Apophänie

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Apophänie (von griechisch ἀπό, apó ‚von‘ und φαίνειν phaínein ‚zeigen‘, ‚erscheinen‘) bezeichnet bei einer Schizophrenie die Erfahrung, scheinbare Muster und Beziehungen in zufälligen, bedeutungslosen Einzelheiten der Umwelt wahrzunehmen.[1] Der Begriff wurde 1958 von dem Psychiater Klaus Conrad geprägt, der Apophänie als „grundloses Sehen von Verbindungen, begleitet von der besonderen Empfindung einer abnormen Bedeutsamkeit“ definierte. Die Apophänie ist eine Variante der Clustering-Illusion.

Das „Marsgesicht“ Cydonia Mensae: Bedeutung im Zufall

Conrad beschrieb das Phänomen ursprünglich in Bezug auf Wahrnehmungsverzerrungen, die bei Psychosen vorkommen; doch wird sein Begriff mittlerweile auch auf ähnliche Tendenzen bei Gesunden angewendet, bei denen keine neurologischen oder seelischen Erkrankungen vorliegen.

Neurologische und psychiatrische Interpretation von Peter Brugger

Der Zürcher Neuropsychologe Peter Brugger vermutet einen neurologischen Mechanismus, der uns zwingen würde, in zufälligen Daten, etwa Wolkenformen oder akustischem Rauschen, sinnvolle Bedeutungen zu sehen. Speziell die rechte Hemisphäre des Gehirns erzeuge zu jeder Beobachtung semantische Assoziationen. Dies sei eine Hauptquelle menschlicher Kreativität. Alfred Wegeners Kontinentaldrift-Theorie sei beispielsweise entstanden, weil Wegener durch die übereinstimmenden Küstenlinien von Afrika und Südamerika irritiert worden sei. Besonders zeitliche Koinzidenzen erzeugten fast unabweisbare Verbindungen. Bruggers Ansicht nach sei es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, echten „Zufall“ als solchen wahrzunehmen. Für die Stärke des Effekts spiele die Persönlichkeit der Versuchspersonen eine wichtige Rolle; insbesondere Personen, die nach Selbsteinschätzung stark an paranormale Phänomene glauben, beschrieben demnach mehr Übereinstimmungen zwischen zufällig zusammengestellten Bildpaaren.

Paranoide Psychosen wiederum lassen diesen Mechanismus außer Kontrolle geraten. Brugger beschreibt die Psychose des schwedischen Autors August Strindberg, der z. B. in herabgefallenen Zweigen griechische Buchstaben sah, die ihm Mitteilungen machten (Okkultes Tagebuch, 1888).

Apophänien auf der kognitiven Ebene, die als Urteilsheuristiken der Komplexitätsreduktion dienen, nennt man auch Illusorische Korrelationen.

Kunst

Postmoderne Autoren und Regisseure haben mit apophänen Vorgängen – paranoid veränderte Erinnerungen, unklare Verschwörungen – gearbeitet, z. B. Vladimir Nabokovs Zeichen und Symbole (1948), Thomas Pynchons Die Versteigerung von No. 49 (1966), Umberto Ecos Der Name der Rose (1980) und Das Foucaultsche Pendel (1988), William Gibsons Mustererkennung (2003), Arturo Pérez-Revertes Der Club Dumas (1993) und die Kinofilme Fletcher’s Visionen (1997), π (1998) und A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn (2001). Da die Nacherzählung eines der wichtigsten Werkzeuge unseres Verstandes ist, um die Realität zu erfassen, gibt es Überschneidungen zwischen Apophänie und Erinnerungsfehlern wie dem Rückschaufehler. Da die Mustererkennungen durch Pläne, Ziele und Ideologien beeinflussbar, und eher ein Gegenstand der gemeinsamen Weltanschauung als eine einsame Selbsttäuschung sind, wird der Beobachter beim Versuch, Diagnosen zu stellen und Apophänien zu erkennen, in Deutungskonflikte geraten.

Literatur

  • Klaus Conrad: Die beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns. Thieme, Stuttgart 1958. Neuauflage: Psychiatrie-Verlag, 2003, ISBN 3884143425.
  • Peter Brugger: From Haunted Brain To Haunted Science. A Cognitive Neuroscience View of Paranormal and Pseudoscientific Thought. In: J. Houran, R. Lange (Hrsg.): Hauntings and Poltergeists. Multidisciplinary Perspectives. McFarland & Co., Jefferson 2001, ISBN 0786409843.

Einzelnachweise

  1. Christian Scharfetter: Allgemeine Psychopathologie: Eine Einführung. 6. Auflage, Georg Thieme, 2010. ISBN 9783131587268. S. 257.