Tierprozess

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Als Tierprozesse gelten gerichtliche Prozesse mit Tieren als Angeklagten in Europa vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. Davon ausgenommen sind Prozesse gegen Werwölfe.

Geschichte

Sanktionen für Vergewaltigung (Heidelberger Sachsenspiegel, 12 verso)

Bis ins 13. Jahrhundert wurden schädliche Tiere spontan aus Rache oder Prävention ohne gerichtliches Verfahren getötet. Damit wurde die „technische Kontrolle“, die Gewalt des Stärkeren, vollzogen und Mensch und Tier auf unterschiedlichen Stufen gesehen.[1] Ab dem 14. bis ins 17. Jahrhundert gab es gerichtliche Prozesse gegen Tiere, etwa gegen verwilderte Schweine, die Kinder angegriffen hätten, Hunde, Wölfe, Rinder oder Pferde, die sonst wie Schaden anrichteten. Sie konnten bei einer Verurteilung gehenkt, verbrannt, ertränkt, erwürgt oder lebendig begraben werden. Aber auch ein kirchliches Vorgehen mit Bann gegen massenhaft auftretende Schadinsekten wie Maikäfer war möglich, da diese – wie Sturm und Hagel – als teuflischer Versuch gewertet wurden, den Menschen zu schaden.[2] Manchmal, wie in Bern 1478, klagten die Bürger Maikäferlarven (Engerlinge) an und die Insekten erhielten tatsächlich einen Fürsprecher, der ihre Belange erklären sollte. Inwieweit man aber tatsächlich dachte, die Tiere hätten Verständnis für Anklage und Richterspruch, ist unklar.[3]

Wurde eine Frau trotz Hilferufs vergewaltigt, empfahl der Sachsenspiegel, alle bei der Tat anwesenden Tiere zu töten, da deren „unterlassene Hilfeleistung“ als Indiz für den Einfluss des Teufels gesehen wurde. Der dämonische Einfluss des Täters konnte sich sogar auf den Ort der Tat und die Gegenstände dort festsetzen, weshalb das Haus, in dem ein solches Verbrechen geschah, abgerissen werden sollte. Dies galt auch für eine Burg, in der ein Verbannter Zuflucht gefunden hatte, besonders jedoch für Gegenstände, die als beseelt angesehen wurden, wie etwa Glocken. Wurde eine missbraucht, um etwa Aufständische herbeizurufen, so konnte sie als verdorben zerschlagen werden.[2]

Hintergründe

Hintergründe solcher Auffassungen waren unter anderen die europäische Rezession, verstärkte Häretikerverfolgungen, Inquisition, Integrierung des Offizialprozesses, Folter zur Wahrheitsfindung und die Ausweitung der Leibesstrafen. Seit dem 14. Jahrhundert waren es die Jagd auf Leprose, Juden und Hexen.[1] Verstärkt wurden Tierprozesse in Frankreich geführt; auch in England und im Heiligen Römischen Reich fand eine Vielzahl von Prozessen statt. Weitere Länder waren zum Beispiel Italien, die Niederlande oder die Schweiz. In der frühen Neuzeit liefen sie parallel zu den Hexenprozessen. Die Anzahl der Opfer wird auf eine Zahl zwischen 150 und einigen Tausend Tieren geschätzt. Vielen blieb aus dieser Zeit ein schlechter Ruf, manche wurden auch mit Hexentum in Verbindung gebracht.[4]

Hinrichtungen von Tieren aus anderen Gründen

Bei aggressiven Wölfen wurde oft angenommen, es handele sich um Menschen in Tiergestalt. Ein Beispiel ist der um 1685 gehängte Wolf von Ansbach.[5]

Bei manchen Hinrichtungsarten fanden Tiere gemeinsam mit Menschen den Tod. Dies betrifft etwa die Judenstrafe (gemeinsam mit Hunden an den Füßen aufhängen) oder Strafen für Sodomie. Solche Vorgangsweisen dienten nicht nur zur Demütigung, sondern auch zur Verschärfung, da die Tiere den Menschen verletzten. Im Falle von Sodomie sollte mit dem Tier das Sakrileg aus der Welt geschafft werden und damit auch die Erinnerung an die Tat. Im letzteren Sinne ist wohl die altrömische Bestimmung zu verstehen, den Pflüger und die Ochsen Jupiter Terminus zu opfern, wenn diese einen Grenzstein umgepflügt hatten.[6]

Buch Exodus

Im Buch Exodus (Kapitel 19, Vers 12-13) spricht Gott zu Mose:

Darum zieh eine Grenze rings um das Volk und sage: Hütet euch, auf den Berg (Sinai) zu steigen oder auch nur sein Ende[7] zu berühren! Jeder, der den Berg berührt, muss getötet werden. (13) Keine Hand darf ihn berühren, denn sonst muss er gesteinigt oder erschossen[8] werden; ob Tier oder Mensch, er darf nicht am Leben bleiben. (2 Mos 19,12-13 ELB)

Falls das Tier den Tod eines Menschen verschuldet, ist in Kapitel 21, Vers 28-32 bestimmt:

Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau stößt, so dass sie sterben, dann muss das Rind gesteinigt werden, und sein Fleisch darf nicht gegessen werden; aber der Besitzer des Rindes soll straffrei bleiben. Falls jedoch das Rind schon vorher stößig war, und sein Besitzer ist gewarnt worden, hat es aber nicht verwahrt: Falls es dann einen Mann oder eine Frau tötet, soll das Rind gesteinigt und auch sein Besitzer getötet werden. Falls ihm aber ein Sühngeld auferlegt wird, so soll er als Lösegeld für sein Leben alles geben, was ihm auferlegt wird. Auch falls es einen Sohn oder eine Tochter stößt, soll mit ihm nach dieser Rechtsordnung verfahren werden. Falls das Rind einen Sklaven stößt, soll sein Besitzer ihrem Herrn dreißig Schekel Silber geben, das Rind aber soll gesteinigt werden. (2 Mos 21,28-32 ELB)

Literatur

Weblinks

Fußnoten und Einzelnachweise

  1. a b Peter Dinzelbacher: Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess. Magnus-Verlag. Essen 2006. ISBN 978-3-88400-504-0
  2. a b Wolfgang Schild – Die Geschichte der Gerichtsbarkeit, Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft 1997 (Sonderausgabe) ISBN 3-930656-74-4 S. 66 Lizenz von: Verlag Georg D. W. Callwey, München 1980
  3. Das fremde Mittelalter S. 145f.
  4. Peter Dinzelbacher: Animal trials. In: Journal of interdisziplinary history. 2002
  5. Wolfgang Schild – Die Geschichte der Gerichtsbarkeit, Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft mbH 1997 S. 67 ISBN 3-930656-74-4 Lizenz von Verlag Georg D. W. Callwey, München 1980 ISBN 3-7667-0782-5
  6. Peter Dinzelbacher: Das fremde Mittelalter – Gottesurteil und Tierprozess, Magnus Verlag 2006 S. 125ff Kapitel: Scheinbare Analogien – Tierstrafen und Werwolfsglaube.
  7. Fuß des Berges
  8. mit einem Pfeil oder Wurfgeschoss