Martinskirche (Sindelfingen)

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Martinskirche
Ansicht 1850
Martinskirche Sindelfingen Turm und Sankt Martin Statue
Martinskirche Sindelfingen, Turm und Sankt Martin Statue

Die Martinskirche ist die evangelische Hauptkirche der Stadt Sindelfingen und eine der ältesten Kirchen in Baden-Württemberg. Die Kirchweihe war 1083. Sie gehörte zum 1477 aufgelösten Stift Sindelfingen.

Geschichte der Kirche

Eine erste Kirche stand wohl bereits im 7. Jahrhundert an dieser Stelle. Dies wird aus dem Hauptpatrozinium des heiligen Martin geschlossen, der in karolingischer Zeit sehr beliebt war. Zudem fand man bei Grabungen einen christlichen Friedhof aus dem 8. Jahrhundert.[1] Auf den Grundmauern dieser Kirche entstand ab etwa 1059 die dreischiffige, romanische Basilika mit flacher Holzdecke. Anlass war die Stiftung eines Benediktinerklosters durch Graf Adalbert II. von Calw, das er später zu einem weltlichen Chorherrenstift umwandelte. Der Bau der Kirche begann 1080, sie wurde am 4. Juli 1083 vom Bischof von Würzburg und vom Erzbischof von Salzburg geweiht, war aber erst 1132 unter Welf VI. von Spoleto fertiggestellt. Das Chorherrenstift wurde an der Stelle eines älteren Herrenhofes der Grafen von Calw erbaut.[1] Die Kirche diente sowohl dem Stift als auch der örtlichen Kirchengemeinde. Bereits 1540 hatte Sindelfingen den ersten evangelisch-lutherischen Pfarrer namens Martinus.[2]

Baubeschreibung und Ausstattung

Die Kirche wurde in der traditionellen Basilikaform gebaut. Der Chorraum war ursprünglich als Hochchor mit einer Krypta gestaltet. Er schließt mit drei Apsiden ab. Der romanische Turm war ursprünglich ein freistehender Campanile und ist 42 m hoch. Das Dach des Turmes und die Sakristei wurden erst 1270 in gotischer Zeit unter Chorherr Konrad von Wurmlingen gefertigt. Die Turmform, die Pfeilerarkaden sowie die Gliederung der drei Apsiden deuten auf italienische Einflüsse hin.

Aus der Bauzeit hat sich die 900 Jahre alte Tannenholzdecke erhalten. Das Deckengemälde mit den Symbolen der Evangelisten ist in einem altertümlichen Stil gehalten, wurde aber erst 1933 nach einem Entwurf von Ernst Fiechter geschaffen. Die Tür im Westportal zieren romanische Beschläge aus dem 12. Jahrhundert. 1973 wurde im Boden der Kirche ein Münzschatz aus dieser Zeit gefunden.

Das Kruzifix im Chor stammt aus der Zeit um 1600. Die bunten Bleiglasfenster 1933 von Walter Kohler zeigen in 24 Bildern die Lebens- und Leidensgeschichte Jesu Christi von der Geburt bis zur Auferstehung. Bei den Umgestaltungen 1863 bis 1868 durch Christian Friedrich von Leins und 1973 bis 1974 wurden alle nachromanischen Änderungen beseitigt.

Das Geläut besteht aus sechs Glocken und der kleinen Schul- und Vesperglocke im Seitenturm. Die größte ist mit 4.820 Kilogramm die Christusglocke, die zu den größten und klangvollsten in Württemberg gerechnet wird.

Orgel

Die Orgel der Martinskirche wurde 1961 von der Orgelbaufirma Friedrich Weigle (Echterdingen) erbaut. Das Instrument hat 37 Register (Schleifladen) auf drei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[3]

I Hauptwerk C–

1. Pommer 16’
2. Prinzipal 8’
3. Gemshorn 8’
4. Oktave 4’
5. Nachthorn 4’
6. Rauschpfeife I-III 22/3
7. Feldflöte 2’
8. Mixtur VI 2’
9. Trompete 8’
II Schwellwerk C–
10. Flöte 8’
11. Salizional 8’
12. Prinzipal 4’
13. Blockflöte 4’
14. Oktave 2’
15. Waldflöte 2’
16. Terz 13/5
17. Prinzipalquinte 11/3
18. None 8/9
19. Scharf V 1’
20. Dulzian 16’
21. Schalmei 4’
Tremulant
III Oberwerk C–
20. Gedackt 8’
21. Quintade 8’
22. Rohrflöte 4’
23. Prinzipal 2’
24. Oktävlein 1’
25. Sesquialter II 2
26. Kleinmixtur III-IV 2/3
27. Quintzimbel III 1/4
28. Krummhorn 8’
Tremulant
Pedalwerk C–
29. Prinzipalbass 16’
30. Subbass 16’
31. Oktavbass 8’
32. Spitzflöte 8’
33. Hohlflöte 4’
34. Nachthorn 2’
35. Hintersatz IV 22/3
36. Fagott 16’
37. Posaune 8’
Seitenpanorama der Martinskirche Sindelfingen
Seitenpanorama
  • Koppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
  • Spielhilfen: Festkombinationen (Vorpleno- und Plenozüge für jedes Manual und Pedal einzeln, Generalpleno, Tutti), Einzelzungenabsteller, zwei freie Pedalkombinationen, vier freie Manualkombinationen

Geschichte des Stifts

Um 1050 gründete Graf Adalbert II. von Calw an seinem Hauptsitz Sindelfingen ein benediktinisches Doppelkloster, das er jedoch schon kurze Zeit später nach Hirsau verlegte. Stattdessen rief er ein weltliches Augustiner-Chorherrenstift ins Leben.

Statuten aus dem Jahr 1297 regelten die innere Ordnung des Stifts. Sie wurden 1420 erneuert und erweitert. Die Stiftsvogtei lag zunächst bei den Grafen von Calw, von denen sie um 1131 an Welf VI. von Spoleto überging. Schließlich erhielten die Pfalzgrafen von Tübingen die Vogtei, von denen sie schließlich über die Herren von Rechberg 1351/69 an die Württemberger überging.

1477 wurde das Stift nach Tübingen verlegt. Da das Stift im 15. Jahrhundert eines der wohlhabendsten im württembergischen Raum war, wurde so die wirtschaftliche Basis für die Universität bereitet. Die Chorherren bildeten zudem die personelle und geistige Basis für die dortige Universitätsgründung. An die Stiftsverlegung erinnert ein Sandstein-Relief, das Erzherzogin Mechthild und ihren Sohn Graf Eberhard im Bart kniend im Gebet vor Christus zeigt.

Aus dem in Sindelfingen verbliebenen Vermögensrest wurde dagegen ein reguliertes Chorherrenstift geschaffen, das sich mit anfänglich sieben Mitgliedern als klosterähnliche Niederlassung den Augustiner-Chorherren der strengen Windesheimer Kongregation anschloss. Zu seinem Aufbau holte man Augustiner aus dem Wormser Kloster Kirschgarten.[4] Auch dieses Stift verfügte über einigen Wohlstand, denn die Niederlassung wird 1525 als „rich Kloster“ bezeichnet.

1535 zog die Reformation in Sindelfingen ein. Die Chorherren verweigerten sich mit einer Ausnahme dem neuen Glauben und erhielten gegen Verzicht auf ihre Rechte ein Leibgedinge ausgesetzt. Die offizielle Aufhebung des Stifts erfolgte Anfang 1536. Die Klostergebäude wurden in der Folgezeit als Lager und zur Verwaltung genutzt und teilweise abgerissen.

Grabstätte

In der Kirche wurden bestattet:

  • Graf Ulrich von Württemberg
  • Pfalzgraf Rudolph von Württemberg
  • sein Sohn Hugo
  • Gräfin Agnes von Württemberg
  • Graf Hugo von Eberstein und Baden
  • von Hutten
  • Edelleute von Wurmlingen, Hailfingen, Altingen, Jesingen, Neuhausen, Bernhausen und andere.[5]

Literatur

  • Barbara Scholkmann: Archäologische Untersuchungen in der ehemaligen Stiftskirche St. Martin in Sindelfingen. In: Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg. Band 4. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, 1977, ISSN 0178-3262.

Weblinks

Commons: Martinskirche (Sindelfingen) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Scholkmann 1977
  2. Georg Bernhard Christian Schickhardt: Jubelpredigt auf das zurückgelegte siebende Jahrhundert der Kirche zu Sindelfingen mit einer kurzen Geschichte derselben, Stuttgart 1783, S. 22 f.
  3. Nähere Informationen zur Weigle-Orgel
  4. Paulus Weissenberger OSB: Geschichte des Klosters Kirschgarten in Worms, Der Wormsgau, Beiheft Nr. 6, Stadtbibliothek Worms, 1937, S. 71
  5. Georg Bernhard Christian Schickhardt: Jubelpredigt auf das zurückgelegte siebende Jahrhundert der Kirche zu Sindelfingen mit einer kurzen Geschichte derselben, Stuttgart 1783, S. 26

Koordinaten: 48° 42′ 39,4″ N, 9° 0′ 5,1″ O