Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

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Fall

Mutter M geht mit ihrer sechs Jahre alten Tochter T im Gemüseladen des G einkaufen. T rutscht auf einem Salatblatt aus und bricht sich das Bein.[1]

Allgemeines

Das Rechtsinstitut des VSD ermöglicht es, dass auch ein Dritter, der nicht selbst Vertragspartei ist oder werden soll, in den Genuss der schützenden Wirkung von Vertragspflichten kommt und aus diesen einen selbständigen Anspruch herleiten kann.[2] Statt VSD erscheint die Abkürzung SSD[3] im Grunde genommen passender, da sich die Anwendbarkeit dieses Rechtsinstituts auch auf vorvertragliche Schuldverhältnisse erstreckt.[4]

Dogmatik

Hinsichtlich der Herleitung des Anspruchs des Dritten aus dem VSD bestehen vier unterschiedliche Rechtsauffassungen.

Möglichkeit 1

§§ 133, 157, 328 Abs. 2 BGB - ergänzende Vertragsauslegung

Möglichkeit 2

§ 242 BGB - Treu und Glauben

Möglichkeit 3

§ 311 Abs. 3 S. 1 BGB

Möglichkeit 4

§ 328 Abs. 1 direkt/ analog - Vertrag zugunsten Dritter

Letztlich muss dieser Streit nicht entschieden werden, da die Voraussetzungen nach allen Auffassungen dieselben sind.

Voraussetzungen[5]

Leistungsnähe

Der Dritte muss mit der (Haupt-) Leistung des Schuldners in Berührung kommen und aufgrund dessen dem Risiko einer etwaigen Pflichtverletzung desselben gleichermaßen ausgesetzt sein wie der Gläubiger.

Gläubigerinteresse

Aufseiten des Gläubigers muss ein persönliches schützenswertes Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des (vor-) vertraglichen Schuldverhältnisses gegeben sein.

Alte Rechtsprechung

Es muss zumindest eine teilhabende Pflicht des Gläubigers sein, für Wohl und Wehe des Dritten zu sorgen.[6]

Neue Rechtsprechung

Heutzutage wird es als ausreichend angesehen, wenn sich durch Auslegung ergibt, dass der Gläubiger in Bezug auf den Dritten vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen hat und deshalb an einer vertragsmäßigen Leistung des Schuldners besonders interessiert ist.

Erkennbarkeit für Schuldner

Die betroffene Personengruppe muss übersichtlich und in ihrem Umfang begrenzt sein. Nur so ist es dem Schuldner möglich, Gefahren bestimmt zu beurteilen und sie weitestgehend zu verringern.

Schutzbedürftigkeit des Dritten

Der Dritte darf keine eigenen vertraglichen Ansprüche haben. Hierbei spielt es keine Rolle, gegen wen sich die Ansprüche richten würden; entscheidend ist allein, ob diese jedenfalls den gleichen Wert aufweisen wie derjenige, der dem Dritten aus dem VSD zusteht. In der Regel ist hier eine Prüfung von eigenen vertraglichen Ansprüchen bereits im Vorfeld erfolgt, weshalb man regelmäßig nach oben verweisen kann.

Ansprüche aus den §§ 823 ff. BGB sind keine gleichwertigen Ansprüche.[7]

Kurzlösung des Falles

Beispiel für einen Obersatz

T kann gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von [...] aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen M und G, §§ 280 Abs. 1 S. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte haben.

Leistungsnähe

T ist den Risiken des Einkaufs ebenso ausgesetzt wie die denkbare Vertragspartei M.

Gläubigerinteresse

T ist Ms Tochter.

Erkennbarkeit für Schuldner

T ist in Begleitung der M.

Schutzbedürftigkeit des Dritten

T hat keinen Anspruch, der den gleichen rechtlichen Wert aufweist wie der aus dem VSD.

Ergebnis

T hat - im Falle der Verletzung von Obhuts- und Schutzpflichten - einen Schadensersatzanspruch gegen G.

Häufige Fehler

In Klausuren liest man oft: "Sind die Voraussetzungen des VSD gegeben, erhält der Dritte auf der Rechtsfolgenseite einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Schuldner." Allein dieser eine Satz beinhaltet zwei bedeutsame Unrichtigkeiten.

Fehler 1

Der VSD begründet - wie bereits gesehen - vertragliche Obhuts- und Schutzpflichten in der Person des Dritten. Die Rechtsfolge liegt folglich in einem Recht des Dritten gegen den Schuldner auf Beachtung der Gebote von Obhut und Schutz. Dies ergibt sich schon aus § 194 Abs. 1 BGB und entstammt dem Grundsatz "Was des einen Pflicht ist, ist des anderen Recht". Nur das kann Rechtsfolge sein. Erst wenn diese Pflichten verletzt werden, erwächst dem Dritten hieraus ein Anspruch auf Schadensersatz. Und darin besteht auch

Fehler 2

Liest man "Auf der Rechtsfolgenseite hat der Dritte einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Schuldner" unvoreingenommen, könnte man auf die Idee kommen, dass auch ein etwaiger Umkehrschluss zutrifft: Sind die Voraussetzungen des VSD nicht gegeben, hat der Dritte keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Schuldner. Das stimmt so nicht. Vom VSD unabhängig bestehen mit großer Wahrscheinlichkeit Ansprüche aus Gesetz, z. B. § 823 Abs. 1 BGB.[8] Korrekt ist es demnach, festzustellen, dass bei Verletzung der Obhuts- und Schutzpflichten des Schuldners der Dritte einen vertraglichen (!) Sekundäranspruch auf Schadensersatz zugesprochen bekommt.

Nun drängt sich dem Leser womöglich die Frage auf, worin denn überhaupt die Problematik des "Salatblattfalles" liegt: Warum das Konstrukt des VSD erschaffen, wenn der Geschädigte auch einfach aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Schädiger vorgehen und so seinen Schaden liquidieren kann? Die Antwort ist simpel: Das wirkliche Heikle besteht in der Tatsache, dass regelmäßig ein Angestellter des Schuldners die Pflichtverletzung begangen hat, der Dritte seinen Anspruch jedoch gegen den Schuldner geltend macht. Der Geschäftsherr wird sich fast immer gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren können, während dies im Rahmen der §§ 280 Abs. 1, 278 S. 1 BGB so gut wie nie funktioniert.

Wissenswertes

Sollte im Verhältnis Gläubiger - Schuldner eine Haftungsmodifikation vereinbart sein, kann letzterer diese genauso gegenüber dem Dritten einwenden. Diesem dürfen schließlich nicht mehr Rechte zukommen als dem eigentlichen Vertragspartner.[9]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. BGHZ 66, S. 57.
  2. Diese Erweiterung vertraglicher Verantwortlichkeit, die dem Dritten zugutekommt, bedeutet zugleich eine Ausnahme von der Relativität der Schuldverhältnisse.
  3. SCHULDVERHÄLTNIS mit Schutzwirkung für Dritte.
  4. Und zwar i. V. m. den Grundsätzen über die cic, § 311 Abs. 2 BGB.
  5. Merke: vier Herleitungsmöglichkeiten - vier Prüfungspunkte.
  6. Sog. Schuldverhältnisse mit personenrechtlichem Einschlag - insb. im Miet-, Familien und Arbeitsrecht. Sind diese eingen Voraussetzungen gegeben, kommt es auf eine Prüfung jener Voraussetzungen, die die neue Rechtsprechung aufgestellt hat (s. u.), gar nicht erst an.
  7. Die Rechtsprechung geht sogar davon aus, dass, selbst wenn unterschiedliche vertragliche Ansprüche gegen personenverschiedene Schädiger bestehen, die Schutzbedürftigkeit gegeben ist.
  8. Also aus Delikt (Verschulden erforderlich).
  9. Rechtsgedanke § 334 BGB.

Weblinks