Festspiele Reichenau

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Theater Reichenau

Die Festspiele Reichenau sind ein Theater-Festival, das seit 1988 jeden Sommer im Juli und August für fünf bis sechs Wochen im traditionsreichen Sommerfrische-Kurort Reichenau an der Rax (Niederösterreich) stattfindet. Besonderes Merkmal ist die programmatische Bezugnahme auf österreichische Dichter des 19. und 20. Jahrhunderts, wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Franz Werfel u.v.a., die hier in eigenen Wohnsitzen oder Hotels vor allem im Sommer ihren Aufenthalt hatten und hier auch gearbeitet haben. Dies gilt auch für Johann Nestroy, der schon 1856 in Reichenau das Stück „Umsonst!“ geschrieben hat.

Auffallend dabei sind die hochkarätigen Besetzungen der Theaterstücke mit namhaften Künstlern aus den großen Bühnen Wiens (Burgtheater, Theater in der Josefstadt, Volkstheater) sowie bekannten Schauspielern aus Film und Fernsehen.

Das Programm der Festspiele Reichenau umfasst jährlich mindestens vier Theaterstücke, Neuinszenierungen oder Auftragswerke (auch neue Bearbeitungen von bekannten Prosawerken für die Bühne), sowie Solisten wie Rudolf Buchbinder oder die französischen Pianistinnen Katia und Marielle Labèque.

Ein dichter, täglicher Spielplan bietet jährlich über 110 Vorstellungen für insgesamt rund 40.000 Besucher an. Es gehört zum Ruf der Festspiele Reichenau, dass sie oft schon lange im Voraus ausverkauft sind.[1]

Geschichte und Spielstätten

Reichenau und Semmering, traditionsreiche Sommerfrischeorte

Reichenau und Semmering zählen zu den beliebten Sommerfrische-Orten der österreichischen Monarchie. Mitglieder der Hocharistokratie (die Habsburger in Schloss Wartholz) und Hochfinanz (Schloss Rothschild) verbrachten hier den Sommer ebenso wie Bildungsbürger und Künstler. Insbesondere Schriftsteller wählten die schöne Berglandschaft zum Aufenthalt und Arbeit abseits der Stadt Wien. Eine interessante Villenarchitektur so wie alte Palasthotels und ein Theater sind heute noch Zeugen einer goldenen Ära um die Jahrhundertwende (19./20. Jhdt).

Die Gründer und Leiter der Festspiele

Der Wiener Sommergast, Maler und Ex-Reedereimanager, Peter Loidolt, begründete 1980 den Kulturverein Reichenau und in der Folge gemeinsam mit seiner Ehefrau Renate Loidolt, studierte Volkswirtin und Literaturkennerin, 1988 die Festspiele Reichenau in eigener Initiative. Das Gründerpaar erkannte die Chance, die dem vom damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann gepflegten Regietheater deutscher Prägung distanziert gegenüberstehenden Publikumsschichten für ein Schauspielertheater mit betont österreichischer Note und heimischen Stars zu gewinnen.[2] Mit Unterstützung des Landes Niederösterreich wurde ein Kultur-Pilotprojekt finanziert, das alte Theater in eine technisch funktionstüchtige Bühne umgebaut und in den Folgejahren laufend verbessert. Peter und Renate Loidolt leiten die Festspiele als eigenständige Produzenten, sie erstellen jedes Jahr das Programm, die künstlerische Besetzung, geben Aufträge für neue Stücke und verwalten den ständig anwachsenden Betrieb in allen künstlerischen, organisatorischen und finanziellen Facetten in Eigenverantwortung.

Von Peter Loidolt stammen auch die Bühnenbilder der Theaterinszenierungen, Renate Loidolt ist Geschäftsführerin der Festspiele Reichenau GmbH. Anlässlich des 25 Jahresjubiläums äußerte Peter Loidolt gegenüber der "Kleinen Zeitung"[3]: die Eigenwirtschaftlichkeit des Festivals betrage 90 Prozent (jene der Salzburger Festspiele im Vergleich 70 Prozent) Bei der Kartenvergabe bevorzugt werden die insgesamt 4.800 Mitglieder des Fördervereins.

Peter und Renate Loidolt haben neben anderen Auszeichnungen für ihre Verdienste um die Festspiele Reichenau zuletzt am 23. September 2014 beide das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst von Bundesminister Josef Ostermayer verliehen bekommen.[4]

Theater Reichenau

Das Theater Reichenau wurde 1926 als „Theater- und Konzerthaus“ erbaut (Bmstr. Alexander Seebacher, Architekt Heinrich Schopper); in der Folge als Tonkino genutzt, während der Kriegs- und Nachkriegszeit gab es fast einen Stillstand. Nach einer Periode von Gastspielen und Boulvard-Sommertheater erlebte das Haus erst durch die Festspiele Reichenau ab 1988 eine neue Blüte mit großen Renovierungen und Erweiterungen. Heute ist das Theater vollklimatisiert und fasst 391 Sitzplätze.

Der Neue Spielraum

Der „Neue Spielraum“ mit seiner zentralen, modernen Arenabühne wurde 2005 auf Initiative von Peter und Renate Loidolt an das bestehende Theater angebaut. So gibt es nun unter einem Dach zwei sehr unterschiedliche Bühnen, die zugleich bespielt werden können. Der neue Spielraum fasst 313 Sitzplätze und ist auch programmatisch der „Freigeist“ im jährlichen Spielplan, wo auch Autoren wie Thomas Bernhard, Daniel Kehlmann etc, die nicht in die traditionelle Programmlinie fallen, aufgeführt werden.

Die 10-jährige Südbahnhotel-Spielstätte

Das „Südbahnhotel Semmering“, ein ehemaliges Palasthotel, das durch die Kriegsjahre seine Pracht eingebüßt hat, jedoch den alten Stil mit nostalgischer Atmosphäre erhalten hat, war von 2000 bis 2010 eine dritte Spielstätte der Festspiele Reichenau. Mit eigens angepassten Stücken und namhaften Künstlern entstand hier ein außergewöhnliches Theater-Event, das viel Aufmerksamkeit und Besucher aus dem In- und Ausland erweckte.

Bemerkenswerte Stücke, die in direktem Bezug zu diesem Haus stehen: „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus; „Der Zauberberg“ von Thomas Mann; „Affäre Lina Loos“, „Das weite Land“ oder „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler; „Radetzkymarsch“ von Joseph Roth, „Die Strudlhofstiege“ von Heimito von Doderer oder „Das Konzert“ von Hermann Bahr. Der private Eigentümer des Südbahnhotels untersagte nach 2010 jegliche weitere Benützung, weil er das Haus verkaufen will.

Programmlinie – Erweiterung

Neue Dramatisierungen bekannter Prosawerke

Die Programm-Schwerpunkte mit Stücken von Schnitzler, Werfel, Hofmannsthal, Nestroy und Raimund wurden ab dem Jahr 2000 ergänzt mit Bearbeitungen von bekannten Prosawerken für die Bühne. Auf diese Weise fanden Autoren wie Stefan Zweig (u.a. mit „Schachnovelle“), Joseph Roth („Radetzkymarsch“), Thomas Mann („Zauberberg“), Daniel Kehlmann („Ruhm“), Lew Tolstoi („Anna Karenina“), Theodor Fontane ("Effi Briest"), Heimito von Doderer ("Dämonen") und viele andere Eingang in das Reichenauer Festspielprogramm. Die Theaterpraxis der Dramatisierung von Romanen war zu Beginn im Jahr 2000 noch eine Rarität, wird aber heute von vielen Bühnen aufgegriffen.

Die russischen Autoren

Russische Autoren, wie Turgenjew, Tschechow und Gorki, finden sich seit 1998 regelmäßig auf dem Spielplan. Die ländliche Atmosphäre vieler Stücke („Onkel Wanja“, „Der Kirschgarten“, „Drei Schwestern“, „Ein Monat auf dem Lande“, „Sommergäste“ etc.) erhält für die Zuschauer in der thematisch ähnlichen Landschaft von Reichenau einen besonderen Reiz.

Weitere Schwerpunkte

Im Verlauf einer kontinuierlichen Entwicklung von 25 Jahren, wurden nicht nur weitere Autoren für markante Besetzungen und Inszenierungen aufgenommen (z.B. DürrenmattDer Besuch der alten Dame“ mit Milva; Thomas BernhardDer Theatermacher“ mit Wolfgang Hübsch oder „Der Hauptmann von Köpenick“ mit Martin Schwab), sondern auch Solokonzerte von namhaften Pianisten wie Rudolf Buchbinder und Oleg Maisenberg (beide regelmäßig seit Sommer 2000) durchgeführt.

Organisationsstruktur

Der Kulturverein

Ausgangspunkt für die Festspiele war die Gründung des „Kulturverein Reichenau“ im Jahre 1981 durch Peter Loidolt, der seither Obmann des Vereins ist. Durch die Initiative von Generalsekretärin Renate Loidolt konnte ein Mitgliederstand von über 4.800 fördernden Mitgliedern, Theaterfreunden aus dem In- und Ausland, aufgebaut werden. Die Beiträge und Spenden der Mitglieder sind die privat finanzierte Grundlage der Festspiele. Es gibt keine weiteren Großsponsoren aus der Wirtschaft. Das weitere Anwachsen des Kulturvereins wird durch jährliche Wartelisten geregelt.

Die Festspiele Reichenau GmbH

Die „Festspiele Reichenau GmbH“ wurde 1988 zur Durchführung der Festspiele gegründet. Alleinige Geschäftsführerin ist Renate Loidolt, Peter Loidolt ist der künstlerische Leiter der Festspiele GmbH.

Die Festspiele Reichenau GmbH erhält eine jährliche Spielbetriebs-Subvention vom Land NÖ, ebenso kommen öffentliche Mittel in geringerem Ausmaß von der Gemeinde Reichenau und eine Autorenförderung vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.

Die Gemeinde Reichenau ist mit 20 % an der GmbH beteiligt, 5 % hält der Tourismusverband, 75 % der Kulturverein Reichenau.

Publikationen und Filme

Im Eigenverlag erschien 1998 „Die erste Dekade“ und 2008 „Die zweite Dekade“.

Seit 2003 erscheint jährlich ein illustriertes Festspiel-Magazin „im spiel der sommerlüfte“ in hoher Auflagezahl (10.000).

Zahlreiche Bücher (zuletzt Rieger/Oswald „Eine literarische Rundreise durch die Wiener Alpen“, lesethek Verlag) über die Region sowie diverse Schauspiel-Biographien beinhalten auch Artikel über die Festspiele Reichenau.

Anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums drehte der ORF den Film „Die Theatermacher – 25 Jahre Festspiele Reichenau“, der am Nationalfeiertag 2012 in ORF 2 gesendet wurde.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Doris Hotz: Festspiele in Niederösterreich 1945-2009: Panorama einer Festspiellandschaft. Böhlau Verlag, Wien 2010. ISBN 978-3-205-78300-8.
  2. Manfred Wagner (Hg): Niederösterreich : eine Kulturgeschichte von 1861 bis heute. Band 1: Menschen und Gegenden, Wien u.a.) 2004, S. 317
  3. Kleine Zeitung, 11. Jänner 2012
  4. Kulturminister Ostermayer überreichte Ehepaar Loidolt das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Presseaussendung des Bundespressedienst. Abgerufen am 20. November 2014.