Bossenwerk
Die Bosse (von mittelhochdeutsch bozen für ‚schlagen‘) ist im Bauwesen das vorstehende Material eines Quadersteins in einer flachen Mauer. Die handwerklich-steinmetzmäßige Herstellung der Quader erfolgt in mehreren Arbeitsschritten und beginnt mit dem groben Bossieren. Bei den meisten Natursteinmauern lässt man die Bossen stehen. Hiervon rührt die Bezeichnung Rustika (von lateinisch ländlich).
Mauerwerksbossen können auch als kunstvolle Zierform, bzw. Zierrustika aufgefasst sein. Hierfür bekannt sind die sogenannten Buckelquader beim hochmittelalterlichen Burgenbau, deren hochpräzise Herstellung man an den dünnen Mauerfugen und dem sauberen Randschlag erkennt.
Bossenmauerwerk
Man unterscheidet verschiedene Arten von Bossenwerk. Bei Buckelquadern wird ein glatter Rand um die Bosse geschlagen. Wird die Bosse geglättet, spricht man von Kissenquadern oder Polsterquadern. Eine facettenartige, pyramidenförmige Stirnseite haben Diamantquader. In anderen Fällen schlägt man an der fertigen Mauer gezielt die Bossen ab und erhält so ein Facettenmauerwerk.
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Bosse an Natursteinquader
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Halbkugelförmige Bossen als Verzierung des Mauerwerkes
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Mauerecke eines Buckelquadermauerwerks (Burg La Tur)
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Mauerecke
Burg Cagliatscha
Bossenwerk wurde in der Baukunst der Antike sowie im mittelalterlichen Burgenbau benutzt, häufig findet man Bossenmauerwerk an Burgen der Stauferzeit. Als Stilmittel kam es von der Frührenaissance bis zum Barock wieder zu breiter Anwendung, vor allem zur repräsentativ-wehrhaften Gestaltung der Erdgeschoss-Fassaden von Palästen und Schlössern.
Besonderer Beliebtheit erfreute sich das Bossenwerk im Manierismus mit betont derb behauenen, großen Quadern und teilweise auch bossierten Säulen. Bei einigen Palazzi des Manierismus wurde die Rustika auch durch unregelmäßig verputztes Ziegelmauerwerk vorgetäuscht. Diese Art Wandgliederung wird als Rustizierung bezeichnet.
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Polsterrustika. Florenz, Palazzo Strozzi
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Kolossalpilaster mit Diamantsteinquaderung. Catania, Universität
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Bossenmauerwerk am Palazzo Pitti in Florenz
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Bossenwerk an Mauerecken und zur Fassadengliederung. Wiehlhaus, Slaný (Schlan), Mittelböhmische Region, Tschechien
Alle Formen treten an historischen Fassaden seit dem 18. Jahrhundert auch in Putz und Stuck als nachgebildetes Mauerwerk auf. Wiederaufgegriffen wurde die Bossierung insbesondere im Historismus der Gründerzeit, etwa beim Wiener Ringstraßenstil.
Varianten der Mauerwerksbosse
Bossierung als Arbeitsschritt der Steinbearbeitung
Die handwerkliche Herstellung der Quader oder Steinbildwerke durch Steinmetze erfolgt in mehreren Arbeitsschritten und beginnt mit dem groben Bossieren.
Bosse als Schutz für künftige Reliefspartien
Ein Sonderfall ist der ungeplante Verbleib einzelner Bossen innerhalb einer ansonsten bearbeiteten Natursteinfassade: Ornamente und Reliefs wurden oft erst nach dem Versetzen der Steinquader ausgearbeitet, weshalb man an entsprechender Stelle ausreichend große, nur grob behauene Quader einsetzte. Manchmal unterblieb dann aber die Fertigstellung, beispielsweise weil die Bauarbeiten insgesamt eingestellt wurden oder der beauftragte Künstler nicht mehr zur Verfügung stand.
Hebebossen
In der antiken und altamerikanischen Bautechnik wurden vielfach unfertige, noch bossierte Steinbauteile an die Baustelle geliefert, um deren empfindliche Oberflächen zu schonen.[1] Erst im eingebauten Zustand an Ort und Stelle erfolgte die steinmetzmäige Schlussbearbeitung der Steinbauteile. Eine Besonderheit sind sogenannte Hebebossen als weit vorstehende Steinbuckel. Sie dienten bei großen und schweren Steinbauteilen als Transporthilfe zum Einsatz für Hebelstangen und Hebetaue.[2]
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Hebebossen am monumentalen Tempeltor der Portara von Naxos
Literatur
- Thanassis E. Kalpaxis: Hemiteles. Akzidentelle Unfertigkeit und „Bossen-Stil“ in der griechischen Baukunst. Mainz 1986.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Wolfgang Müller-Wiener: Giechisches Bauwesen in der Antike. Verlag C. H. Beck, München 1988, ISBN 3-406-32993-4, S. 91 (Abb. 46).
- ↑ Wolfgang Müller-Wiener: Giechisches Bauwesen in der Antike. Verlag C. H. Beck, München 1988, ISBN 3-406-32993-4, S. 76 (Abb. 36), S. 79 (Abb. 38), S. 81 (Abb. 39).