Benutzer:MYR67/Artikelwerkstatt Hermann Meyer
Hermann Meyer (1846-1913) war ein deutscher, jüdischer Spirituosen-Fabrikant und Gründer der Lebensmittel-Einzelhandelskette Meyer („Keine Feier ohne Meyer“).
Lebensweg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hermann Meyer gründete im Jahr 1890 die Hermann Meyer & Co. KG, eine Spiritusbrennerei. Spiritus wurde unter anderem als Grundstoff für die Herstellung von Farben und Essenzen und als Brennstoff für Motoren und Lampen verwendet. 1896 nahm die Spiritusfabrik von Hermann Meyer in der Fruchtstraße 74 (heute: Straße der Pariser Kommune) in Berlin-Friedrichshain die Alkohol-Produktion auf[1]. Bald darauf eröffnete Meyer eine Spirituosen- und Weinhandlung mit zunächst nur wenigen Filialen „rund um den Schornstein“ seiner Spirituosenfabrik[2]. Zu der Brennerei kamen rasch weitere Produktionsstätten hinzu: Mineralwasser-Abfüllung, Marmeladen- und Konservenfabrik, Fruchtsaftpresserei und Fruchtweinkellerei, Succade- und Marzipanrohmassen-Fabrik. Das Sortiment der Hermann Meyer & Co. KG umfasste neben alkoholischen Getränken wie Weinen, Likören, Schnäpsen und Weinbränden auch Fruchtsäfte und Mineralwasser sowie Marmelade und Obstkonserven.
Meyer gründete zum Vertrieb seiner Produkte ein Filialsystem. Schon im Jahr 1898, acht Jahre nach seiner Gründung, unterhielt das Unternehmen überall in Berlin etwa 250 „Niederlagen“ (Verkaufsstellen)[3].
Die Betreiber der Ladengeschäfte erhielten neben einer umsatzabhängigen Provision ein Fixum von 30 Mark pro Monat.[4] Die meisten Ladenbetreiber/innen waren Frauen. Zu jedem der Meyer-Läden, der oft im Tiefparterre lagen, gehörte eine kleine, für die Familie der Ladenbetreiber/innen mietfreie Wohnung.
Zu Meyers Geschäftsmodell gehörte ein einheitliches Erscheinungsbild: weiße Schriftzüge auf roten Blechschildern, Sammelbildchen oder auch das Meyer-Männchen mit zwei Likörgläsern von 1922 bildeten gewissermaßen die Corporate Identity des Unternehmens.[5]
Im Jahr 1907 wurde die Hermann Meyer & Co. KG in eine Aktiengesellschaft (AG) umgewandelt und in mehrere Tochtergesellschaften aufgeteilt. Für den Vertrieb im Osten Berlins wurde jetzt die „Östliche Wein- und Likörgesellschaft“ in der Wallnertheaterstraße 9 in Berlin-Friedrichshain zuständig[6] (Zur Wallnertheaterstr. siehe Blumenstraße (Berlin-Friedrichshain) und Wallner-Theater).
1907 begann die Meyer AG mit dem Verkauf ihrer Obstkonserven in luftdicht wiederverschließbaren Pfand-Gläsern mit Bügelverschluss.[7]
In Anspielung auf eine Paul-Lincke-Revue im Metropol-Theater brachte Meyer 1908 oder 1909 die Getränkemarke „Donnerwetter tadellos“ heraus.[8]
1909 und 1913 war Dr. Max Simonsohn Vorstand der Meyer AG[9], 1915 Theodor Muhr und Ludwig Warschauer[10], 1928 Dr. Felix Warschauer, Ludwig Warschauer und Martin Friedmann.[11]
1911 erwirbt Hermann Meyer bei einer Zwangsversteigerung die Oppacher Mineralwasserquelle des sächsischen Unternehmers Richard Wenzel (*1857–†1924).[12]
Der Standort der Meyer AG in der Wattstraße 11-12 in Wedding umfasste große Kellerlagerflächen, ein Fabrikationsgebäude sowie die Verwaltung.[13]
Meyer verstarb bereits im Jahr 1913, also vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Den Umbau seines Unternehmens zu einer Lebensmittel-Einzelhandelskette hat er nicht mehr miterlebt. Auch der berühmte Slogan „Keine Feier ohne Meyer“ wurde erst 1924 und damit elf Jahre nach Meyers Tod geprägt.[14]
Die weitere Entwicklung des Unternehmens nach Hermann Meyers Tod
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vor allem während des Ersten Weltkriegs hatte die chemische Industrie großen Bedarf an Spiritus, was der Meyer AG einerseits große Gewinne bescherte. Andererseits war die Versorgungslage mit Obst im „Steckrübenwinter“ kriegsbedingt so schlecht, dass man in der Produktionsstätte in der Fruchtstraße 79 dazu überging, Marmelade aus Kohlrüben herzustellen.[15]
Nach dem Ersten Weltkrieg erweiterte die Meyer-AG ihr Angebot um Lebensmittel, Kaffee und Zigaretten. Die Läden zogen aus dem Souterrain ins Erdgeschoss, die Flächen wurden vergrößert, die Dekorationen vierwöchentlich geändert.[16]
Die Werbeabteilung der Meyer & Co. AG schuf 1924 den Werbespruch: „Keine Feier ohne Meyer“, wobei das Y im Namen Meyer als stilisiertes Sektglas dargestellt wurde.
1924 hatte die Meyer AG berlinweit 268 Filialen.[17] 1930 lag die Zahl der Meyer-Filialen bei 600.[18]
Bereits am 12. November 1928 hatte die nationalsozialistische Berliner Zeitung „Der Angriff“ gegen den „jüdischen Trust Meyer“ gehetzt.[19] Dass der 1913 verstorbene Firmengründer Hermann Meyer und zwei seiner Teilhaber Juden waren, spielte ansonsten aber vor 1933 keine große Rolle. Nach der Errichtung der NS-Diktatur zunehmend antisemitischen Angriffen ausgesetzt und mit anderen als „typisch jüdisch“ diffamierten Firmen zum „Totengräber des deutschen Volkes“ abgestempelt, wurde die Firma bis 1938 „arisiert“, also aus antisemitischen Motiven enteignet. Unter der Führung von Robert Melchers (*30.12.1889), Delegierter des Aufsichtsrates, wurde die AG am 20. Oktober 1936 „arisiert“ und 1941 in „Robert Melchers AG“ umbenannt.[20]
Der Standort Wattstraße 11-12 in Wedding wurde im November 1943 bei einem alliierten Luftangriff zu 85 Prozent zerstört.[21]
Nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte die Firma Meyer in den Berliner Westsektoren unter ihrem alten Namen ein Comeback. Im Oktober 1945 wurde die „Robert Melchers AG“, in „Meyer“ zurück benannt.[22]
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden mit Mitteln aus dem Marshallplan eine neue große Brennerei sowie ein neues Verwaltungsgebäude in der Wattstraße von dem Architekten Paul Schwebes. Meyer wandelte sich zum reinen Lebensmittelgeschäft.[23]
In Ost-Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone wurden Meyers Einrichtungen enteignet.[24]
1953 wurde in der Steglitzer Schlossstraße der erste Berliner Selbstbedienungs-Supermarkt eröffnet, der zweite SB-Markt folgte nur einen Monat später in Berlin-Moabit. Die Eröffnung des ersten SB-Marktes wurde mit dem Slogan: „Jeder Einkauf ein Vergnügen; zwanglos wählen; kein Warten“ angepriesen. Bis 1965 wurden 92 der damaligen 120 Filialen in West-Berlin auf Selbstbedienung umgestellt.
Wenige Jahre später kaufte Dr. Oetker Meyer auf.
Im Jahr 1977 zog Meyer in die Montanstraße in Reinickendorf.[25]
Bis 1985 war die Handelsgruppe Beck ein Konkurrent Meyers, 1986 fusionierten die beiden Marken unter Dr. Oetkers Dach zur Meyer & Beck Handels KG. Seit 1997 gingen deren Umsätze jedoch zurück; Mitarbeiter wurden entlassen und Filialen geschlossen. 2003 verkaufte Dr. Oetker die Meyer & Beck Handels KG an die MeMa Handelsgesellschaft (Mema – Mein Markt). Nur fünf Jahre später, 2008, wurde die Mema aufgelöst; Kaiser's Tengelmann übernahm einige Filialen. Inzwischen ist auch diese Lebensmittel-Supermarkt-Kette aus dem Stadtbild verschwunden; einige Märkte wurden von Edeka, andere von Rewe übernommen.[26]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Detlef Krenz, »Flüssiges aus Friedrichshain«, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ gns in: ZeitOnline, „»Keine Feier ohne Meyer« - Der Schleier um ein Berliner Unternehmen wird dichter gezogen“, in:ZeitOnline, 15. Mai 1959, https://www.zeit.de/1959/20/keine-feier-ohne-meyer
- ↑ Helmut Caspar, „»Keine Feier ohne Meyer« – Beim Teufel Alkohol verdiente der Staat schon immer kräftig mit, doch regte sich auch Widerstand“, Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen (2016), http://www.helmutcaspar.de/aktuelles16/gesch16/meyer.html . Siehe auch: Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf (PDF)
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf (PDF)
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ „Geschäftliches“, in: Friedenauer Lokal-Anzeiger, Ausgabe Nr. 273, 14. Jahrgang, 19. November 1907, S. 3, https://digital.zlb.de/viewer/image/16173899_1907/1223/LOG_0322/
- ↑ Laut Oppacher Mineralquelle, „Unser Unternehmen, Geschichte, 1911“, https://www.oppacher.de/unser-unternehmen/geschichte/ , handelte es sich bei dem Getränk um ein Mineralwasser; laut Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/ , hingegen um einen Schnaps.
- ↑ Berliner Adreßbuch 1909, S. 1767, Meyer, https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1909/1790/LOG_0114/, und Berliner Adreßbuch 1913, S. 2030, Meyer, https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1913/2047/LOG_0126/
- ↑ Berliner Adreßbuch 1915, S. 2046, Meyer, https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1915/2065/LOG_0131/
- ↑ Berliner Adreßbuch 1928, S. 2262, Meyer, https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1928/2284/LOG_0137/
- ↑ Oppacher Mineralquelle, „Unser Unternehmen, Geschichte, 1911“, https://www.oppacher.de/unser-unternehmen/geschichte/
- ↑ Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf (PDF)
- ↑ Tania Estler-Ziegler, Archivspiegel – Weblog des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs, Archivgut, Neuigkeiten, veröffentlicht am 31. Dezember 2018, https://www.archivspiegel.de/archivgut/ein-feuerwerk-fuer-unsere-neuen-bestaende/ ; s.a.: Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/ ; Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf
- ↑ Detlef Krenz, „Flüssiges aus Friedrichshain“, in: Friedrichshainer ZeitZeiger, Geschichten und Gesichter aus dem Kiez, 1. Mai 2018 (online), https://fhzz.de/die-spiritusfabrik-von-hermann-meyer/view-all/
- ↑ Tania Estler-Ziegler, Archivspiegel – Weblog des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs, Archivgut, Neuigkeiten, veröffentlicht am 31. Dezember 2018, https://www.archivspiegel.de/archivgut/ein-feuerwerk-fuer-unsere-neuen-bestaende/
- ↑ Helmut Caspar, „»Keine Feier ohne Meyer« – Beim Teufel Alkohol verdiente der Staat schon immer kräftig mit, doch regte sich auch Widerstand“, Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen (2016), http://www.helmutcaspar.de/aktuelles16/gesch16/meyer.html
- ↑ Klaus Dettmer, „Unternehmenshistorie 1964: HERMANN MEYER – Ein Prosit auf den Erfolg“, in: Berliner Wirtschaft Nr. 09/2016, S. 1, https://www.bb-wa.de/images/bbwa/pdf/BerlinerWirtschaft/BW9_2016.pdf
- ↑ Philippe Zimmermann, „Alles muss raus“, in: Forum - Das Wochenmagazin, 08.02.2017, https://magazin-forum.de/de/news/wirtschaft/alles-muss-raus