Luxemburgkrise

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 28. Februar 2008 um 00:02 Uhr durch Escarbot (Diskussion | Beiträge) (Bot: Ergänze: fr:Crise luxembourgeoise). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Als Luxemburgkrise bezeichnet man die Auseinandersetzungen um den beabsichtigten Kauf des Großherzogtums Luxemburg durch die französische Regierung unter Napoléon III. im Jahre 1867, am Vorabend des deutsch-französischen Krieges von 1870/71.

Ausgangssituation

Laut Artikel 67 der Wiener Kongressakte von 1815 war das Großherzogtum Luxemburg dem König des Vereinigten Königreich der Niederlande (nach 1839 Königreich der Niederlande) zugesprochen worden. Titel und Herrschaft sollten seinen Verlust der Rechte an Nassau-Dillenburg, Siegen, Hadamar und Dietz kompensieren welche an Preußen fielen, und wie zuvor bei diesen Herrschaften sollte der König auch in Luxemburg seine Rechte en toute propriété et souveraineté ausüben können, d.h. sie sollten in keiner Weise mit seinem niederländischen Thronrecht verbunden sein.

Es bestand also eine Personalunion Luxemburgs mit den Niederlanden. Es war Mitglied des (österreichisch dominierten) Deutschen Bundes, seit 1842 auch des preußisch dominierten Deutschen Zollvereins. Luxemburg hatte seit 1848 eine eigene Verfassung und eine eigene Regierung. Die Stadt Luxemburg war darüber hinaus eine deutsche Bundesfestung, die Besatzung wurde mehrheitlich von Preußen gestellt. Diese Garnison war einerseits bei der Bevölkerung unbeliebt, andererseits von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung in dem erst wenig industrialisierten, rückständigen Luxemburg jener Tage.

Unter Napoleon III. betrieb Frankreich eine imperiale Außenpolitik, welche Gebietserweiterungen anstrebte, in den 1860er Jahren sogar verstärkt. Denn Napoléon III. versuchte durch Erwerb neuer Gebiete den Machtzuwachs Preußens nach dessen Sieg im Preußisch-Österreichischen Krieg (auch „deutscher Krieg“ genannt) von 1866 auszugleichen.

Dieser Sieg hatte den Deutschen Dualismus beendet und einen Prozess der staatlichen Einigung der meisten deutschen Staaten angestoßen: der Deutsche Bund war aufgelöst, dafür der preußisch beherrschte Norddeutsche Bund gegründet worden. Mit dieser Auflösung fehlte dem Stationierungsrecht der preußischen Truppen in Luxemburg auch die Basis, diese verblieben jedoch zunächst in der Festungsstadt.

Die Ereignisse

Um einen Ausgleich der Spannungen zu erzielen, welche durch die schon erwähnte Machtverschiebung entstanden waren, traten Frankreich und Preußen noch während des Preußisch-Österreichischen Krieges in Geheimverhandlungen. Nicht zuletzt weil er nicht wissen konnte, wie die zuvor unterlegenen Staaten Süddeutschlands und Österreich sich im Fall eines Krieges mit Frankreich verhalten würden, war der preußische Kanzler Otto von Bismarck durchaus verhandlungsbereit. Er machte zwar deutlich, dass eine Abtretung deutscher Gebiete an Frankreich ausgeschlossen wäre, erkannte die Lösung des Konfliktes durch französische Gebietserweiterungen aber prinzipiell an: Wenn Frankreich sich aus dem Prozess der deutschen Einigung heraushalten würde, würde Preußen keine Einwände gegen einen Gebietszuwachs Frankreichs auf Kosten Belgiens und Luxemburgs („innerhalb der französischen Nation“) erheben. Man strebte sogar eine Militärallianz an, um die Ziele der beiden Staaten auch gegen Dritte, etwa Großbritannien durchzusetzen. Dieses Geheimabkommen hat Bismarck klugerweise später nach Ausbruch des deutsch-französischen Krieges auch veröffentlicht. Zugleich handelte Bismarck mit den süddeutschen Staaten Schutz- und Trutzbündnisse zur gegenseitigen Unterstützung im Fall eines französischen Angriffs aus.

Von allen ins Auge gefassten Eroberungen schien der Erwerb Luxemburgs für Napoléon III. die am leichtesten zu bewerkstelligende. Nachdem andere Erwägungen, etwa die Abtretung des soeben preußisch gewordenen Ostfrieslands an die Niederlande gegen eine Überlassung Luxemburgs an Frankreich, als politisch nicht durchsetzbar fallen gelassen worden waren, trat die französische Regierung an den niederländischen König Wilhelm III. heran und bot ihm den Kauf Luxemburgs gegen 5 Millionen Florins an. Wilhelm III. hatte zuvor versucht, Luxemburg als Bundesstaat in den norddeutschen Bund aufnehmen zu lassen, um sich gegen die französischen Eroberungsabsichten zu schützen. Entsprechend seinem Geheimabkommen lehnte Bismarck dieses aber ab. Da sich Wilhelm III. nun in Geldschwierigkeiten befand, willigte er am 23. März 1867 in den Kaufvertrag ein.

Inzwischen wurden die bis dahin geheim gehaltenen preußisch-süddeutsche Bündnisse von 1866 bekannt, und Wilhelm III., der befürchtete in einen französisch-deutschen Konflikt hineingezogen zu werden, machte seine Einhaltung des Kaufvertrages nun von der öffentlichen Zustimmung Bismarcks abhängig. Dadurch wurde der Kaufvertrag allgemein bekannt. Die deutsche Öffentlichkeit sprach sich vehement gegen eine solche Zustimmung aus: Luxemburg, als Heimatland der Dynastie der Luxemburger, welche vier Kaiser gestellt hatten, wurde als deutsches Land angesehen, das nicht an Frankreich fallen dürfe. Bismarck konnte seine geheimen Zusagen an Napoléon III. nicht mehr einhalten, er empfahl Wilhelm III. den Kauf rückgängig zu machen. Die französische Öffentlichkeit reagierte ähnlich chauvinistisch, ein Krieg schien sehr wahrscheinlich. Frankreich mobilisierte seine Truppen, deutsche Abgeordnete forderten und Bismarck drohte mit einer norddeutschen Generalmobilmachung.

In Luxemburg selbst waren inzwischen französische Agenten aktiv geworden und hatten Zwischenfälle mit den preußischen Truppen provoziert. Es gab in Luxemburg unterschiedliche Bewegungen. Obwohl sie sich als „deutsch“ einstuften, hatten viele Luxemburger große Sympathien für Frankreich, viele ihrer bitterarmen Landsleute hatten dort Arbeit gefunden, besonders in Paris. Andererseits gab es eine starke Bewegung, die mit einer Petition an den König-Großherzog für einen Erhalt des Status Quo plädierte. Damals wurde der Wahlspruch „Mir wëlle bleiwen waat mir sinn“ (Wir wollen bleiben, was wir sind) populär. Insgeheim war diese Bewegung von niemand geringerem als dem beim Volk sehr beliebten Statthalter in Luxemburg und Bruder des König-Großherzogs Prince Henri angeregt worden. Die internationale Diplomatie wurde aktiv und richtete eine internationale Konferenz zur Luxemburgkrise in London aus. Diese begann am 7. Mai, beide Seiten zeigten sich kompromissbereit, und so schloss die Konferenz mit dem so genannten zweiten Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 ab.

Die Beschlüsse des 2. Londoner Vertrages

  • Frankreich erwirbt Luxemburg nicht, Souverän bleibt der niederländische König
  • Dafür zieht Preußen seine Garnison aus der Festung ab und
  • die Festung wird so weit wie vom König-Großherzog für nötig erachtet zerstört,
  • Luxemburg soll bei künftigen Konflikten neutral bleiben
  • die Garantiemächte des ersten Londoner Vertrages: Frankreich, Großbritannien, Preußen, Österreich und Russland sollen auch dieses Mal über die Einhaltung dieses Vertrages wachen.

Bedeutung und Folgen der Luxemburgkrise

Der Verlauf der Luxemburgkrise hatte erneut gezeigt, dass die Idee der Nationalstaaten an Bedeutung gewonnen hatte und dass Ausgleiche wie in Zeiten der Kabinettsdiplomatie nicht mehr möglich waren. Die Spannungen zwischen Preußen und Frankreich wurden nicht ausgeglichen, sondern verschärften sich sogar, weil Napoléon III. sich von Bismarck betrogen fühlte. Die Luxemburgkrise wird von vielen und wurde bereits von Zeitgenossen, in Würdigung des späteren tatsächlichen Verlaufs, als ein Meilenstein zum deutsch-französischen Krieg betrachtet, von Militärs oft als „verpasste Chance“.

Für Luxemburg selbst kann die Bedeutung dieses Konfliktes gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Die Schleifung (Abriss) der Festung, von den Luxemburgern weit stärker betrieben als vom Londoner Vertrag verlangt, ermöglichte der Stadt das Wachstum und förderte die Industrialisierung erheblich. Das wichtigste Ergebnis, vor allem im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Geschichte, insbesondere der beiden Weltkriege, war, dass nun international festgelegt war, dass Luxemburg weder von Frankreich noch vom Deutschen Reich geschluckt würde und so ein eigenständiger Staat entstehen konnte. Die heutigen Luxemburger sehen und empfinden sich anders als die von 1867 nicht mehr als Deutsche, obgleich sie immer noch zum deutschen Sprach- und Kulturraum gehören. Die Luxemburgkrise steht am Anfang dieses Emanzipationsprozesses der Luxemburger von den Deutschen. Von besonderer Bedeutung für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung Luxemburgs im allgemeinen und für die sich im Aufbau befindliche später sehr bedeutende Stahlindustrie des Landes war ein Nebenereignis des Kongresses: dem Luxemburger Regierungschef Baron Victor de Tornaco war es gelungen, trotz des Neutralerhaltens des Landes, seinen Verbleib im Deutschen Zollverein zu erreichen.

Literatur

  • Christian Calmes, Danielle Bossaert: Histoire du Grand-Duché de Luxembourg. Luxemburg 1994, ISBN 2-87963-209-9
  • P. Ruppert, Le Grand-Duché de Luxembourg dans les relations internationales. Recueil des traités, conventions et arrangements internationaux, Lux. 1892 S. 151-152.

Weblinks