Hans Thomae

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Hans Thomae (* 31. Juli 1915 in Reit im Winkl; † 16. November 2001 in Bonn) war ein deutscher Entwicklungspsychologe, Begründer einer interdisziplinären Gerontologie im Nachkriegsdeutschland, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Präsident der International Association of Gerontology.

Leben

Hans Thomae studierte Psychologie, Philosophie und Geschichte in Berlin und Bonn, wo er 1940 als 25-Jähriger auch promovierte. Zwei Jahre später habilitierte er sich in Leipzig und arbeitete nach dem Krieg, ab 1950, zunächst in Bonn als Privatdozent. Eine erste Professur nahm er 1954 in Erlangen ein, bevor er 1960 wieder an die Universität Bonn zurückkehrte, wo er bis zu seiner Emeritierung 1984 auch Direktor des Psychologischen Instituts war.

Er war mit Ursula Lehr verheiratet.

Wirken

Hans Thomae zählt zu den Mitbegründern der Gerontologie als interdisziplinärer Alternsforschung und hat sich um die Etablierung einer die gesamte Lebensspanne umfassenden modernen Entwicklungspsychologie verdient gemacht. Als bahnbrechend werden seine Studien zur Persönlichkeitsentwicklung bewertet; sie rücken die aktive Auseinandersetzung mit den wechselnden Lebensanforderungen in den Mittelpunkt. Bereits 1953 begann der Bonner Wissenschaftler eine Längsschnittuntersuchung über deutsche Nachkriegskinder und stellte fest, wie erstaunlich gut viele von ihnen mit den harten Lebensbedingungen in zerbombten Städten fertigwurden. Entscheidend für diese Eigenschaft sind neben glücklichen Umständen besondere persönliche Stärken, wie beispielsweise ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Aufrechterhaltung der Selbstachtung.

Als ebenso bedeutsam wird die 1965 begonnene Bonner Gerontologische Längsschnittstudie (BOLSA) bewertet, in der Thomae den letzten Lebensabschnitt von Männern und Frauen bis ins hochbetagte Alter untersuchte. In zahlreichen Büchern dokumentierte er seine Erkenntnisse. Hans Thomae hat die internationale Psychologie darauf aufmerksam gemacht, welche großen Unterschiede zwischen Menschen gleichen Alters in allen Aspekten der Leistungsfähigkeit und psychischen Verfassung bestehen, abhängig von Persönlichkeit und Umwelt.

Zugleich eröffnete seine Forschung Wege, um durch die Änderung solcher Bedingungen mehr Menschen ein Altern in Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit zu ermöglichen. Letztlich gründen auf solchen Arbeiten viele der praktischen Ansätze, die heute in der Altenbetreuung zum Standard gehören. Wissenschaftlich ebenso wichtig für die Psychologie ist die Wandelbarkeit der Persönlichkeitsentwicklung über die gesamte Lebensspanne.

Thomae prägte mehrere Generationen von Gerontopsychologen. Sie lehren und forschen an führenden deutschen und ausländischen Universitäten, wie Ursula Lehr, Andreas Kruse, Erhard Olbrich, Georg Rudinger und Reinhard Schmitz-Scherzer. Er war Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG).

Hans Thomae gründete und inspirierte Forschungsnetzwerke, insbesondere mit den Ländern Europas und Nordamerikas. Als Gründer der Zeitschrift Vita Humana (heute: Human Development) und der International Society of Behavioral Development (ISSBD) schuf er geeignete Foren, die bis heute existieren. Dabei behielt er interdisziplinäre Ansätze in der Zusammenarbeit mit Medizinern, Biologen und Neurowissenschaftlern, Soziologen und Pädagogen im Blickfeld. Mit über 70 Jahren war Hans Thomae Präsident der International Association of Gerontology und in dieser Eigenschaft verantwortlich für Weltkongresse der Gerontologie.

Ehrungen und Auszeichnungen

Hans Thomae war Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Seine wissenschaftlichen Leistungen fanden nationale und internationale Wertschätzung, darunter die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universitäten Leuven (Belgien), Leipzig, Moskau und Rethymno (Kreta). 2001 wurde er durch die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) mit der „Ehrung des wissenschaftlichen Lebenswerks“ ausgezeichnet.

Schriften (Auswahl)

  • Das Individuum und seine Welt. Hogrefe, Göttingen, 3. Auflage, 1996, ISBN 3-8017-1012-2.
  • Alternsstile und Altersschicksale – ein Beitrag zur differentiellen Gerontologie. Huber, Bern, 1983, ISBN 3-456-81264-7.
  • als Hrsg.: Theorien und Formen der Motivation (= Motivation und Emotion; 1). Hogrefe, Göttingen, 1983, ISBN 3-8017-0506-4.
  • als Hrsg.: Mit Ursulas Lehr: Formen seelischen Alterns: Ergebnisse der Bonner gerontologischen Längsschnittstudie (BOLSA). Enke, Stuttgart, 1987, ISBN 3-432-96451-X.

Literatur

  • Ralph Stöwer, Georg Rudinger: Thomae, Hans. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-4, S. 173 (Digitalisat).
  • Georg Rudinger: In memoriam Hans Thomae: Reden, gehalten am 23. Mai 2003 anläßlich der akademischen Gedenkfeier der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Bouvier, Bonn 2003, ISBN 3-416-03047-8 (Mit einem biographischen Interview aus dem Jahre 1994, geführt von Ralph Stöwer und Georg Rudinger).
  • Literatur von und über Hans Thomae im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Wolf Dieter Oswald, H. J. Kaiser: Hans Thomae †. (pdf; 99 kB) In: DGGG-online.de. 2001, archiviert vom Original am 24. Oktober 2004;.