Werner-Bonhoff-Stiftung

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Werner-Bonhoff-Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts mit Sitz in Berlin.

Hintergrund

Die Stiftung wurde von Elsbeth Bonhoff im Andenken an ihre beiden vor ihr verstorbenen Kinder im Jahr 2002 errichtet. Der Unternehmer Werner Bonhoff kam im Jahr 2000 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seine Schwester Erika wurde am 1. November 1980 im Berliner Mode-Geschäft ihres Bruders Werner Opfer eines Raubmordes. Vor diesem tragischen Hintergrund legte die Stiftung ihre Schwerpunkte fest: Gewaltprävention und unternehmerische Berufsbildung. Die Werner-Bonhoff-Stiftung ist aufgrund des Nachlasses von Werner Bonhoff völlig unabhängig. Sie wird durch den geschäftsführenden Vorstand geführt, der vom Kuratorium beraten und kontrolliert wird.

Im Kuratorium der Stiftung seit 2002: Peter Dussmann (von 2005 bis 2008), Günther Jauch (2008–2010), Werner Gegenbauer (von 2002 bis 2003), Christian Grün (seit 2002), Walter Purschke (seit 2002), Till Bartelt (2002–2005). Kaufmann und Wirtschaftsprüfer Klaus Schroeter war Testamentsvollstrecker über den Nachlass von Werner Bonhoff und erster geschäftsführender Vorstand und gehört seit 2006 dem Kuratorium an. Till Bartelt führt die Werner-Bonhoff-Stiftung seit 2005 als geschäftsführender Vorstand.

„bureaucratic transparency“

Unter dem Leitmotiv „bureaucratic transparency“ befähigt die Werner-Bonhoff-Stiftung unternehmerische Menschen, aus den Bürokratismus-Erfahrungen Anderer zu lernen. Sie würdigt herausragende Fälle seit 2006 mit dem „Werner-Bonhoff-Preis wider den §§-Dschungel“. Weitere Fälle stellt sie in ihrer Online-Fallsammlung zur Verfügung und fördert entsprechenden Erfahrungsaustausch in ihrer Bonhoff-Börse. Wissenschaftlich fundiert wurde die Initiative durch ein parallel laufendes Forschungsprojekt. Mit dem Mitmach-Projekt leistet die Stiftung auch einen Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der Verwaltung. Sie aktiviert Bürger dazu, durch ihre Schilderungen Verbesserungsprozesse „von unten nach oben“ in Gang zu setzen (bottom-up) und einen eigenen Beitrag zur Verbesserung zu leisten. Mittel- und langfristig entsteht dadurch eine transparente Fehlerkultur.

Das Forschungsprojekt der Stiftung an der Humboldt-Universität zu Berlin lief von 2005 bis 2012, seit 2007 unter der Leitung von Gunnar Folke Schuppert. Gemäß den Erkenntnissen durch Auswertung der eingehenden Fälle sind Schwerpunkte der Bürokratie-Kritik aus der Praxis eine mangelnde Problemlösungsorientierung der Verwaltung sowie die große Zahl unübersichtlicher verselbständigter Bürokratien in Deutschland, die insbesondere Kleinunternehmer mit ihren Anforderungen stark belasten und zuweilen überfordern.

Mit ähnlichem Ansatz hat die Stiftung 2010 auch das Projekt Nach-der-Tat gestartet. Sie hat aus Schilderungen von Gewalt betroffenen Jugendlichen erfahren, wie die Schulen und andere staatliche Stellen auf Gewaltvorfälle reagiert haben. Demnach benötigen die Behörden und staatlichen Institutionen, wie Schulen und Jugendamt oder Justiz, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben Ansporn und Förderung, sowie Kontrolle durch Menschen vor Ort, die auf Lösung drängen. Die Reaktionen auf Gewaltvorfälle müssen frühzeitig, sichtbar und wirksam erfolgen, damit der Rechtsstaat kein Vertrauen einbüßt. Aufgrund des Gewaltmonopols des Rechtsstaats konzentriert sich die Verbesserungsstrategie der Stiftung darauf, Betroffene anzuleiten, die jeweiligen staatlichen Stellen anzuspornen, zu fördern und zu kontrollieren. Hierzu aktiviert sie die Menschen vor Ort, auf Probleme hinzuweisen (auch aus dem Verborgenen heraus) und auf deren Lösung hinzuwirken.

In beiden Mitmach-Projekten bietet die Werner-Bonhoff-Stiftung Betroffenen die Infrastruktur und Anleitung, konkret fundierte Kritik aus dem jeweiligen Einzelfall zu leisten und damit zur Verbesserung beizutragen.

Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel

Leuchtturm des Projekts „bureaucratic transparency“ ist die jährliche Verleihung des „Werner-Bonhoff-Preis wider den §§-Dschungel“. Bürokratismus-Schilderungen von besonderer Strahlkraft werden seit 2006 jährlich mit 50.000 Euro Preisgeld und öffentlicher Ehrung gewürdigt. Die Stiftung lobt den Preis aus, um unternehmerische Menschen zur Schilderung ihrer Praxis-Fälle zu gewinnen und damit bürokratiekritisches Engagement zu fördern.

Zu den bisherigen Preisträgern gehört Günther Jauch. Er wurde im Jahr 2008 mit dem „Werner-Bonhoff-Preis wider den §§-Dschungel“ ausgezeichnet für seine hartnäckige sachliche Kritik an der Praxis des Denkmalschutzamtes der Stadt Potsdam. Sein beharrliches Engagement führte zur Umstrukturierung und Verbesserung der Behörde durch die in Deutschland einmalige Einrichtung einer Clearing-Stelle bei einer Denkmalschutzbehörde und wirkt dadurch über seinen Einzelfall hinaus. Von weitreichender Bedeutung für die Ziele der Stiftung sind auch die Fälle der weiteren Preisträger:

  • Hans-Wolff Graf (2006) spart mit seinem unkonventionellen Selbständigenmodell nicht nur Kosten und Arbeit, sondern inspiriert mit seinem Unternehmensmodell zahlreiche Gründer.
  • Bernd Beigl (2007) sorgte mit seinem von der Verwaltung zwei Jahre verschleppten Antrag auf Genehmigung einer Fahrradrikscha für eine Umstrukturierung der städtischen Verwaltung durch den Oberbürgermeister.
  • Sebastian Störzbach (2009) wehrte sich erfolgreich gegen eine verselbständigte Bürokratie, die mächtige BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht)
  • Georg Heitlinger (2010) brachte als Zahlungspflichtiger den Absatzfonds für die Landwirtschaft und deren CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft) zu Fall (eine verselbständigte Bürokratie), indem er erfolgreich Klage gegen deren Sonderabgabe erhob und das BVerfG schließlich deren Verfassungswidrigkeit feststellte.
  • Kai Boeddinghaus (2011), Der Reisebüroinhaber aus Kassel beendete die Praxis der IHK (Industrie- und Handelskammer), einer sog. verselbständigten Bürokratie und damit Teil des verborgenen öffentlichen Sektors, dass deren Funktionäre beliebig für ihre Mitglieder sprechen, ohne diese vorher zu fragen. Die von ihm erstrittene Entscheidung des BVerwG ist seitdem Grundlage für mehr demokratische Beteiligung der Mitglieder.
  • Renate Günther-Greene (2012) ist freiberufliche Dokumentarfilmerin und hat mit investigativem Journalismus bürokratische Hürden überwunden. Damit hat sie eine Schneise geschlagen für viele Menschen mit Behinderung, ihren Rechtsanspruch auf ein selbstbestimmtes Berufsleben mittels Inanspruchnahme des persönlichen Budgets gegenüber der öffentlichen Verwaltung durchzusetzen.
  • Tim Wessels (2013), der als Vorstandsmitglied des VGSD die Pläne der ehemaligen CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen zu Fall brachte, eine Pflichtrentenversicherung für Selbständige per Gesetz vorzuschreiben, und zwar mit Mindestbeiträgen "in schwindelerregender Höhe". Mittels neuer Medien wie Facebook und zahlreichen Unterstützern brachte er landesweit einen wichtigen Dialog mit dem Ministerium für Arbeit in Gang und diesem damit die Wirklichkeit vieler Kleinunternehmer deutlich näher.
  • Claudia Domnik (2014), die sich aus der Arbeitsunfähigkeit zur Existenzgründung emporgearbeitet hat und mit ihrem Widerstand gegen Behörden-Windmühlen eine Meisterleistung vollbracht hat.[1]

Online-Fallsammlung

In ihrer Online-Fallsammlung stellt die Werner-Bonhoff-Stiftung eingesandte Bürokratismus-Schilderungen aus der unternehmerischen Praxis als Lehr- und Anschauungsmaterial bereit. Das Fallmaterial zeigt, womit in der unternehmerischen Praxis gerechnet werden muss und ist ein konstruktiver Beitrag zu einem wachsenden bürokratiekritischen Engagement. Die Praxis-Schilderungen fließen auch in die Erforschung des Dschungels der verselbständigten Bürokratien ein, des verborgenen öffentlichen Sektors.

Zu den wesentlichen Erkenntnissen dieser Fallauswertung gehört die Existenz eines großen verborgenen öffentlichen Sektors mit zahlreichen so genannten verselbständigten Bürokratien, wie den Gesetzlichen Krankenkassen, der Rentenversicherung, der Agentur für Arbeit und etwa eintausend andere. Sie bergen eine Vielzahl bürokratischer Lasten für unternehmerische Menschen und bleiben doch bei der Bürokratiekritik und Vereinfachungsbemühungen weitestgehend unbeachtet. Viele der bei der Stiftung eingegangenen Schilderungen bürokratischer Hürden hängen mit diesen verselbständigten Bürokratien zusammen. Die Stiftung erfasst mit Hilfe Betroffener den Dschungel der verselbständigten Bürokratien in Deutschland und veröffentlicht die Kritik aus der Praxis auf ihrer Homepage.

Die Forschungsergebnisse der Stiftung beinhalten auch die Erkenntnis, dass auftretende Probleme nicht selten mit angemessener Problemlösungsorientierung und Fehlerkultur seitens der Verwaltung vermieden werden könnten.

Bonhoff-Börse

Die Werner-Bonhoff-Stiftung bringt unternehmerische Menschen, die mit bürokratischen Hürden ringen und sich nicht damit abfinden wollen und deshalb Mitstreiter oder Unterstützer suchen, in ihrer Bonhoff-Börse zusammen. Sie vermittelt den Austausch der Praktiker untereinander, die mit entsprechenden Bürokratismus-Fällen zu tun haben. Dadurch können Betroffene von den Erfahrungen und der Unterstützung anderer profitieren. So sind sie nicht auf Alleingänge angewiesen.

Nach-der-Tat

Mit ähnlichem Ansatz hat die Werner-Bonhoff-Stiftung auch das Mitmach-Projekt „Nach-der-Tat“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, einzelne Menschen zu befähigen, die Reaktionen des Rechtsstaats auf Gewalt- und Mobbingvorfälle bei ihnen vor Ort zu verbessern, damit auf Gewalttaten möglichst frühzeitig, sichtbar und wirksam reagiert wird. Wenn entsprechende Reaktionen erfolgen, dienen diese zugleich dem Rechtsfrieden und der Gewaltprävention.

Aus den Erfahrungsberichten betroffener Kinder und Jugendlicher hat die Stiftung erfahren, dass in der Praxis frühzeitige, sichtbare und wirksame Reaktionen auf Gewaltvorfälle seitens des Rechtsstaats und seiner Organe vielfach ausbleiben. So wurden 2009 mehr als 60 Prozent aller Strafverfahren, bei denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, von den Staatsanwaltschaften eingestellt. [2] Kritik an dieser Praxis übte die Jugendrichterin Kirsten Heisig in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“. Zuletzt verwies der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), Klaus Tolksdorf, auf die Gefahren durch die vielen Verfahrenseinstellungen der Justiz. [3]

Der Anspruch des Rechtsstaats, dass nach einer Rechtsverletzung der Rechtsfrieden wiederhergestellt werden muss, wird dadurch nicht erfüllt. Diese Lücke zwischen Theorie und Praxis führt zu einem Vertrauensverlust bei Betroffenen und deren Umfeld. [4] Überall dort, wo Gewalt und Mobbing ohne sichtbare Konsequenzen bleiben, schwindet das Vertrauen in das Recht und das Gewaltmonopol des Staates. Faustrecht, Selbstjustiz und Gewaltstrukturen verfestigten sich. Dies wird deutlich in der mangelnden Bereitschaft, aus Angst vor weiteren Angriffen Gewalttaten zur Anzeige zu bringen oder sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. [5] Probleme werden überall dort, wo der Rechtsstaat fern ist, selbst geregelt (Faustrecht und Selbstjustiz) und wiederholen sich (Mehrfach- und Intensivtäter, Bandenkriminalität). Dabei fällt regelmäßig ein ungleiches Kräfteverhältnis auf (mehrere Angreifer gegen einen oder unterlegene Angegriffene) sowie der vermehrte Einsatz von eigentlich verbotenen Waffen, bislang vor allem Messer. Bei sehr langen Verfahrensdauern haben die Täter Gelegenheit, weitere Gewalttaten zu begehen, bis es überhaupt zu einer Anklage oder gar einem Prozess kommt, siehe Intensivtäter.

Um Angegriffene nach der Tat zu unterstützen und einen Beitrag zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens zu leisten, haben Jugendliche in Workshops der Stiftung das Werkzeug Hilfe-Brief, sog. „Bonhoff-Brief“ entwickelt. Dieser dient dazu, die staatlichen Stellen unter Handlungsdruck zu setzen, wo diese auf Gewalt- und Mobbingvorfälle nicht (ausreichend) reagieren, jedoch eigentlich handeln müssten, um die Angriffe zu beenden. Die Gründe hierfür können in der Überforderung oder mangelnden Motivation der Verwaltung liegen. Der Bonhoff-Brief dient dazu, die Verwaltung zu motivieren, frühzeitig, sichtbar und wirksam zu reagieren. Die verantwortlichen Stellen erfahren dadurch nachweislich von Gewaltvorfällen, ohne die Hinweisgebenden in den Mittelpunkt zu rücken. Vielmehr stehen die Gewalttaten und die Reaktionen darauf im Mittelpunkt.

Damit können Betroffene, wie auch Unbeteiligte (Familie, Freunde, Beobachter etc.) ganz konkret auf eine Verbesserung der Situation hinwirken. Die Haltung des „Da kann man nichts machen“ wird dadurch verändert. Gewalttaten führen zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität und Grundrechte. Bei Nach-der-Tat engagieren sich diejenigen, die für eine sichtbare Verbesserung eintreten, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und gefährden zu wollen. Wenn wirksame Maßnahmen nach der Tat ergriffen werden, verbessert sich die Lebensqualität für alle und das Vertrauen in die Geltung des Rechts und die Befriedungsfunktion des Rechtsstaats wird gestärkt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Claudia Domnik, Firma Kuchenseppel, Neu-Isenburg, Preisträgerin 2014. Auf: Werner-Bonhoff-Stiftung, 22. Mai 2014. Abgerufen am 22. Mai 2014.
  2. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr.080 vom 28. Februar 2011: Sechs von zehn Ermittlungsverfahren im Jahr 2009 eingestellt
  3. Berliner Zeitung vom 9. April 2011: „Von der Heilkraft der Alraunenwurzel“ von Christian Bommarius
  4. Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle, Analysen Nr. 2/2006: „Das Anzeigeverhalten von Kriminalitätsopfern“
  5. Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle, Analysen Nr. 2/2006: „Das Anzeigeverhalten von Kriminalitätsopfern“