Positivismus

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Unter dem Begriff Positivismus werden in der Philosophie Richtungen erfasst, die die Erkenntnis auf die Interpretation „positiver Befunde“ beschränken. Das Wort „positiv“ wird dabei wie in den Naturwissenschaften gebraucht, in denen man von einem „positiven Befund“ spricht, wenn eine Untersuchung unter vorab definierten Bedingungen einen Nachweis erbrachte. Der Positivismus geht in der Namensgebung und ersten Institutionalisierung auf Auguste Comte (1798–1857) zurück und wurde unter diesem und seinen Nachfolgern im 19. Jahrhundert vorübergehend zu einem weltumspannenden humanistischen Religionsersatz ausgebaut, der alles Transzendente aus den Überlegungen ausschloß. Zwischen der erkenntnistheoretischen Position, die vor allem die Wissenschaftsdiskussion auf sich zog, und dem institutionalisierten Positivismus, der einen Religionsersatz anstrebte, entstanden im Verlauf des 19. Jahrhunderts erhebliche Spannungen.


Der von Auguste Comte begründete organisierte Positivismus

Auguste Comte

Auguste Comtes Versuch, den Positivismus zur wissenschaftlich fundierten Weltkultur auszubauen, wurde eines der großen utopistischen Projekte des 19. Jahrhunderts. Comte entwarf ein Geschichtsmodell, nach dem sich die von ihm vertretene Philosophie mit historischer Notwendigkeit durchsetzen musste. Die Menschheitsentwicklung durchschritt historisch notwendige Entwicklungsstadien von den ersten religiösen Kulten über den Monotheismus zu einer von den Wissenschaften bestimmten Kultur ("théorie des trois états": theologische, metaphysische und positive Epoche). Der Motor der historischen Entwicklung war nicht ein Klassenkonflikt, der in eine Weltrevolution mündete und in der die Arbeiterklasse die Herrschaft übernahm, sondern die schlichte Ausbreitung der zukünftigen Gesellschaft mit dem wissenschaftlichen Fortschritt. Die Menschheit selbst geriet in diesem Prozess in das Zentrum des Interesses. Die Soziologie würde, als von Comte begründete Wissenschaft, alles Handeln bestimmen und das menschliche Zusammenleben zum größten Nutzen der Menschheit organisieren. Daher bezeichnete er sie auch als die "Königin der Wissenschaften". Mitgefühl und Altruismus, Achtung vor menschlichen Leistungen würden im Zentrum des Zusammenlebens in der zukünftigen Gesellschaft stehen.

Mit dem Aufbau eines wissenschaftlichen Religionsersatzes sollte der historischen Entwicklung zum Durchbruch verholfen werden. Seine Organisation und die Dogmatik orientierte sich am Aufbau des Katholizismus. Die Huldigung des Kosmos, des Lebens auf der Erde sowie des menschlichen Geistes wurden zur Verehrung einer neuen Dreifaltigkeit ausgestaltet. Die Unsterblichkeit wurde als "Unsterblichkeit im Gedächtnis der Menschheit" sozialisiert. Der positivistische Kalender trug dem wiederum Rechnung durch sein dreizehnmonatiges Jahr, das symbolisch die Weltgeschichte durchmisst. Die einzelnen 28tägigen Monate nehmen die jüdische und die christliche Tradition auf, wie die Wissenschaftsgeschichte und die politischen Traditionen Europas. Monatsrepräsentanten sind unter anderem Moses, Archimedes und Friedrich II. von Preußen. Die einzelnen Tage sind, einem Heiligenkalender gleich, den größten Individuen gewidmet, die zum Fortschritt der Menschheit beitrugen. Die übergreifende These, dass die Welt sich über die Religion und den Aufbau von Staaten und Wissenschaften in die Zukunft entwickelte, erlaubte die Würdigung und die Integration der überwundenen religiösen und staatlichen Organisationsformen.

Positivistische Kongregationen wurden gegründet. Sonntagliche Treffen mit Zeremonien, die den Gottesdienst ersetzten, standen auf dem Programm und erweckten Misstrauen und Spott. Die Bewegung zeichnete sich durch den Ordnungsfanatismus und die Detailversessenheit ihres Gründers aus, ebenso wie durch eine prekäre Annäherung an genau das System, das sie ersetzen sollte und durch möglichst lückenlose Übernahme von Organisationsformen und Techniken ersetzen wollte: die katholische Religion, die gerade im naturwissenschaftsfreundlichen angelsächsischen Sprachraum nicht als Traditionsangebot in Frage kam. Eine spezielle Verehrung der Frau prägte den Positivismus. Für Comte, der seinen persönlichen Leidensweg am Ende in der Verehrung einer Frau fand, war die Frau das emotional höher entwickelte Wesen, das durch die ausgeprägtere Fähigkeit zum Mitgefühl prädestiniert war, die Kernaufgabe in der Familie wahrzunehmen.

„Ordem e Progresso“-Flagge Brasiliens

Brasilien erwies sich als die Nation, die dem Positivismus langfristig die größten Chancen bot, Fuß zu fassen. Das positivistische Motto "Ordem e Progresso" („Ordnung und Fortschritt“) taucht in der Flagge Brasiliens wieder auf. Der Positivismus entwickelte hier eine interessante Macht im politisch sozialen Gefüge als Ideologie, die sowohl dem Liberalismus nahe stand als auch soziale Gerechtigkeit forderte. Bis heute gibt es die Positivistische Gemeinde Brasiliens mit Tempeln in Rio de Janeiro, Curitiba und Porto Alegre. Liebe, Respekt und Anerkennung gegenüber Eltern und Vorfahren, den sozialen Institutionen, der Heimat und der Menschheit im Allgemeinen sind die Kernpunkte des Kultus.

Positivismus als erkenntnistheoretische Option

Die zunehmend religiöse Ausprägung des Positivismus stand der Auseinandersetzung mit seinen erkenntnistheoretischen Optionen zuweilen erheblich im Wege. Comte selbst litt im nachrevolutionären Frankreich unter politischen Repressalien mit seinem Angebot, gesellschaftliche Ersatzstrukturen aufzubauen. Im angelsächsischen Sprachraum bewarf man sich unter Wissenschaftlern bevorzugt mit dem Vorwurf des versteckten Positivismus: Eine subversive, dem Atheismus verpflichtete Religionszugehörigkeit breite sich hier aus. Daneben gab es abstruse Weltanschauungen.

Positivismus in den Geschichtswissenschaften

Zugkraft entwickelte der Positivismus auf dem Gebiet der Wissenschaften zuerst bei den noch jungen Geschichts- und Kulturwissenschaften. Das Spektrum reicht hier von Übernahmen des positivistischen Geschichtsmodells durch Literaturhistoriker wie Hippolyte Taine bis hin zu einer Geschichtswissenschaft, die sich beim Interpretieren von Fakten zurückhielt und damit den Vorwurf auf sich zog, über Materialsammlungen nicht mehr hinauszukommen, ein in Teilen der Germanistik des 19. Jahrhunderts verbreiteter Vorwurf. Hauptvertreter wurden hier Wilhelm Scherer (1841–1886) und seine Schüler (Richard Heinzel, Richard Meyer, Franz Muncker, Erich Schmidt) mit Arbeiten über Autorenbiographien und die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte einzelner literarischer Texte. Als Garanten einer umfassenden Materialbasis entstanden im Umfeld dieser Arbeiten faktenreiche historisch-kritische Texteditionen (namentlich zu Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder, Heinrich von Kleist) und ausgiebige Stoff- und Motivgeschichten. In den Geschichtswissenschaften wird bis heute von stärker an übergreifenden Theorien interessierten Forschern des Öfteren der Vorwurf erhoben, jene Gelehrten, die sich um eine plausible Rekonstruktion von Ereignissen und "Fakten" bemühten, seien bloße "Quellenpositivisten", deren Interpretationen zu oberflächlich blieben.

Rechtspositivismus

Der Rechtspositivismus, das Plädoyer für ein Recht, das sich ausschließlich auf die mit dem Gesetzgeber gegebene menschliche Legitimation beruft, hat eine eigene, weit vor den Positivismus Comtes zurückreichende Tradition. Ius positum, das „positive Recht“, war seit der Antike der Terminus für „gesetztes“ Recht (von lat. ponere setzen, positum gesetzt), das heißt ein nach Ermessen vom jeweiligen Gesetzgeber gesetztes Recht, wie etwa das Verwaltungsrecht. Es wurde weder mit einem Rückbezug auf das ius divinum, das göttliche Recht der Bibel legitimiert, noch über Naturrechte, also allen Menschen natürlich und gleichermaßen zukommende Rechte. Der Begriff erfuhr im Lauf des 19. Jahrhunderts eine Aufwertung als grundlegende Option der gesamten Rechtsbegründung, bei der es primär darum gehen sollte, das Zusammenleben nach Konsens im Staatswesen zweckmäßig zu organisieren. Die Setzungen erwiesen sich in der Rechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts als problematisch, als nach dem Zweiten Weltkrieg Richter sich für Rechtsprüche aus der Zeit des Nationalsozialismus verantworten mussten. Die grundlegende Option war die des Rechtspositivismus, der den Richter nicht zum Ausführenden eines höheren göttlichen Rechts macht, sondern anweist nach einer Rechtslage zu urteilen, für die sich der Staat verantwortlich zeichnet. Vertreter grundsätzlicher Menschenrechte sahen in der blinden Ausführung von Gesetzen eines Unrechtsregimes einen intrinsischen Widerspruch, hinter dem die Bereitschaft der Justiz sichtbar werde, sich instrumentalisieren zu lassen. Die Frage blieb, ob man an selber Stelle zu einer anderen Rechtsnorm zurückkehren wollte, nach der Richter nach eigenem Ermessen (im Blick auf eine ihnen höher erscheinende Rechtsnorm) gegen die Gesetze urteilen und damit Gesetze brechen dürfte. Vertreter des Rechtspositivismus bestehen in der Debatte darauf, dass keine Position als die des Rechtpositivismus sich stärker der Diskussion aussetzte und klarer Verantwortung erforderte – allerdings die Verantwortung der gesamten Gesellschaft für ihr Recht.

Positivismus als erkenntnistheoretische Option in den Naturwissenschaften

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Der Komplex bildlicher Empfindungen (der Einfachheit halber mit nur einem Auge gesehen). Erst eine Interpretation entscheidet, was eigener Körper sein soll und was Außenwelt. Abbildung aus Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen.

Größten Einfluss entfaltete der Positivismus als erkenntnistheoretische Option mit der Wende ins 20. Jahrhundert in den Naturwissenschaften. Er kam hier als eigene Position im Streit zwischen Empiristen und der Transzendentalphilosophie auf. Mehr oder weniger offen gingen die meisten Vertreter des klassischen Empirismus von einer materiellen Außenwelt aus, die auf die Sinnesorgane einwirkt und im menschlichen Bewusstsein Erkenntnisprozesse in Gang setzt. Dagegen wandten Vertreter der Transzendentalphilosophie ein, dass wir über „die Dinge an sich“ letztlich nichts sagen könnten – sie blieben jenseits der Sinneswahrnehmungen. Während sich auf marxistischer Seite der dialektische Materialismus formierte mit einem klaren Bekenntnis zur materiellen Außenwelt als dem Ausgangspunkt aller Prozesse (der Erkenntnisprozesse wie der historischen Prozesse), bezogen die Positivisten eine radikal empiristische Position, die den Transzendentalphilosophien ihre Kritik zugestand: Wir wissen letztlich nichts über die Außenwelt. Alles, worüber wir verfügen, sind Sinnesdaten. Diese interpretieren wir, wobei sich nun allerdings die Frage stellt, wie wir sie interpretieren.

Die positivistische Antwort auf diese Frage lautet: „denkökonomisch“, das heißt, ohne Instanzen und Wesenheiten unnötig ins Spiel zu bringen. Wenn sich die Sinnesdaten bereits mit der Annahme einer dreidimensionalen materiellen Außenwelt interpretieren lassen, dann ist es unnütz, ein komplexeres Modell mit Bereichen anzunehmen, die jenseits des Wahrnehmbaren verbleiben sollen und zur Vorhersagbarkeit von Ereignissen nichts beitragen. Die Wissenschaften sollen ein Beschreibungsmodell liefern und Prognosen erlauben. Deutlich zeigt sich die eigene Position der Positivisten zwischen Materialisten und Transzendentalphilosophen in der Frage, ob es Gott gibt. Man kann das mit dem Materialismus verneinen – hier gibt es nur Materie, und man kann sich an derselben Stelle, wenn man auf die Transzendenz verweist, einen Raum für die Existenz Gottes offen halten. Von Seiten des Positivismus lässt sich über die Transzendenz keine sinnvolle Aussage fällen: So wie Gott definiert ist, bleibt er stets außerhalb des zu Beschreibenden – der Sinnesdaten. Die gesamte Debatte um seine Existenz dreht sich aus Sicht des Positivismus um ein „Scheinproblem“.

Während der Positivismus sich aus der Perspektive der Religionen als wissenschaftlich ausgerichteter Agnostizismus erweist – als Position der Nichterkenntnis Gottes (nicht der Gottesleugnung der Atheisten), gestaltet sich auf der anderen Seite das Verhältnis zum dialektischen Materialismus des Kommunismus spannungsreich. Die von der deutschen Experimentalphysik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts vertretene Position, dass unsere gesamte Erkenntnis lediglich eine praktische Interpretation von Daten sei, wurde von Lenin persönlich 1908 mit einer Streitschrift gegen den „EmpiriokritizismusErnst Machs beantwortet. (Die gesamte Schrift ist eine lange Polemik, die viel dazu beitrug, dass der Positivismus im Ostblock als subversives Theorem betrachtet wurde, obwohl er weder religiös noch politisch war.)

Mach hatte im eigenen Lager der deutschen Physik mehr Einfluss, als ihm geheuer war – er blieb gegenüber der Relativitätstheorie skeptisch. Albert Einstein dankte ihm indes spät noch für die Theoreme, denen er bei der Formulierung seiner Theorie gefolgt sein will. Die moderne Physik musste, so Einstein, bereit sein, sich vom dreidimensionalen Raum wie von ihren Vorstellungen von der Materie zu trennen, wenn wissenschaftliche Daten ein anderes Beschreibungsmodell als das überschaubarere erwiesen. Das denkökonomischere, leichter berechenbare und bessere Prognosen erlaubende Modell war, wie Einstein nachweisen konnte, das eines vierdimensionalen Raums, in dem Materie und Energie ineinander überführbar sind. Den Wissenschaften könne es an dieser Stelle nicht um die Frage gehen, was die Wahrheit sei, sie müssten strikt ein Modell entwerfen, das es erlaubt, Vorhersagen über Messergebnisse zu machen; dabei seien sie verpflichtet, das mathematisch einfachste Modell zu wählen.

Logischer Empirismus, Neopositivismus und analytische Philosophie

Emil du Bois-Reymond, Heinrich Hertz und Ernst Mach (= Hauptvertreter des Empiriokritizismus) entwickelten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine weit in die Philosophie ausgreifende Wissenschaftstheorie. Im Wiener Kreis fand sie ihr prominentestes philosophisches Forum; in England rezipierte Bertrand Russell die Entwicklung. Mit Ludwig Wittgenstein stellte sich eine direkte Verbindung der Bereiche her.

Wittgensteins Veröffentlichungen betteten sich in das Diskussionsgefüge der Wissenschaftstheorie ein, verschoben jedoch den Blickpunkt auf die logischen Grenzen sinnvoller Aussagen.

Hatten die Positivisten des 19. Jahrhunderts die philosophische Debatte von den Dingen und den Sinneswahrnehmungen weg auf die Interpretation der Daten gelenkt, so konzentrierte sich die neue Debatte auf die Aussagen, in die jede Interpretation von Daten am Ende überführt werden muss.

Die erste Frage lautet hier: Woran kann man erkennen, ob eine Aussage sinnvoll ist? Die Antwort ist: Sie ist sinnvoll, wenn wir gleichzeitig wissen, bei welcher Befundlage wir sie für wahr oder unwahr erachten wollen. Ein medizinisches Handbuch notiert Sachverhalte: „Bei Krankheit vom Typ X ist folgendes der Fall.“ Bestätigt die Untersuchung den jeweiligen Sachverhalt mit einem positiven Befund, dann wird dieselbe Aussage zur Aussage über eine Tatsache: Der Patient leidet unter der Krankheit X.

Man kann an dieser Stelle einige logische und mengentheoretische Feststellungen treffen: Erstens: Die Menge der Tatsachen ist eine Teilmenge der sinnvoll formulierbaren Sachverhalte. Zweitens: Wir benötigen durchaus keine Empirie, um Sachverhalte sinnvoll zu formulieren. Wir können etwa formulieren, wann wir bei einem Patienten Beulenpest feststellen. Erreger der Erkrankung ist ein bestimmtes im Blut nachweisbares Bakterium, und das Handbuch notiert, wie der Nachweis gelingt. Das kann das Lehrbuch auch dann tun, wenn der Erreger gar nicht mehr existiert. Empirie benötigt man nicht, um sinnvolle Aussagen zu formulieren (man könnte Krankheiten definieren, die noch nie auftraten). Man benötigt Empirie lediglich, um festzustellen, ob etwa irgendwo gerade die Pest grassiert.

An dieser Stelle lässt sich in einer Analyse von Aussagen erwägen, wo das positivistische Projekt seine Grenzen hat. Aussagen über Kausalität und Moral lassen sich, wie Wittgenstein im Tractatus Logico-Philosophicus eingehender durchspielt, nicht als sinnvolle Sachverhaltsformulierungen auffassen. Wir können mit sinnvollen Aussagen formulieren, dass ein Gegenstand umfällt, wenn das von seinem Schwerpunkt aus herab hängende Lot außerhalb der Grundfläche fällt. Überführt man die wenn/dann Aussage, die die Beobachtungen sinnvoll beschreibt, in eine Kausalitätsaussage (in einen Satz mit „weil“) dann gewinnt er dadurch nicht mehr Sinn: Was ist anderes der Fall, wenn man behauptet, der Gegenstand kippe, „weil“ das Lot nicht mehr über der Grundfläche hänge? Man kommt mit sinnvollen Aussagen, wie das Beispiel zeigt, nicht über Beschreibungen hinaus.

Das zeigt sich nicht minder bei Aussagen, deren moralische Wahrheit grundsätzlich gegeben sein soll. „Du sollst nicht töten!“ – gibt es eine Untersuchung, die die grundsätzliche Wahrheit erweist? Und wie muss die Welt aussehen, falls dieser Satz grundsätzlich unwahr ist?

Der Erkenntnistheorie setzten sich in diesem Nachdenken Grenzen, über die mit Mengentheorie wie mit Aussagenlogik nachgedacht werden kann, und diese Grenzen erweisen sich als weit härter definierbar als die zuvor gegenüber Materialisten und Transzendentalisten im Blick auf die Dinge verteidigten.

Wittgenstein setzte die Erwägungen mit einem Nachdenken über den Spracherwerb und die Bedeutungskonstitution fort und entfalteten damit enormen Einfluss auf die Linguistik des 20. Jahrhunderts wie auf die Strömungen der Diskursanalyse der 1960er bis 1990er. Jean-François Lyotard knüpfte in seinen Analysen der Postmoderne an Wittgensteins spätere Überlegungen an.

Vertreter der französischen Theorieschulen des 20. Jahrhunderts gaben sich bis zu Michel Foucault, ohne sich auf die letzten Entwicklungen zu beziehen, wiederholt als Positivisten aus. Die Position erweist sich unter modernen Theoretikern, gerade als historisch kritisierte und in ihrer Radikalität suspekt gebliebene, als anhaltender Affront gegenüber linken wie rechten Lagern politischer und philosophisch-humanistischer Debatten.

Literatur

  • Bernhard Plé: Die „Welt“ aus den Wissenschaften. Der Positivismus in Frankreich, England und Italien von 1848 bis ins zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, eine wissenssoziologische Studie. Klett-Cotta, Stuttgart 1996, ISBN 3-608-91754-3
  • Jürgen Hauff: Methodendiskussion. Arbeitsbuch zur Literaturwissenschaft Teil 1: Positivismus, Formalismus - Strukturalismus, 5., erg. Aufl., Athenäum-Verlag, Frankfurt am Main, 1987, ISBN 3-610-02003-2
  • Pedro Goergen: Der Positivismus Auguste Comtes und seine Auswirkungen in Brasilien. Dissertation, Universität München, Fachbereich Philosophie, Wissenschaftstheorie u. Statistik, 1975
  • Leszek Kolakowski. Die Philosophie des Positivismus [1965], Piper Verlag München, 1971
  • Auguste Comte: Rede über den Geist des Positivismus [original: Discours sur l'esprit positif] übersetzt, eingeleitet und hrsg. von Iring Fetscher [=Philosophische Bibliothek, 468], Meiner Verlag Hamburg, 1994, ISBN 3-7873-1148-3

Siehe auch