Hirndruck

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Hirndruck ist ein umgangssprachlicher Begriff für den Druck der im Schädelinneren herrscht (intrakranieller Druck, häufige, auch im Deutschen verwendete Abkürzung ICP für englisch intracranial pressure). Der intrakranielle Druck ist entscheidend für die Durchblutung und somit für die Funktion des Gehirns, da er dem Druck, mit dem das Blut ins Gehirn gepumpt wird, entgegenwirkt. Sind intrakranieller Druck und mittlerer arterieller Blutdruck gleich, wird das Gehirn nicht mehr durchblutet, stellt innerhalb von Sekunden seine Funktion ein und stirbt innerhalb kurzer Zeit ab. Daher ist die Messung des intrakraniellen Drucks ein wichtiger Anhaltspunkt für therapeutische Entscheidungen bei der Behandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen, z.B. nach einem Schädel-Hirn Trauma oder einem Schlaganfall.

Ursachen

Das intrakranielle Volumen besteht aus drei Kompartimenten: dem Hirngewebe, den Hirngefäßen und den Liquorräumen, d. h. den Räumen, die mit Hirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) gefüllt sind. Nimmt das Volumen eines Kompartimentes zu, kann dies bis zu einem gewissen Grad durch die Abnahme des intrakraniellen Blut- oder Liquorvolumens ausgeglichen werden, so dass der intrakranielle Druck zunächst nicht ansteigt. Erst nach dem Aufbrauchen dieser sogenannten "intrakraniellen Reserveräume" nimmt der intrakranielle Druck zu, dann allerdings schlagartig (exponentiell). Der Zusammenhang zwischen intrakraniellem Volumen und intrakraniellem Druck wird als intrakranielle Compliance bezeichnet. Aus der graphischen Darstellung der Compliance kann der eben dargelegte Zusammenhang zwischen intrakraniellem Volumen und intrakraniellem Druck abgelesen werden. Dieses Konzept wurde erstmals von Monro und Kellie Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieben und wird als Monro-Kellie-Doktrin bezeichnet.

Eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks kann demnach durch die Zunahme eines oder mehrere Kompartimente erfolgen: durch eine Raumforderung des Hirnparenchyms, z. B. durch ein Hirntumor, oder durch die Schwellung des Gehirns (Hirnödem) nach einem Schädel-Hirn-Trauma, einem Schlaganfall oder einer Entzündung des Gehirns, durch die Erhöhung der zerebralen Durchblutung oder durch die Zunahme des Liquorvolumens, z. B. durch eine Abflussstörung.[1]

Messung

Die Messung des Hirndrucks erfolgt über einen flüssig angekoppelten Druckaufnehmer an einem Ventrikelkatheter oder über eine Messsonde, die epidural, subdural, im Hirngewebe (Parenchym) oder in einer der Hirnkammern (Ventrikel) angeordnet sein kann.[2][3] Flüssig angekoppelte Druckaufnehmer versagen, wenn der Katheter verstopft und/oder wenn die Hirnkammern ausgepresst sind. Problematisch bei der Anordnung des Messfühlers im Patienten ist, dass der Nullpunkt driftet und nicht nachjustiert werden kann.[4] Epidurale Messsonden sind mit erheblichen Messfehlern behaftet.

Sonden mit an der Spitze angeordneten Messfühlern sind von den Herstellern Integra, Codman, Raumedic und Sophysa erhältlich. Vom Hersteller Spiegelberg ist ein System erhältlich, bei dem der Druck über eine Luftsäule zu einem außerhalb des Körpers in einem Gerät angeordneten Messfühler übertragen wird. Dadurch werden die Probleme der Drift, ausgepresster Hirnkammern und verstopfter Katheter gelöst.

Symptome

Leitsymptom für einen erhöhten Hirndruck ist neben Kopfschmerz und Erbrechen eine Stauungspapille (Ödem im Gewebe der Sehnervpapille), die mittels eines Augenspiegels (Ophthalmoskopie) diagnostiziert werden kann. Treten diese Symptome zusammen auf, spricht man von einer „Hirndruck-Trias“. Als weitere Symptome können Schwindel, Augenmuskellähmung, Bradykardie sowie Atem- und Bewusstseinsstörung auftreten, die von gesteigerter Abwesenheit bis hin zum Koma reichen. Anfänglich kann es jedoch zu einer Bewegungsunruhe kommen. Infolge des Cushing-Reflexes kann es zu einem allgemeinen Anstieg des Blutdrucks und einem Abfall der Herzfrequenz kommen.

Bei Säuglingen kann es zu einem Verdrehen des Augapfels nach unten kommen, was als Sonnenuntergangsphänomen bezeichnet wird.

Komplikationen

Infolge eines Hirndruckanstiegs kann es zur Massenverschiebung und Einklemmung von Teilen des Gehirns kommen.

0–10 mm Hg 0-14 cm H2O normaler ICP
11–20 mm Hg 15-27 cm H2O leicht erhöhter ICP
21–40 mm Hg 28-54 cm H2O stark erhöhter ICP
über 40 mm Hg über 55 cm H2O sehr stark erhöhter ICP

Nicht der einmalige Hirndruckanstieg, sondern ein dauerhaft stark erhöhter ICP-Wert führt zur sekundären Hirnschädigung und zur Verschlechterung des neurologischen Outcomes.

Therapie

Grundsätzlich müssen Patienten mit erhöhtem Hirndruck intensivmedizinisch überwacht werden.

  • Die Patienten werden mit um 30°- 45° erhöhtem Oberkörper gelagert (Kopf möglichst gerade, um den venösen Abfluss nicht zu behindern).
  • Leichte Hyperventilation führt zur Verengung der Blutgefäße, damit wird ICP verringert.
  • Glukokortikoide (z. B. Dexamethason, Methylprednisolon) haben abschwellende Wirkung. Ihre Wirksamkeit ist jedoch nur bei vasogenem Hirnödem, also einer Störung der Blut-Hirn-Schranke durch maligne Tumore oder bakterielle Meningitis, belegt. Glukokortikoide können laut Studienlage beim SHT sogar zu einer erhöhten Mortalität führen und sind daher in diesem Fall kontraindiziert.
  • Auch Diuretika können durch eine vermehrte Flüssigkeitsausscheidung über die Nieren das Hirnödem reduzieren.
  • Da unter Umständen die Autoregulation des Blutdrucks im Gehirn versagt, muss der Blutdruck bei Patienten mit erhöhtem Hirndruck engmaschig durch eine invasive Blutdruck-Messung überwacht und in physiologischen Grenzen gehalten werden.
  • Osmotherapeutika (Mannitol) können kurzfristig den Hirndruck senken, wenn er kritische Werte erreicht.
  • Eine Sedierung reduziert den metabolischen Bedarf und dadurch den kraniellen Blutfluss, das intrakranielle Blutvolumen und somit den Hirndruck.
  • Eine Hypothermiebehandlung kann ebenfalls durch Senkung des Energiebedarfs das betroffene Hirngewebe schützen.
  • Die Lumbalpunktion zur Druckentlastung kann kontraindiziert sein, wenn dadurch die Lebensgefahr einer Hirneinklemmung im hinteren Schädel besteht.
  • Je nach Ursache kann eine Ableitung der Gehirnflüssigkeit mittels externer Ventrikeldrainage oder mithilfe eines ventrikulo-peritonealen Shunts notwendig sein.
  • Als Ultima ratio kann eine Dekompressionskraniektomie notwendig werden.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Neurochirurgische Intensivmedizin: Eine Einführung, J. Pieck et al., Zuckerschwerdt, 2003.
  2. D. Moskopp, A. Spiegelberg: Monitoring des intrakraniellen Drucks. In: D. Moskopp, H. Wassman: Neurochirurgie. Handbuch für die Weiterbildung und interdisziplinäres Nachschlagewerk. 2. Auflage. Schattauer, Stuttgart/ New York, 2014.
  3. S. Schwab u. a.: Neurointensiv. Springer. Heidelberg 2007.
  4. G. Citerio u. a.: Multicenter clinical assessment of the Raumedic Neurovent-P intracranial pressure sensor: a report. In: Neurosurgery. 2008 December; 63(6), S. 1152–1158.