Werckmeister-Stimmung

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Andreas Werckmeister veröffentlichte 1681 und 1691 die ersten Beschreibungen verschiedener wohltemperierter Stimmungen. Diese ersetzten nach und nach die damals vorherrschende mitteltönige Stimmung und ermöglichten den Musikern damit das Spiel in sämtlichen Tonarten.

Stimmungen

Die Zählung der Werckmeisterschen Temperaturen (Stimmungen) beginnt in seinem wichtigsten Werk „Musicalische Temperatur“ (1691) bei Nr. III, da er die reine Stimmung (I) und die mitteltönige Stimmung (II) seinen eigenen Temperaturentwürfen III-VI gegenüberstellt. Gelegentlich werden diese in der Literatur mit den Nummern I-IV bezeichnet (siehe Weblinks),[1] häufiger jedoch mit der originalen Zählung.

  • Die Stimmung Nr. III (oft einfach Werckmeister-Stimmung) ist die bekannteste und die einzige, die häufige Anwendung gefunden hat. Bei dieser Temperatur wird das pythagoreische Komma in vier gleiche Teile zerlegt, indem die Quinten C-G, G-D, D-A und H-Fis um ein viertel pythagoreisches Komma kleiner gemacht werden. Alle anderen Quinten sind rein (mit einem Frequenzverhältnis von 2:3).
  • Bei der Stimmung Nr. IV werden die fünf Quinten C-G, D-A, E-H, Fis-Cis und B-F um ein Drittel pythagoreisches Komma verkleinert. Die zwei Quinten Gis-Dis und Es-B werden um ein Drittel pythagoreisches Komma vergrößert. Die Quinten G-D, A-E, H-Fis, Cis-Gis und F-C sind rein.
  • Bei Nr. V werden die fünf Quinten D-A, A-E, Fis-Cis, Cis-Gis und F-C um ein Viertel pythagoreisches Komma verkleinert. Die Quinte gis-dis wird um ein Viertel pythagoreisches Komma vergrößert. Alle anderen Quinten sind rein.
  • Bei Nr. VI teilt man das pythagoreische Komma in sieben Teile. Man verkleinert die drei Quinten C-G, B-F und H-Fis um ein Siebentel, die Quinte fis-cis um zwei Siebentel und G-D um vier Siebentel des pythagoreischen Komma. Die Quinten D-A und Gis-Dis werden um ein Siebentel vergrößert.

Die vier Temperaturen sind alle ungleichstufig, weisen also jeweils unterschiedlich große Quinten und unterschiedlich große Terzen auf. Das individuelle Intervallgefüge führt zu einer Tonartencharakteristik, bei der die gebräuchlichen Tonarten reiner als die im Quintenzirkel weiter entfernten klingen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts herrschte hingegen die Meinung vor, die Werckmeister-Stimmung – und ebenso die wohltemperierte Stimmung – sei mit der gleichstufigen Stimmung identisch. Der Begriff „Werckmeister-Stimmung“ wird heutzutage in der Regel mit Stimmung Nr. 3 gleichgesetzt. Die von Werckmeister in seinem letzten Werk „Musicalische Paradoxal-Discourse“ befürwortete gleichstufige Stimmung wird aus Gründen der besseren Unterscheidbarkeit nicht zu den „Werckmeister-Stimmungen“ gezählt.

Bedeutung

Anders als lange Zeit angenommen, waren Werckmeisters Stimmungen nicht die ersten Stimmungen, die ein Spiel in allen Tonarten ermöglichten. So hatte beispielsweise der Orgelbauer Christian Förner schon vor Werckmeister Orgeln modifiziert mitteltönig ohne Wolfsquinte oder wohltemperiert gestimmt.[2] Der Förner-Schüler Zacharias Thayßner erbaute 1677–1682 eine Orgel in der Stiftskirche St. Servatii in Quedlinburg, wo Werckmeister als Organist tätig war, und versprach im Vertrag 1677 eine in allen Tonarten brauchbare Temperatur.[3] Werckmeister ersann nachfolgend von Förners Stimmung abweichende Stimmverfahren und beschrieb sie theoretisch. Sie stellen Schritte dar auf dem Weg von der mitteltönigen Stimmung hin zu nicht gleichstufigen „guten“ Stimmungen und schließlich auch zur gleichstufigen Stimmung. Die Einführung wohltemperierter Stimmungen gab den Spielern viel weitergehende Flexibilität in der Wahl der Tonarten, als es mit der mitteltönigen Stimmung möglich war. Auch wenn bald andere Autoren mit feineren Stimmungsvarianten (z. B. Johann Georg Neidhardt, Georg Andreas Sorge) auf den Plan traten und Werckmeisters Stimmungen selbst möglicherweise gar nicht so sehr verbreitet waren, zeigt doch das häufige Zitieren seiner Werke die Verbreitung seiner Ideen. Johann Sebastian Bachs Bezeichnung „Das Wohltemperirte Clavier“ kann als Anspielung auf Werckmeisters Titel von 1681 „Orgel-Probe oder kurtze Beschreibung … wie … ein Clavier wohl zu temperiren … sey“ gesehen werden, denn der übliche Begriff für die nicht gleichstufigen Stimmungen war damals nicht „wohltemperirte Stimmung“, sondern „Gute Temperatur“.

Literatur

  • Andreas Werckmeister: Orgel-Probe oder kurtze Beschreibung … wie durch Anweiss und Hülffe des Monochordi ein Clavier wohl zu temperiren und zu stimmen sey…. Frankfurt am Main und Leipzig, 1681.
  • Andreas Werckmeister: Musicae mathematicae hodegus curiosus oder Richtiger Musicalischer Weg-Weiser. Frankfurt am Main und Leipzig, 1687, Reprografischer Nachdruck ISBN 3-487-04080-8.
  • Andreas Werckmeister: Musicalische Temperatur, oder deutlicher und warer mathematischer Unterricht. Frankfurt am Main und Leipzig, 1691 Reprint 1997 ISBN 3-932090-12-8.
  • Andreas Werckmeister: Musicalische Paradoxal-Discourse. Calvisius, Quedlinburg 1707 (Digitalisat).

Weblinks

Belege

  1. So auch Herbert Kelletat: Zur musikalischen Temperatur. I. Johann Sebastian Bach und seine Zeit. 2. Auflage. Merseburger, Berlin 1981, ISBN 3-87537-156-9, S. 28–30.
  2. Johann Caspar Trost: Ausführliche Beschreibung deß Neuen Orgelwercks Auf der Augustus-Burg zu Weissenfels. Nürnberg 1677, S. 37 (online); Faksimile in: Acta Organologica. 27, 2001, S. 36–108.
  3. Vertragstext abgedruckt in Klaus Beckmann: Die norddeutsche Schule, Teil II Blütezeit und Verfall 1620–1755. Mainz: Schott S. 104–106.