Erik H. Erikson

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Erik Erikson.

Erik Homburger Erikson (* 15. Juni 1902 bei Frankfurt am Main; † 12. Mai 1994 in Harwich, Massachusetts, USA) war ein deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker und Vertreter der psychoanalytischen Ich-Psychologie. Er gilt als Neofreudianer (siehe auch Neopsychoanalyse). Bekannt wurde er insbesondere durch das von ihm entwickelte Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung.

Leben

Erikson wurde als Kind dänischstämmiger Eltern geboren, die sich jedoch schon vor seiner Geburt trennten. Die ersten drei Jahre wuchs das Kind in Frankfurt am Main bei seiner Mutter Karla Abrahamsen auf. 1905 heirateten seine Mutter und der jüdische Kinderarzt Theodor Homburger, der das Kind behandelt hatte. Die Familie zog nach Karlsruhe.

Nach dem Besuch des Karlsruher Bismarck-Gymnasiums studierte Erikson an einer Kunstakademie. Darauf folgten Wanderjahre als Künstler. Anschließend arbeitete er als Hauslehrer einer amerikanischen Familie in Wien. Über diese Familie entstand der Kontakt zur psychoanalytischen Bewegung. Erikson lernte Anna Freud kennen und kam mit ihrer Lehranalyse in Kontakt. Weitere Kontakte zu Sigmund Freud, Heinz Hartmann, Ernst Kris, Eva Rosenfeld und Helene Deutsch entstanden. Dadurch wurde sein Interesse an der Psychoanalyse geweckt: Er gab die Malerei auf, unterzog sich einer Lehranalyse und ließ sich zum Psychoanalytiker ausbilden. In Wien lernte Erik Erikson seine spätere Ehefrau, die kanadische Erzieherin und Tanzwissenschaftlerin Joan Serson kennen.

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht erlangt hatten, emigrierte Erikson von Wien über Kopenhagen in die Vereinigten Staaten von Amerika und wurde 1939 amerikanischer Staatsbürger. Er ließ sich in Boston nieder und eröffnete die erste Praxis für Kinderanalyse in der Stadt. 1938 lebte er eine zeitlang mit Sioux-Indianern zusammen und analysierte deren Zusammenleben. Später reiste er ebenfalls an die kalifornische Nordküste, um den indianischen Fischerstamm der Yurok zu studieren.[1] In den USA wurde er – ohne jemals ein Universitätsstudium absolviert zu haben – Professor für Entwicklungspsychologie an den Eliteuniversitäten Berkeley und Harvard. 1959 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. In Harvard entwickelte und veröffentlichte er sein berühmt gewordenes Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung, eine Weiterentwicklung des freudschen Modells psychosexueller Entwicklung, das die Entwicklung des Menschen von seiner Geburt an bis zum Tod in acht Phasen untergliedert. In jeder dieser Phasen des Entwicklungsmodells kommt es zu einer entwicklungsspezifischen Krise, deren Lösung den weiteren Entwicklungsweg bahnt. Das Schlüsselkonzept Eriksons zum Verständnis der menschlichen Psyche ist die Identität, beziehungsweise die Ich-Identität, im Gegensatz zur Ich-Entwicklung, die meist im jungen Erwachsenenalter stagniert. Erikson entwickelte dieses Modell in engstem Austausch mit seiner Frau Joan und gab später an, er könne seinen eigenen Anteil von dem ihren nicht unterscheiden.

Im Phasenmodell Eriksons wird jede Krise durch Polaritäten charakterisiert:

Dabei nimmt Erikson an, dass diese Phasen altersspezifisch, aufeinander aufbauend und universell sind. Dies ist allerdings streitig[2].

Neben der Kinder- und Entwicklungspsychologie beschäftigte sich Erikson auch mit Ethnologie. Hier prägte er 1968 den fruchtbaren Begriff der Pseudospeciation: der Urmensch bildete Stämme, die sich untereinander meist wie getrennte Arten verhielten (Pseudospecies) und miteinander konkurrierten. Er verfasste psychoanalytisch orientierte Biografien über Martin Luther und Mahatma Gandhi, unter anderem im Zusammenhang mit dem von ihm begründeten Begriff der Generativität. Für die Biografie über Mahatma Gandhi (Gandhi's Truth, 1969) erhielt er 1970 den Pulitzer-Preis.

Werke (Auswahl)

  • Einsicht und Verantwortung; Frankfurt a.M. (1964) 1971
  • Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze; Frankfurt a.M. 1966; 2. Aufl. 1973
  • Der junge Mann Luther. Eine psychoanalytische und historische Studie. 1975.
  • Gandhis Wahrheit. Über die Ursprünge der militanten Gewaltlosigkeit, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978; 3. Auflage Frankfurt 1984, ISBN 3-518-27865-7
  • Jugend und Krise; Stuttgart 1970
  • Der vollständige Lebenszyklus; Frankfurt a.M. 1988; 2. Aufl. 1992
  • Childhood and Society; New York 1950; Kindheit und Gesellschaft; Zürich 1957

Literatur

  • Daniel Burston: Erik Erikson and the American Psyche. Ego, Ethics and Evolution. Aronson, Lanham u. a. 2007, ISBN 978-0-7657-0494-8 (Psychological Issues).
  • Peter Conzen: Erik H. Erikson. Leben und Werk. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1996, ISBN 3-17-012828-0.
  • Peter Conzen: Erik H. Erikson. Grundpositionen seines Werkes. Kohlhammer, Stuttgart u.a. 2010, ISBN 3-17-021075-0.
  • Sue Erikson Bloland: Im Schatten des Ruhms. Erinnerungen an meinen Vater Erik H. Erikson. Psychosozial-Verlag, Gießen 2007, ISBN 978-3-89806-501-6 (Bibliothek der Psychoanalyse).
  • Hubert Hofmann, Stiksrud Arne (Hrsg.): Dem Leben Gestalt geben. Erik H. Erikson aus interdisziplinärer Sicht. Krammer, Wien 2004, ISBN 3-901811-14-1.
  • Roland Kaufhold: Spurensuche zur Geschichte der die USA emigrierten Wiener Psychoanalytischen Pädagogen. In: Thomas Aichhorn (Hrsg.): Geschichte der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 1938–1949. Teil 1. Edition Diskord, Tübingen 2003, S. 37–69 (Luzifer-Amor 16. Jg., Heft 31, ISSN 0933-3347).
  • Juliane Noack: Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. In: Benjamin Jörissen, Jörg Zirfas (Hrsg.): Schlüsselwerke der Identitätsforschung. Ein Lehrbuch. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-15806-8, S. 37–53.
  • Juliane Noack: Erik H. Eriksons Identitätstheorie. Athena Verlag, Oberhausen 2005, ISBN 3-89896-232-6 (Pädagogik. Perspektiven und Theorien 6), (Zugleich: Siegen, Univ., Diss., 2005).
  • Josef Rattner: Erik H. Erikson. In: Josef Rattner: Klassiker der Tiefenpsychologie. Psychologie-Verlags-Union, München u. a. 1990, ISBN 3-621-27102-3, S. 561–583.
  • Paul Roazen: Erik H. Erikson. The Power and Limits of a Vision. The Free Press, New York NY, 1976, ISBN 0-02-926450-2.

Weblinks

Belege

  1. Flammer, August: Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. 4. Bern: Hans Huber, 2009.
  2. Faltermaier/Mayring/Saup/Strehmel: Entwicklungspsychologie des Erwachsenenalters. 3. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2014, S. 55-60