Verfassung der Republik Ägypten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 18. September 2016 um 19:22 Uhr durch Mef.ellingen (Diskussion | Beiträge) (HC: Entferne Kategorie:Rechtsquele (21. Jahrhundert); Ergänze Kategorie:Rechtsquelle (21. Jahrhundert)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Basisdaten
Titel: Verfassung der Republik Ägypten
Art: Verfassung
Geltungsbereich: Ägypten
Rechtsmaterie: Verfassungsrecht
Erlassen am: 30. November 2012
Inkrafttreten am: 26. Dezember 2012
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Die ägyptische Verfassung von 2012 (arabisch دستور مصر) besteht seit dem 30. November 2012. Nach der Revolution 2011 bestand ab dem 30. März 2011 eine Übergangsverfassung;[1] bis dahin galt die mehrfach überarbeitete Verfassung von 1971.

Die Verfassung Ägyptens wurde am 3. Juli 2013, mit der Absetzung des Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär, bis auf weiteres außer Kraft gesetzt.[2]

2014 trat nach einem Verfassungsreferendum eine neue Verfassung in Kraft.

Verfassung von 1971

Die Verfassung wurde durch ein Verfassungsreferendum 1971 angenommen. Als Präsident Husni Mubarak am 11. Februar 2011 durch heftige Proteste der ägyptischen Bevölkerung zum Rücktritt gezwungen wurde, übernahm der Oberste Rat der ägyptischen Streitkräfte unter Führung von Mohammed Hussein Tantawi in Zusammenwirken mit dem Obersten Verfassungsgericht die Macht. Außer Tantawi gehören dem 18-köpfigen Militärrat die Oberbefehlshaber der Teilstreitkräfte und einige andere hohe Offiziere an.[3] In Folge veröffentlichte der Militärrat mehrere Erklärungen, in denen er seine Vorstellungen über den politischen Wandel konkretisierte.[4] In einer der ersten Erklärungen am 11. Februar 2011 hieß es:

Der seit 1981 permanent geltende Ausnahmezustand sollte, sobald die Situation es gestatte, aufgehoben werden, Wahlen sollten wieder durch die Justizbehörden überwacht werden. Die Verfassung sollte überarbeitet werden, so dass freie und faire Präsidentschaftswahlen abgehalten werden könnten.[5][6]

Am 13. Februar 2011 löste der Oberste Militärrat das unter Mubarak gewählte Parlament (Volksversammlung und Schura-Rat) auf und setzte die bis dahin geltende Verfassung außer Kraft. Neue Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollten in spätestens 6 Monaten stattfinden. Die schnelle Außerkraftsetzung der bis dahin geltenden Verfassung war nötig, da sonst innerhalb von 60 Tagen nach dem Rücktritt des Präsidenten Neuwahlen hätten angesetzt werden müssen. So Art. 84 der bis dahin geltenden Verfassung.[7][8][9]

Übergangsverfassung 2011 bis 2012

Für die Ausarbeitung der Verfassungsänderungen setzte die Militärführung ein achtköpfiges Komitee ein. Binnen zehn Tagen sollte das Komitee einen Entwurf für ein neues Grundgesetz vorlegen, über den dann in einem Referendum abgestimmt werden sollte.[10] Den Vorsitz führte der ehemaligen Richter Tariq al-Bischri. Keiner der Mitglieder gehörte dem elfköpfigen Komitee an, das noch von Mubarak kurz vor seinem Abgang mit einer Überarbeitung der Verfassung betraut worden war.[11][12]

Die Möglichkeiten des Komitees wurden allerdings durch die Militärführung von vornherein stark begrenzt. Es sollte keine vollständig neue Verfassung erarbeitet werden. Lediglich sechs Artikel (der bisher geltenden Verfassung) sollten/durften überarbeitet werden. Bei fünf Artikeln (Art. 76, 77, 88, 93 und 189) ging es um die Modalitäten der Präsidentenwahl. Artikel 179 sollte verändert/gelöscht werden, weil damit im Namen des Antiterrorkampfes grundlegende in der Verfassung garantierte bürgerliche Rechte (Art. 41 – Individuelle Freiheit, Schutz vor willkürlichen Verhaftungen, Einschaltung richterlicher Beurteilung, Art. 44 – Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 45 – Wahrung der Privatsphäre, Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses) ausgesetzt werden konnten. Zudem konnte der Präsident nach Art. 179 frei entscheiden, vor welchem Gericht (Zivil-, Militär- oder Sonder-/Staatssicherheitsgericht) der Fall eines Verdächtigen verhandelt werden sollte.[13][7]

Die durch das Komitee vorgenommenen Änderungen an der Verfassung wurden am 4. März 2011 der ägyptischen Öffentlichkeit vorgestellt. Am 19. März wurde in einem Referendum darüber abgestimmt und die derart geänderte Verfassung von der Bevölkerungsmehrheit gebilligt. Am 30. März wurde die Übergangsverfassung durch den Militärrat offiziell in Kraft gesetzt.

Verfassung von 2012

Ab April 2012 wurde von einer Verfassunggebenden Versammlung, in der Muslimbrüder und Salafisten eine Mehrheit der 100 Sitze haben, die neue Verfassung erstellt. Die neue Verfassung wurde in einem Referendum am 15. und 22. Dezember 2012 von der ägyptischen Bevölkerung mit 64 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 33 % angenommen. Präsident Mursi setzte sie am 26. Dezember per Unterschrift in Kraft. Die Verfassung wird jedoch von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch kritisiert, da der Kern der Rechte (wie Frauenrechte oder die religiösen Minderheiten) durch Einschränkungen und vage Formulierungen zerstört wird.[14] Viele Nichtregierungsorganisationen betrachten die neue Verfassung als schlechter denn alle bisherigen Verfassungen.[15]

Die neue Verfassung enthält einige aus der Verfassung von 1971 übernommene Passagen, wurde jedoch in manchen Punkten stark geändert.[16] Sie stellt eine Abkehr vom Präsidialsystem dar, indem sie die Macht des Präsidenten zugunsten des Parlaments beschränkt.[16] Des Weiteren werden die Befugnisse des Militärs beschnitten, die Versammlungs- und Pressefreiheit gestärkt und die Inhaftierung ohne richterlichen Beschluss verboten.[16] Dennoch erntete die Verfassung bei der Opposition und im Ausland teils heftige Kritik, da sie stark islamisch geprägt sei und die Rechte von Frauen und Minderheiten nicht ausreichend schütze.[17] Unter anderem räumt die neue Verfassung religiösen Gelehrten der al-Azhar-Universität eine wichtige Stellung im Gesetzgebungsprozess ein und garantiert Religionsfreiheit nur für Muslime, Christen und Juden.[16] Zudem wurde eine Passage aus der Verfassung von 1971 beibehalten, welche die Scharia zur wichtigsten Grundlage des Rechts erklärt.[18] Schließlich werden Bedenken geäußert, die Nennung vage formulierter moralischer und sozialer Grundsätze, die der Staat zu schützen habe, könnte zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Grundrechtsbeschränkungen missbraucht werden.[19]

Bei einer genaueren Betrachtung und einem Vergleich der neuen ägyptischen Verfassung von 2012 mit der Verfassung von 1971 kann jedoch festgehalten werden, dass durch die neue Verfassung im Gegensatz zur Verfassung von 1971 der Weg zu Absolutismus und Alleinherrschaft versperrt wird. Vor allem, weil der Präsident nur für vier Jahre statt sechs Jahre gewählt wird und nur einmal wiedergewählt werden kann. Die Erfahrungen in Ägypten und anderer arabischer Länder nach deren Unabhängigkeit zeigt, dass die Herrscher nie abtreten wollen und die Republiken an ihre Kinder vererben wollen. Nach den älteren Verfassungen war es auch kaum möglich, dass eine Person ernsthaft gegen den amtierenden ägyptischen Präsidenten antritt. Es gibt aber auch mehrere strittige Punkte in der ägyptischen Verfassung von 2012. Vor allem wurde Art. 2 der ägyptischen Verfassung von 2012 stark kritisiert. Er lautet: „Der Islam ist die Staatsreligion und die arabische Sprache ist die offizielle Sprache und die Grundsätze der Scharia sind die Hauptquelle der Gesetzgebung“. Den gleichen Wortlaut gab es jedoch auch in der ägyptischen Verfassung von 1971, in der 1980 geänderten Form sowie in allen Übergangsverfassungen, die nach der ägyptischen Revolution vom ägyptischen Militär erlassen wurden. Dieser Artikel kommt ursprünglich nicht von den Muslimbrüdern oder den Salafisten, sondern von Al-Sadat, der das Friedensabkommen mit Israel unterschrieben hatte und dafür mit seinem Leben bezahlte. Neu in der Verfassung von 2012 ist Art. 4. Demnach wird Al-Azhar in Angelegenheiten, die die islamische Scharia betreffen, befragt. Auch der Hintergrund oder Ursprung dieses Artikels kommt nicht von den Muslimbrüdern oder den Salafisten, sondern von der Opposition. Die Opposition argumentierte oft, dass sie auch Muslime und nicht gegen die Scharia seien, sondern gegen die Auslegung der Scharia der Muslimbrüder und der Salafisten. Sie seien aber nicht gegen die Auslegung der Scharia der gemäßigten Al-Azhaar-Institution. Kritisiert wird auch Art. 81. Demnach sollen die Grundrecht und Freiheiten nicht in Widerspruch mit Kapitel 1 der Verfassung stehen. Zu Kapitel 1 gehört Art. 2 der ägyptischen Verfassung. Allerdings waren in der alten Verfassung von 1971 auch die Rechte der Frauen im Rahmen der islamischen Scharia vorgesehen (Art. 11 alte Verfassung).[20]

Kurz nach dem Umsturz in Ägypten 2013 wurde die Verfassung außer Kraft gesetzt. Der Übergangspräsident Adli Mansur erklärte, dass in einem Referendum über eine Änderung der islamistisch orientierten Verfassung abgestimmt werde. Dies soll noch vor den Parlamentswahlen stattfinden.[21]

Verfassung von 2013

Anfang Dezember 2013 legte der eingesetzte „Rat der 50“ einen neuen Verfassungsentwurf vor. Die Volksabstimmung zu der neuen Verfassung erfolgte am 8. und 12. Januar 2014. Die Verfassung garantiert den Menschen in Ägypten mehr Rechte, so wird Frauen die Gleichberechtigung und Kindern sowie vernachlässigten Bevölkerungsgruppen wie den oberägyptischen Nubiern der Schutz des Staates garantiert. Mehr Autonomie erhalten die Kopten und die Juden, zudem wird Folter sowie Menschenhandel verboten. Auch wird die Versammlungsfreiheit und die Pressefreiheit garantiert. Die Scharia als Quelle des Rechts gilt deutlich weniger als zuvor. Des Weiteren wurde der Abschnitt bezüglich der Strafandrohung bei Blasphemie gegen Mohammed gestrichen. Parteien auf „religiöser Grundlage“ werden nicht mehr zugelassen, islamische Rechtsgelehrte haben keine Entscheidungsgewalt über die Gesetzgebung. Die Normenkontrolle wird vom Obersten Verfassungsgericht wahrgenommen.[22] Die neue Verfassung wurde bei einer Beteiligung von 38,6 % der Wahlberechtigten mit 98,1 % der abgegebenen Stimmen angenommen.[23]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Übergangsverfassung: Ägypter sollen im Herbst neuen Präsidenten wählen. In: Spiegel online. , abgerufen Format invalid.
  2. Putsch in Kairo: Ägyptens Militär stürzt Mursi Spiegel Online, 3. Juli 2013, abgerufen am 3. Juli 2013.
  3. Regierung Ägypten: Formation of the Armed Forces Supreme Council
  4. Statements of the Supreme Council of the Armed Forces
  5. Oberster Rat der ägyptischen Streitkräfte 11. Februar 2011: Statement of the Supreme Council of the Armed Forces (2)
  6. Frankfurter Rundschau-Online 13. Februar 2011: Nach den Unruhen: Das neue Ägypten
  7. a b Ägyptische Regierung. Mitteilung: Suspension of the Constitution
  8. Frankfurter Rundschau-Online 14. Februar 2011: Armee löst Parlament auf: Ägypten räumt auf
  9. taz 16. Februar 2011: Das neue Tahrir-Bewusstsein
  10. Spiegel-Online 14. Februar 2011: Militärrat stellt rasches Referendum in Aussicht
  11. taz 15.Februar 2011: Neue Verfassung ist auf dem Weg.
  12. Handelsblatt 9. Februar 2011: Überarbeitung der Verfassung: Für Ägyptens Armee steht viel auf dem Spiel
  13. Übersetzung neue ägyptische Verfassung - kriegsberichterstattung.com vom 2. Dezember 2012, abgerufen am 28. Dezember 2012
  14. Human Rights Watch kritisiert ägyptischen Verfassungsentwurf. Abgerufen am 15. Oktober 2012.
  15. Egyptian Constituent Assembly close to finalizing constitution
  16. a b c d Neue ägyptische Verfassung – Mehr Grundrechte und mehr Religion, FAZ online, 23. Dezember 2012 (abgerufen am 26. März 2013)
  17. Ägypter geben sich islamisch geprägte Verfassung, Süddeutsche Zeitung, 25. Dezember 2012 (abgerufen am 19. Januar 2013)
  18. Islamisten stimmen für Scharia als Rechtsgrundlage in Ägypten, Zeit online, 29. November 2012 (abgerufen am 26. März 2013)
  19. Ägypten: Kein Kompromiss in Sicht – Nach dem Verfassungsreferendum stehen sich Islamisten und Oppositionskräfte weiter unversöhnlich gegenüber, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., 19. Dezember 2012 (abgerufen am 26. März 2013)
  20. Bammarny, Bawar, The New Egyptian Constitution of 2012, Arab Law Quarterly (Brill), Volume 27 (2013) Issue 3.
  21. http://www.welt.de/politik/ausland/article117853481/Aegyptens-Verfassung-wird-vor-Neuwahl-ueberarbeitet.html
  22. Mehr Militär, weniger Religion: Ägypten stimmt ab. Abgerufen am 14. Januar 2014.
  23. http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/4145936/98-1-prozent-stimmen-mit-ja.html