Deutsches Ultimatum an Belgien

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Das Deutsche Ultimatum an Belgien war eine am 2. August 1914 übergebene diplomatische Note der Reichsregierung des Deutschen Kaiserreichs an die Regierung des Königreichs Belgien, in der freier Durchzug durch belgische Lande gefordert wurde. Sollte Belgien dies abweisen, werde das Deutsche Reich das Nachbarland als Feind betrachten. Das Dokument steht am Beginn des Ersten Weltkriegs und war eine logische Konsequenz der deutschen Militärplanungen der Vorkriegszeit, die auf den Schlieffen-Plan zurückgehen.

Hintergrund

Die auf das Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914 folgende Julikrise hatte sich nach dem österreich-ungarischen Ultimatum an Serbien vom 23. Juli derart zugespitzt, dass das Russische Kaiserreich am 30. Juli die Generalmobilmachung seiner Streitkräfte erklärt hatte, worauf Deutschland am 1. August Russland den Krieg erklärte. Mit dieser Entscheidung wurde die Schwelle zu einem großen europäischen Konflikt überschritten, da Russland mit Frankreich durch ein Militärbündnis verbunden war.

Grundlage der deutschen Militärplanungen für einen solchen Konflikt war der Schlieffen-Plan von 1905, der eine Invasion Frankreichs durch das neutrale Belgien vorsah. Die belgische Neutralität war 1839 von den europäischen Großmächten im Londoner Protokoll garantiert und seitdem nicht verletzt worden.

Die Note wurde von Generalstabschef Helmuth Johannes Ludwig von Moltke entworfen und am 29. Juli dem Auswärtigen Amt zugestellt, wo sie vom Dirigenten der Abteilung Politik, Wilhelm von Stumm, bearbeitet und mit einem Nachtrag versehen wurde. Sie wurde nicht direkt der belgischen Regierung übermittelt, sondern versiegelt per Feldjäger-Kurier dem Gesandten in Brüssel, Claus von Below-Saleske, zugesandt, zusammen mit einer Anweisung, sie bis zu einer weiteren telegraphischen Anweisung sicher aufzubewahren. Am 2. August folgte die Anweisung zur Übergabe des Ultimatums am gleichen Tag um 8 Uhr abends, verbunden mit dem Hinweis, die belgische Antwort werde binnen 12 Stunden erwartet und nicht 24 Stunden, wie es im ursprünglich übersendeten Text hieß.

Inhalt

(Gegenüber dem ursprünglich übersandten Text gestrichene Passagen sind gesperrt markiert.)

„Der kaiserlichen Regierung liegen zuverlässige Nachrichten vor über den beabsichtigten Aufmarsch französischer Streitkräfte an der Maas in der Strecke Givet – Namur. Sie lassen keinen Zweifel über die Absicht Frankreichs, durch belgisches Gebiet gegen Deutschland vorzugehen. Die kaiserliche Regierung kann sich der Besorgnis nicht erwehren, daß Belgien trotz des besten Willens nicht imstande sein wird, ohne Hilfe einen französischen Vormarsch mit so großer Aussicht auf Erfolg abzuwehren, daß darin eine ausreichende Sicherheit gegen die Bedrohung Deutschlands gefunden werden kann. Es ist ein Gebot der Selbsterhaltung für Deutschland, dem feindlichen Angriff zuvorzukommen. Mit dem größten Bedauern würde es daher die deutsche Regierung erfüllen, wenn Belgien einen Akt der Feindseligkeit gegen sich darin erblicken würde, daß die Maßnahmen seiner Gegner Deutschland zwingen, zur Gegenwehr auch seinerseits belgisches Gebiet zu betreten. Um jede Mißdeutung auszuschließen, erklärt die kaiserliche Regierung das Folgende:

1. Deutschland beabsichtigt keinerlei Feindseligkeit gegen Belgien. Ist Belgien gewillt, in dem bevorstehenden Kriege Deutschland gegenüber eine wohlwollende Neutralität einzunehmen, so verpflichtet sich die deutsche Regierung, beim Friedensschluß nicht nur Besitzstand und Unabhängigkeit des Königreichs in vollem Umfang zu garantieren, sie ist sogar bereit, etwaigen territorialen Kompensationsansprüchen des Königreichs auf Kosten Frankreichs in wohlwollendster Weise entgegenzukommen.
2. Deutschland verpflichtet sich unter obiger Voraussetzung, das Gebiet des Königreichs wieder zu räumen, sobald der Friede geschlossen ist.
3. Bei einer freundschaftlichen Haltung Belgiens ist Deutschland bereit, im Einvernehmen mit den königlich belgischen Behörden alle Bedürfnisse seiner Truppen gegen Barzahlung anzukaufen und jeden Schaden zu ersetzen, der etwa durch deutsche Truppen verursacht werden könnte.

Sollte Belgien den deutschen Truppen feindlich entgegentreten, insbesondere ihrem Vorgehen durch Widerstand der Maas-Befestigungen oder durch Zerstörungen der Eisenbahnen, Straßen, Tunneln oder sonstigen Kunstbauten Schwierigkeiten bereiten, so wird Deutschland zu seinem Bedauern gezwungen sein, das Königreich Belgien als Feind zu betrachten. In diesem Falle würde Deutschland dem Königreich gegenüber keine Verpflichtungen übernehmen können, sondern müßte die Regelung des Verhältnisses beider Staaten zueinander der Entscheidung der Waffen überlassen. […]“[1]

Abweisung und Folgen

König Albert wies das Ultimatum am 3. August ab. Am gleichen Tag erklärte Deutschland Frankreich den Krieg. In der Nacht vom 3. auf den 4. August rückten deutsche Truppen ein und brachen damit die belgische Neutralität. Die britische Regierung stellte Deutschland am 4. August ein Ultimatum, das aufgrund von Nichtbefolgung zur Kriegserklärung an Deutschland führte.

Die belgische Armee konnte nur kurz Widerstand leisten: am 7. August fiel Lüttich, am 20. August wurden Brüssel und Gent eingenommen, am 23. August wurden Namur und Mons überrannt. Antwerpen kapitulierte am 9. Oktober, die Küstenstädte Zeebrugge und Oostende ergaben sich am 15. Oktober. Fast das gesamte belgische Territorium war Ende des Jahres bis zum Ende des Krieges deutsch besetzt, schon Ende August war das Generalgouvernement Belgien eingerichtet worden. Der Einmarsch in und die Besetzung Belgiens wurden begleitet von gelenkten Ausschreitungen deutscher Truppen wie Geiselnahmen und -erschießungen, Niederbrennen von Häusern und Deportationen. Diese als „Rape of Belgium“ bekanntgewordenen Ereignisse spielten, neben der eigentlichen Vertragsverletzung, eine bedeutende Rolle bei der Mobilisierung der Bevölkerung in den alliierten Staaten.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914, Band II, 1921, S. 98–100. Streichungen gemäß Band III, S. 122 f.