Hilda Geiringer

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Hilda Geiringer von Mises zuvor Hilda Pollaczek auch Hilda Polatschek (publizierte als Hilda Geiringer oder Hilda Pollaczek-Geiringer); verheiratete von Mises; (* 28. September 1893 in Wien; † 22. März 1973 in Santa Barbara (Kalifornien)) war eine österreichisch-US-amerikanische Mathematikerin, die sich mit Elastizitätstheorie und Statistik beschäftigte. Sie war die erste Privatdozentin in Deutschland für angewandte Mathematik. Sie war jüdischen Glaubens.

Familie

Geiringer stammt aus der Familie des ungarischen Textilfabrikanten Ludwig Geiringer und seiner Ehefrau Martha geborene Wertheimer. Ihre Geschwister waren der später promovierte Ernst Geiringer, der spätere Ingenieur Peter Geiringer und der spätere Musikwissenschaftler Karl Geiringer (1899–1989).[1]

Leben

Vor dem Ersten Weltkrieg war sie in der Jugendbewegung aktiv, z. B. im pädagogischen Experiment des „Kindergarten Baumgarten“. Sie studierte Mathematik an der Universität Wien, wo sie 1917 bei Wilhelm Wirtinger über Fourierreihen in zwei Variablen promovierte. Danach arbeitete sie 1918/19 in der Redaktion des „Jahrbuchs der Fortschritte der Mathematik“ unter Leon Lichtenstein, kehrte 1919 kurz nach Wien zurück um als Lehrerin und Volkshochschullehrerin zu arbeiten und ging 1921 als Assistentin am Institut für angewandte Mathematik zu Richard von Mises nach Berlin. Dort heiratete sie den Statistiker Felix Pollaczek, der wie sie aus Wien stammte und in Berlin bei Issai Schur promoviert hatte. 1922 wurde die Ehe geschieden, und Hilda Geiringer zog die gemeinsame Tochter allein auf. Als Assistentin von Mises arbeitete sie auf dem Gebiet der Statistik und der Plastizitätstheorie. 1927 habilitierte sie sich in Berlin [2] und wurde Privatdozentin. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 endeten ihre Hoffnungen auf eine schon in Aussicht gestellte außerordentliche Professur. Als Jüdin wurde sie aus der Universität entlassen und folgte (nach kurzer Zeit am Institut für Mechanik in Brüssel) schließlich Richard von Mises 1934 nach Istanbul, wo dieser ein neues Mathematik-Institut aufbaute, an dem sie Professorin war (anfangs unterrichtete sie in Französisch, später in Türkisch). 1939 zogen beide weiter in die USA, da ihnen die politische Situation in der Türkei zu unsicher war. Hilda Geiringer unterrichtete zunächst am Bryn Mawr College. 1942, während sie geheime Arbeiten für die US-Regierung durchführte, hielt sie an der Brown University Vorlesungen über Geometrie der Mechanik, deren Mitschriften weite Verbreitung fanden. 1943 heiratete sie von Mises und wurde Professorin[3] am Wheaton College in Norton (Massachusetts), um näher bei Mises an der Harvard University zu sein. 1953 gab sie nach dem Tod von Mises dessen Gesammelte Werke heraus (als Research Fellow in Harvard) und sein nachgelassenes „Mathematical theory of probability and statistics“ (1964) und seine „Mathematical theory of compressible fluid flow“ (1958). 1959 zog sie sich aus dem Lehrbetrieb am Wheaton College[4] zurück, nachdem sie 1956 an der Freien Universität Berlin zum außerordentlichen Professor emeritus bei vollem Ruhestandsgehalt ernannt worden war[5].

1930 entwickelte sie die „Geiringer-Gleichungen“ für ebene plastische Deformation. 1958 erschien im „Handbuch der Physik“ (Hrsg. Siegfried Flügge) ihr Überblicksartikel über Plastizitätstheorie mit Alfred M. Freudenthal („The mathematical theory of the inelastic continuum“).

Geiringer war Mitglied der American Academy of Arts and Sciences (1955). 1960 erhielt sie die Ehrendoktorwürde des Wheaton College. 1967 veranstaltete die Universität Wien zu ihrem 50-jährigen Doktor-Jubiläum (Goldene Promotion) eine Feier.

Literatur

  • Joan L. Richards: Hilda Geiringer. In: Louise S. Grinstein, Paul J. Campbell (Hrsg.): Women in Mathematics. A bibliographical sourcebook. Greenwood Press, Westport, Conn. 1987, ISBN 0-313-29180-2, S. 41–46.
  • Reinhard Siegmund-Schultze: Hilda Geiringer-von Mises, Charlier Series, Ideology, and the Human Side of the Emancipation of Applied Mathematics at the University of Berlin during the 1920s. In: Historia Mathematica. International Journal of history of Mathematics, Bd. 20 (1993), S. 364–381, ISSN 0315-0860.
  • Christa Binder: Beiträge zu einer Biographie von Hilda Geiringer. Jugend und Studium in Wien. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM-Mitteilungen), Jg. 18 (1995), Heft 1, S. 61–72, ISSN 0936-7195.
  • Christa Binder: Hilda Geiringer. Ihre ersten Jahre in Amerika. In: Sergei S. Demidow (Hrsg.): Amphora. Festschrift für Hans Wußing zu seinem 65. Geburtstag. Birkhäuser Verlag, Basel 1992, ISBN 3-7643-2815-0, S. 25–53.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jüdische Wochenschrift. Die Wahrheit. Jüdische Wochenschrift. Die Wahrheit. XLVIII. Jahrgang, Wien, 17. Juni 1932, Nummer 25, S. 7- Todesfälle (Memento vom 28. Dezember 2013 im Internet Archive) (PDF; 2,3 MB), abgerufen am 3. April 2013
  2. Ihre Habilitationarbeit reichte sie schon 1925 ein. Es gab aber Schwierigkeiten, die u.a. mit dem Status der angewandten Mathematik an der Universität zusammenhingen. Ludwig Bieberbach beurteilte ihre erste Arbeit sehr negativ, worauf sie eine neue Arbeit einreichte, in der er wieder Fehler fand.
  3. eine von zwei Mathematik-Professoren. Sie war „Head of Departement“
  4. In den Jahren zuvor zerschlugen sich mehrere Versuche, eine mehr der Forschung näherstehende Position an einer amerikanischen Universität zu erhalten. Nach Richards lag das auch an der Diskriminierung von Frauen.
  5. vorher führte sie jahrelang einen Kampf um ihre Pensionsansprüche