile die Geschichtswissenschaft überzeugt ist, dass er sich die meisten seiner Anekdoten selbst ausdachte.[1]

Ursprünglich wurden Anekdoten mündlich überliefert, später galt sie als eine literarische Form, die der Fabel, dem Schwank und der Schnurre verwandt war. Neue Impulse erhielt sie im 18. Jahrhundert durch die Aufklärung, die das Individuum in den Mittelpunkt stellte und darauf zielte, Persönlichkeitsmerkmale in knapper Pointierung herauszustellen. In diesem Sinne ist auch Friedrich Nietzsches bekannter Aphorismus zu verstehen.

Aus drei Anekdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben.[2]

Gegenstand

Die Anekdote ist eine prägnante Wiedergabe einer wahren oder erfundenen Begebenheit, die den Charakter eines Menschen oder einen Zustand erhellt. Anekdoten berichten Tatsachen, die jedoch nicht verbürgt sind. Deshalb kommt es auch vor, dass die gleiche Anekdote von verschiedenen Personen erzählt wird oder wesentliche Details völlig anders dargestellt werden. Doris Kunschmann schreibt in der Einleitung zu ihrem „Großen Anekdoten-Lexikon“:

Nicht immer ist die Authentizität der Prominenten-Aussprüche belegbar, und zuweilen geistert der gleiche Witz seit Jahrhunderten unter verschiedenen Urhebernamen durchs Treppenhaus der Weltgeschichte.[3]

Der Architekt, Kunsthistoriker und Grafiker David Macaulay wiederum vergleicht die Anekdote mit der Karikatur, als er sagte:

Die besten Porträts sind vielleicht die, in denen sich eine leichte Beimischung von der Karikatur findet, und es lässt sich fragen, ob nicht die besten Geschichtswerke die sind, in denen ein wenig von der Übertreibung der dichterischen Erzählung einsichtsvoll angewendet ist. Das bedeutet einen kleinen Verlust an Genauigkeit, aber einen großen Gewinn an Wirkung. Die schwächeren Linien sind vernachlässigt, aber die großen und charakteristischen Züge werden dem Geist für immer eingeprägt.[4]

Inhalt und Gestaltung

Anekdoten bedürfen einer knappen Form mit einer Pointe, um richtig zu wirken. Sie sind mit der Kurzgeschichte und dem Schwank verwandt. Mark Twain äußerte sich folgendermaßen zu den Bedingungen einer Anekdote:

Für eine Anekdote braucht man drei Dinge: eine Pointe, einen Erzähler und Menschlichkeit.[5]

Goethe sagte zum gleichen Thema:

Eine Sammlung von Anekdoten und Maximen ist für den Weltmann der größte Schatz, wer die ersten an schicklichen Orten ins Gespräch einstreuen, der letzten im treffenden Falle sich zu erinnern weiß.[5]

Oft sind die Urheber von Anekdoten – ähnlich wie die von Witzen – unbekannt. Zu den namhaften Vertretern der Anekdote als Kunstform gehören Johann Peter Hebel und Heinrich von Kleist.

Der Anekdotensammler Gottfried Heindl (1924–2005) hält Folgendes für das Wichtigste:

Es gibt keine wahren und unwahren, es gibt nur gute und schlechte Anekdoten.[6]

Damit drückt er aus, dass eine Anekdote nicht im buchstäblichen Sinne authentisch sein muss. Sie muss aber eine bestimmte Situation oder den Wesenszug einer Person charakteristisch wiedergeben, um als gut anerkannt zu werden. Anekdoten verhelfen zwar zu einer scharfen Momentaufnahme, aber eben nur in einer bestimmten Perspektive. Die Hauptgefahren der Anekdote sind deshalb:

  1. Personalisierung
  2. Heroisierung
  3. Denunziation von Menschen oder Umständen

Beispiele

Diogenes und Alexander

Diogenes und Alexander

Seit dem Altertum wird die angebliche Begegnung zwischen Alexander dem Großen und dem Kyniker Diogenes erzählt. Alexander war gerade zum obersten Feldherrn gewählt worden und nahm von allen Seiten Gratulationen entgegen, rechnete aber auch mit dem Erscheinen des Diogenes. Als dieser nicht kommen wollte, beschloss Alexander, ihn in Begleitung einiger Offiziere aufzusuchen. Diogenes lag gerade in der Sonne, als Alexander mit seinem Gefolge erschien und fragte, ob er etwas für ihn tun könne. Der bedürfnislose Diogenes habe ihm jedoch nur geantwortet:

Geh mir ein wenig aus der Sonne.
(altgriechisch: Μικρὸν ἀπὸ τοῦ ἡλίου μετάστηθι. – Mikron apo tou hēliou metastēthi.)

Alexander antwortete darauf zu seinen Leuten:

Wäre ich nicht Alexander, wollte ich Diogenes sein.
(altgriechisch: Εἰ μὴ Ἀλέξανδρος ἤμην, Διογένης ἂν ἤμην. – Ei mē Alexandros ēmēn, Diogenēs an ēmēn.)

Was ist nun vom Wahrheitsgehalt dieser oft erzählten und von Plutarch überlieferten Anekdote zu halten? Auf der Website der Universität Göttingen heißt es:

Es ist unwahrscheinlich, dass König und Philosoph einander je begegnet sind. Die Anekdote charakterisiert jedoch treffend den Unterschied zwischen dem König im vollen Bewusstsein seiner Macht und dem Philosophen, der dafür nur leise Verachtung übrig hatte.[7]

Ihre Beliebtheit verdankt diese Anekdote wohl der Faszinationskraft des Philosophenlebens.

Wanderanekdoten

Die Anekdote von dem verliehenen Buch, das mit Flecken zurückkommt, wird mehreren Personen zugeschrieben:

Lesezeichen

Der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal verfügte über einen Schatz bibliophiler Raritäten, die er ungern verlieh. Einmal bekam er ein Buch mit zahlreichen Fettflecken zurück. Hofmannsthal war darüber so verärgert, dass er eine Speckschwarte mit folgendem Kommentar zusandte:

Ich erlaube mir, Ihnen das Lesezeichen, das Sie in meinem Buch vergessen haben, zurückzuschicken.[8]

Die gleiche Anekdote erzählt man vom österreichischen Schriftsteller und Kritiker Alfred Polgar, der dem Entleiher eine Ölsardine zusandte mit der Bemerkung:

Ich bestätige den Empfang des Buches und erlaube mir, Ihnen Ihr wertes Lesezeichen zurückzusenden.[8]

Beispiele aus der Literatur

Anderes

Anekdotisch nennt man auch Sammlungen von Einzel-Beobachtungen ohne methodische Kontrolle und statistische Gewichtung. Besonders die Alternativmedizin kann die Wirksamkeit therapeutischer Mittel oft nur „anekdotisch“ belegen. Es besteht die Gefahr selektiver Wahrnehmung, mit der Folge, dass nur erfolgreiche Anwendungen erinnert, erfolglose Versuche aber vergessen werden. Deswegen sind solche Empfehlungen wissenschaftlich fragwürdig und nur unter Vorbehalt anerkannt.

Literatur

  • Heinz Grothe: Anekdote. (= Sammlung Metzler; Abt. E, Poetik; M 101). 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 1984, ISBN 3-476-12101-1.
  • Sonja Hilzinger: Anekdotisches Erzählen im Zeitalter der Aufklärung. Zum Struktur- und Funktionswandel der Gattung Anekdote in Historiographie, Publizistik und Literatur des 18. Jahrhunderts. M und P, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-45187-9.
  • Friederike C. Raderer, Ralf Wehmeier: Das muss wie im Zoo klingen – Musiker-Anekdoten. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010654-9.
  • Hermann Schüling: Katalog einer Sammlung von Anekdotenbüchern. (= Spezialsammlungen der Universitätsbibliothek Giessen; 1). Universitätsbibliothek Gießen, Gießen 1982 (Digitalisat).
  • Volker Weber: Anekdote. Die andere Geschichte. Erscheinungsformen der Anekdote in der deutschen Literatur, Geschichtsschreibung und Philosophie. Stauffenberg, Tübingen 1993, ISBN 3-923721-29-3.

Einzelnachweise

  1. Anekdotensammlung aller Art
  2. Humor ist der Schwimmgürtel
  3. Doris Kunschmann: Das große Anekdoten-Lexikon, die witzige Würze für Rede, Vortrag und Konversation. Bassermann, Niedernhausen im Taunus 1999, ISBN 3-8094-0736-4.
  4. Connection – Genie und Alltag der Berühmten & Verrückten
  5. a b Nöllke: „Anekdoten, Geschichten und Metaphern
  6. Niemetz: „Anekdoten und Karikaturen für den Geschichtsunterricht
  7. Virtuelles AntikenMuseum Goettingen – Das Bild Alexanders in antiker Literatur und Kunst
  8. a b Kunschmann: „Das große Anekdotenlexikon

Siehe auch

Weblinks

Wikiquote: Anekdote – Zitate
Wiktionary: Anekdote – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen