Demut

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Der Ausdruck Demut kommt von althochdeutsch diomuoti (‚dienstwillig‘, also eigentlich ‚Gesinnung eines Dienenden‘) und wurde von Martin Luther zur Übersetzung der biblischen Ausdrücke tapeinophrosyne (Vorlage:GrS) bzw. der lateinischen Übersetzung humilitas benutzt. Im christlichen Kontext bezeichnet es die Haltung des Geschöpfes zum Schöpfer analog dem Verhältnis vom Knecht zum Herrn, allgemeiner die „Tugend, die aus dem Bewusstsein unendlichen Zurückbleibens hinter der erstrebten Vollkommenheit (Gottheit, sittliches Ideal, erhabenes Vorbild) hervorgehen kann“.[1]

Humilitas (Demut), Personifizierung auf Portal San Giovanni, Florenz

Begriffserklärung

Der Demütige erkennt und akzeptiert aus freien Stücken, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt.

Zu unterscheiden ist die Demut als innere Haltung und der äußere Ausdruck von Demut, die demütige äußere Erscheinung. Im Idealfall stimmen beide überein. Wer sich demütig gibt, muss deshalb jedoch nicht demütig sein, und umgekehrt kann derjenige, der hochmütig erscheint, einen echten Stolz und eine damit verbundene innere Demut haben.[2] Wer seine (vorgebliche) Demut zur Schau stellt, ist stolz, nicht demütig. Die Demut besteht dann nur zum Schein.

Die „unechte Demut“ ist entweder eine solche Demut nur zum Schein oder in einem anderen Sinn: die „falsche Demut, Selbsterniedrigung, sklavischer Sinn“[3]. Was man als falsche Demut ansieht, hängt von der Weltanschauung ab. So wird generell Demut eines Menschen vor einem anderen Menschen als „falsche Demut“ angesehen.[4] Der Ausdruck Kriechertum (i. S. v. Selbsterniedrigung gegenüber Menschen) bezeichnet die falsche Demut gegenüber bestimmten Menschen oder auch eine entsprechende Grundhaltung.

Ein Herr-Knecht-Verhältnis ist allerdings nur dann eines mit Unterdrückung und/oder Kriechertum, wenn sich die (falsche) Demut auf ein dualistisch betrachtetes Verhältnis bezieht, bei dem Herr und Knecht als um die potenzielle absolute Souveränität Streitende angesehen werden (und wo der momentane Herr den unterdrückenden, autoritär egoistischen, absolutistischen Part innehat). Im Gegensatz dazu steht z. B. diejenige Variante, wo der Knecht (zumindest teilweise) als eine Teilmenge des größeren Ganzen, genannt Herr, definiert wird, oder diejenige, wo der Knecht und der Herr eine definitorisch unzertrennliche Einheit (wie bspw. Kind und Vater/Mutter) bilden, deren Verhältnis im ursprünglich-heilen Normalfall auf Vertrauen und Wohlwollen/Liebe basiert.

Zu unterscheiden ist so auch zwischen Demut und Demütigung als öffentlicher Erniedrigung oder Beschämung, die der Starke dem Schwachen zufügt. Der im besten Sinne Demütige kann sich vom Mangel an Demut, dem Hochmut, gedemütigt finden; ebenso jedoch kann solche Demütigung als Waffe gegen den Hochmut gewendet werden.

Demut als Tugend und als Fehlhaltung in Religion und Philosophie

Die Demut bei den Griechen und Römern

Die Demut setzt wie die Unterwürfigkeit ein Herr-Knecht-Verhältnis voraus (ein solches muss allerdings nicht als zwanghaft und ausbeuterisch zu verstehen sein, ansonsten handelte es sich um o. g. falsche Demut). Bei den Griechen und Römern war sie eine gering geachtete Haltung.[5]

Die Demut als (jüdische und christliche) religiöse Grundhaltung

Demut bedeutet das Anerkennen der Allmacht Gottes. Demut beschreibt demnach die innere Einstellung eines Menschen zu Gott.

Die Demut spielt im jüdischen und christlichen Denken eine besondere Rolle. Im Alten wie im Neuen Testament ist Demut eine wesentliche Eigenschaft des wahren Gläubigen, desjenigen, der mit Gott im Reinen ist. Die Wurzel des verwendeten hebräischen Wortes enthält die Bedeutungen von „sich beugen“ oder „herabbeugen“. Demut wird im Alten Testament dem Hochmut entgegengesetzt (Spr 29,23 EU).

Gott demütigt Menschen, um sie zu ihm (zurück) zu bringen (z. B. Dtn 8,2–3 EU), und Menschen demütigen sich selbst vor Gott, um von ihm angenommen (akzeptiert) zu werden (z. B. 1 Kön 21,29 EU; 2 Chr 7,14 EU).

„Demütig mit/vor seinem Gott zu wandeln“ vollendet Gottes Anspruch an den Menschen (Mi 6,8 EU). „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen“ (Jes 57,15 EU; ähnlich Jes 66,2 EU).

Entgegen manchen Formen des religiösen Lebens, in denen eher Demütigung als Demut im Vordergrund stand, wird in der heutigen christlichen Spiritualität Demut nicht als ein Sich-klein-Machen oder als Leugnen des eigenen Wertes gesehen, sondern als realistische Selbsteinschätzung des Menschen in seiner Position in der Welt: seiner eigenen Geringheit im Vergleich mit der Größe Gottes, aber zugleich seine Würde und seinen Wert als Geschöpf und Kind Gottes. Die falsche Demut wird auch in 1 Tim 4,1–4 EU angedeutet: in kommenden Zeiten werden Menschen auftreten, die Askese und falsche Heiligkeit predigen.

Beispiele für ein demütiges und letztendlich gesegnetes Leben sind in der Bibel im Alten Testament Ijob und in den Spätschriften Tobit. Aus diesen Begebenheiten können Menschen, nach christlicher Auffassung, auch heute noch lernen. Ferner ist als Fazit aus solchen Erzählungen zu erkennen, dass im christlichen Glauben die Demut der Schlüssel zu allem ist. Nur der Demütige wird den Segen des Herrn empfangen.

Nach Meister Eckhart ist die Demut Grundvoraussetzung christlichen Lebens:

  • „Denn vollkommene Demut geht auf das Vernichten seiner selbst und stellt sich selber unter alle Kreaturen.“[6]
  • „Das sicherste Fundament, auf dem diese Vollkommenheit sich zu erheben vermag, das ist die Demut; denn wessen Natur hier in der tiefsten Niedrigkeit kriecht, dessen Geist fliegt auf zur höchsten Höhe der Gottheit.“[7]
  • Im siebten Kapitel der Benediktsregel heißt es auch: „Ganz sicher haben wir dieses Herab- und Hinaufsteigen so zu verstehen: Durch Selbsterhöhung steigen wir hinab und durch Demut hinauf.“

Weitere Hinweise auf das Ziel des demütigen Menschen finden sich unter anderen bei Franz von Sales und besonders in seinem Werk Philothea (Anleitung zum frommen Leben) sowie im Buch von der Nachfolge Christi, einer Schrift, die mehrheitlich Thomas von Kempen zugeschrieben wird.

Papst Johannes XXIII. schrieb unter anderem:

  • „Mein demütiges und nun langes Leben hat sich entwickelt wie ein Knäuel unter dem Zeichen der Einfachheit und Reinheit. Es macht mir nichts aus anzuerkennen und zu wiederholen, daß ich nichts bin und nichts gelte als ein reines Nichts. Der Herr ließ mich aus dem armen Volk geboren werden und hat an alles übrige gedacht. Ich habe ihn machen lassen.“[8]
  • „Solange jemand sein Ich nicht unter seine Füße gesetzt hat, ist er nicht frei.“[9]

Die Demut in der modernen Philosophie und Politik

Kant versuchte die Demut aus dem christlichen Dogma zu lösen und definiert sie so:

  • „Das Bewußtsein und Gefühl der Geringfähigkeit seines moralischen Werts in Vergleichung mit dem Gesetz ist die Demut (humilitas moralis) (Metaphysik der Sitten, A 94)“.[10] Die Demut ist „so indirekt Indikator für die eigentliche Würde des Menschen als eines freiheitlichen Vernunftwesens“.[11]

„Für Friedrich Nietzsche gehört Demut zu den gefährlichen, verleumderischen Idealen, hinter denen sich Feigheit und Schwäche, daher auch Ergebung in Gott verstecken.“[11] Im philosophischen Kontext wird auch von Seinsdemut als „die Grundhaltung des echten Philosophen vor der Wirklichkeit“ gesprochen.[12]

Demut in der Psychologie

Nach Erich Fromm (Die Kunst des Liebens) ist Demut die der Vernunft und Objektivität entsprechende emotionale Haltung als Voraussetzung der Überwindung des eigenen Narzissmus. Nach Siegbert Warwitz ist Demut, verstanden als "Mut zum Dienen", "Bereitschaft zur Unterordnung", eine Variante der Charaktereigenschaft "Mut": In der Trias "Hochmut-Mut-Demut" bildet sie den positiv besetzten Kontrapunkt zu der negativ konnotierten Erscheinung des Hochmuts. Im Sinne von "Bescheidenheit" steht sie damit der "Arroganz" diametral gegenüber. Demut kann sich im Wagnisbereich in der Akzeptanz einer die eigenen Kompetenzen übersteigenden schwierigen oder gefährlichen Anforderung offenbaren. Sie kann sich in der Zurücknahme vor einer übermächtigen Natur oder in der Verbeugung vor der größeren Leistung eines Kontrahenten zeigen.[13]

Demut in der Ethologie

Die Verhaltensbiologie von Mensch und Tier bezeichnet die demonstrative Unterwerfungsgeste bei einer Konfrontation, die in Aggression und mögliche Verletzungen münden könnte, als "Demutsgebärde". Hierbei signalisiert das unterlegene Tier, etwa innerhalb einer innerartlichen Rangordnung, dem anderen seine Unterlegenheit, um bei dem überlegenen eine Aggressionshemmung zu bewirken. Ein vergleichbares -oft unbewusstes- Verhalten ist auch bei menschlichen Auseinandersetzungen zu beobachten. Es kann instinkthaft, aber auch bewusst methodisch eingesetzt werden. Die verbal oder gestisch vorgetragene Beschwichtigungsgebärde signalisiert dem Kontrahenten Friedfertigkeit. Sie dient im sozialpsychologischen Bereich der Deeskalation von Konflikten und rechtfertigt sich zum Erhalt des eigenen Selbstbewusstseins auch unter dem Sprichwort "Der Klügere gibt nach". In der Begegnung von Mensch und gefährlichem Tier in der Wildnis wird das "Sich-Klein-Machen", etwa von Tierfilmern und Zoologen, gezielt eingesetzt, um eine gefahrenentschärfte Annäherung zu ermöglichen.[14].

Siehe auch

Literatur

  • Rudolf Damerau: Die Demut in der Theologie Luthers. Studien zu den Grundlagen der Reformation; 5. Schmitz, Giessen 1967
  • Hermann-Otto Leng: Dimensionen der Demut. Deutscher Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2015
  • Horst Dietrich Preuß u. a.: Demut. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 8, de Gruyter, Berlin / New York 1981, ISBN 3-11-008563-1, S. 459–576.
  • Eckhard Zemmrich: Demut. Zum Verständnis eines theologischen Schlüsselbegriffs. In: Ethik im Theologischen Diskurs. 4, Berlin 2006

Weblinks

Wikiquote: Demut – Zitate
Wiktionary: Demut – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. So Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch, 22. Aufl. (1991), ISBN 3-520-01322-3/Demut. Im Grunde ein Plagiat aus Nicolai Hartmann: Ethik. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 1949, S. 476: „Demut ist das Bewußtsein unendlichen Zurückbleibens, bei dem aller Vergleich versagt. Sie mißt das eigene Sein an der Vollkommenheit, so wie sie diese versteht, als Gottheit, als sittliches Ideal oder als erhabenes Vorbild.“
  2. vgl. dazu Nicolai Hartmann: Ethik. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 1949, S. 476 f.
  3. Nicolai Hartmann: Ethik. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 1949, S. 476
  4. Nicolai Hartmann: Ethik. 3. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 1949, S. 476
  5. Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2005), ISBN 3-7873-1738-4/Demut
  6. Meister Eckhart: Von der Abgeschiedenheit, Traktat 9). In: Ders.: Vom Wunder der Seele, 1990, S. 23 (24)
  7. Meister Eckhart: Von der Abgeschiedenheit, Traktat 9). In: Ders.: Vom Wunder der Seele, 1990, S. 23 (27)
  8. Papst Johannes XXIII.: Geistliches Tagebuch: Aus: Bühlmann: Johannes XXIII.. 3. Auflage, 2000, S. 69
  9. Papst Johannes XXIII.: Geistliches Tagebuch: Aus: Bühlmann: Johannes XXIII.. 3. Auflage, 2000, S. 75
  10. Zitiert nach Artikel „Demut“. In: Regenbogen/Meyer: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. 2005, ISBN 3-7873-1738-4
  11. a b Artikel „Demut“. In: Martin Gessmann (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 23. Auflage. Kröner, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-520-01323-1.
  12. Artikel „Demut“. In: Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch. 22. Auflage 1991, ISBN 3-520-01322-3
  13. Siegbert A. Warwitz:Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Schneider, 2. Auflage, Baltmannsweiler 2016, S. 42
  14. Konrad Lorenz: Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen. Band 1, Piper, München 1965