„Vergangenheitsbewältigung“ – Versionsunterschied

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== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Holocaustkenntnis von Zeitzeugen]]

* [[Entnazifizierung]]
* [[NS-Prozesse]]
* [[Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen]], [[Opfer der NS-Militärjustiz]] und [[Rehabilitation]]
* Zur evangelischen Kirche siehe unter [[Stuttgarter Schuldbekenntnis]]
* [[Volkstrauertag]]
* [[Geschichtspolitik]]
* Zur katholischen Kirche siehe z. B. unter Papst [[Pius XII.]] (Eugenio Pacelli)
* Zur Auseinandersetzung um die NS-Justizverbrechen siehe auch [[Ungesühnte Nazijustiz]]
* Das Projekt ''[[A Letter To The Stars]]'' ist ein wichtiges Zeitgeschichte-Projekt in Schulen der Republik Österreich. 2008 sollen [[Zeitzeuge]]n/Überlebende an 250 Schulorte eingeladen werden.
* Das Projekt ''[[A Letter To The Stars]]'' ist ein wichtiges Zeitgeschichte-Projekt in Schulen der Republik Österreich. 2008 sollen [[Zeitzeuge]]n/Überlebende an 250 Schulorte eingeladen werden.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />



== Literatur ==
== Literatur ==
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* Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): ''Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945'' Bielefeld 2007 ISBN 978-3-89942-773-8
* Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): ''Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945'' Bielefeld 2007 ISBN 978-3-89942-773-8
* [[Norbert Frei]]: ''Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit'' München 1996 ISBN 3-423-30720-X
* [[Norbert Frei]]: ''Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit'' München 1996 ISBN 3-423-30720-X
* Glienke, Stephan Alexander/Paulmann, Volker/Perels, Joachim (Hrsg.): Erfolgsgeschichte Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. ISBN 3-8353-0249-3
* Helmut König, Michael Kohlstruck und Andreas Wöll: ''Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts'' (Leviathan Sonderheft, Nr. 18) Opladen 1998 ISBN 3-531-13156-7
* Helmut König, Michael Kohlstruck und Andreas Wöll: ''Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts'' (Leviathan Sonderheft, Nr. 18) Opladen 1998 ISBN 3-531-13156-7
* Peter Reichel: ''Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz'' 2. aktual. Aufl. München 2007 ISBN 978-3-406-45956-6
* Peter Reichel: ''Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz'' 2. aktual. Aufl. München 2007 ISBN 978-3-406-45956-6

== Weblinks ==
* [http://www.buergervereinigung-landsberg.de/umganggeschichte/umgang-geschichte.htm Umgang mit der Geschichte am Beispiel Landsberg: Aufarbeitung – Verdrängung - Diffamierung])


[[en:Vergangenheitsbewältigung]]
[[en:Vergangenheitsbewältigung]]
[[it:Vergangenheitsbewältigung]]
[[it:Vergangenheitsbewältigung]]

[[Kategorie:Deutsche Geschichte (Nachkriegszeit)]]
[[Kategorie:Nationalsozialismus]]
[[Kategorie:Holocaustgedenken]]

Version vom 19. November 2008, 22:23 Uhr

Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin

Als Vergangenheitsbewältigung wird gewöhnlich der Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus und speziell des Holocausts in Deutschland und Österreich bezeichnet, insbesondere die Konsequenzen, die aus dieser Zeit auf politischer und kultureller Ebene gezogen wurden.

Inzwischen wird der Begriff auch weiter gefasst und ist eine Sammelbezeichnung für Aktivitäten geworden, mit denen sich demokratische und der Wahrung der Menschenrechte verpflichtete Systeme und Gesellschaften mit ihren durch Diktatur und Verbrechen gekennzeichneten Vorgängersystemen auseinandersetzen. [1]

Definition

Der Begriff Vergangenheitsbewältigung wird vielfach auf den Historiker Hermann Heimpel zurückgeführt[2] und wurde vom Bundespräsidenten Theodor Heuss in vielen Reden verwendet. Ein früher Beleg für die Benutzung des Wortes findet sich in der „Einladung zu einer Tagung zum 20. Juli“ zum Thema „Verbindlichkeit und Problematik unserer Geschichte“, die von der Evangelischen Akademie Berlin 1955 organisiert wurde. Der damalige Akademieleiter Erich Müller-Gangloff sprach in der Einladung von dem „Schatten einer unbewältigten Vergangenheit“, der auf die deutsche Geschichte falle.

Eckhard Jesse definiert den Begriff über drei wesentliche Aspekte:

"Vergangenheitsbewältigung setzt erstens Verbrechen voraus, zweitens ihre Beendigung und drittens eine Demokratisierung. Nur wenn die drei Aspekte zusammen vorliegen, kann eine Vergangenheitsbewältigung, die diesen Namen verdient, Platz greifen." [3]

Helmut König fasst die Definition weiter, indem er Vergangenheitsbewältigung folgendermaßen definiert:

" ... die Gesamtheit jener Handlungen und jenes Wissens, mit der sich die jeweiligen neuen demokratischen Systeme zu ihren nichtdemokratischen Vorgängerstaaten verhalten. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die neu etablierten Demokratien mit den strukturellen, personellen und mentalen Hinterlassenschaften ihrer Vorgängerstaaten umgehen und wie sie in ihrer Selbstdefinition und in ihrer politischen Kultur zu ihrer jeweiligen belastenden Geschichte stehen." [4]

Der Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ steht heute in der Kritik, weil er suggeriere, dass man die Vergangenheit „bewältigen“ könne – also endgültig erledigen. Daher wird von einigen der Begriff Vergangenheitsaufarbeitung oder Aufarbeitung der Vergangenheit vorgezogen. Als Alternative ist in den letzten Jahren der Begriff Erinnerungskultur aufgekommen. [5]

Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit

Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin

Mit dem Begriff der Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit werden mehrere Aspekte zusammengefasst: Die juristische (d.h. sowohl strafrechtliche, zivilrechtliche, als auch öffentlich-rechtliche) Aufarbeitung des Dritten Reiches, die geschichtswissenschaftliche, ethische, und auch soziale Aufarbeitung dieser Zeit. Am Anfang der Vergangenheitsbewältigung stand die juristische Aufarbeitung, d.h. die Bestrafung einiger Täter, die Rehabilitierung der Opfer und die Revision der nationalsozialistischen Rassegesetze (z.B. der sogenannten Nürnberger Gesetze). Im weiteren Verlauf sollte sich jedoch zeigen, dass beiden erstgenannten Bereiche eine Aufgabe für Jahrzehnte werden würden. Die juristische Seite wurde bald begleitet von einer historischen Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaftszeit. Parallel begann man mit der personellen wie ideologischen Entnazifizierung und damit der Hinterfragung der im NS-Staat gesetzten Werte und Normen. Es galt einer breiten Öffentlichkeit deren menschenverachtenden Charakter deutlich zu machen und ihnen demokratische und ethisch-moralische Wertvorstellungen entgegenzusetzen. Diese Prozesse wurden durch die Siegermächte initiiert und hatten das Ziel, begangenes Unrecht nicht folgenlos zu lassen, das Leid der Opfer zu mildern, eine Wiederholung des Geschehens unter allen Umständen auszuschließen und die Ursachen sowie die Hintergründe dieser Verbrechen zu verstehen bzw. zumindest zu dokumentieren.

Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit in der Bundesrepublik Deutschland

Integrationspolitik

Ehemalige Angehörige der NSDAP, ehemalige Wehrmachtsangehörige, Flüchtlinge und Vertriebene, die sich nach Jahren der Entnazifizierung, der Internierung und des Lagerlebens sozial und wirtschaftlich deklassiert fühlten, den Untergang des Nationalsozialismus als schweren Sinnverlust erlebten, bildeten ein erhebliches Potential für eine Destabilisierung der neu formierten Demokratie Westdeutschlands. Die SRP profilierte sich als Nachfolgepartei der NSDAP, ihre Parolen fanden in diesen Bevölkerungsgruppen begeisterte Zustimmung.[6]. Die deutsche Politik begegnete dieser Lage, indem sie von der Entnazifizierung zur Integration überging.

In der ersten Legislaturperiode der Bundesrepublik Deutschland (1949-1953) wurden wesentliche juristische Voraussetzungen geschaffen, um die große Zahl der NS-Täter gesellschaftlich integrieren zu können. 1949 verabschiedete der Bundestag einstimmig ein Amnestiegesetz, 1954 ein zweites. Die große Mehrheit der von deutschen Gerichten verurteilten Nationalsozialisten wurde auf diese Weise begnadigt. Die Urteile der Spruchgerichte aus der Entnazifizierung der Alliierten wurden aus dem Strafregister gestrichen. Das "131er-Gesetz" von 1951 (nach dem Paragraphen 131 des Grundgesetzes) regelte die Wiedereingliederung von Beamten, die 1945 von den Alliierten aus politischen Gründen entlassen worden waren, und von ehemaligen Berufssoldaten in den Öffentlichen Dienst. Auch dieses Gesetz wurde einstimmig verabschiedet. Damit wurden die Millionen von Mitgliedern der NSDAP entlastet, fast die gesamte NS-Elite war amnestiert und konnte dank des vom 131-Gesetz garantierten Wiedereinstellungsanspruchs in ihre Positionen in Politik, Justiz und Verwaltung zurückkehren. Der Wiederaufbau rückte in den Vordergrund, sich daran aktiv zu beteiligen kompensierte das moralische Versagen in der NS-Zeit.

Besonders laute Forderungen nach einem Ende der Entnazifizierung und nach einer Amnestie kamen von den Parteien, in denen sich viele alte Nationalsozialisten sammelten, wie von der DP und der FDP, sowie den Soldatenverbänden und dem BHE. „Mitte der fünfziger Jahre mußte niemand mehr befürchten, ob seiner NS-Vergangenheit von Staat und Justiz behelligt zu werden. Angeheizt von den ebenso profilierten wie populären vergangenheitspolitischen Forderungen der rechten Kleinparteien hatte eine Allparteienkoalition des Bundestages die den Deutschen nach der Kapitulation aufgezwungene individuelle Rechenschaftslegung beendet; fast alle waren jetzt entlastet und entschuldigt.„[7] Das Bundesjustizministerium rief eine Zentrale Rechtsschutzstelle ins Leben, die von Strafverfolgung bedrohte Häftlinge im alliierten Gewahrsam unterstützte. Die westdeutsche Strafverfolgung von NS-Verbrechen wurde fast vollständig eingestellt, Bundesjustizministerium und Bundesgerichtshof untersagten die Anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10, nach dem die Nürnberger Gerichte geurteilt hatten.

Die Verschärfung des Ost-West-Konfliktes zum Kalten Krieg begünstigte den Übergang zur Integrationspolitik. Im Vorfeld der Wiederbewaffnung Deutschlands wurde die ehemalige Führungsschicht der Wehrmacht von den Politikern umworben. Diese nutzten die neue Lage. In der Himmeroder Denkschrift legten sie ihre Vorstellungen von den neuen deutschen Streitkräften nieder und verlangten von den Regierungen der Westmächte eine Ehrenerklärung für die Wehrmacht. Fast alle Kriegsverbrecher, die in den Nürnberger Prozessen verurteilten worden waren, wurden vom amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy freigelassen, fast alle der zum Tode Verurteilten begnadigt. Im Gewahrsam blieben nur die Spandauer Gefangenen. Im Wahlkampf 1953 besuchte Bundeskanzler Adenauer demonstrativ das britische Kriegsverbrecher-Gefängnis in Werl.

Erst nachdem diese Gesetze für Strafaufhebung und Reintegration der NS-Täter beschlossen waren, wandte sich der Bundestag der Wiedergutmachung zu. Nach Kriegsende mussten auf Anordnung der westlichen Besatzungsbehörden finanzielle Zuwendungen an NS-Verfolgte geleistet werden, und diese Verpflichtung musste nach der Gründung der Bundesrepublik vom Bundestag und von der Verwaltung übernommen werden. Einige Jahre später, am Ende der Legislaturperiode 1953, wurde das erste Wiedergutmachungsgesetz beschlossen.

Wiedergutmachungspolitik

Um die materiellen Schäden der Opfer zu ersetzen und der durch die Geschichte auferlegten Verantwortung gerecht zu werden, wurde die Wiedergutmachung eine feste Größe der bundesrepublikanischen Politik. In deren Geschichte wurde die NS-Vergangenheit in den ersten zwei Jahrzehnten nach Ende des Krieges jedoch weitgehend verdrängt. Die ungesühnten NS-Verbrechen rückten dann in den angehenden fünfziger Jahren mit dem Einsetzen der Strafverfahren gegen sogenannte „Exzesstäter„, verschiedene Skandale um wiederamtierende ehemalige nationalsozialistische Funktionsträger und mehrere studentische Aktionen wie die Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz (1959–1962) und die Ausstellung „Die Vergangenheit mahnt„ (1960–1962) wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Große Aufmerksamkeit erregte insbesondere der Prozess gegen Adolf Eichmann und der Frankfurter Auschwitz-Prozess. Aber im Spannungsfeld des Kalten Krieges war die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung bis zur Verjährungsdebatte des Bundestages umstritten. In einer Umfrage im Jahre 1965 plädierte die Hälfte der Befragten für eine sofortige Beendigung aller NS-Prozesse.

Schlussstrich und Erinnerungskultur

Die Strafverfolgung der achtziger und neunziger Jahre vollzog sich nach einem Generationswechsel in einem anderen gesellschaftspolitischen Klima, in dem die Bereitschaft deutlich gestiegen war, sich mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte zu beschäftigen. Diese weit verbreitete Beurteilung muss aber relativiert werden. In einer Meinungsumfrage vom Mai 2005 sprachen sich 41 % der Befragten dafür aus, einen Schlussstrich unter die Beschäftigung mit der NS-Zeit zu setzen; für eine weitere Aufarbeitung stimmten 51 %. Derartige Schlussstrichdebatten und auch offene oder verdeckte Holocaustleugnung stehen immer wieder als Gegenpol zu einer Fortsetzung der Vergangenheitsbewältigung. Trotzdem hat sich in der Bundesrepublik wie auch in Österreich eine breite öffentliche Erinnerungskultur entwickelt, sowohl im Rahmen der politischen wie staatlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, als auch in Bezug auf eine Vielzahl privater Initiativen. Hieran trägt auch die hohe Zahl von Gedenkstätten einen wichtigen Anteil.

Kritik von Rechts

Die überwiegend von Seiten der Neuen Rechten und des Rechtsradikalismus vorgebrachte Kritik an der Vergangenheitsbewältigung bezieht sich primär auf drei Punkte:

  • Die Vergangenheitsbewältigung sei von einem ursprünglich legitimen Anliegen zu einer Farce und einem moralischen Totschlagargument in der politischen Debatte geworden.
  • Sie sei von Anfang an asymmetrisch angelegt gewesen, da eine Vergangenheitsbewältigung anderer Völker von Anfang an nicht vorgesehen sei.
  • Sie sei von den Siegern des Krieges als Mittel der "Umerziehung" (reeducation) benutzt worden, und arbeite deshalb mit einer teilweise manipulierten Vorstellung vom Dritten Reich

Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit in der DDR

Nach einer Periode der Entnazifizierung ging auch die DDR trotz des offiziellen Antifaschismus der SED dazu über, eine Politik der innenpolitischen Stabilisierung zu betreiben. Die großen Gruppen der ehemaligen NSDAP-Mitglieder, der aus der Kriegsgefangenenschaft heimgekehrten Soldaten und Offiziere sowie der Flüchtlinge und Vertriebenen bildeten auch in der DDR eine Gefahr der Radikalisierung. Nachdem die Volkskammer bereits im November 1949 ein Gesetz über den Erlaß von Sühnemaßnahmen für ehemalige Anhänger der Nazipartei und Offiziere der Wehrmacht verabschiedet hatte, wurden am 2. Oktober 1952 diesem Personenkreis die vollen staatsbürgerlichen Rechte zugesprochen. Mit der NDPD wurde eine Blockpartei geschaffen, um ehemalige einfache Mitglieder der NSDAP und Wehrmachtsoffiziere in das neue Herrschaftssystem der SED einzubinden. Eine Vielzahl der Täter des Nationalsozialismus erhielten in der DDR hohe Funktionen[8]. Siehe hierzu auch Liste ehemaliger NSDAP-Mitglieder, die nach Mai 1945 politisch tätig waren#Deutsche Demokratische Republik (bzw. Sowjetische Besatzungszone).

Eine kritische Auseinandersetzung der Beteiligung ehemaliger Nazis in der Nachkriegsgesellschaft wie in der Bundesrepublik fand nicht statt. Offizielle Staatsdoktrin war die Dimitroff-These: Faschismus sei „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals„.[9]. Da die Macht des "Finanzkapital" in der DDR gebrochen sei, sei dem Fachismus in der DDR die Basis entzogen. Diesem Bild des offiziellen Antifaschismus der DDR entsprach jedoch weder eine Thematisierung der Übernahme ehemaliger NS-Größen noch das Eingeständnis, es könne in der DDR Neonazis geben. Die Zensur unterband jede Berichterstattung über diese Themen. Selbst wenn (wie z.B. bei Arno von Lenski) eine Berichterstattung im Westen erfolgte, wurde das Thema in der DDR konsequent verschwiegen. Die fehlende öffentliche Auseinandersetzung mit Aktivitäten von Neonazis in der DDR wird in der politischen Debatte teilweise als ein Grund dafür genannt, dass rechtsextreme Ansichten und Parteien heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR deutlich stärker vertreten sind, als in den alten Ländern [10].

Vergangenheitsbewältigung der SED-Diktatur nach 1990

Logo der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: Flagge der DDR mit ausgeschnittenem Wappen

Die rot-grüne Regierung setzte Mitte 2005 eine Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbunds ›Aufarbeitung der SED-Diktatur‹ ein, [11] die am 15. Mai 2006 ihre Empfehlungen vorgelegte. [12]


Vergangenheitsbewältigung in anderen Staaten

Einige der Madres de Plaza de Mayo beim ehemaligen argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner

Im weiteren Sinne wird der spezifisch deutsche Begriff Vergangenheitsbewältigung auf entsprechende Aktivitäten übertragen, in denen andere demokratische Staaten oder Gesellschaften ihre eigene Geschichte aufarbeiten, soweit sie von Diktatur, Verbrechen staatlicher Organe oder Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet ist. Dies geschieht oft in Form einer Wahrheits- und Versöhnungskommission, die zeitlich begrenzt arbeitet und deshalb nicht alle Bereiche abdeckt. In einigen Staaten Lateinamerikas, Marokko, oder Südafrika entstanden nach Beendigung von Diktaturen zeitlich begrenzte, Wahrheitskommissionen, welche versuchten ein möglichst genaues Bild von Menschen- oder Völkerrechtsverletzungen in einer bestimmten Periode des eigenen Landes zu entwerfen. [13]

Der deutsche Umgang mit NS-Diktatur wird inzwischen häufig als Vorbild für die Aufarbeitung diktatorischer Vergangenheit angeführt, und scheint sich als eine Art Norm zu konstituieren, an der andere europäische Staaten sich orientieren und ihre jeweiligen Aufarbeitungsprozesse messen. Sowohl auf nationaler als auch auf transnationaler und europäischer Ebene sind zunehmend Bemühungen feststellbar, Standards und verbindliche Richtlinien für Vergangenheitsaufarbeitung zu etablieren. [14]

Vergleich verschiedener Staaten

In der Vergangenheitsbewältigung unterschiedlicher Länder lassen sich trotz länderspezifischer Individualitäten dennoch einige Gemeinsamkeiten feststellen. So sind häufig, auch abhängig von der politischen Funktion und Positionierung der jeweiligen Personen in der zu thematisierenden vergangenen Epoche, folgende Grundmodelle in der Haltung der Bevölkerung und/oder der neuen polischen Führung zu beobachten.

  • Die nach vielen Regimewechseln besonders in ideologisch begründeten Diktaturen zu beobachtende Ansicht, dem früheren System habe eine "gute Idee, die schlecht verwirklicht wurde" zugrunde gelegen, war in Deutschland nach 1945 [15] [16] [17] sowie auch im postkommunistischen Osteuropa [18] [19]
  • Auch die Forderung nach einer Beendigung der öffentlichen Thematisierung der Vergangenheit (Schlusstrich oder Stunde Null), häufig verbunden mit Amnestieforderungen, war nach 1945, und ist in Osteuropa anzutreffen. In Polen war dies beispielsweise (gruba kreska = dicker Strich [20]) 1989 die explizite Politik des ersten demokratischen Präsidenten Tadeusz Mazowiewski. Als Argumente werden häufig die Notwendigkeit der Bewahrung des inneren Friedens, die Integration aller Gesellschaftsgruppen in die postdiktatorische Gesellschaft, die Bewahrung eines intakten Nationalbewusstseins, oder der Verweis auf die erforderliche Hinwendung zu Zukunftsaufgaben (deutscher Wiederaufbau nach 1945) ins Feld geführt.
  • Die Forderung nach einer gründlicheren Vergangenheitsaufarbeitung kommt häufig von Gruppen welche schon vor dem Regimewechsel in Opostion zum alten Regime standen, und nun eine konsequente Abkehr von den alten Institutionen, Eliten und Traditionen fordern. Im Mittelpunkt steht meist auch die Forderung nach Rechtfertigung der Opfer, Offenlegung der historischen Wahrheit, und einer Klärung bzw. Bestrafung früher verantwortlicher Repräsentanten. Dies soll auch durch symbolische Akte möglichst häufig und öffentlichkeitswirksam demonstriert werden.
  • Auch der vermehrte Rückzug ins Private und Aplotische ist, besonders nach der Überwindung ideologisch stark indoktrinierender Systeme, häufig zu beobachten, und blockiert eine Vergangenheitsaufarbeitung. [21]

Die Vergangenheitsbewältigung spielt sich dabei nach Claus Offe in einem Konfliktfeld zwischen den Führungsgruppen des alten Regimes, des neuen Regimes, den direkten Opfern und Leidtragenden einschließlich ihrer Familien und Verwandten, sowie den Widerstandsbewegungen und Dissidenten des alten Regimes ab. [22]

Im allgemeinen bestimmen psychologische Traumatisierungen und Mechanismen wie Schuldgefühle bzw. Verdrängungsmechanismen der Täter und Scham- bzw. Ohnmachtsgefühle der Opfer, sowie beiderseitige Aggressionen - solange beide in einer Gesellschaft noch relevant vorhanden sind - die Art des Diskurses mit.

Die Aufarbeitung wird dagegen mit zunehmenden zeitlichen Abstand, und damit verbunden der demographischen Abnahme von Personen,welche in dieser Zeit gelebt haben, sowie der besseren Zugänglichkeit von gesperrten Archiven wissenschaftlich fundierter, unproblematischer und unverkrampfter.

Für die Art der Vergangenheitsaufarbeitung macht es einen wesentlichen Unterschied, ob ein Regime:

  • durch Transition wegen innerer wirtschaftlicher Zerrüttung (wie die Sowjetunion) oder trotz noch vorhandener innerer Stabilität und Wirtschaftskraft (Franco-Spanien, Südafrika) allmählich transformiert wurde (Franco-Spanien, Südafrika)
  • durch fremde Mächte und nicht innere Entwicklungen deinstalliert wurde (wie Nazi-Deutschland)

So werden beispielsweise im ersten Fall personelle und verfassungsmäßige Kontinuitäten langsamer abgebaut als im zweiten, in den häufig große Teile ehemaliger hoher Funktionsträger wegen Todes- oder Gefängnisstrafen ausfallen.

Kulturelle Besonderheiten der Länder und Kulturen sowie deren Historie können zusätzliche Unterschiede in Form und Intensität der Vergangenheitsbewältigung bewirken. Ein Beispiel hier für war die lange stockende Vergangenheitsbewältigung in Japan, welche auch auf die Bedeutung des Ahnenkultes in der japanischen Kultur zurückzuführen ist. [23] Ein weiteres illustratives Beispiel für kulturelle Spezifika ist der in Südamerika schon vor und auch nach den jeweiligen Diktaturen stark ausgeprägte Korporativismus zwischen Güterallokation, klientistischen Interessenvertretern, bevorzugten Schichten, der katholischen Kirche, und dem Staat. Dieser Korporativismus stellte und stellt einen Hemmschuh für eine effektive Vergangenheitsaufarbeitung von diktatorischem Tun und Erleben dar. [24]

Die juristische (straf- oder zivilrechtlich), geschichtswissenschaftliche, künstlerisch-literarische, soziale, oder im breiten Bewusstsein der Öffentlichkeit stattfindende Aufarbeitung ist in unterschiedlichen Ländern in verschiedener Reihenfolge bzw. Akzentuierung abgelaufen. Auch im Gebiet der finanziellen Wiedergutmachung gab und gibt es Unterschiede.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Helmut König und Michael Kohlstruck: Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, 1998, Seite 7
  2. Peter Dudek: Vergangenheitsbewältigung. Zur Problematik eines umstrittenen Begriffs. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage 1–2, 1992, S. 44 ff.
  3. Ulrich Battis, Günther Jakobs, Eckhard Jesse, Josef Isensee: Vergangenheitsbewältigung durch Recht, Drei Abhandlungen zu einem deutschen Problem, 1992, Seite 716
  4. Helmut König: Von der Diktatur zu Demokratie oder Was ist Vergangenheitsbewältigung, in: 1998, Seite 375
  5. Christoph Cornelißen u.a. (Hrsg.): Erinnerungskulturen. 2.Aufl. Frankfurt/M 2004, ISBN 3-596-15219-4, S. 12
  6. Frei, aaO, S.327
  7. Zitat aus: Frei, aaO, S.20
  8. Olaf Kappelt (Hg.), Braunbuch DDR. Nazis in der DDR, Berlin 1981
  9. Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. 2. August 1935.
  10. Freies Wort}
  11. Zeit Online am 29.06.2006: Auch wir hatten glückliche Tage
  12. [http://www.stiftung-aufarbeitung.de/downloads/pdf/sabrow-bericht.pdf Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“]
  13. Berthold Meyer: Formen der Konfliktregelung, 1997, Seite 381
  14. [1]
  15. In den verschiedenen Befragungen hielten dem gegenüber "zwischen 42 und 55% daran fest, dass der Nationalsozialismus eine gute Idee gewesen sei, die schlecht ausgeführt wurde", ...
  16. Nach einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung fanden vor wenigen Jahren immerhin noch 17%, daß der Nationalsozialismus eine gute Idee war, die nur schlecht ausgeführt wurde.
  17. Ian Kershaw: "Aber noch Jahre nach dem Krieg war - wie Untersuchungen der Alliierten zeigen - eine Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung der Ansicht, dass dem Nationalsozialismus eine gute Idee zugrunde lag und diese nur schlecht ausgeführt worden sei."
  18. Seit 1991 stellt das Allensbacher Institut regelmäßig die Frage: „Halten Sie den Sozialismus für eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde?“ Unmittelbar nach Erreichen der deutschen Einheit stimmten 30 Prozent der westdeutschen Bevölkerung der Aussage zu, 45 Prozent wiesen diese These von sich. In den neuen Bundesländern überwog dagegen von Anfang an die Annahme, dass der Sozialismus als solcher eigentlich eine gute Idee und nur seine Umsetzung gescheitert sei. Inzwischen haben sich die Westdeutschen langsam, aber beharrlich dem ostdeutschen Meinungsbild angepasst. Heute sagen 45 Prozent der Bürger in den alten Bundesländern, der Sozialismus sei eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt worden sei, nur noch 27 Prozent widersprechen.eine weit verbreitete Ansicht.
  19. F. Plasser, P.A., H. Waldrausch: Politischer Kulturwandel in Ost-Mitteleuropa, Theorie und Empirie demokratischer Konsolidierung, 1997, Seite 149-152
  20. "Wir ziehen eine dicke Linie zu dem was in der Vergangenheit geschah (Niewątpliwie na ogólną sytuacje istotny wpływ ma gruba kreska.) Wir antworten nur auf Fragen was wir tun können um Polen zu helfen sich von seiner Krise in der Zukunft zu erholen."; auf [2]
  21. Für den Gesamtabschnitt: Elke Fein: Geschichtspolitik in Russland, 2000, Seite 27-32
  22. Claus Offe: Der Tunnel am Ende des Lichts, Erkundungen der politische Transformation im Neuen Osten, 1994
  23. Mark Arenhövel: Demokratie und Erinnerung, Der Blick zurück auf Diktatur und Menschenrechtsverbrechen, 2000, Seite 78
  24. Mark Arenhövel: Demokratie und Erinnerung, Der Blick zurück auf Diktatur und Menschenrechtsverbrechen, 2000, Seite 89

Literatur

  • Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit in: ders: Eingriffe. Neun kritische Modelle Frankfurt 1963
  • Armin Mohler: Vergangenheitsbewältigung. Von der Läuterung zur Manipulation Stuttgart 1968
  • Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der 'Vergangenheitsbewältigung' in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 Bielefeld 2007 ISBN 978-3-89942-773-8
  • Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit München 1996 ISBN 3-423-30720-X
  • Glienke, Stephan Alexander/Paulmann, Volker/Perels, Joachim (Hrsg.): Erfolgsgeschichte Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. ISBN 3-8353-0249-3
  • Helmut König, Michael Kohlstruck und Andreas Wöll: Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts (Leviathan Sonderheft, Nr. 18) Opladen 1998 ISBN 3-531-13156-7
  • Peter Reichel: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz 2. aktual. Aufl. München 2007 ISBN 978-3-406-45956-6