Archiv für Geographie

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Das Archiv für Geographie ist eine Einrichtung des Leibniz-Instituts für Länderkunde e. V. in Leipzig. Es sammelt und erschließt Dokumente zur Geschichte der Geographie seit dem 19. Jahrhundert und stellt diese der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung.

Die Geschichte des Archivs[1] reicht bis ins Jahr 1902 zurück, als erstmals ein „Archiv für Forschungsreisende“ in dem 1896 von Alphons Stübel begründeten Museum für vergleichende Länderkunde im Grassimuseum (heute Stadtbibliothek) erwähnt wird. Von Anfang an war die Entwicklung des Archivs eng mit der Geschichte des Museums verbunden. Stübel hatte auf seinen Reisen durch den Mittelmeerraum, zu den atlantischen Inseln und durch Südamerika Tage- und Notizbücher angelegt, geowissenschaftliche Beobachtungen und Messungen durchgeführt. Durch die Gründung eines Archivs wollte er dieses Material anderen Forschungsreisenden zur Verfügung stellen. Dieser erste Zweck des Archivs konnte allerdings nicht mehr zum Tragen kommen, weil das zweite „Entdeckungszeitalter“ zu Ende gegangen war und sich die Geographie längst zu einer akademischen Wissenschaft entwickelt hatte. Wichtigster Nachlass, den das Archiv in diesen Jahren übernahm, war der des Hochschullehrers Friedrich Ratzels nach dessen Tod 1904.[2] Nach vielen Jahren der Stagnation (Raummangel, Erster Weltkrieg, Inflation, Schließung des Museums) und der Unsicherheit über eine Fortführung des Länderkundemuseums begann mit der Eröffnung des neuen Grassimuseums 1928[3] eine erfolgreiche Zeit unter dem Direktor Rudolf Reinhard.[4] Er verstand es, das Museum an modernen pädagogischen Prinzipien auszurichten. Für das Archiv gelang ihm die Akquise wichtiger Nachlässe, z. B. von Joseph Partsch[5], Hans Meyer[6], Paul Lehmann, Emil Trinkler oder Albert Tafel. Auch die umfangreichen Unterlagen der ersten Deutschen Südpolar-Expedition 1901–1903 überließ der wissenschaftliche Expeditionsleiter Erich von Drygalski Anfang der 1930er-Jahre dem Leipziger Archiv.[7] Der Ausbau des Museums und des Archivs nach 1933 geschahen allerdings um den Preis einer ideologischen Ausrichtung im Ungeist des Nationalsozialismus. Obwohl der Museumsbau 1943 bei dem verheerendsten Luftangriff auf Leipzig ausbrannte, erlitt das Archiv keine größeren Verluste, da die Bestände ausgelagert waren.

Nach 1945 musste sich die Sammeltätigkeit des Archivs weitgehend auf Akten aus der DDR beschränken. Nachlässe wichtiger Vertreter der mitteldeutschen Hochschulgeographie kamen nach Leipzig, z. B. Kurt Hassert[8], Wilhelm Volz, Otto Schlüter, später auch Ernst Neef und Edgar Lehmann[9]. Seit der Friedlichen Revolution kann sich das Archiv für Geographie im 1992 neu gegründeten Institut für Länderkunde als gesamtdeutsche und sogar international agierende Einrichtung profilieren, deren Bestände nach wie vor dynamisch anwachsen.

Das Archiv für Geographie besteht aus einem Schrift- und einem Bildarchiv.

Mit mehr als 200 einzeln ausgewiesenen Beständen versteht sich das Archiv für Geographie heute als das zentrale Depot für die jüngere Geographiegeschichte in Deutschland. Nach 1990 hat das Archiv zahlreiche Nachlässe von Geographen, z. B. Albrecht Penck, Leo Waibel, Otto Maull, Hans Mortensen, Walter Christaller, Oskar Schmieder, Josef Schmithüsen, Gottfried Pfeifer, Peter Schöller, Emil Meynen[10], Wolfgang Hartke[11] und Geographinnen – z. B. Gudrun Höhl und Elisabeth Lichtenberger. Neben den Personennachlässen beherbergt das Archiv für Geographie die Redaktionsunterlagen geographischer Zeitschriften und publizistischer Großprojekte (Geographische Zeitschrift, Berichte zur deutschen Landeskunde, Atlas DDR) sowie die Akten zu wichtigen Fachgesellschaften und zentralen Berufsverbänden. Da die Vereine und Verbände über keine betreuten Archive verfügen, sieht das Leipziger Archiv eine wichtige Funktion darin, diesen Organisationen die Möglichkeit einer Endablage ihrer Akten anzubieten. 2013 entschied sich die Internationale Geographische Union (IGU), ihr Archiv von Rom nach Leipzig in die Obhut des IfL zu geben.[12]

Schon Alphons Stübel hatte bei der Einrichtung des Museums 1896 verstärkt auf Bildmaterial gesetzt.[13] Mit Porträtfotografien wollte er einem europäischen Publikum die hierarchischen Gesellschaftsstrukturen der südamerikanischen Staaten vor Augen führen.[14] Heute gilt die „Collection Alphons Stübel“[15] als eine der wichtigsten Sammlungen früher Südamerika-Fotografien. Von Hans Meyer kamen später umfangreiche Fotobestände aus den deutschen Kolonien, vor allem Ostafrika, hinzu. Seit Ende der 1920er-Jahre baute der Museumsdirektor Reinhard das Bildarchiv systematisch aus, indem er mit Reisenden Verträge abschloss, damit diese ihre fotografische Ausbeute dem Museum überließen.[16] Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen weitere Sammlungen hinzu, z. B. frühe Luftaufnahmen aus Ballon oder Luftschiff von Ernst Wandersleb[17] und August Riedinger[18] oder von Lothar Willmann aus der DDR. Insgesamt umfasst die Fotosammlung im Archiv für Geographie ca. 150.000 Einzelbilder aus aller Welt. Neben den Fotografien existiert eine etwa genauso umfangreiche Sammlung Ansichtskarten. Ihre Anfänge gehen auf die private Sammlung des sächsischen Pastors Winfried von Funcke zurück, die das damalige Museum Anfang der 1960er-Jahre ankaufte.[19] Einen Schwerpunkt bildet die Sammlung mit Leipzig-Motiven.[20]

Dritter wichtiger Teil des Bildarchivs sind die Gemälde. Auch hier stand Alphons Stübel am Beginn der Sammlung. In Ecuador hatte er 1872 den einheimischen Rafael Troya angestellt, um nach seinen Vorstellungen Landschaftsgemälde anzufertigen. Später kamen zahlreiche Gemälde anderer Künstler hinzu, z. B. von Anton Goering, Rudolf Hellgrewe und Franz Kienmayer oder den beiden Alpenmalern Ernst Platz und Rudolf Reschreiter[21]. Sie hatten Hans Meyer auf seinen Reisen 1898 nach Ostafrika bzw. 1903 nach Ecuador begleitet. Allein in dem von Fritz Klute in den 1930er-Jahren herausgegebenen „Handbuch der geographischen Wissenschaft“ tragen 17 Gemälde die Provenienz „Museum für Länderkunde“. Bis auf ganz wenige Ausnahmen kehrte dieser Vorkriegsbestand an Gemälden von den Auslagerungsorten nicht nach Leipzig zurück. Ihr Verbleib ist unbekannt. Gewissermaßen als Ersatz kaufte der damalige Direktor Edgar Lehmann 1957 rund 900 Bilder des Malers Ernst Vollbehr.[22] Sie wurden allerdings nie im Museum ausgestellt, vermutlich wegen der nationalsozialistischen Überzeugungen des Künstlers. Alle Bilder Vollbehrs, die sich im Besitz des IfL befinden, können im Bibliothekskatalog des IfL eingesehen werden.[23]

Zugänglichkeit

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Das Archiv für Geographie erschließt seine Nachlässe im Verbundkatalog Kalliope.[24] Von den älteren Beständen liegen PDF-Dateien der Findbücher vor.[25] Alle erschlossenen Bestände stehen der öffentlichen Nutzung unter Achtung der archivrechtlichen Zugangsbeschränkungen offen. Die digitalisierten Fotos und Gemälde des Archivs werden im Katalog der Geographischen Zentralbibliothek[26], darüber hinaus in der Deutschen Digitalen Bibliothek und Europeana veröffentlicht.

Weiterführende Literatur

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  • Heinz Peter Brogiato: Das Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig. Geographische Forschung und Sammlung in Vergangenheit und Gegenwart. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 15, 2008 (2009), S. 147–162.
  • Heinz Peter Brogiato: Geographie: (…) so nothwendig für unsere Zeit. Das Archiv für Geographie des Leibniz-Instituts für Länderkunde. In: Archivar 75, 2022, H. 3, S. 220–222.

Einzelnachweise

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  1. Hönsch, Ingrid: Das Archiv für Geographie am Institut für Länderkunde in Leipzig. In: Quellen der Raumforschung in der ehemaligen DDR. Hannover 2000, S. 99-110. Zum 100jährigen Bestehen konzipierte das IfL eine Posterausstellung: Vergangene Gegenwarten. Facetten aus dem Archiv für Geographie. Leipzig 2001.
  2. Hönsch, Ingrid: Friedrich Ratzel's collected papers in the Archive for Geography in Leipzig. In: Europe between political geography and geopolitics, vol. 1. (Memorie della Società Geografica Italiana; 63/1), Roma 2001, S. 93–100.
  3. Die offizielle Neueröffnung erfolgte mit der Ausstellung „Afrika-Ostafrika“ anlässlich des 70. Geburtstages von Hans Meyer, der das Museum auf vielfache Weise unterstützt hatte.
  4. Hönsch, Ingrid: Rudolf Reinhard (1876–1946). In: 100 Jahre Institut für Länderkunde 1896–1996: Entwicklung und Perspektiven. Leipzig 1996, S. 48–51.
  5. Zum 150. Geburtstag veranstaltete das IfL ein wissenschaftliches Kolloquium. Die Referate sind veröffentlicht: Joseph Partsch. Wissenschaftliche Leistungen und Nachwirkungen in der deutschen und polnischen Geographie. Hrsg. von H. P. Brogiato und A. Mayr. (Beiträge zur regionalen Geographie; 58), Leipzig 2002. Darin (S. 176–182) auch ein Beitrag von Ingrid Hönsch zum Nachlass im Archiv.
  6. Hönsch, Ingrid: Zum Nachlaß von Hans Meyer im Archiv für Geographie. In: Geographische Berichte 133, 1989, H. 4, S. 258. Anlässlich seines 150. Geburtstages fand im Leipziger Naturkundemuseum eine Ausstellung statt, die wesentlich auf Meyers Nachlass im IfL aufbaute. Als Begleitbuch erschien: Meyers Universum. Zum 150. Geburtstag des Leipziger Verlegers und Geographen Hans Meyer (1858–1929). Leipzig 2008.
  7. Zum 100jährigen Jubiläum bearbeitete Cornelia Lüddecke im Auftrag des IfL eine Ausstellung: 100 Jahre deutsche Südpolarexpedition 1901–1903 unter der Leitung Erich von Drygalskis. Leipzig 1901.
  8. Arnhold, Helmut: Zum wissenschaftlichen Nachlaß Kurt Hasserts. In: Petermanns geographische Mitteilungen 101, 1957, H. 3, S. 201.
  9. Das IfL veranstaltete 2000 ein Gedenkkolloquium für seinen ehemaligen Direktor (1950–1970). Die Referate sowie ein Publikationsverzeichnis Lehmanns erschienen in: Mayr, Alois; Grundmann, Luise (Hrsg.): Edgar Lehmann zum Gedächtnis. Ein Leben für Geographie und Kartographie. Leipzig 2001.
  10. Nachlasserschließung Emil Meynen. In: Rundbrief Geographie 2007, Nr. 208, S. 7–8.
  11. Schelhaas, Bruno: Bestand Wolfgang Hartke im Archiv für Geographie erschlossen. In: Der Archivar 57, 2003, H. 4, S. 323–324; zgl. in: Rundbrief Geographie 2003, Nr. 184, S. 17–18.
  12. Archiv der IGU jetzt in Leipzig. Bericht aus dem Archiv für Geographie. In: Rundbrief Geographie 2015, H. 256, S. 18–19; Schelhaas, Bruno; Pietsch, Stephan M.: (Re-) Writing the history of IGU? A report from the archives. In: Decolonising and internationalising geography. Essays in the history of contested science. Cham, CH: Springer 2020, S. 127–140.
  13. H. P. Brogiato, Katarina Horn: Der historische Bildbestand im Institut für Länderkunde. Aufbau eines digitalen Langzeitarchivs. In: Information – Wissenschaft & Praxis 54, 2003, H. 1, S. 27–31.
  14. Andreas Krase: "Von der Wildheit der Scenerie eine deutliche Vorstellung". Fotografien von einer Südamerikaexpedition in den Jahren 1868–1877. Ein Beitrag zur Geschichte der Reisefotografie und ihrer Gebrauchsweise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dipl.-Arb. HU Berlin 1985; Brogiato, H. P.: Die Collection Alphons Stübel – Fotografische Quellen als europäische Repräsentation und kulturelles Erbe Südamerikas (am Beispiel Ecuadors). In: Beschreibung, Vermessung und Visualisierung der Welt. Hrsg. von Ingrid Kästner und Jürgen Kiefer. (Europäische Wissenschaftsbeziehungen; 4), Aachen 2012, S. 331–352; Krase, A.: Organising the world. Alphons Stübel’s and Wilhelm Reiss’ collection of photographs from South American countries 1868-1877. In: Photo researcher 23, 2015, S. 40–51; H. P. Brogiato: Historische Fotobestände aus Südamerika im Archiv für Geographie (Leipzig). In: Visual history. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung visual-history.de
  15. Collection Alphons Stübel. leibniz-ifl.de.
  16. Reinhard, Rudolf: Das Bildarchiv des Deutschen Museums für Länderkunde. Leipzig 1939 (1938).
  17. Ernst Wandersleb. leibniz-ifl.de; vgl. Brogiato, H. P., Horn, Katarina: Ballonfahrt und Fotografie. Frühe Zeugnisse aus der Sammlung Ernst Wandersleb. In: Ballon-Sport Magazin 2004, H. 4 (Juli/August), S. 28–35; Brogiato, H. P., Grundmann, Luise: Mitteldeutschland in frühen Luftbildern. Ballonfotografien aus dem Archiv des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig. Leipzig 2005.
  18. Sammlung August Riedinger. leibniz-ifl.de.
  19. H. P. Brogiato: Leipzig um 1900, Erster Band. Leipzig 2009, S. 9.
  20. Ansichtskarten von Leipzig. leibniz-ifl.de.
  21. Hermann Wulzinger, Alois Mittermaier: Rudolf Reschreiter – Hans Meyers Begleiter und Maler bei der Andenexpedition des Jahres 1903. In: Die Anden – Geographische Erforschung und künstlerischer Darstellung. 100 Jahre Andenexpedition von Hans Meyer und Rudolf Reschreiter 1903–2003. (Wissenschaftliche Alpenvereinshefte; 37), München 2003, S. 137–158.
  22. Zu den Hintergründen des Ankaufs: Konrad Schuberth: Ernst Vollbehr – Maler zwischen Hölle und Paradies. Eine illustrierte Biographie. Halle/Saale 2017, S. 685–696.
  23. Gemäldesammlung Ernst Vollbehr. leibniz-ifl.de
  24. kalliope-verbund.info.
  25. leibniz-ifl.de.
  26. ifl.wissensbank.com.