„Humboldtsches Bildungsideal“ – Versionsunterschied

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[[Bild:Berlin Universitaet um 1850.jpg|thumb|200px|Die Humboldt-Universität um 1850]]
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Unter dem '''humboldtschen Bildungsideal''' versteht man eine [[ganzheitlich]]e wissenschaftliche [[Ausbildung]], die einen auch über das jeweilige [[Studienfach]] hinausgehenden allgemeingültigen Anspruch verfolgt und dies durch ''Einheit von [[Forschung]] und [[Lehren|Lehre]]'' zu verwirklichen sucht. Dieses Ideal geht zurück auf [[Wilhelm von Humboldt]], der in der Zeit der preußischen Rekonvaleszenz auf ein erstarkendes [[Bürgertum]] setzen konnte und dadurch den Anspruch auf [[Allgemeinbildung]] förderte.
Unter dem '''humboldtschen Bildungsideal''' oder genauer gesagt das '''humboldtsche Universitätsideal''' <ref name="Humboldtsches Universitätsideal">[Humboldt setzte dieses Ideal schließlich als preussischer Kultusminister durch. Da sich dieses Ideal nicht auf die preussischen Volksschulen, die ja ebenfalls unter seinem Ministerium standen, ersteckt, ist es wohl besser vom Humboldtschen Universitätsideal zu sprechen, oder sich bewußt zu sein, das Bildung nicht mit Ausbildung gleichzusetzen ist]</ref> versteht man die [[ganzheitlich]]e [[Ausbildung]] der [[Künste]] in [[Verbindung]] der jeweiligen [[Studienfach]]richtung. Dieses [[Ideal]] geht zurück auf [[Wilhelm von Humboldt]], der in der Zeit der preußischen Rekonvaleszenz auf ein erstarkendes [[Bürgertum]] setzen konnte und dadurch den [[Anspruch]] auf [[Allgemeinbildung]] förderte. Heutzutage bezeichnet der Begriff oft die zentrale Idee der '''Einheit von Forschung und Lehre''' an den Universitäten (etwa im Unterschied zu reinen Lehrprofessuren ohne Forschungsaufgaben).


== Das humboldtsche Universitätsideal ==
Das '''humboldtsche Bildungsideal''' entwickelte sich um die zwei Zentralbegriffe der bürgerlichen Aufklärung: den Begriff des [[autonom]]en [[Individuum]]s und den Begriff der [[Weltbürgertum]]s. Die Universität soll ein Ort sein, an dem autonome Individuen und Weltbürger hervorgebracht werden oder genauer gesagt, sich selbst hervorbringen.

* Ein autonomes Individuum soll ein Individuum sein, das Selbstbestimmung, Mündigkeit durch seinen Vernunftgebrauch erlangt. soll.
* Das [[Weltbürgertum]] ist jenes kollektive Band, das die autonomen Individuen, unabhänging ihrer sozialen und kulturellen [[Sozialisation]] verbindet: Bei Humboldt heißt es: "Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinn des Wortes Leben". Das Bemühen soll darauf zielen, sich möglichst umfassend an der Welt abzuarbeiten und sich dadurch als Subjekt zu entfalten. Zum [[Weltbürger]] werden heißt, sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen: sich um Frieden, Gerechtigkeit, um den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhältnisse oder eine andere Beziehung zur Natur zu bemühen. Die universitäre Bildung soll – ganz im Gegensatz zu dem, was heute proklamiert wird –, keine berufsbezogene und damit von wirtschaftlichen Interessen abhängige Ausbildung sein.

Wie sollen nun diese großen Ideen, oder, wenn man so will, diese Träume praktisch umgesetzt werden? Wie soll die Universität autonome Individuen und zugleich Weltbürger hervorbringen? Für eine Universitätskonzeption, die solche Ziele anstrebt, soll der Begriff der '''akademischen Freiheit''' der Zentralbegriff sein. [[Akademische Freiheit]] heißt zunächst äußere Unabhängigkeit der Universität. Die Universität soll sich staatlichen Einflüssen entziehen. Bei Humboldt heißt es: sie soll sich "von allen Formen im Staate losmachen" Humboldts Berliner Universitätskonzeption sah etwa vor, dass die Berliner Universität eigene Güter haben sollte, um sich selbst zu finanzieren und dadurch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu sichern. Akademische Freiheit verlangt nicht nur die äußere Unabhängigkeit der Universität von staatlichen und wirtschaftlichen Zwängen, sie verlangt vor allem auch eine spezifische innere Organisation der Universität. Für die Universität bedeutet das, dass Studierende nur lernen können, selbstständig zu denken, wenn sie zugleich lernen können, selbständig ihr [[Studium]] zu organisieren. Hochschullehrer sollen Studierenden nicht in erster Linie Ordnungen vorgeben, sie sollen ihnen vielmehr vor allem dabei helfen, selbständig solche zu finden. Die universitäre Bildung muss daher gegen das Fachidiotische, also gegen eine beschränkende wissenschaftliche Arbeitsteilung gerichtet sein. Die Universität soll deshalb ein Ort des permanenten öffentlichen Austausches zwischen allen am Wissenschaftsprozess Beteiligten sein. Die Integration ihres Wissens soll mit Hilfe der [[Philosophie]] zustande kommen. Diese soll eine Art Grundwissenschaft darstellen, die es den Angehörigen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erlaubt, einen Austausch ihrer Erkenntnisse zustande zu bringen und sie miteinander zu verknüpfen. Um die Entfaltung von individueller [[Autonomie]] und Weltbürgerlichkeit zu ermöglichen, muss die [[Universität]] vor allem offene Räume für permanente intellektuelle und soziale Suchbewegungen zur Verfügung stellen. Diese offenen Räume müssen es nach Humboldt erlauben, "das Prinzip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten, und unablässig sie als solche zu suchen“. Ohne offene Räume des Suchens gibt es für Humboldt keine Universität, die diesen Namen verdient. Das humboldtsche Universitätsideal bestimmte lange Zeit die deutsche Universitätsgeschichte entscheidend mit, auch wenn es niemals praktisch zur Gänze realisiert wurde oder realisierbar ist. Große intellektuelle Leistungen der deutschen Wissenschaft sind mit ihm verbunden. [[Hegel]], [[Marx]], [[Nietzsche]], [[Freud]] und [[Adorno]], aber auch [[Albert Einstein]] haben sich dazu bekannt.

== Kritik am Humboltschen Universitätsideal ==

* Man kann diesem Universitätsideal vorwerfen, dass es für eine [[Elite]] gedacht ist, die sich von wirtschaftlichen Zwängen aufgrund einer gesicherten materiellen Basis lösen kann. Aber ist die Gesellschaft nicht heute so reich, dass sie es sich leisten kann, allen jungen Menschen wenigstens für einige Zeit eine Entlastung von ökonomischen Zwängen zu gewähren?
* Das humboldtsche Ideal ist auf eine vorindustrielle Gesellschaft mit einem begrenzten Wissen bezogen. Die Explosion des Wissens, die eine moderne industrielle Gesellschaft mit sich bringt, macht aber wohl ausgeprägtere Formen der Spezialisierung unvermeidbar. Die Integration des Wissens, wie sie von diesem Ideal gewünscht wird, wird dadurch sicherlich sehr erschwert.
* Wo die Distanz zum Staat, zur Ökonomie, zum Beruf besonders entschieden gefordert wird, besteht die Gefahr der Weltflucht, zum Rückzug in den Elfenbeinturm. Außerdem ist es illusionär, eine Universität ganz von ökonomischen und beruflichen Zwängen und Interessen befreien zu wollen. Sie sollte wohl eher immer darum kämpfen, deren Einfluss zu beschränken und sich auf kritische Art zu ihnen in Beziehung setzen.
* Dieses Ideal wurde mit der Aufspaltung der Wissenschaften im Zuge der Industrialisierung (Promotionsrecht für Technische Hochschulen) relativiert und spätestens mit der Bildung der [[Massenuniversität]] faktisch in Frage gestellt; der Begriff wird heute – ähnlich wie die [[Akademische Freiheit]] – im Zuge der Bildung von [[Eliteuniversität]]en vor dem Hintergrund möglicher [[Studentenberg|Studentenberge]] erneut diskutiert.


== Folgen ==

Das humboldtsche Universitätsideal hat zweifelsohne die deutsche Universitätslandschaft, wie auch das Wissenschaftsverständnis geprägt. Philosophie ist in Deutschland nach wie vor nicht nur eine ordentliche Wissenschaft, sondern sogar die Ur-Mutter aller Wissenschaften. Techniker und Ingenieure durften den Musen-Tempel der Universität nie betreten und eine Universitätsabschluss hatte immer etwas mit Bildung und nie mit erwerbsmäßig betriebenen Ausbildung zu tun. Im Zuge der Europäischen Harmonisierung, der Schaffung einheitlicher Bildungsabschlüsse, der Finanzierbarkeit von Bildung überhaupt und der Massenuniversität, wurde dieses Ideal sehr bald von der Realität verdrängt. Selbst Geisteswissenschaftliche Studiengänge wurden mehr oder weniger mit obligatorischen Veranstaltungen verschult. Schon zu Zeiten Humboldts – [[Wilhelm von Humboldt]] war an der Gründung der [[Humboldt-Universität zu Berlin|Berliner Universität]] beteiligt – gab es Kontroversen um die Frage, wie weit Bildung an Universitäten abgegrenzt, zielgerichtet und verwertbar organisiert werden sollte – und damit auch einer großen Anzahl Studenten zugänglich gemacht werden könnte – oder ob erst die Maximierung wissenschaftlicher Freiheit und weitgehende Selbstbestimmung im Dialog von Lehrer und Lehrendem zu höchster Leistung und zu universaler Bildung – aber damit auch zu einer kleinen, elitären Studentenzahl – führt. Exponenten dieser beiden Richtungen waren [[Johann Gottlieb Fichte]] bzw. [[Friedrich Schleiermacher]]. Doch auch mehren sich die Zeichen, das einseitig ausgebildete Studenten nicht breit genug aufgestellt sind, für die Wechselfälle des Lebens. Der immer schneller werdende Strukturwandel lässt keine sichere Prognose mehr zu, wie eine zukunftsorientierte Zweckausbildung auszusehen hat. Darum wird bei Bildungsträgern über eine Wiedergeburt des Humboldtschen Universitätsideals nachgedacht. Der Präsident der [[Humboldt Universität]], [[Christoph Markschies]] wies darauf hin, dass der Berliner Universität von ihren Gründern Verantwortung für gute Wissenschaft aufgegeben worden sei. Überraschend wenig sei in den Gründungstexten davon die Rede gewesen, dass die Universität auch Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen habe. In seiner Rede rekurrierte Markschies weiter auf [[Hermann von Helmholtz|Hermann von Helmholtz]], der in seiner Antrittsrede als Rektor 1877 die Freiheit in den Mittelpunkt gerückt habe – die Freiheit der Studenten, das zu hören, was sie wollten, und die Freiheit der Lehrenden, die Themen in Forschung und Lehre selbst zu bestimmten.<ref>Zitiert nach: Uwe Schlichts [http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/07.02.2007/3065812.asp Kommentar] im [[Der Tagesspiegel|Tagesspiegel]] vom 07.02.2007, S. 23</ref>

== Literatur ==
* Über die Akademische Freiheit der deutschen Universitäten, Rede beim Antritt des Rectorats an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. October 1877 gehalten, Nachdr. der Ausg. Berlin, Hirschwald, 1878, Hrsg.: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin 2005
* Integration der handwerklich-militärischen Chirurgenausbildung in die akademische Medizinerausbildung unter [[Johann Goercke]].


== Quellen und Fußnoten ==
<references />


[[Kategorie:Allgemeinbildung]]
[[Kategorie:Allgemeinbildung]]

Version vom 22. September 2007, 15:11 Uhr

Die Humboldt-Universität um 1850

Unter dem humboldtschen Bildungsideal oder genauer gesagt das humboldtsche Universitätsideal [1] versteht man die ganzheitliche Ausbildung der Künste in Verbindung der jeweiligen Studienfachrichtung. Dieses Ideal geht zurück auf Wilhelm von Humboldt, der in der Zeit der preußischen Rekonvaleszenz auf ein erstarkendes Bürgertum setzen konnte und dadurch den Anspruch auf Allgemeinbildung förderte. Heutzutage bezeichnet der Begriff oft die zentrale Idee der Einheit von Forschung und Lehre an den Universitäten (etwa im Unterschied zu reinen Lehrprofessuren ohne Forschungsaufgaben).

Das humboldtsche Universitätsideal

Das humboldtsche Bildungsideal entwickelte sich um die zwei Zentralbegriffe der bürgerlichen Aufklärung: den Begriff des autonomen Individuums und den Begriff der Weltbürgertums. Die Universität soll ein Ort sein, an dem autonome Individuen und Weltbürger hervorgebracht werden oder genauer gesagt, sich selbst hervorbringen.

  • Ein autonomes Individuum soll ein Individuum sein, das Selbstbestimmung, Mündigkeit durch seinen Vernunftgebrauch erlangt. soll.
  • Das Weltbürgertum ist jenes kollektive Band, das die autonomen Individuen, unabhänging ihrer sozialen und kulturellen Sozialisation verbindet: Bei Humboldt heißt es: "Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinn des Wortes Leben". Das Bemühen soll darauf zielen, sich möglichst umfassend an der Welt abzuarbeiten und sich dadurch als Subjekt zu entfalten. Zum Weltbürger werden heißt, sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen: sich um Frieden, Gerechtigkeit, um den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhältnisse oder eine andere Beziehung zur Natur zu bemühen. Die universitäre Bildung soll – ganz im Gegensatz zu dem, was heute proklamiert wird –, keine berufsbezogene und damit von wirtschaftlichen Interessen abhängige Ausbildung sein.

Wie sollen nun diese großen Ideen, oder, wenn man so will, diese Träume praktisch umgesetzt werden? Wie soll die Universität autonome Individuen und zugleich Weltbürger hervorbringen? Für eine Universitätskonzeption, die solche Ziele anstrebt, soll der Begriff der akademischen Freiheit der Zentralbegriff sein. Akademische Freiheit heißt zunächst äußere Unabhängigkeit der Universität. Die Universität soll sich staatlichen Einflüssen entziehen. Bei Humboldt heißt es: sie soll sich "von allen Formen im Staate losmachen" Humboldts Berliner Universitätskonzeption sah etwa vor, dass die Berliner Universität eigene Güter haben sollte, um sich selbst zu finanzieren und dadurch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu sichern. Akademische Freiheit verlangt nicht nur die äußere Unabhängigkeit der Universität von staatlichen und wirtschaftlichen Zwängen, sie verlangt vor allem auch eine spezifische innere Organisation der Universität. Für die Universität bedeutet das, dass Studierende nur lernen können, selbstständig zu denken, wenn sie zugleich lernen können, selbständig ihr Studium zu organisieren. Hochschullehrer sollen Studierenden nicht in erster Linie Ordnungen vorgeben, sie sollen ihnen vielmehr vor allem dabei helfen, selbständig solche zu finden. Die universitäre Bildung muss daher gegen das Fachidiotische, also gegen eine beschränkende wissenschaftliche Arbeitsteilung gerichtet sein. Die Universität soll deshalb ein Ort des permanenten öffentlichen Austausches zwischen allen am Wissenschaftsprozess Beteiligten sein. Die Integration ihres Wissens soll mit Hilfe der Philosophie zustande kommen. Diese soll eine Art Grundwissenschaft darstellen, die es den Angehörigen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erlaubt, einen Austausch ihrer Erkenntnisse zustande zu bringen und sie miteinander zu verknüpfen. Um die Entfaltung von individueller Autonomie und Weltbürgerlichkeit zu ermöglichen, muss die Universität vor allem offene Räume für permanente intellektuelle und soziale Suchbewegungen zur Verfügung stellen. Diese offenen Räume müssen es nach Humboldt erlauben, "das Prinzip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten, und unablässig sie als solche zu suchen“. Ohne offene Räume des Suchens gibt es für Humboldt keine Universität, die diesen Namen verdient. Das humboldtsche Universitätsideal bestimmte lange Zeit die deutsche Universitätsgeschichte entscheidend mit, auch wenn es niemals praktisch zur Gänze realisiert wurde oder realisierbar ist. Große intellektuelle Leistungen der deutschen Wissenschaft sind mit ihm verbunden. Hegel, Marx, Nietzsche, Freud und Adorno, aber auch Albert Einstein haben sich dazu bekannt.

Kritik am Humboltschen Universitätsideal

  • Man kann diesem Universitätsideal vorwerfen, dass es für eine Elite gedacht ist, die sich von wirtschaftlichen Zwängen aufgrund einer gesicherten materiellen Basis lösen kann. Aber ist die Gesellschaft nicht heute so reich, dass sie es sich leisten kann, allen jungen Menschen wenigstens für einige Zeit eine Entlastung von ökonomischen Zwängen zu gewähren?
  • Das humboldtsche Ideal ist auf eine vorindustrielle Gesellschaft mit einem begrenzten Wissen bezogen. Die Explosion des Wissens, die eine moderne industrielle Gesellschaft mit sich bringt, macht aber wohl ausgeprägtere Formen der Spezialisierung unvermeidbar. Die Integration des Wissens, wie sie von diesem Ideal gewünscht wird, wird dadurch sicherlich sehr erschwert.
  • Wo die Distanz zum Staat, zur Ökonomie, zum Beruf besonders entschieden gefordert wird, besteht die Gefahr der Weltflucht, zum Rückzug in den Elfenbeinturm. Außerdem ist es illusionär, eine Universität ganz von ökonomischen und beruflichen Zwängen und Interessen befreien zu wollen. Sie sollte wohl eher immer darum kämpfen, deren Einfluss zu beschränken und sich auf kritische Art zu ihnen in Beziehung setzen.
  • Dieses Ideal wurde mit der Aufspaltung der Wissenschaften im Zuge der Industrialisierung (Promotionsrecht für Technische Hochschulen) relativiert und spätestens mit der Bildung der Massenuniversität faktisch in Frage gestellt; der Begriff wird heute – ähnlich wie die Akademische Freiheit – im Zuge der Bildung von Eliteuniversitäten vor dem Hintergrund möglicher Studentenberge erneut diskutiert.


Folgen

Das humboldtsche Universitätsideal hat zweifelsohne die deutsche Universitätslandschaft, wie auch das Wissenschaftsverständnis geprägt. Philosophie ist in Deutschland nach wie vor nicht nur eine ordentliche Wissenschaft, sondern sogar die Ur-Mutter aller Wissenschaften. Techniker und Ingenieure durften den Musen-Tempel der Universität nie betreten und eine Universitätsabschluss hatte immer etwas mit Bildung und nie mit erwerbsmäßig betriebenen Ausbildung zu tun. Im Zuge der Europäischen Harmonisierung, der Schaffung einheitlicher Bildungsabschlüsse, der Finanzierbarkeit von Bildung überhaupt und der Massenuniversität, wurde dieses Ideal sehr bald von der Realität verdrängt. Selbst Geisteswissenschaftliche Studiengänge wurden mehr oder weniger mit obligatorischen Veranstaltungen verschult. Schon zu Zeiten Humboldts – Wilhelm von Humboldt war an der Gründung der Berliner Universität beteiligt – gab es Kontroversen um die Frage, wie weit Bildung an Universitäten abgegrenzt, zielgerichtet und verwertbar organisiert werden sollte – und damit auch einer großen Anzahl Studenten zugänglich gemacht werden könnte – oder ob erst die Maximierung wissenschaftlicher Freiheit und weitgehende Selbstbestimmung im Dialog von Lehrer und Lehrendem zu höchster Leistung und zu universaler Bildung – aber damit auch zu einer kleinen, elitären Studentenzahl – führt. Exponenten dieser beiden Richtungen waren Johann Gottlieb Fichte bzw. Friedrich Schleiermacher. Doch auch mehren sich die Zeichen, das einseitig ausgebildete Studenten nicht breit genug aufgestellt sind, für die Wechselfälle des Lebens. Der immer schneller werdende Strukturwandel lässt keine sichere Prognose mehr zu, wie eine zukunftsorientierte Zweckausbildung auszusehen hat. Darum wird bei Bildungsträgern über eine Wiedergeburt des Humboldtschen Universitätsideals nachgedacht. Der Präsident der Humboldt Universität, Christoph Markschies wies darauf hin, dass der Berliner Universität von ihren Gründern Verantwortung für gute Wissenschaft aufgegeben worden sei. Überraschend wenig sei in den Gründungstexten davon die Rede gewesen, dass die Universität auch Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen habe. In seiner Rede rekurrierte Markschies weiter auf Hermann von Helmholtz, der in seiner Antrittsrede als Rektor 1877 die Freiheit in den Mittelpunkt gerückt habe – die Freiheit der Studenten, das zu hören, was sie wollten, und die Freiheit der Lehrenden, die Themen in Forschung und Lehre selbst zu bestimmten.[2]

Literatur

  • Über die Akademische Freiheit der deutschen Universitäten, Rede beim Antritt des Rectorats an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. October 1877 gehalten, Nachdr. der Ausg. Berlin, Hirschwald, 1878, Hrsg.: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin 2005
  • Integration der handwerklich-militärischen Chirurgenausbildung in die akademische Medizinerausbildung unter Johann Goercke.


Quellen und Fußnoten

  1. [Humboldt setzte dieses Ideal schließlich als preussischer Kultusminister durch. Da sich dieses Ideal nicht auf die preussischen Volksschulen, die ja ebenfalls unter seinem Ministerium standen, ersteckt, ist es wohl besser vom Humboldtschen Universitätsideal zu sprechen, oder sich bewußt zu sein, das Bildung nicht mit Ausbildung gleichzusetzen ist]
  2. Zitiert nach: Uwe Schlichts Kommentar im Tagesspiegel vom 07.02.2007, S. 23