„Beförderungserschleichung (Deutschland)“ – Versionsunterschied

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== Situation in Österreich ==
== Situation in Österreich ==
Im österreichischen [[Strafgesetzbuch (Österreich)|StGB]] existiert der '''§ 149 (Erschleichung einer Leistung)''', der auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Bezahlung des vorgesehenen Fahrpreises einschließt und dies mit gerichtlicher Strafe bedroht.
Im österreichischen [[Strafgesetzbuch (Österreich)|StGB]] existiert der '''§ 149 (Erschleichung einer Leistung)''', der auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Bezahlung des vorgesehenen Fahrpreises einschließt und mit gerichtlicher Strafe bedroht.


''§ 149. (1) Wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt oder den Zutritt zu einer Aufführung, Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung oder zu einer Einrichtung durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten, ist, wenn das Entgelt nur gering ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen zu bestrafen.''
:''§ 149. (1) Wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt oder den Zutritt zu einer Aufführung, Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung oder zu einer Einrichtung durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten, ist, wenn das Entgelt nur gering ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen zu bestrafen.''


Nach gängigen Rechtsmeinungen ist diese Handlung aber nur gerichtlich strafbar, wenn beim Einsteigen ein Schaffner oder eine sonstige anwesende Aufsichtsperson getäuscht wird, also beispielsweise nicht bei Benutzung eines schaffnerlosen Straßenbahnzuges ohne Fahrschein. Wer bei einer Kontrolle versucht, etwa durch verschiedene Vorwände aus der Situation heraus zu kommen, könnte sich dadurch aber schon des § 149 schuldig machen. Auch könnten die Kosten einer Fahrkarte im Fernverkehr nicht mehr als "geringes Entgelt" angesehen werden.
Nach gängigen Rechtsmeinungen ist diese Handlung aber nur gerichtlich strafbar, wenn beim Einsteigen ein Schaffner oder eine sonstige anwesende Aufsichtsperson getäuscht wird, also beispielsweise nicht bei Benutzung eines schaffnerlosen Straßenbahnzuges ohne Fahrschein. Wer bei einer Kontrolle versucht, etwa durch verschiedene Vorwände aus der Situation heraus zu kommen, könnte sich dadurch aber des § 149 schuldig machen. Auch könnten die Kosten einer Fahrkarte im Fernverkehr nicht mehr als "geringes Entgelt" angesehen werden.


Um diese mögliche Gesetzeslücke zu schließen, kann "Schwarzfahren" gemäß dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen '''(EGVG), Artikel IX''', von den Behörden als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe geahndet werden (ähnlich wie etwa beim Falschparken), sofern der § 149 StGB auf den konkreten Fall nicht anwendbar ist.
Um diese Gesetzeslücke zu schließen, kann "Schwarzfahren" gemäß dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 '''(EGVG), Artikel IX''', von den Behörden als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis zu 218 Euro geahndet werden (ähnlich wie etwa beim Falschparken), sofern der § 149 StGB auf den konkreten Fall nicht anwendbar ist.


''(1) Wer [...]''
:''(1) Wer [...]''
''2. sich außer in den Fällen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und [[Beförderungsbedingung]]en dieser Einrichtungen festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, [...] begeht [...] eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde in den Fällen der Z 2 [...] von dieser, mit Geldstrafe bis zu 218 Euro [...] zu bestrafen.''
:''2. sich außer in den Fällen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und [[Beförderungsbedingung]]en dieser Einrichtungen festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, [...] begeht [...] eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde in den Fällen der Z 2 [...] von dieser, mit Geldstrafe bis zu 218 Euro [...] zu bestrafen.''
:[...]


''(4) Die Tat nach Abs. 1 Z 2 wird straflos, wenn der Täter bei der Betretung, wenngleich auf Aufforderung, den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag unverzüglich zahlt. Dies gilt auch, wenn der Täter den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag innerhalb von drei Tagen zahlt, sofern er sich bei der Zahlungsaufforderung im Beförderungsmittel durch eine mit einem Lichtbild ausgestattete öffentliche Urkunde ausweist.''
:''(4) Die Tat nach Abs. 1 Z 2 wird straflos, wenn der Täter bei der Betretung, wenngleich auf Aufforderung, den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag unverzüglich zahlt. Dies gilt auch, wenn der Täter den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag innerhalb von drei Tagen zahlt, sofern er sich bei der Zahlungsaufforderung im Beförderungsmittel durch eine mit einem Lichtbild ausgestattete öffentliche Urkunde ausweist.''


Wird der ausstehende Fahrpreis und die festgelegten Mehrgebühren des Verkehrsunternehmens sofort oder innerhalb eines festgelegten Zeitraumes bezahlt, so wird diese Strafe somit nicht verhängt.
Werden der ausstehende Fahrpreis und die Mehrgebühren des Verkehrsunternehmens sofort oder innerhalb eines festgelegten Zeitraumes bezahlt, so erfolgt keine Anzeige bei der Verwaltungsbehörde und die Verwaltungsstrafe entfällt.


Wenn der Fahrpreis und die Mehrgebühren nicht bzw. nicht fristgerecht bezahlt werden, so kann das Verkehrsunternehmen diese auf '''zivilrechtlichem''' Weg einfordern und eben zusätzlich eine behördliche Verwaltungsstrafe verhängt werden.
Wenn der Fahrpreis und die Mehrgebühren nicht oder nicht fristgerecht bezahlt werden, kann das Verkehrsunternehmen diese auf '''zivilrechtlichem''' Weg einfordern und eben zusätzlich eine behördliche Verwaltungsstrafe verhängt werden.

Laut OGH-Urteil dürfen Fahrscheinkontrolleure und andere von den Verkehrsbetrieben beauftragte Personen, wie etwa private [[Sicherheitsdienst]]e, mutmaßliche Schwarzfahrer anhalten, um deren Identität von der Polizei feststellen zu lassen. Für diesen Zweck sind angemessene Anhaltemaßnahmen durch Kontrolleure als [[Selbsthilfe (Recht)|Selbsthilfe]] nach § 344 ABGB gerechtfertigt.<ref>[http://www.diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/338608/index.do OGH lässt Schwarzfahrer nicht laufen], [[Die Presse]], 22. Oktober 2007</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==

Version vom 24. Oktober 2007, 20:17 Uhr

Die Beförderungserschleichung (umgangssprachlich auch Schwarzfahren genannt) ist in Deutschland ein vertypter Straftatbestand des Erschleichens von Leistungen nach § 265 a StGB. Systematisch gehört die Beförderungserschleichung zu den Betrugsdelikten. Vom Charakter her ist sie ein Vergehen. Die Einstufung als Beförderungserschleichung setzt Vorsatz voraus.

StGB § 265 a (1): Wer die … Beförderung durch ein Verkehrsmittel … in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

Zwei Fallgruppen sind zu unterscheiden:

  1. Wer ohne gültige Fahrkarte ein (öffentliches) Beförderungsmittel benutzt, macht sich der Erschleichung von Leistungen nach § 265a StGB strafbar (mögliche Strafe: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr).
  2. Wer ohne gültige Fahrkarte ein öffentliches Beförderungsmittel benutzt und bei der Kontrolle einen falschen, nicht gültigen oder nur für bestimmte Zonen gültigen Fahrschein vorzeigt, macht sich des Betruges strafbar (Strafe: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis fünf Jahre). Bei einer falschen Fahrkarte kann noch eine Urkundenfälschung in der Alternative des Gebrauchmachens einer unechten oder verfälschten Urkunde vorliegen.

Die Strafanzeige ist regelmäßig an einen Strafantrag des Beförderungsunternehmens gebunden; in den letzten Jahren wird von den Unternehmen vermehrt davon Gebrauch gemacht.

Kriminologische und soziale Hintergründe und Fakten

Kriminologie

Die Beförderungserschleichung ist häufig ein Delikt der Jugendkriminalität. Die Verfahren landen je nach Region bereits beim zweiten oder dritten Verstoß vor den Jugendgerichten. In der Regel wird der erste Verstoß noch von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Die Beförderungserschleichung wird kriminologisch zur Bagatell- oder Massenkriminalität gezählt und ist zugleich ein Kontrolldelikt, das sich durch sehr hohe Aufklärungsquoten auszeichnet.

Schwarzfahren als Protestform

Im Rahmen von Protesten gegen Fahrpreiserhöhungen und für ein Recht auf Mobilität wird und wurde Schwarzfahren als politische Protestform eingesetzt. Durch die offene Verweigerung des Beförderungsentgeltes sollen Forderungen nach sozialverträglichen Fahrpreisen oder gar einem Nulltarif, das heißt einem unentgeltlichen öffentlichen Nahverkehr, unterstrichen werden. Dazu wurde und wird gemeinschaftliches Schwarzfahren organisiert und offen propagiert. Ein Beispiel hierfür ist die Kampagne Pinker Punkt der Organisation Berlin Umsonst, die zu öffentlich erkennbarem und gemeinschaftlichem Schwarzfahren aufruft und mit ihrem Namen die Roter-Punkt-Aktion zu Beginn der 1970er-Jahre zitiert.

Spieltheoretische Betrachtung [1]

Das Schwarzfahren ist eine Variante des Gefangenendilemmas. Es ist eine Variante mit vielen statt nur zwei Mitspielern. Man hat die Auswahl, zu bezahlen oder schwarzzufahren. Schwarzfahrer sind Trittbrettfahrer. Der Schwarzfahrer streicht einen kleinen Gewinn ein, der aber zu Lasten der Gemeinschaft geht. Solange nur ein Einzelner das macht, ist es insgesamt nicht spürbar. Alle anderen kooperieren und die Verkehrsgesellschaft erhält einen Fahrpreis, mit dessen Hilfe sie das entsprechende Verkehrsnetz aufrechterhalten kann. Wenn aber sehr viele Personen die Bezahlung verweigern, kann das zum Kollaps des Angebotes führen. Es besteht also ein Widerspruch zwischen den persönlichen Interessen und den gemeinschaftlichen Gruppeninteressen. Die Gruppe hat das Interesse, dass möglichst wenige schwarzfahren, damit sie auch weiterhin die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können. Um die Belohnung des Schwarzfahrens zu verringern, werden Strafen eingesetzt, die höher sind, als der kurzzeitige Gewinn. Belohnt werden dagegen der Kauf von langfristiger gültigen Karten. Das Schwarzfahren erhöht zugleich die Ausgaben des Systems, da Kontrollen und gegebenenfalls Strafverfolgung nötig sind. Weil die erhöhten Ausgaben auf die anderen, die bezahlenden Fahrgäste oder auf die Allgemeinheit umgelegt werden, tragen diese die erhöhten Kosten und sind die Verlierer in diesem Spiel.

Fahrpreisnacherhebung

Zivilrechtliche Forderung

Unabhängig von der Straftat und ihrer Sanktion verlangen viele Beförderungsunternehmen ein Entgelt, das in der Regel als „erhöhter Fahrpreis“ bezeichnet wird. Dabei handelt es sich lediglich um eine zivilrechtliche Forderung, die die Beförderungsunternehmen bei einer Beförderungserschleichung regelmäßig gegen die Täter geltend machen. Ob diese Forderung als Vertragsstrafe oder tatsächlich als (vereinbarter) Fahrpreis zu charakterisieren ist, ist ebenso umstritten wie, ob überhaupt eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage besteht. Die Bahnunternehmen stützen den Anspruch regelmäßig auf § 12 EVO bzw. ihre entsprechenden Allgemeine Geschäftsbedingungen. Für den Linienbus- und Straßenbahnverkehr gilt § 9 der Verordnung über Allgemeine Beförderungsbedingungen (VO-ABB), die das Bundesverkehrsministerium aufgrund von § 57 Abs. 1 Nr. 5 PBefG mit Zustimmung des Bundesrates erlässt.

§ 12 EVO entspricht dem § 12 der Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn AG vom 12.9.2007. [2] Die Nord-Ostsee-Bahn GmbH regelt den „erhöhten Fahrpreis“ in § 9 ihrer Beförderungsbedingungen.[3]

Verfassungsrechtliche Bedenken

Verfassungsrechtlich bedenklich ist, dass der unbeschränkte Wortlaut der Vorschrift einen Anspruch des Bahnunternehmens selbst dann begründet, wenn der Reisende den Umstand, aufgrund dessen er keinen gültigen Fahrausweis vorzeigen kann, nicht zu vertreten hat. Ein solcher Umstand kann etwa auch durch den Defekt eines Ticketautomaten oder die Verspätung eines Zuges begründet sein.

EVO § 12 Erhöhter Fahrpreis (Auszug)

„Der Reisende ist zur Zahlung eines erhöhten Fahrpreises verpflichtet, wenn er bei Antritt der Reise nicht mit einem gültigen Fahrausweis versehen ist [oder] sich einen gültigen Fahrausweis beschafft hat, ihn jedoch bei einer Prüfung der Fahrausweise nicht vorzeigen kann,… Der erhöhte Fahrpreis … beträgt das Doppelte des gewöhnlichen Fahrpreises für die vom Reisenden zurückgelegte Strecke, mindestens 40 Euro. Der erhöhte Fahrpreis kann für die ganze vom Zug zurückgelegte Strecke berechnet werden, wenn der Reisende nicht glaubhaft macht, daß er eine kürzere Strecke durchfahren hat. Der erhöhte Fahrpreis ermäßigt sich … auf 7 Euro, wenn der Reisende innerhalb einer Woche ab dem Feststellungstag bei einem Bahnhof der befördernden Eisenbahn nachweist, daß er im Zeitpunkt der Feststellung Inhaber eines gültigen Fahrausweises war.“[4]

Rechtsprechung

Klagen der Bahn gegen Fahrgäste auf Zahlung des „erhöhten Fahrpreises“ wurden in der Rechtsprechung soweit ersichtlich regelmäßig abgewiesen, weil die Gerichte § 12 Abs. 1 EVO für verfassungswidrig erkannten. Da es sich um eine untergesetzliche Rechtsnorm und kein formelles Gesetz handelt, sind auch Amtsgerichte dazu befugt.

Das Amtsgericht Essen[5] entschied 1979, die Bahn „kann sich … nicht darauf berufen, dass § 12 EVO … vorsieht, dass der Reisende 40 DM zahlen muss, wenn er bei Antritt der Reise nicht mit einem gültigen Fahrausweis versehen ist. Diese Rechtsverordnung ist mindestens insoweit, als sie auch für Fälle nicht vorsätzlichen Erschleichens der Beförderungsleistung Bezahlung der Vertragsstrafe von 40 DM vorsieht, wegen des Verstoßes gegen das Grundgesetz und höherrangige Gesetze nichtig. … Die Regelung des § 12 EVO verstößt … gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, weil sie ungleiche Sachverhalte unzulässigerweise gleich behandelt. Es wird der Schwarzfahrer mit dem Vergesslichen und dem Unwissenden auf dieselbe Stufe gestellt. Der bahnbenutzende Mensch soll mit zivilrechtlichen Sanktionen auf den Automaten zugerichtet werden. Es ist unsachlich, weil es grundlegende Unterscheidungen des Zivilrechts und die Würde des Menschen missachtet, das ‚Erschleichen‘ und das ‚Nachlösenwollen ohne Aufforderung‘ gleich zu behandeln“.

Das Amtgericht Aachen[6] schloss sich 1992 diesem Urteil an, indem es die Vorschrift ebenfalls für verfassungwidrig erkannte. Nach der Begründung des Gerichts kann es „dahinstehen, ob die Beklagte bei Fahrtantritt gutgläubig angenommen hat, im Besitz eines gültigen Fahrscheins zu sein. Der Anspruch der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass § 12 Abs. 1 EVO gegen das Übermaßverbot verstößt und damit unwirksam ist. … § 12 Abs. 1 EVO bezweckt in erster Linie die Verhinderung von Schwarzfahrten. … Indem § 12 EVO weder zwischen Fällen vorsätzlicher Beförderungserschleichung und Fällen unvorsätzlichen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis differenziert, noch dem Reisenden zumindest die Möglichkeit des Entlastungsbeweises offenhält, schießt die Vorschrift über das Ziel hinaus, vorsätzlichem Schwarzfahren entgegenzuwirken.“

Rechtliche Situation bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland

Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren können wegen ihrer eingeschränkten Geschäftsfähigkeit im Fall des Schwarzfahrens nicht vom Verkehrsunternehmen zu Zahlung des erhöhten Beförderungsgeldes gezwungen werden. Ohne Einwilligung der Eltern können Jugendliche keinen wirksamen Beförderungsvertrag abschließen. Die Eltern sind zur Zahlung des erhöhten Beförderungsgeldes ebenfalls nicht verpflichtet. Weigern sie sich zu zahlen, ist ein rechtswirksamer Vertrag, auf den sich das Beförderungsunternehmen berufen könnte, nicht zustandegekommen.

Da die Verkehrsunternehmen verständlicherweise nicht auf diesen Umstand hinweisen und auch bei Kindern und Jugendlichen mit den üblichen Methoden das erhöhte Beförderungsentgelt erheben (1. Mahnung, 2. Mahnung, Inkassobüro, Rechtsanwalt, gerichtliches Mahnverfahren mit der Möglichkeit zum Widerspruch), zahlen die Kinder und Jugendlichen oder Eltern oft bereitwillig. Verkehrsunternehmen erheben aber im Fall eines Widerspruchs gegen den gerichtlichen Mahnbescheid in der Regel keine Klage vor Gericht, da ihre Rechtsabteilungen wissen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit vor den meisten Gerichten damit keinen Erfolg und die Kosten für das verlorene Gerichtsverfahren zu tragen hätten.

Die Möglichkeit der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft aufgrund von Beförderungserschleichung nach dem Jugendstrafrecht bleibt hiervon allerdings unberührt. Ebenso kann der Beförderer den Jugendlichen von der Benutzung seiner Verkehrsmittel befristet ausschließen.

Situation in Österreich

Im österreichischen StGB existiert der § 149 (Erschleichung einer Leistung), der auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Bezahlung des vorgesehenen Fahrpreises einschließt und mit gerichtlicher Strafe bedroht.

§ 149. (1) Wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt oder den Zutritt zu einer Aufführung, Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung oder zu einer Einrichtung durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten, ist, wenn das Entgelt nur gering ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen zu bestrafen.

Nach gängigen Rechtsmeinungen ist diese Handlung aber nur gerichtlich strafbar, wenn beim Einsteigen ein Schaffner oder eine sonstige anwesende Aufsichtsperson getäuscht wird, also beispielsweise nicht bei Benutzung eines schaffnerlosen Straßenbahnzuges ohne Fahrschein. Wer bei einer Kontrolle versucht, etwa durch verschiedene Vorwände aus der Situation heraus zu kommen, könnte sich dadurch aber des § 149 schuldig machen. Auch könnten die Kosten einer Fahrkarte im Fernverkehr nicht mehr als "geringes Entgelt" angesehen werden.

Um diese Gesetzeslücke zu schließen, kann "Schwarzfahren" gemäß dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 (EGVG), Artikel IX, von den Behörden als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis zu 218 Euro geahndet werden (ähnlich wie etwa beim Falschparken), sofern der § 149 StGB auf den konkreten Fall nicht anwendbar ist.

(1) Wer [...]
2. sich außer in den Fällen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen dieser Einrichtungen festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, [...] begeht [...] eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde in den Fällen der Z 2 [...] von dieser, mit Geldstrafe bis zu 218 Euro [...] zu bestrafen.
[...]
(4) Die Tat nach Abs. 1 Z 2 wird straflos, wenn der Täter bei der Betretung, wenngleich auf Aufforderung, den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag unverzüglich zahlt. Dies gilt auch, wenn der Täter den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag innerhalb von drei Tagen zahlt, sofern er sich bei der Zahlungsaufforderung im Beförderungsmittel durch eine mit einem Lichtbild ausgestattete öffentliche Urkunde ausweist.

Werden der ausstehende Fahrpreis und die Mehrgebühren des Verkehrsunternehmens sofort oder innerhalb eines festgelegten Zeitraumes bezahlt, so erfolgt keine Anzeige bei der Verwaltungsbehörde und die Verwaltungsstrafe entfällt.

Wenn der Fahrpreis und die Mehrgebühren nicht oder nicht fristgerecht bezahlt werden, kann das Verkehrsunternehmen diese auf zivilrechtlichem Weg einfordern und eben zusätzlich eine behördliche Verwaltungsstrafe verhängt werden.

Laut OGH-Urteil dürfen Fahrscheinkontrolleure und andere von den Verkehrsbetrieben beauftragte Personen, wie etwa private Sicherheitsdienste, mutmaßliche Schwarzfahrer anhalten, um deren Identität von der Polizei feststellen zu lassen. Für diesen Zweck sind angemessene Anhaltemaßnahmen durch Kontrolleure als Selbsthilfe nach § 344 ABGB gerechtfertigt.[7]

Siehe auch

Literatur

Rechtwissenschaft

Zivilrecht

  • Daleki, Wolfgang: „Erhöhtes Beförderungsentgelt für ‚Schwarzfahrer‘ rechtmäßig?“, MDR 1987, S. 891–894
  • Weth, Stephan: „Zivilrechtliche Probleme des Schwarzfahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln“, JuS 1998, S. 795–801
  • Rott, Peter: „Haftung des Reisenden für das Versagen von Fahrscheinautomaten?“, RRa 2003, S. 242–247

Sonstige

  • Hubmayr, Gerald: Schwarzfahren – Die Kunst des tariffreien Netzgleitens. Böhlau (Wien), 2002, ISBN 3-205-99187-7
  • Werner, Marc-André: Schwarzfahrer. Roman, Aufbau Taschenbuch, 2. Aufl., 2003, ISBN 3-746-61983-1
  • Projekt Nulltarif des Vereins für innovative Verkehrssysteme Darmstadt, mit wissenschaftlichem Schwerpunkt (u.a. Diplomarbeit zum Thema)
  • fahrpreisnacherhebung.info Plattform zum Austausch von Betroffenen, die zu unrecht eine Fahrpreisnacherhebung erhalten haben und dagegen Einspruch erheben wollen.

Referenzen

  1. William Poundstone, Prisoner's Dilemma: John von Neumann, Game Theory, and the Puzzle of the Bomb, Anchor/Random House, 1992, S. 125 ff. "Free Rider"
  2. Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn AG vom 1.9.2007
  3. Beförderungsbedingungen der Nord-Ostsee-Bahn GmbH vom 1.9.2007
  4. § 12 EVO bei juris.de
  5. AG Essen, Urt. v. 20.12.1979 – 12 C 535/79, abgedruckt in DÖV 1980, S. 882 ff.
  6. AG Aachen, Urt. v. 2.7.1992 – 80 C 6/92, abgedruckt in NJW-RR 1993, S. 317.
  7. OGH lässt Schwarzfahrer nicht laufen, Die Presse, 22. Oktober 2007