„Ein-Prozent-Regel (Internet)“ – Versionsunterschied

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Version vom 16. Februar 2014, 15:09 Uhr

Grafische Veranschaulichung der klassischen Ein-Prozent-Regel in Form der 90-9-1 %-Regel.

Unter der Ein-Prozent-Regel (auch: Einprozentregel, selten: 1 %-Regel) versteht man in der Netzkultur die Faustregel, wonach die große Mehrheit der Benutzer von Online-Communitys keine eigenen Inhalte beiträgt, sondern nur still mitliest (englisch to lurk, herumlauern, lauschen). Zugespitzt geht man in Wikis, Webforen und sozialen Netzwerken von nur etwa einem Prozent aktiver Beiträger aus. Einer Variante des Prinzips zufolge gibt es ein Prozent Autoren, neun bzw. zehn Prozent, die beispielsweise Kommentare posten oder die Beiträge anderer bearbeiten, und 89 oder 90 Prozent stille Mitleser.[1] In Anlehnung an ein Modell aus der Wirtschaftswissenschaft handelt es sich um eine spezielle Ausprägung des Paretoprinzips, einer 80:20-Regel, die besagt, dass 80 Prozent des Erfolgs eines Projekts auf 20 Prozent der dazu eingesetzten Mittel zurückgehen.

Geschichte

Die Ein-Prozent-Regel wurde schon früh formuliert und bezieht sich auf die Teilnahme am Internet überhaupt, also auch schon vor dem Web 2.0.[2] Die früheste Beschreibung von Ungleichheit bei der Beteiligung an Online-Communitys stammt aus den 1990er Jahren. Der IT-Berater Jakob Nielsen hatte den Begriff der Participation inequality nach eigenen Angaben von Will Hill übernommen. Er beschrieb damit die Heterogenität der Beteiligung im Web, das er sich weniger wie eine Community und mehr wie eine „riesige unpersönliche Stadt“ vorstellte.[3] Nielsen griff das Konzept erneut 2006 zur Beschreibung des Web 2.0 auf, als er die 90-9-1-Regel in der Form, in der sie auch heute noch bekannt ist, prägte: „Die meisten Benutzer beteiligen sich nicht sehr viel. Meistens lauern sie nur im Hintergrund herum. Demgegenüber stammt eine unverhältnismäßig große Menge an Inhalt und anderer Aktivität von einer winzig kleinen Minderheit aller Benutzer.“[4]

Rezeption

Beachtung gefunden hat vor allem ein Beitrag, den Charles Arthur ebenfalls 2006, aber ohne Benugnahme auf Nielsen, im britischen Guardian veröffentlicht hat. Zur Untermauerung der Ein-Prozent-Regel grieff er darin auf die Erfahrungswerte aus den zu dieser Zeit boomenden Web-2.0-Plattformen zurück. Beispielsweise führt er an, dass in Wikipedia die Hälfte aller Artikel von nur 0,7 % aller Autoren geschrieben würden, und mehr als 70 % aller Artikel stammten von 1,8%nbsp;% aller Autoren. Auf YouTube hätten seinerzeit 100 Millionen abgerufenen Videos nur 65.000 hochgeladene Videos gegenübergestanden. Nur 0,5 % der Nutzer trügen dort Inhalte bei.[5][6]

Auch Medientheoretiker haben die Ein-Prozent-Regel aufgegriffen, zumeist unkritisch. Nicholas Carr zitierte 2006 eine Statistik, der zufolge auf der Plattform Digg 55 % aller Beiträge von den hundert aktivsten Benutzern stammten, während die zehn aktivsten unter ihnen sogar 30 % der Geschichten beisteuerten, die auf der Startseite platziert werden.[7] Geert Lovink stellte noch 2008 lapidar fest, ein Grund für diese Ungleichheit bei der Beteiligung sei nicht bekannt.[1]

Empirische Befunde

In neuerer Zeit gibt es widersprüchliche empirische Befunde zur Gültigkeit der Ein-Prozent-Regel.

Die ARD/ZDF-Onlinestudie untersucht seit 1997 die Nutzung von Online-Angeboten und hatte noch im Jahr 2011 getitelt: „Web 2.0: Aktive Mitwirkung verbleibt auf niedrigem Niveau“. Damals lag der Schwerpunkt auf der „One-to-many“-Kommunikation, wie sie für Blogs und Wikis typisch ist; sie wurde den sozialen Netzwerken gegenübergestellt. Die „Möglichkeit, aktiv Beiträge zu verfassen und ins Internet zu stellen“ fanden seinerzeit 47 Prozent aller Nutzer „gar nicht interessant“; der Wert hatte sich seit 2006 nicht wesentlich verändert. Nur 11 Prozent aller Nutzer von Blogs betrieben damals auch aktuell ein eigenes Blog, fast ein Drittel waren ehemalige Blogger. Und nur ein Prozent der Nutzer habe schon einmal „etwas eingstellt/verfasst“ auf Wikipedia.[8]

Zwei Jahre später im Jahr 2013 wurde das Studiendesign geändert. Die Untersuchung konzentrierte sich nun auf den Gebrauch sozialer Netzwerke und kam zu dem Ergebnis, dass von allen Internetnutzern in Deutschland 43 Prozent angaben, täglich sich mit dem „Schreiben von Beiträgen auf Profilen/Verschicken persönlicher Nachrichten/chatten“ zu beschäftigen. 76 Prozent gaben an, dies mindestens wöchentlich zu tun, 84 Prozent mindestens monatlich. Nur 11 Prozent täten dies „seltener“ und nur 5 Prozent nie.[9]

Auch die BBC hatte 2012 einen höheren Anteil aktiver Online-Nutzer unter den Briten ermittelt und kam langfristig gesehen zu dem Ergebnis, dass die Ein-Prozent-Regel jedenfalls heute nicht mehr gelte. Der Anteil derjenigen, die sich aktiv online beteiligen, liege „deutlich höher als zehn Prozent“. 77 Prozent aller Online-Nutzer in Großbritannien sei heute „in der einen oder der anderen Weise aktiv“ im Web, indem sie Photos teilten oder an Diskussionen teilnähmen. Nur ein harter Kern von etwa einem Viertel bleibe ganz passiv. Die Studie stellt auch erstmals eine These zum Grund der Inaktivität auf. Sie habe nichts mit der technischen Kompetenz derjenigen zu tun; 11 Prozent der Passiven seien als sogenannte Early Adopter gegenüber technischen Neuerungen besonders aufgeschlossen und nähmen sie früh und zügig an. Die Teilnahme bzw. die Nichtteilnahme an Online-Communitys sei in jedem Fall eine bewußte Entscheidung der Betroffenen. Deshalb spricht die Studie statt von einer Participation inequality im Sinne Nielsens von einer Participation choice. Die Studie unterscheidet dabei vier Gruppen von Benutzern, die sich online intensiv (17 %), „locker“ (easy, 60 %) oder passiv (23 %) verhielten. Unter den „locker“ auftretenden Benutzern würden 44 % initiativ tätig, während 16 % nur reagierten.[10]

Einzelnachweise

  1. a b Geert Lovink: Zero Comments: Elemente einer kritischen Internetkultur, Transcript Verlag, Bielefeld 2008 ISBN 978-3-89942-804-9. Seite 29 mit Fußnote 32.
  2. Jan Michael Ihl: Vom Web 2.0 zum Read/Write Web. In: Thomas Schildhauer und Claudia Peppel (Hrsg.): Jahrbuch für digitale Kommunikation. Institute of Electronic Business. An-Institut der Universität der Künste Berlin. Band 2. Berlin. 2007. ISBN 978-3-89462-143-8. Seite 20, 20f.
  3. Jakob Nielsen: Community is Dead; Long Live Mega-Collaboration. In: Nielsen Norman Group. 15. August 1997. Abgerufen am 16. Februar 2014.
  4. Jakob Nielsen: Participation Inequality: Encouraging More Users to Contribute. In: Nielsen Norman Group. 9. Oktober 2006. Abgerufen am 16. Februar 2014: „All large-scale, multi-user communities and online social networks that rely on users to contribute content or build services share one property: most users don't participate very much. Often, they simply lurk in the background. In contrast, a tiny minority of users usually accounts for a disproportionately large amount of the content and other system activity. This phenomenon of participation inequality was first studied in depth by Will Hill in the early '90s, when he worked down the hall from me at Bell Communications Research.“
  5. Charles Arthur: What is the 1% rule?. In: The Guardian. 20. Juli 2006. Abgerufen am 16. Februar 2014.
  6. Michelle Manafy: The collective wisdom at work.(Web 2.0) (Product/service evaluation). In: EContent. Information Today. 1. September 2006. Abgerufen via HighBeam Research über The Wikipedia Library am 16. Februar 2014.
  7. Nicholas Carr: Few to many. In: Rough Type. 2. August 2006. Abgerufen am 16. Februar 2014.
  8. Katrin Busemann und Christoph Gscheidle: Web2.0: Aktive Mitwirkung verbleibt auf niedrigem Niveau. In: Media Perspektiven. 7-8/2011. Seite 361 mit Tabelle 2, 362, 363 mit Tabelle 5.
  9. Katrin Busemann: Wer nutzt was im Social Web?. In: Media Perspektiven 7-8/2013. Seite 391, 393f. mit Tabelle 3 auf Seite 394.
  10. Holly Goodier: BBC Online Briefing Spring 2012: The Participation Choice. In: BBC Internet Blog. 4. Mai 2012. Abgerufen am 16. Februar 2014.