X-Bar-Theorie

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Die X-Bar-Theorie ist eine Komponente der linguistischen Theorie der Generativen Grammatik und wurde in ihren Grundgedanken erstmals von Noam Chomsky in einem Aufsatz aus dem Jahr 1970 formuliert.[1] Sie besagt, dass die syntaktischen Strukturen aller natürlichen Sprachen gemeinsamen Bauprinzipien unterliegen. Eine Hauptthese ist dabei, dass diese Bauprinzipien unabhängig von der Wortart sind, also für beliebige syntaktische Kategorien gelten, wofür die Variable „X“ in der Bezeichnung X-bar-Theorie steht. Der andere Teil der Bezeichnung „X-bar“-Theorie ist das englische Wort bar für „Balken“ und kommt daher, dass die erweiterte Projektion eines Kopfes X (vgl. nebenstehendes Baumdiagramm) zunächst mit einem Querbalken über dem Kategoriesymbol notiert wurde (also ). Wegen der typographischen Schwierigkeit dieser Notation benutzt man stattdessen häufiger einen Apostroph (wie auch in diesem Artikel verwendet); diese beiden Notationen sind gleichwertig.

X-bar-Schema als Baumdiagramm

Laut der Theorie bestehen alle natürlichen Sprachen aus Phrasen, die hierarchisch gegliedert sind. Die Beschränkungen, denen dieser Aufbau genügen muss, werden als X-Bar-Schema erfasst. Nebenstehend ist das X-bar-Schema in Form einer Baumstruktur dargestellt; sie zeigt den maximalen Ausbau einer Phrase (abgesehen davon, dass mehrere Adjunkte möglich sind); im Einzelfall müssen nicht alle verfügbaren Positionen benutzt werden.

Zum Beispiel enthält eine Nominalphrase wie „große Mengen von Wasser“ einen sogenannten Phrasenkopf – hier das Wort „Mengen“. Dieser wird kombiniert mit der Ergänzung „von Wasser“ und modifiziert mit dem Adjektiv „groß“. In Begriffen der X-bar-Theorie fordert der Phrasenkopf (X) „Mengen“ das Komplement „von Wasser“ und hat das Adjektiv „groß“ als ein Adjunkt bei sich. Die Spezifikator-Position wurde in diesem Beispiel nicht besetzt. Da der Ausdruck „große Mengen von Wasser“ so schon alle benötigten Ergänzungen aufweist, bezeichnet man ihn als Phrase oder auch als maximale Projektion des Kopfes (notiert als X", also im obigen Beispiel als N"). Die Position von Spezifikator, Adjunkt und Komplement auf dem linken oder rechten Zweig einer Verzweigung wird von der X-bar-Theorie offengelassen, die im nebenstehenden Diagramm gezeigte Anordnung ist ein Spezialfall, der z.B. für die deutsche Nominalphrase gilt (also mit X = N).

Neben der Angabe der syntaktischen Hierarchie und der Wortreihenfolge spielt das X-Bar-Schema auch in der Verwaltung grammatischer Merkmale eine Rolle. Phrasenkopf und maximale Phrase teilen sich eine Reihe von Merkmalen, die deshalb auch Kopfmerkmale genannt werden. Im Beispiel tragen der Kopf und die Nominalphrase N" unter anderem das Merkmal „Plural“.

X-Bar-Schema

Der Kern der X-Bar-Theorie, das sog. X-Bar-Schema, kann in einer rekursiven Version folgendermaßen formuliert werden:

  1. X′ → { X, P″ }
  2. X′ → { X′, P″ }
  3. X″ → { X′, ( P″) }

X steht hierbei für eine Menge von Kopfmerkmalen. Regel 1 besagt, dass ein Phrasenkopf X zusammen mit einer weiteren maximalen Phrase P″, die von X gefordert wird, eine Phrase X′ bilden. X′ und X haben die gleichen Kopfmerkmale. P″ heißt Ergänzung bzw. Komplement.

Regel 2 erlaubt rekursiv weitere Phrasen P″. Diese werden als Angaben bezeichnet.

Regel 3 schließlich erlaubt die Bildung einer maximalen Phrase X″ aus der Zwischenebene X′ und einem weiteren Argument P″, das jedoch auch fehlen kann (verdeutlicht durch runde Klammern). P″ heißt Spezifikator oder Spezifizierer. Die Mengenschreibweise in den Regeln 1) bis 3) soll verdeutlichen, dass die Abfolge von X bzw. X′ und P″ prinzipiell beliebig ist, der Phrasenkopf also sowohl vor seinem Argument als auch danach stehen kann.

Instanzen des X-Bar-Schemas

Instantiiert man obiges X-Bar-Schema mit konkreten syntaktischen Kategorien – beispielsweise Verb (V) und Nominalphrase (N″) –, so erhält man folgende Phrasenstrukturregeln:

  1. V′ → { V, N″ }
  2. V′ → { V′, N″ }
  3. V″ → { V′ }

V steht hierbei z. B. für die Merkmalsmenge {kategorie=verb, person=1, numerus=plural, tempus=prät, modus=indikativ }.

Weitere Entwicklungen

Die X-Bar-Theorie ist ein wesentliches Element der Rektions- und Bindungstheorie Chomskys gewesen. In späteren Theorievarianten (zum Beispiel dem Minimalistischen Programm) sind flexiblere und sparsamere Modelle diskutiert worden, die mit weniger starren Festlegungen auskommen. Teilweise wird die Anwendbarkeit des Schemas auf OV-Sprachen als problematisch gesehen. Die Begrifflichkeit der X-bar-Theorie gehört jedoch weiterhin zum klassischen Bestand der Syntaxtheorie.

Literatur

  • Noam Chomsky: Remarks on Nominalization. In: R. Jacobs und P. Rosenbaum (eds.): Readings in English Transformational Grammar. Ginn, Waltham MA 1970. S. 184-221.
  • Naoki Fukui: Phrase Structure. In: Mark Baltin, Chris Collins (eds.): The Handbook of Contemporary Syntactic Theory. Blackwell, Oxford 2001. (= Blackwell handbooks in linguistics). S. 374-406.
  • Ray Jackendoff: -Syntax: A Study of Phrase Structure. MIT Press, Cambridge (MA) 1977
  • Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft, 3. Auflage. Kröner, Stuttgart 2002. ISBN 3-520-45203-0: Eintrag X-Bar-Theorie.

Einzelnachweise

  1. N. Chomsky: Remarks on Nominalization (siehe Literaturverzeichnis)