Innenpsychologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Innenpsychologisch)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Innenpsychologie stellt einen besonderen Gesichtspunkt innerhalb der Gruppe topologischer seelischer Begriffe dar, der seit den Anfängen der Psychologie als wesentlich galt. Die Abgrenzung und Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpsychologie hat darüber hinaus grundlegende philosophische Bedeutung, indem sie die Richtung einer jeden psychischen Aktivität angibt und damit einen „Raum“ bezeichnet, der als Innen- oder Außenwelt bezeichnet werden kann.[1](a) Diese Unterscheidung beschränkt sich nicht nur auf die Einzelpsychologie als Möglichkeit subjektiver Erfahrungen. Innenpsychologie ist auch möglich innerhalb von Gemeinschaften oder Gruppen wie etwa der Massenpsychologie, ja überhaupt von spezifischen lebenden Entitäten. Zu diesen topologischen Bezeichnungen zählen grundsätzlich auch die Tiefenpsychologie oder die Topik. Die räumlichen Angaben sind nur teilweise metaphorischer Art.

Geschichte der Psychologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Innenpsychologie geht zwar von einem Körperschema und der äußeren Abgrenzung eines Menschen von seiner Umwelt aus. Doch erscheint die Einteilung eines psychischen Innenraums eher metaphorisch. Die Verarbeitung von inneren Reizen, von äußeren Einflüssen der Wahrnehmung, kollektiver Einwirkungen und hierauf erfolgender motorischer Reaktionen ist zu unterscheiden.

Die Innensicht auf die Seele rührt aus den Anfängen der Psychologie und der Sichtweise der Vermögenspsychologie. Die Annahme von Grundpotenzen verleitete dazu, diese unsichtbaren und nur „potentiell“ wirksamen Fähigkeiten in das nicht wahrnehmbare Innere eines Organismus zu verlegen, siehe auch den Begriff des Leistungspotenzials. Die Leistungspsychologie geht jedoch von den entgegengesetzten Annahmen der Außenpsychologie aus. Sie ist bestrebt, eine objektive Psychologie zu erkennen und empirische Tatbestände zu messen. Fasst man aber die innenpsychologische Seite des psychischen Lebens ins Auge, so ist Gegenstand der Betrachtung und Untersuchung das Erleben – also die subjektive Seite der seelischen Abläufe.[2](a) Carl Gustav Carus (1789–1869) unterscheidet die „Welt unseres innersten geistigen Daseins“ von allem „Äußerlichen“.[3][4] Damit nähert er sich nicht nur Freuds Unterscheidungen von Bewusst und Unbewusst, indem die letztere unbewusste Zustandsform des Bewusstseins nicht nur dem inneren Zustand des Gewußten allein eigen ist, sondern auch Teil ist von Freuds grundlegender Unterscheidung seelischer Polaritäten zwischen Ich (Innenwelt) und äußerer Realität (Außenwelt). Diese Polaritäten enthalten nach Freuds Auffassung nicht nur die gegeneinander abzugrenzende strukturelle Natur des Ichs, Es, und Überichs, sie sind auch komplementärer Art, sie bilden untereinander gegenseitige Verknüpfungen und stehen somit für die Einheit alles Seelischen. Freud unterscheidet grundsätzlich drei psychische Polaritäten: 1. innen und außen, 2. Aktivität und Passivität sowie 3. Lust und Unlust.[5] Die inneren Instanzen von Ich, Überich und Es können die Vertretung der Realitätsforderung aus der Außenwelt übernehmen. Diese Tatsache dient Freud als Anhaltspunkt zur Unterscheidung von Neurose und Psychose. Im ersteren Falle sei die Beziehung des Ichs zu den inneren Instanzen gestört, im zweiten Falle die zur Außenwelt.[6]

Philosophische Anthropologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der philosophischen Anthropologie wird die subjektive Seite der Eigenwelt traditionell als Innenwelt beschrieben, so jedenfalls noch von Heidegger.[7] Sartre betrachtet den Dualismus von Innen- und Außenwelt in der klassischen Form jedoch als unbegründet, insbesondere die Unterscheidung von „falschem Schein“ (außen, körperlich) und „wahrem Sein“ (innen, seelisch-geistig) – neben der Abgrenzung von Noumenon und Phänomenon sowie Akt und Potenz. Den Wert der Erscheinung erklärt Sartre dabei als vorrangig. Der von Edmund Husserl eingeführte Begriff der Abschattung ergibt jedoch für ihn eine neue Form von Dualismus, nämlich den der endlichen und unendlichen Reihe.[8] Auch aus der Phänomenologie ist die Spaltung in Innenpsychologie und Außenpsychologie herleitbar. Sie gründet in der Subjekt-Objekt-Spaltung.[1](b)

Verbreitung im fachlichen Sprachgebrauch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpsychologie fordert ebenso grundsätzlich verschiedene Standpunkte heraus. Entweder wird – je nach persönlicher „innerer“ Einstellung – der Außenbereich als vorbildlich oder erstrebenswert angesehen, dies mit der Erwartung, das eigene Seelenleben ggf. nach Kriterien von erfolgreicher äußerer Leistung positiv zu verändern oder aber es wird der Innenbereich als höchster Wert betrachtet, der ggf. das Ziel einer Formung, Entwicklung und Veränderung der Außenwelt mit sich einschließt. Regelmäßigkeit ist hier nicht zu erwarten. Erst recht kann keine Allgemeingültigkeit beansprucht werden.[1](c) Aus der Art dieser grundsätzlichen Unterscheidung folgt jedoch, dass der jeweilige Oberbegriff der Außen- oder Innenpsychologie eine Vielzahl von Unterbegriffen in sich einschließt. Unter den Oberbegriff der Innenpsychologie fallen insbesondere so verbreitete psychologische Bezeichnungen wie Erinnerung oder Selbsterkenntnis, Selbstbeobachtung, Selbsterfahrung.

Psychotherapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wer einen innenpsychoplogischen Standpunkt vertritt, der nähert sich damit psychodynamischem Denken. Bei diesem kann es sich etwa um das Zusammenwirken mehrerer hypothetischer Persönlichkeitsschichten handeln. Solches Verständnis ist als Akt verstehender Psychologie einzuschätzen und entspringt daher nicht zwingend naturwissenschaftlichem Denken. Es ist somit auch logisch zu folgern, dass der innenpsychologische Standpunkt eher mit psychotherapeutischen Vorstellungen als mit medizinischer Nosologie zusammenhängt. Mit der ausschließlich innenpsychologischen Seite der Betrachtung wird die Unfähigkeit ausgeblendet, nämlich das Nicht-Können, das psychische Krankheit charakterisiert – ebenso wie die gesamte seit der Antike auf einem eher körperlichen Krankheitsverständnis (Somatismus) beruhende Nosologie.[2](b) Innenpsychologisch bedeutsam ist die schizothyme Persönlichkeit, die das Charaktermerkmal der Introversion aufweist.[9]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie. [Erstausgabe 1953, Neuausgabe 1971] 25. Auflage, R. Piper, München 1986, ISBN 3-492-10013-9:
    (a) S. 10, 18 f. zu Stw. „Grenzerfahrung, Grenzsituation“ aus den Kap. „Was ist Philosophie“ (S. 10) und „Ursprünge der Philosophie“ (S. 18 f.);
    (b) S. 24 f. zu Stw. „Subjekt-Objekt-Spaltung“ aus dem Kap. „Das Umgreifende“;
    (c) S. 9 zu Stw. „Allgemeingültigkeit von Ergebnissen in der Philosophie“ aus dem Kap. „Was ist Philosophie“.
  2. a b Degkwitz, Rudolf et al. (Hrsg.): Psychisch krank. Einführung in die Psychiatrie für das klinische Studium. Urban & Schwarzenberg, München 1982, ISBN 3-541-09911-9; Spalte nachfolgend mit ~ angegeben:
    (a) S. 16–17~2 zu Stw. „Innenpsychologie und Geschichte der Psychologie“;
    (b) S. 191 zu Stw. „Innenpsychologie und Krankheitslehre“.
  3. Carl Gustav Carus: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Flammer u. Hoffmann, Pforzheim 1846; S. 2 zu Stw. „Welt unseres inneren geistigen Daseins“ (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
  4. Hans Walter Gruhle: Verstehende Psychologie. Erlebnislehre. 2. Auflage, Georg Thieme, Stuttgart 1956; S. 12 zu Stw. „Carus“.
  5. Sigmund Freud: Triebe und Triebschicksale. In: Gesammelte Werke, Band X, „Werke aus den Jahren 1913-1917“, Fischer Taschenbuch, Frankfurt / M 1999, ISBN 3-596-50300-0 (Kassette); S. 226 ff. zu Stw. „Polarität“.
  6. Sigmund Freud: Neurose und Psychose. In: Gesammelte Werke, Band XIII, „Jenseits des Lustprinzips – Massenpsychologie und Ich-Analyse – Das Ich und das Es“ (1920–1924), Fischer Taschenbuch, Frankfurt / M 1999, ISBN 3-596-50300-0 (Kassette); S. 389 f. zu Stw. „Innenwelt, innere Instanzen“.
  7. Martin Heidegger: Sein und Zeit. [1926] – 15. Auflage, Max Niemeyer-Verlag, Tübingen 1979, ISBN 3-484-70122-6; §§ 15–18, 43; S. 66 ff., 102 zu Stw. „Innerweltlichkeit“.
  8. Jean-Paul Sartre: L’Être et le Néant. Essai d’ontologie phénonménologique. [1943] tel Gallimard, 2007, ISBN 978-2-07-029388-9; S. 11–14 zu Stw. „phänomenologischer Dualismus“.
  9. Jean Delay & Pierre Pichot: Medizinische Psychologie. Franz. Originaltitel: „Abrégé de Psychologie“. 3. Auflage, © 1967 Masson & Cie. Éditeurs, Paris, Übersetzt und bearbeitet von Wolfgang Böcher, 4. Auflage, Georg Thieme-Verlag, Stuttgart 1973, ISBN 3-13-324404-3; S. 129 zu Stw. „schizothyme Grundstimmung in Korrelation mit Introversion“.