Benutzer:Artop Berlin/Wolfgang Scholl

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Wolfgang Scholl (* 12. April 1944 in Herrnhut), ist ein deutscher Psychologe und Sozialwissenschaftler.

Wolfgang Scholl studierte nach dem Abitur in München zunächst evangelischen Theologie an der Kirchlichen Hochschule Neuendettelsau, den Universitäten Tübingen, Göttingen und Mainz und legte 1969 das 1. theologische Examen an der Universität Mainz ab. Danach absolvierte er ein Zweitstudium in Psychologie und Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim bis 1974, gefördert durch ein Zweitstudienstipendium der Volkswagenstiftung und anschließend durch ein Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er promovierte 1975 zum Dr. phil. in Sozialpsychologie an der Universität Mannheim bei Martin Irle, Nebenfach Wissenschaftstheorie bei Hans Albert, mit einem Feldexperiment über Partizipation und Macht in aufgabenorientierten Gruppen in Kooperation mit Kerstin Kiessler.

Von 1974 bis 1975 wurde er zunächst wissenschaftlicher Angestellter im Sonderforschungsbereich 24; "Wirtschafts- und sozialpsychologische Entscheidungsforschung" im Forschungsprojekt "Verhandlungen beim Investitionsgütermarketing". Anschließend folgte er als wissenschaftlicher Assistent (Postdoc) von Kirsch an das Institut für Organisation der Universität München. Von 1975 bis 1983 beteiligte er sich an Lehre und Forschung in den Bereichen Organisation,Personal, Unternehmenspolitik und Planung. Für sein Habilitationsprojekt wurde er Projektleiter im DFG-Forschungsprojekt "Der Einfluss von Partizipation und Mitbestimmung auf unternehmenspolitische Entscheidungsprozesse" (1976 bis 1981).1981 bekam Wolfgang Scholl habilitationsäquivalente Leistungen bescheinigt und vertrat den Lehrstuhl in Wirtschaftssoziologie (inkl. Sozialpsychologie des Betriebs und empirische Sozialforschung) an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Von 1983 bis1984 war er Fachreferent für Führung und Zusammenarbeit für den oberen Führungskreis der Siemens AG in München.

1984 bekam er einen Ruf auf eine Professur für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Georg-August-Universität Göttingen, wo er Lehrveranstaltungen für Studierende der Betriebswirtschaftslehre, Sozialwissenschaften und Psychologie abhielt. Zusammen mit sieben Göttinger Kollege:innen aus den Fächern Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftspädagogik, Sozialpsychologie und kognitive Psychologie warb er das erste deutsche, von der Volkswagen-Stiftung geförderte Interdisziplinäre Graduiertenkolleg ein, zum Thema "Handeln in komplexen ökonomischen Situationen" (Start 1988). Ergänzt wurden diese wissenschaftlichen Schwerpunkte durch eine Ausbildung in Klienten-zentrierter Beratung (GT) 1987 bis 1988.

Zum 1. Januar 1993 wurde er auf die Professur für Organisations- und Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) berufen und lehrte dort bis zur Pensionierung 2009. Bei seinen Berufungsverhandlungen erreichte er auch die Unterstützung der Universität für ein An-Institut, dem 1995 zusammen mit Kolleg:innen gegründeten interdisziplinären Verein artop Arbeits und Technikgestaltung, Organisations und Personalentwicklung e. V..[1]

Nach den frühen Arbeiten zur Gruppenforschung und zur deutschen Mitbestimmung erfolgten in Göttingen theoretische und empirische Arbeiten zu Machtausübung und Einflussnahme, zur sozialen Produkxtion von Wissen und zur Effektivität sozialer Interaktion und sozialer Systeme besonders bei Innovationsprozessen (s. u. die einzelnen Projekte und Veröffentlichungen). Hinzu kamen Feldstudien und experimentelle Forschungen zum Vergleich von direkter (face-to-face) und technisch vermitelter (Computer) Kommunikation. An der Humboldt-Universität wurden diese Arbeiten fortgesetzt in Richtung einer sozialeren, interdisziplinäreren und anwendbareren Sozialpsychologie (Scholl, 2007c). Eine Grundlage seiner integrativen Forschungsbemühungen war die Erkenntnis, dass die 3 Dimensionen des semantischen Differentials, Evaluation, Potency und Activity, auf der äquivalenten Struktur der Gefühle und der nonverbalen Kommunikation aufbauen und sich auch in der Persönlichkeitsbeurteilung spiegeln (siehe Abbildung 2). Sie sind als universelle Dimensionen des menschlichen Erlebens und Handelns anzusehen (Scholl, 2013).[2]

Abbildung: 2 Zentrale Rolle der Macht, von Wolfgang Scholl

Basierend auf diesen drei universalen Dimensionen wurde schon sehr früh die Affect Control Theory von David Heise (1979, 2007) entwickelt, mit der ein erster Ansatz für eine umfassende Theorie menschlichen Erlebens und Verhaltens in mathematisch präziser Form vorliegt. Viele weitere Forscher:innen explorierten und testeten diese Theorie weiter (z. B. MacKinnon, 1994; MacKinnon & Heise, 2010), darunter findet sich auch Arbeiten mit Scholls Beteiligung (Schröder & Scholl, 2009; Rogers et al., 2013; Schröder et al., 2013b; Heise et al., 2015). Scholl (2020a) arbeitet daran, weitere psychologische, soziologische und ökonomische Erkenntnisse mit dieser dreidimensionalen Struktur zu verbinden.[3][4][5][6]

Eine wichtige Rolle spielte von Beginn an das Konstrukt Macht auf allen sozialen Ebenenn: Von einfacher Interaktion über Gruppen, Organisationen bis hin zu Staaten. Als zentral erwies sich dabei die Frage, inwieweit die Macht gegen die Interessen der anderen Seite eingesetzt wird und ihre Autonomie einschränkt (restrictive control), was meist mit dem Begriff ‚Machtausübung‘ verbunden wird (siehe: Abbildung 2). Demgegenüber kann Macht auch so eingesetzt werden, dass die Interessen der anderen Seite und ihre Autonomie respektiert werden (promotive control), wofür oft der Begriff "Einflussnahme'' verwendet wird (siehe Abbildung 2).Scholls Forschung zeigte immer wieder, dass Einflussnahme positive und Machtausübung negative Konsequenzen für die Betroffenen und das jeweilige soziale System hat (z. B. Scholl, 1999; Scholl & Riedel, 2010; Scholl & Schermuly, 2020).[7][8][9]

Diese zentrale Unterscheidung spiegelt sich auch in den viel verwendeten Konflikthandhabungsstilen wider: Zusammenarbeit (collaboration, problem solving: Thomas, 1992) ist freundliche Machtnutzung, Druck bzw. Machtausübung (forcing, competition) feindliche Machtnutzung, Anpassung (accomodation) beinhaltet Akzeptanz der Position des Mächtigeren ohne inneres Widerstreben und Vermeidung (avoidance) ist ein widerstrebender Machtverzicht, so wie wie bei innerer Kündigung. In allen Innovationsuntersuchungen von Scholl ergaben sich positive Ergebnisse von Zusammenarbeit und negative der anderen drei Stile, vor allem aber von Machtausübung. Zentraler Grund dafür war ein geringerer Wissenszuwachs und eine schlechtere Koordinationsfähigkeit. Zum praktischen Umgang mit Machtsituationen hat Scholl verschiedene alltagsnahe Artikel veröffentlicht (z. B. 2007b,2014).[10][11]

Geförderte Forschungsprojekte / Kernergebnisse

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Das DFG-Projekt zu den deutschen Mitbestimmungsgesetzen (1977 bis 1982) zeigte, dass die Befürchtungen der Arbeitgeberseite zur Gefährdung der Handlungsfähigkeit nicht begründet waren und dass stärkere Mitbestimmung den Arbeitnehmer:innen mehr nützt (Kirsch & Scholl, 1983; Scholl & Kirsch, 1986; Scholl, 1986, 1987). Parallel dazu wurde eine Befragung zur Personalplanung und Personalpolitik in der Rezession von 1977 bis 1979 durchgeführt, die Möglichkeiten eines arbeitnehmerfreundlichen Umgangs mit Personalanpassungen bei Rezessionen aufzeigte (Scholl & Blumschein, 1979).[12]

Zur computervermittelten Kommunikation (VolkswagenStiftung, 1992 bis 1993) wurde die erste deutsche Feldstudie durchgeführt. Wichtigste Determinanten der Nutzung waren Medienwissen, empfundener Nutzen, Einstellung zum neuen Medium sowie weniger stark Geräteverfügbarkeit und Antwortbereitschaft der Partner:innen (Pelz, Rade & Scholl, 1992; Scholl, Pelz & Rade, 1996).[13][14]

Das Projekt Informationspathologien bei innovativen Entscheidungsprozessen (DFG, 1989–1991) sah die soziale Produktion von neuem, besserem Wissen als die wichtigste Grundlage gelingender Innovationen an. Das Ausmaß verschiedenster Informationspathologien, d.h. die Fehlsteuerung von Wissensprozessen, führte oft zum Scheitern von Innovationen, vor allem, wenn sie durch Machtausübung ausgelöst wurden. (Scholl, 1992, 1996, 1999, 2004, 2007a)[15][16][9][17][18]

Eine 5-jährige Längsschnittstudie zu Auto, Mobilität und individuelle Entwicklung (Daimler Benz, 1995–1999) zeigte vielfältige Determinanten des Auto- und Fahrradfahrens, der ÖPNV-Nutzung und des Zu-Fuß-Gehens auf (Scholl & Sydow, 2002). Methodisch und inhaltlich besonders interessant war die Unterscheidung von Alters-, Generations- und Zeitgeisteffekten auf die Entwicklung von Umwelteinstellungen, die durch das Studiendesign möglich wurde (Klocke, Gawronski & Scholl, 2001).[19]

Die erwünschte Interneteinführung an Schulen (BMBF, 1997 bis 2000) wurde vor allem dann erfolgreich, wenn die Organisation durch besonders aktive „Prozesspromotoren“ gelang, die ein Netzwerk von Interessierten gründeten und sukzessive erweiterten (Scholl & Prasse, 2001).[20]

Die Bildung regionaler Innovationsnetzwerke in Ostdeutschland, Projekt InnoRegio (BMBF, 1999 bis 2004), wurde von artop unter Federführung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hinsichtlich der zentralen Erfolgsfaktoren untersucht. Die Förderung neuer Vorhaben sowie die neuen Kontakte und Kooperationen in den Netzwerken wurde von den meisten sehr positiv eingeschätzt; wichtigster Erfolgsfaktor war das Ausmaß der Netzwerkeinbindung. Organisatorisch kommt dabei dem Management und der Moderation große Bedeutung zu (Müller et al., 2002; Scholl & Wurzel, 2002; Eickelpasch et al., 2005).[21][22]

Zum Wissensmanagement gab es verschiedene Untersuchungen in Fortführung des Projekts zu Informationspathologien (Institut der deutschen Wirtschaft, 2002–2003). Sie zeigten, dass ein primär IT-basierter Ansatz zu kurz greift, weil an der IT-Nutzung im gesamten Wissensprozess immer wieder Menschen beteiligt sind, z. T. unterstützend, z.T. hemmend und oft die Komplexität auch solcher Wissensprozesse unterschätzend (Scholl et al., 2004; Meyer & Scholl, 2005).[23][24]

Zu konfliktären Innovationsprozessen in wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Organisationen gab es eine Kooperation mit Terry Shinn (Sorbonne): Conflict Emergence and Conflict Management in Developing Innovations at the Interface of Science and Industry: An Interdisciplinary and Intercultural Approach (VolkswagenStiftung, 2005 bis 2007), wobei allerdings die französische Seite im Projektverlauf den kulturvergleichenden Ansatz fallen ließ (Scholl & Shinn, 2008). Verglichen wurden dann in Deutschland Gen- und Nanotechnologie in wissenschaftlichen und industriellen Organisationen in einem 4-Felder Design, wobei sich jeweils keine oder höchstens geringe Unterschiede zeigten (Scholl, 2009). Bei eher vereinbaren Positionen dominierte Zusammenarbeit, bei eher unvereinbaren dagegen Machtkampf. Wie erwartet, erbrachte, auch nach Auspartialisierung der Vereinbarkeit der Positionen, Zusammenarbeit jeweils die besten Ergebnisse in Bezug auf Eskalationsvermeidung, Wissenszuwachs, Handlungsfähigkeit und Projektfortschritt.[25] [26]

Im Projekt Innovativität durch Mitbestimmung (Hans-Böckler-Stiftung, 2008 bis 2010) ging es um die Chancen und Probleme von Betriebsräten, neben der Absicherung bedrohter Arbeitnehmerinteressen sich auch für die Innovativität des Unternehmens einzusetzen, um auf diese Weise Arbeitnehmerinteressen proaktiv zu fördern. Dies gelingt im Zusammenspiel mit der Einbeziehung von Arbeitnehmern (Scholl et al., 2013). Wie in allen anderen Innovationsuntersuchungen waren dabei der Wissenszuwachs einerseits und die Handlungs- bzw. Koordinationsfähigkeit andererseits ausschlaggebend. Erstere wird von Betriebsräten über Arbeitnehmerpartizipation und letztere direkt durch aktives Betriebsratshandeln gefördert.[27]

In Zusammenarbeit von Humboldt-Universität und artop wurde das BMBF-Projekt „Grundlagen nachhaltiger Innovationsfähigkeit: Vertrauenskultur & Evolutionäre Wissensproduktion“ (GI:VE)“ (2009–2013) sowohl als wissenschaftliche Studie als auch als praktische Beratung von Partnerunternehmen durchgeführt. Innovationsprozesse wurden aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet und es wurde eine Ausbildung zum Innovationspromotor erprobt (Scholl et al., 2014). Eine hohe Innovationsfähigkeit ergab sich aus einer vertrauensbasierten Organisationskultur, die hohe Kundenorientierung, Veränderungsbereitschaft und vor allem konstruktive Konflikthandhabung ermöglicht (Scholl, 2019).[28][29]

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  • Scholl, W. (1997). Gruppenarbeit: Die Kluft zwischen sozialpsychologischer Theoriebildung und orga-nisationspsychologischer Anwendung. Gruppendynamik, 28, 381-403.
  • Scholl, W. (1996). Effective teamwork - A theoretical model and a test in the field. In E. Witte & J. Davis (Eds.), Understanding group behavior. Vol. 2: Small group processes and interpersonal relations (pp. 127-146). Hillsdale, NJ: Erlbaum. doi:10.4324/9781315789293-6
  • Scholl, W. (1993). Grundkonzepte der Organisation. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Organisations-psychologie (409-444). Göttingen: Hogrefe.
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  • Scholl, W. (1985). Steigerung der Effektivität im Management. Vollständige Neubearbeitung des Buchs und der Seminarunterlagen zum 3-D-Führungstraining von Reddin, beraten von R. Friedel, J. Hem-pel und U. Münster. München: SIEMENS.
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  • Kirsch, W. & Scholl, W. (1983). Was bringt die Mitbestimmung: Eine Gefährdung der Handlungsfähig-keit und/oder Nutzen für die Arbeitnehmer? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Die Be-triebswirtschaft, 43, 541-562.
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  • Scholl, W. & Blumschein, H. (1979). Personalplanung und Personalpolitik in der Rezession. Frankfurt: RKW.
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Sonstige zitierte Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Informationen von: Wolfgang Scholl, 03.10.2023
  2. Wolfgang Scholl: The socio-emotional basis of human interaction and communication: How we construct our social world. In: Social Science Information. Band 52, Nr. 1, März 2013, ISSN 0539-0184, S. 3–33, doi:10.1177/0539018412466607.
  3. Tobias SchrÖDer, Wolfgang Scholl: Affective Dynamics of Leadership: An Experimental Test of Affect Control Theory. In: Social Psychology Quarterly. Band 72, Nr. 2, Juni 2009, ISSN 0190-2725, S. 180–197, doi:10.1177/019027250907200207.
  4. Tobias Schröder, Kimberly B. Rogers, Shuichirou Ike, Julija N. Mell, Wolfgang Scholl: Affective meanings of stereotyped social groups in cross-cultural comparison. In: Group Processes & Intergroup Relations. Band 16, Nr. 6, November 2013, ISSN 1368-4302, S. 717–733, doi:10.1177/1368430213491788.
  5. Tobias Schröder, Janine Netzel, Carsten C. Schermuly, Wolfgang Scholl: Culture-Constrained Affective Consistency of Interpersonal Behavior. In: Social Psychology. Band 44, Nr. 1, Januar 2013, ISSN 1864-9335, S. 47–58, doi:10.1027/1864-9335/a000101.
  6. David R. Heise, Neil J. MacKinnon, Wolfgang Scholl: Identities, Roles, and Social Institutions: An Affect Control Account of Social Order. In: Order on the Edge of Chaos: Social Psychology and the Problem of Social Order. Cambridge University Press, Cambridge 2015, ISBN 978-1-107-07675-4, S. 165–188, doi:10.1017/cbo9781139924627.010 (cambridge.org [abgerufen am 18. Oktober 2023]).
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