Diskussion:Geschlechtergerechte Sprache/Archiv/2023/2

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Letzter Kommentar: vor 1 Jahr von ArchibaldWagner in Abschnitt Und mit Niederländisch
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Und mit Niederländisch

Auf der oben zitierten Website von dem Indologen R. Zydenbos findet sich heute (2023-06-04) auf einer Unterseite Anmerkungen zum Niederländischen – immerhin die Muttersprache von 24 Millionen: ”...Keine andere große Nationalsprache ist dem Deutschen so eng verwandt wie das Niederländische ...Grundsätzlich sieht man im Niederländischen dieselben sprachlichen Vorzüge und Nachteile wie im Deutschen. Man findet hier auch Agensnomina mit der Endung -er und zusätzliche Endungen, die zur Bildung von Wörtern mit ausschließlich weiblicher Bedeutung verwendet werden. ..entfernt man die historisch wahre Ursache der Unzufriedenheit: man verwendet die weiblichen Spezifika nicht mehr und verwendet nur noch Generika. ... Seit etwa zwanzig Jahren sieht man im Niederländischen die immer stärkere Tendenz, die sich heute wohl allgemein durchgesetzt hat, dass eine Frau als Direktor (directeur), Lehrer (leraar), Schriftsteller (schrijver), Dichter (dichter), Arbeiter (arbeider), Student (student) usw. usw. genannt wird. Das heißt, dass man im Niederländischen fortschrittlich zum besseren Ursprungszustand zurückkehrt, wie man es auch im Englischen gemacht hat.

In der SZ vom 2019-04-23 ist im Abschnitt "Niederlande: wenig Aufregung" zu lesen: ”„Warum regt sich da eigentlich keiner auf?“, fragt Matthias Hüning. Ein Erklärungsansatz, der eine prinzipielle pragmatische Haltung und eine wenig emotional geführte Debatte als Begründung liefert, wäre spekulativ. „Die Diskussionen um Gender und Unisextoiletten beispielsweise gibt es in den Niederlanden auch, aber sprachliche Konsequenzen hat das überhaupt nicht.“ Die Verwendung des generischen Maskulinums habe auch im Niederländischen historische und sprachstrukturelle Gründe. Im Deutschen funktioniere die Verweiblichung fast immer durch das Anhängen von „–in“. Diese Möglichkeit gab es auch im Niederländischen, sie werde aber nicht mehr genutzt.

Zum Dritten, ein Verweis auf eine Assoziationstudie im Niederländischen, "The processing of the Dutch masculine generic zijn ‘his’ across stereotype contexts: An eye-tracking study" mit dem für Genderfreunde unerwarteten Ergebnis; es zeigt sich dort bei dem männlichen Possesivpronomen kein male-bias, sondern dass der Kontext entscheidend ist: ”‘‘To conclude, we found no evidence for a male bias induced by the generically-intended masculine pronoun zijn ‘his’. This emphasizes the importance of considering different types of masculine generics cross-linguistically in order to understand how they affect language processing. We showed that gender inferencing in language goes beyond the mostly occupational and social stereotypes carried by role nouns, but pertains to stereotypical activities, too. Furthermore, our results indicate that discourse expectations are not only guided by the strength of gender stereotypes themselves, but also by the severity of flouting them.“

Ja auch die Praxis in den Niederlanden sollte unter Andere Sprachen erwähnt werden. --ArchibaldWagner (Diskussion) 21:29, 4. Jun. 2023 (CEST)

Es handelt sich um eine Sprache, die kein maskulines und feminines Genus kennt, sondern (wie das Schwedische) Utrum und Neutrum. Solche Unterschiede sind sehr stark mit den grammatischen Besonderheiten der jeweiligen Einzelsprache verbunden. In diesen Fällen gibt es im Singular keinen Artikel, der auf eine männliche Person schließen lässt. Bei Personenbezeichnungen ist das Utrum gegenüber dem Geschlecht eben neutral. Die romanischen Sprachen (wie eben auch das Italienische) haben da durchaus andere Probleme.--Mautpreller (Diskussion) 22:51, 4. Jun. 2023 (CEST)
Ganz so einfach ist es dann doch nicht! Erstens bei den Pronomina finden sich auch hier die Kategorien: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Zweitens gibt es auch im Niederländisch die Möglichkeit der Movierung, die zwar in vielen Fällen wohl einem komplexeren Regelsystem unterworfen ist, was zusammen mit den gleichen Artikeln – de und een – mit ein Grund sein mag, dass sich die Niederländer leichter tun, auf die Movierung zu verzichten; immerhin es gab und gibt sie noch hier und da.
Die oben zitierte Studie weißt auf das ”the generically-intended masculine pronoun zijn“ hin. Bei diesen Pronomen ist das Niederländische doch recht ähnlich dem Deutschen, bezüglich der Differenzierung des Sexus. --ArchibaldWagner (Diskussion) 09:14, 5. Jun. 2023 (CEST)
Ja, aber eben nur dort. Es ist vergleichbar dem Schwedischen und in Grenzen dem Englischen. Das ist der Grund dafür, dass die Movierung hier weniger gebraucht wird. Wir hatten das schon oben beim Schwedischen: Du kannst Dich zwanglos auf een schrijver/en författare mit hij/han/er oder mit zij/hon/sie beziehen. Auf Deutsch geht das nicht zwanglos: "ein Schriftsteller" ist "er", nur "eine Schriftstellerin" ist "sie".
Im Übrigen: a) Der Artikel sagt es: Man muss sich die einzelnen Typen von "Generika" je Sprache anschauen, um ein Verständnis für ihren Einfluss auf das "language processing" zu gewinnen. Hier handelt es sich um ein "generisches Possessivpronomen". b) Meines Wissens gibt es gerade im Niederländischen eine ganze Reihe von Studien, deren Ergebnisse in eine andere Richtung weisen. Allerdings sind sie nicht in erster Linie am Possessivpronomen interessiert gewesen. (Übrigens würde im Englischen heute das Possessivpronomen des Plurals als "generisch" benutzt, also "their", denn die Debatte um das generische Personalpronomen "he" gab es sehr früh auch im Englischen, vgl. "generic he".)
Schließlich: Was man sicher festhalten kann: Sprachen, die kein maskulines und feminines Genus bei Nomina differenzieren, neigen weniger zur Movierung. --Mautpreller (Diskussion) 09:41, 5. Jun. 2023 (CEST)
Hallo, die Behauptung mit dem Utrum geht nur zum Teil auf... ist kompliziert. Weil ich darauf angesprochen wurde: Ich habe für meinen Niederlande-Kanal mal ein Video zur genderistischen Sprache auf Niederländisch gemacht. Und eines über die Genera im Niederländischen. Eher populär als wissenschaftlich, aber vielleicht hilfreich für den Hintergrund. --Ziko (Diskussion) 13:04, 5. Jun. 2023 (CEST)
Hallo Ziko, ich habs mir angeguckt. Was die Artikel angeht, ist das exakt identisch wie im Schwedischen, ein echtes Utrum. Dass darauf mit "er" und "sie" Bezug genommen werden kann, zeigst Du ja selbst. (Die Unsicherheiten bei der "Genuszuteilung" kennen wir ja aus dem Deutschen sehr gut, bspw. bei Virus.) Ein Unterschied scheint nur bei Nicht-Personenbezeichnungen zu bestehen, da würde man auf Schwedisch nicht "han" oder "hon" (er oder sie) verwenden, sondern "den". Dass feminine Berufsbezeichnungen seltener geworden sind, gilt für alle Sprachen, die beim Nomen nicht zwischen Femininum und Maskulinum unterscheiden (also die Utrum-Sprachen Schwedisch/Dänisch/Norwegisch/Niederländisch ebenso wie das Englische, das ganz auf Differenzierung verzichtet). Das ist ganz einfach ein sprachsystematischer Grund. Auf Deutsch heißt es eben "der" Ingenieur und entsprechend "er". In Utrum-Sprachen oder im Englischen kann man einfach stattdessen mit "sie" weitermachen, wenn es sich um eine Frau handelt, auf Deutsch geht das nicht. Das macht einen nicht unerheblichen Unterschied. --Mautpreller (Diskussion) 14:32, 5. Jun. 2023 (CEST)
Hallo Mautpreller, deine Bemerkung zu Utrum-Sprachen im Gegensatz zu Maskulin/Feminin-Sprachen, finde ich sehr interessant. Anstatt zahlreiche Sprachen einzeln abzuarbeiten, wäre es vielleicht hilfreich, diese drei Kategorien darzustellen
  • Sprachen, die Maskulin und Feminin als Genus enthalten (z.B. deutsch, französisch)
  • Sprachen, die nur Utrum und Neutrum als Genus enthalten (z.B. skandinavische Sprachen)
  • Sprachen, die ohne Genus auskommen (z.B. englisch)
Da sich Sprachen innerhalb derselben Kategorie ja recht ähnlich bzgl. gendern verhalten, wäre das sehr hilfreich, um einen Überblick zu erhalten und auch die Unterschiede schnell zu verstehen und einzuordnen. --Eulenspiegel1 (Diskussion) 01:21, 6. Jun. 2023 (CEST)
Es gibt noch viele andere Genus-Systeme, insbesondere in außereuropäischen Sprachen, die teilweise gar nichts mit Maskulinum oder Femininum zu tun haben (wobei die Linguisten sich streiten, ob dafür der Begriff "Genus" geeignet ist). Aber für die germanischen Sprachen stimmt es auf alle Fälle und das steht zB auch in den angeführten Artikeln: "Anders als im Deutschen muss das Geschlecht nicht immer sprachlich gekennzeichnet werden, wenn ein Substantiv verwendet wird. … Ein Erklärungsansatz, der eine prinzipielle pragmatische Haltung und eine wenig emotional geführte Debatte als Begründung liefert, wäre spekulativ. … Die Verwendung des generischen Maskulinums habe auch im Niederländischen historische und sprachstrukturelle Gründe." Im Englischen geht es eher um Berufsbezeichnungen wie "policeman", die den "man" direkt im Nomen führen, und um geschlechtsneutrale Personalpronomina. --Mautpreller (Diskussion) 10:43, 6. Jun. 2023 (CEST)

Nachtrag: ein Online-Verweis zu der Arbeit von Matthias Hüning, Professor am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie, auf die sich wohl der obige Artikel in der SZ bezieht; in Muttersprache 1/2020 S 83 "Geschlechtergerechtigkeit auf Niederländisch". Eine kurze Zusammenfassung des Inhalts wäre eine Bereicherung auch unseres Artikels. Wer sich nicht auf die pers. Sicht von Mautpreller verlassen mag, dem empfehle ich jedenfalls die Lektüre. --ArchibaldWagner (Diskussion) 18:46, 6. Jun. 2023 (CEST)

Guter Hinweis. Mir ist eben daran gelegen, dass die von Hüning auch hier wieder erwähnten sprachsystematischen Gründe klar werden. Eine Deutung, dass "die Deutschen" es halt immer besonders genau machen wollten und "die Niederländer" eher nicht so sind, möchte ich aber gern vermeiden, Hüning weist sie ja auch explizit als spekulativ zurück. Wesentlich ist u.a.: "Jedenfalls muss man sich, anders als im Deutschen, in grammatischer Hinsicht oft nicht zwischen männlich und weiblich entscheiden. Bei den Personen- und Funktionsbezeichnungen führt das dazu, dass es zumindest im Hinblick auf die Form des Artikels und des Adjektivs zunächst einmal egal ist, ob wir über einen guten Wissenschaftler oder über eine gute Wissenschaftlerin sprechen: Hij/zij is een goede wetenschapper." Noch deutlicher: "Das führt dann in letzter Konsequenz zu Artikeln über een zwangere wetenschapper (›ein schwangerer Wissenschaftler‹) oder de zwangere jurist (›der schwangere Jurist‹)." Dass das im Niederländischen möglich ist (auch wenn es kritisiert wird), im Deutschen aber wohl von jedem als abstrus empfunden wird, ist nun mal ein sprachsystematischer Unterschied. --Mautpreller (Diskussion) 19:44, 6. Jun. 2023 (CEST)
"der schwangere Mensch" oder "der schwangere Gast" oder "der schwangere Teenager" oder "der schwangere Popstar" wird im Deutschen als abstrus empfunden? Liegt es wirklich am Genus oder daran, ob die movierte Form üblich ist? --Eulenspiegel1 (Diskussion) 20:50, 6. Jun. 2023 (CEST)
Bleib beim Thema. "Der schwangere Wissenschaftler" wird sehr wohl als abstrus empfunden, übrigens auch "der schwangere Arbeitnehmer". --Mautpreller (Diskussion) 21:17, 6. Jun. 2023 (CEST)
Ja, von einigen wird "der schwangere Wissenschaftler" als abstrus empfunden. Warum wird aber "der schwangere Wissenschaftler" eher als abstrus empfunden und "der schwangere Mensch" nicht? Beide haben den gleichen Genus. Wenn es also am Genus liegt, müssten beide als gleich abstrus empfunden werden. Da das eine aber eher als abstrus empfunden wird und das andere nicht, muss die Ursache in einer Eigenschaft liegen, in der sich beide unterscheiden.
Dieser Unterschied ist Movierung: Menschen, die eine Movierung häufig verwenden, empfinden es als abstrus, die nicht-movierte Form als geschlechtsneutral anzusehen. Bei Wörtern, die sie nicht movieren, finden sie die Geschlechtsneutralität hingegen nicht abstrus - unabhängig vom Genus.
Gehe einfach mal die Wörter durch: Bei allen Wörter, die du häufig movierst, wirst du "der schwangere <Wort/>" als abstrus empfinden. Bei allen Wörtern, die du nicht movierst (und Personenbezeichnungen sind), wirst du "der schwangere <Wort/>" nicht als abstrus empfinden, obwohl es maskulinen Genus hat. --Eulenspiegel1 (Diskussion) 21:33, 6. Jun. 2023 (CEST)
Da brauchts keine Movierung. Bereits "er ist schwanger" würde neimand sagen. --Mautpreller (Diskussion) 21:42, 6. Jun. 2023 (CEST)
"Er" ist ein Pronomen. Im niederländischen, das kein maskulines/feminines Genus kennt, würde auch niemand sagen "Hij is zwanger". Es geht um Substantive! Diese haben ein Genus. Im Niederländischen utral/neutral, im Deutschen maskulin/feminin/neutral. Aber es liegt nicht am Genus von Substantiven, ob "der schwangere <Wort/>" als abstrus angesehen wird. Vergleiche einfach "der schwangere Wissenschaftler" und "der schwangere Mensch". Beides sind Substantive! Beide haben ein maskulines Genus! Trotzdem wird nur eines von beiden als abstrus angesehen. --Eulenspiegel1 (Diskussion) 21:49, 6. Jun. 2023 (CEST)
Schaus Dir mal an. Wo spricht man vom "schwangeren Menschen"? Und noch wichtiger, wer würde dann mit "er" fortsetzen? Das würde immer vermieden. Man würde sagen: Die Schwangerschaft beim Menschen dauert neun Monate. Fortsetzen würde man immer: "Die Schwangere". Ähnlich beim Popstar: "Der Popstar Madonna ist schwanger" wäre denkbar, aber niemand würde mit "er" darauf Bezug nehmen. Der Unterschied ist doch gerade, dass man auf den schrijver oder författaren relativ problemlos mit "sie" verweisen kann, auf "den Schriftsteller" aber kaum. Die Movierung (ursprünglich ohnehin anders motiviert; gutes Beispiel von Ziko war die Sekretärin, die keineswegs einfach ein weiblicher Sekretär ist) ist eine Lösung dieses Problems, nicht umgekehrt. --Mautpreller (Diskussion) 09:40, 7. Jun. 2023 (CEST)
Übrigens noch vor einigen Jahren hätte keiner in der Zeitung dauernd von Ukrainerinnen und Ukrainern oder Russinnen und Russen gesprochen: Was zeigt, dass hier die Spracherfahrung in einer Sprachgemeinschaft entscheidend ist, wie befremdlich diese oder jene Formulierung auch erst einmal klingen mag; wenn man selbst so aufgeblasene, permanent auf anatomische Merkmalsklassen hinweisende, Lesezeit raubende Texte erduldet. --ArchibaldWagner (Diskussion) 10:03, 7. Jun. 2023 (CEST)
Interessant wäre zu wissen, wie das Leute in der damaligen DDR empfunden haben, denn dort wurde aus Gründen der Gleichbehandlung bei Berufsbezeichungen die Movierung weggelassen. Ein schwangerer Ingenieur dürfte dort damals kaum befremdlich gewirkt haben. Ein Satz wie: "von den 100 Patienten des Krankenhauses, sind fünf schwanger" ist für mich ein völlig akteptabler Satz. Ich sehe das wie @Eulenspiegel, entscheidend für die Semantik ist die persönliche Spracherfahrung.
Warum eigentlich die Befürworter so scharf zwischen Epikonia und Personenbezeichnungen, für die die Möglichkeit der Movieriung vorhanden ist, trennen, ist für mich nicht nachvollziehbar, da es auch bei den Epikonia einen ähnlichen Wahrnehmungs-Bias gibt; siehe dazu die Sammlung "GenusSexusGender" Hrsg. Diewald u. Nübling (2022). --ArchibaldWagner (Diskussion) 09:54, 7. Jun. 2023 (CEST)
Die Leute in der DDR, zu denen auch ich gehört habe, sind vom Gendern verschont geblieben. Wenn wir zum Beispiel als Grundschüler (bis zur 8. Klasse) von unseren Lehrern gesprochen haben, waren alle Lehrerinnen mitgemeint, zwangsläufig, denn männliche Lehrer waren in der Minderheit. --Freital (Diskussion) 16:12, 7. Jun. 2023 (CEST)
Die Frage wäre hier, ob ihr auch damals im Singular etwa von einem schwangeren Lehrer gesprochen habt? --ArchibaldWagner (Diskussion) 16:45, 7. Jun. 2023 (CEST)
Das haben wir nicht, in der Regel haben wir von unseren weiblichen Lehrern im Einzelnen in der Form gesprochen haben, dass wir sie nicht höflich Fräulein Schneider oder Fräulein Bressler nannten, sondern - leicht gegendert - die Schneidern oder die Bresslern. --Freital (Diskussion) 17:16, 7. Jun. 2023 (CEST)
Dass das kein Spezialproblem ist, kann man etwa an diesem historischen Beispiel erkennen: 1987 weigerte sich Rita Süssmuth, ein Gesetz mit folgender Passage zu unterschreiben: "Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird, hat er Urlaub nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes." (Aus Kotthoff/Nübling (2018), Genderlinguistik, S. 105). Es sind gerade die auf Generalisierung angelegten Texte, die dabei die größten Probleme machen. Auf Schwedisch ("läkaren") wäre das möglich, wenn auch ein bisschen seltsam, weil "läkare" auch "hon" (sie) sein kann. Auf Deutsch funktioniert es so nicht. --Mautpreller (Diskussion) 18:35, 7. Jun. 2023 (CEST)
Es ist logisch korrekt, aber es klingt ungewohnt. Ersetzen wir den Arzt durch Mensch dann klingt es schon anders, wenn auch immer noch nicht allgemein üblich. Andrerseit haben wir m.E. ein Riesenproblem, wenn wir hinter jedem die/der bzw. er/sie bei Personenbezeichnungen eine Spezifizierung des Sexus sehen. Ich denke, dass uns Frau Süssmuth mit Ihrer Weigerung damals keinen Gefallen getan hat. --ArchibaldWagner (Diskussion) 09:04, 8. Jun. 2023 (CEST)
Bei dem Beispiel von Süssmuth: Der Verfasser des Textes hatte das Pronomen auf das Genus des Bezugswortes bezogen. Süssmuth hat das Pronomen auf den Sexus bezogen. Dadurch kamen unterschiedliche Vorstellungen des Textes heraus.
Das Problem ist, dass Pronomen im Deutschen je nach Sprecher sich auf den Genus oder auf den Sexus beziehen können, wie folgendes Beispiel zeigt:
  • Das Mädchen suchte nach der Gabel. Es fand sie in der unteren Schublade. (Genusbezogene Pronomen)
  • Das Mädchen suchte nach der Gabel. Sie fand es in der unteren Schublade. (Sexusbezogene Pronomen)
Wenn man mit sexusbezogenen Pronomen arbeiten will, könnte man den Text von Süssmuth-Beispiel wie folgt formulieren. (Hierbei ist zu beachten, dass sowohl cis-Frauen als auch trans-Männer schwanger werden können.)
  • Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird, hat er [bei trans-Mann] oder sie [bei cis-Frau] Urlaub nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes.
  • Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird, hat sier Urlaub nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes.
Prinzipiell sind beide gleich. Problematisch im Deutschen ist, dass das utrale Pronomen "sier" (entspricht dem singular they im Englischen) relativ jung und nicht sehr verbreitet ist.
Inhaltlich stört mich am meisten, dass es eine Sonderlocke für Ärzte gibt. Wieso gilt die Regelung nicht für alle Praktikanten, sondern nur für Arzt-Praktikanten? --Eulenspiegel1 (Diskussion) 17:07, 9. Jun. 2023 (CEST)
@Mautpreller:
Wir hatten mal über die Personenbezeichnung "das Mädchen" gesprochen. Dort kann sowohl mit dem Pronomen "es" als auch "sie" Bezug genommen werden. Ähnlich ist es bei Maskulinformen:
  • Der Popstar Madonna ist schwanger. Sie ist mittlerweile im 3. Monat.
  • Der Wissenschaftler Marie Curie ist schwanger. Sie ist mittlerweile im 3. Monat.
Der Unterschied ist, dass das 1. Beispiel ziemlich alle als normal ansehen. Das 2. Beispiel wird von vielen Leuten, die Movierungen gewohnt sind, als abstrus angesehen.
Wie du schon sagtest, war die Movierung ursprünglich etwas anderes: Eine Sekretärin war nicht einfach ein weiblicher Sekretär. Eine Königin war kein weiblicher König, sondern die Frau des Königs etc.
@ArchibaldWagner:
Angela Merkel hatte in einem Interview auf der Leipziger Buchmesse berichtet, dass sie sich selber lange Zeit nur als "Physiker" gesehen hat und es ihr schwer viel, sich als "Physikerin" zu bezeichnen. (Quelle)
Tatsächlich fassen ehemalige DDR-Bürgern Berufsbezeichnungen deutlich häufiger als geschlechtsneutral auf als Deutsche, die in der BRD aufgewachsen sind. Unter ehemaligen DDR-Bürgern hat die movierte Berufsbezeichnung eine ähnlich abwertende Konnotation wie für viele Englischsprachige. --Eulenspiegel1 (Diskussion) 13:26, 7. Jun. 2023 (CEST)
@Freital, @Eulenspiegel1, Berufsbezeichnungen in der DDR sind ein eigenes Thema, ob und wie sie hier im Artikel zu berücksichtigen sind, sollte auf dieser Seite in einem extra (neuen) Diskussionsabschnitt behandelt werden. --ArchibaldWagner (Diskussion) 15:00, 11. Jun. 2023 (CEST)

Zurück und vorwärts mit dem Thema dieses Abschnitts; hier mein Text-Entwurf für einen Abschnitt zum Niederländischen:

Im Niederländischen wird das generische Maskulinum weitgehend als neutrale Form akzeptiert. Sprecher des Niederländischen gehen von einer mittelfristigen Bedeutungsverschiebung aus (semantische Verschiebung), männliche Formen würden aufgrund des gesellschaftlichen Wandels auf Dauer neutraler verstanden; je mehr Frauen Professorenstellen besetzen, um so weniger werde mit dem Wort Professor ein Mann assoziiert. Wichtige Tagesszeitungen (de Volkskrant, NRC Handelsblad) haben 2016 entschieden, keine weiblichen Berufs- und Funktionsbezeichnungen mehr zu verwenden.

Ein Geschlechter übergreifendes Verständnis der männlichen Wortformen wird durch zwei Eigenheiten des Niederländischen begünstigt:[1]

  1. Die grammatischen Genera Maskulinum und Femininum sind in den letzten Jahrhunderten im sogenannten Utrum zusammengefallen; bei den bestimmten Artikeln (de/het) gibt es nur noch den Unterschied zwischen Utrum und Neutrum – die weiblichen und männlichen Formen bei Personal- und Possessivpronomen unterscheiden sich allerdings nach wie vor in der dritten Person Singular.
  2. Die Möglichkeiten der Bildung weiblicher Personenbezeichnungen, die sogenannte Movierung, ist im Niederländischen mit einer größeren Anzahl an Suffixen – etwa: -in, -es, -ster, -e, ... – deutlich komplexer und in der Verwendung unsicherer als im Deutschen.

Doppelnennungen oder ein Ausweichen auf Partizip-Formen werden in den Niederlanden und in Flandern kaum beobachtet.

Der Kasten dient natürlich nur der Kenntlichmachung des Entwurfs hier in der Diskussion und ist nicht für den Artikel bestimmt. Nun bin ich gespannt auf eure Meinung; konstruktive Kritik ist willkommen, aber auch diejenigen, die kein Haar in der Suppe finden, lade ich ein, ihre Zustimmung im Anschluss zu vermerken. ArchibaldWagner (Diskussion) 15:12, 11. Jun. 2023 (CEST)

Wichtigster Kritikpunkt: Der Abschnitt beruht auf einem Aufsatz des Niederlandisten Matthias Hüning. Dass es Gegenpositionen gibt, räumt Hüning selbst ein und verweist etwa auf die Sprachwissenschaftlerin Ingrid van Alphen (Uni Amsterdam). Das spricht nicht dagegen, Hünings Sichtweise darzustellen, zwingend erforderlich ist aber eine Standpunktzuweisung ("Gemäß dem Niederlandisten Matthias Hüning …").
Einige Details scheinen mir diskussionswürdig. So: Kann man im Niederländischen von einem generischen Maskulinum sprechen? Jedenfalls nicht im selben Sinn wie im Deutschen, sondern eher im Sinn des "generic he" aus dem Englischen. Die sprachstrukturellen "Eigenheiten" des Niederländischen sind weitgehend identisch mit denen der skandinavischen Sprachen. Hüning verwendet den Begriff selbst, daher kann man ihn sicher im Referat seines Beitrags nutzen, aber auf den Unterschied zum Deutschen sollte man doch deutlicher hinweisen.
Es geht nicht nur um den bestimmten Artikel (Hüning schreibt "beispielsweise"), sondern auch um den unbestimmten sowie die zugehörigen Adjektivformen. Dass die Pronomina sich nach männlich und weiblich unterscheiden, ist übrigens im Englischen ebenso, das bei Nomina gar kein Genus kennt, das ist also keine Besonderheit des Niederländischen, sondern einer ganzen Sprachgruppe.
"Je mehr Frauen Professorenstellen besetzen, desto weniger …" Hier muss es "werde" heißen (Konjunktiv). Vgl. den letzten Satz von Hünings Beitrag in der Muttersprache: "Ob der vorhergesagte bzw. erhoffte Effekt … Realität wird, bleibt abzuwarten." (Könnte man gut zitieren.)
Schließlich scheint mir die Feststellung Hünings aus dem SZ-Artikel wesentlich: "Ein Erklärungsansatz, der eine prinzipielle pragmatische Haltung und eine wenig emotional geführte Debatte als Begründung liefert, wäre spekulativ. … Die Verwendung des generischen Maskulinums habe auch im Niederländischen historische und sprachstrukturelle Gründe." Man könnte überlegen, ob man sie nicht aufnimmt. --Mautpreller (Diskussion) 15:58, 11. Jun. 2023 (CEST)
Danke @Mautpreller für die schnelle Kommentierung. Die Änderung von wird nach werde ist wohl unstrittig, deshalb habe ich mir erlaubt dies im Entwurf gleich zu ändern; danke für den Hinweis. Zu den anderen Punkten werde ich weitere Stellungnahmen abwarten, verbunden mit der Empfehlung für alle, den Text gegen den Artikel von M. Hüning zu vergleichen und zu beachten, dass die Information im Lemma selbst klar und kurz sein sollte. --ArchibaldWagner (Diskussion) 18:26, 11. Jun. 2023 (CEST)
Eigentlich müsste es "das sexusindifferente Maskulinum" bzw. "das sexusunspezifische Maskulinum" heißen. Aber viele Leute, die nicht direkt aus der linguistischen Ecke kommen und keine Linguistik studiert haben, verwechseln gerne generisch mit sexusindifferent/sexusunspezifisch. Hüning hat z.B. nicht Linguistik, sondern Germanistik und Niederlandistik studiert. Da es hier in der Wikipedia üblich ist, vom generischen Maskulinum und nicht von sexusindifferenten/sexusunspezifischen Maskulinum zu sprechen, und Hüning selber auch vom generischen Maskulinum spricht, kann man die Bezeichnung also so lassen.
Eine Standpunktzuweisung kann gerne ergänzt werden. --Eulenspiegel1 (Diskussion) 21:22, 12. Jun. 2023 (CEST)
@Mautpreller, @Eulenspiegel1, siehe: generisch beim DWDS, oder die Erläuterung zu generisch bei der GfdS. Wir sollten als Wikipedia Autoren die Bezeichnungen aus den Referenzen übernehmen, wenn sie in unserem Sprachraum etabliert sind und allgemein verstanden werden. --ArchibaldWagner (Diskussion) 09:28, 13. Jun. 2023 (CEST)
Mir geht es nur darum, dass das, was Hüning "generisches Maskulinum" nennt, nicht dasselbe ist wie im Deutschen. Mir fiel auf, dass ein ndl. Wörterbuch, das er nennt (Van Dale), ihm zufolge das Wort collega "als grammatisch maskulin labelt". Die Onlineversion tut das nicht (https://www.vandale.nl/gratis-woordenboek/nederlands/betekenis/collega#), und es dürfte sich grammatisch vor allem praktisch nicht auswirken (Artikel, Adjektive). Wenn überhaupt, kann das nur bei Substitution durch ein Pronomen der Fall sein, und auch in diesem Fall wäre es prinzipiell unproblematisch, "zij" oder "ze" zu verwenden, wenn man das Geschlecht der Person kennt. Das wäre im Deutschen bei "Kollege" so nicht möglich ("der Kollege" kann man nicht mit "sie" ansprechen).
Das Charakteristikum des Genus ist ja gerade, dass es sich in anderen Wörtern im Satz bemerkbar macht, nicht im Nomen selbst (sodass man es extra lernen muss). Ich hab aber prinzipiell keinen Einwand gegen die Verwendung des Terminus, mir ist nur wichtig, dass der Sachverhalt sich deutlich unterscheidet. Es geht hier eigentlich nur um die Frage: Welche Form des Personal- oder Possessivpronomens wählt man, wenn man das Geschlecht der Person nicht kennt? Hüning zufolge ist im Niederländischen tendenziell (zunehmend) die maskuline Form als generische üblich, während man zB im Englischen zunehmend auf die Pluralform ausweicht (singularisches "they/their"). Das ist schon eine interessante Beobachtung. --Mautpreller (Diskussion) 10:18, 13. Jun. 2023 (CEST)
In Niederländischen Dokumenten habe ich verschiedene Bezeichnungen gefunden, etwa genderoverkoepelende (Geschlechter übergreifend).
Das was Hüning als g.M. bezeichnet kann m.E. nicht so verschieden von dem sein, was wir hier im Deutschen darunter verstehen, wenn er z.B. schreibt: “Anders als im Deutschen ist das generische Maskulinum im Niederländischen weitgehend als neutrale Form akzeptiert” und dann im Text von Forscherinnen und Forschern oder von Ersatz durch Partizip Formen spricht.
Die Beifügung m/v/x zu collega in der Online version des "van Dale" bezieht sich, soweit ich das in NL-Dokumenten gelesen habe, nicht auf den Genus (m.,f.,n. bzw. de und het), sondern auf den Sexus. Schlage einmal boek oder politieman nach. --ArchibaldWagner (Diskussion) 13:21, 13. Jun. 2023 (CEST)
Naja, es entspricht eher dem, was man im Englischen als "generic he" bezeichnet hat. Also sicher generisch und sicher maskulin, aber nicht mit den starken Auswirkungen wie im Deutschen (betont er ja auch), da die Auswirkungen auf den Satz marginal sind. Die einzige relevante Auswirkung scheint bei den Pronomina vorzuliegen. Da man auf "een schriijver" auch mit "zij" Bezug nehmen kann (es aber nur dann tun wird, wenn man weiß, dass es sich um eine Frau handelt), besteht doch eine deutliche Ähnlichkeit zu den Verhältnissen im Schwedischen und (etwas schwächer) im Englischen. Aber wie gesagt, man kann den Terminus schon übernehmen. Der Knackpunkt scheint mir der zu sein, dass es im Niederländischen relativ leicht ist, "schrijver" oder "professor" oder "collega" geschlechtsübergreifend wahrzunehmen, weil das die unmittelbaren Beziehungen der Wörter im Satz nicht oder kaum berührt. --Mautpreller (Diskussion) 14:15, 13. Jun. 2023 (CEST)

Hier die 3. Version meines Entwurf, in welchem ich die Vorschläge, soweit es mir sinnvoll scheint, eingearbeitet habe: --ArchibaldWagner (Diskussion) 11:34, 16. Jun. 2023 (CEST)

Dieser Abschnitt orientiert sich an einem Artikel des Hochschullehrers für niederländische Sprache Matthias Hüning.[1]

Im Niederländischen wird das generische Maskulinum weitgehend als neutrale Form akzeptiert. Sprecher des Niederländischen gehen von einer mittelfristigen Bedeutungsverschiebung aus (semantische Verschiebung), männliche Formen würden aufgrund des gesellschaftlichen Wandels auf Dauer neutraler verstanden; je mehr Frauen Professorenstellen besetzen, um so weniger werde mit dem Wort Professor ein Mann assoziiert. Wichtige Tagesszeitungen (de Volkskrant, NRC Handelsblad) haben 2016 entschieden, keine weiblichen Berufs- und Funktionsbezeichnungen mehr zu verwenden.

Ein Geschlechter übergreifendes Verständnis der männlichen Wortformen wird durch zwei Aspekte des Niederländischen begünstigt:

  1. Die Möglichkeiten der Bildung weiblicher Personenbezeichnungen, die sogenannte Movierung, ist im Niederländischen mit einer größeren Anzahl an Suffixen – etwa: -in, -es, -ster, -e, ... – deutlich komplexer und in der Verwendung unsicherer als im Deutschen.
  2. Die grammatischen Genera Maskulinum und Femininum sind in den letzten Jahrhunderten im sogenannten Utrum zusammengefallen; damit sind für Frauen und Männer bei Personen- und Funktionsbezeichnungen die Formen auch bei zugeordneten Artikeln und Adjektiven gleich – nach wie vor unterscheiden sich aber die weiblichen und männlichen Formen bei Personal- und Possessivpronomen in der dritten Person Singular.

Es gibt auch in den Niederlanden kritische Stimmen, die für eine stärkere Differenzierung und Sichtbarmachung durch die Verwendung weiblicher Formen plädieren. Dies scheint aber eine klare Minderheitenposition zu sein. Doppelnennungen oder ein Ausweichen auf Partizip-Formen werden in den Niederlanden und in Flandern kaum beobachtet.

Ich schlage vor, diese 3. Version des Entwurfes unter dem Abschnitt Andere Sprachen->Niederländisch in das Lemma zu übernehmen. Falls es bis Mittwoch keine Einwände gibt, werde ich den Text dort einfügen. ArchibaldWagner (Diskussion) 09:15, 19. Jun. 2023 (CEST)
Ausgeführt am 2023-06-21 ArchibaldWagner (Diskussion) 10:19, 23. Jun. 2023 (CEST)
Archivierung dieses Abschnittes wurde gewünscht von: --ArchibaldWagner (Diskussion) 10:16, 23. Jun. 2023 (CEST)
  1. a b Matthias Hüning: Geschlechtergerechtigkeit auf Niederländisch. In: Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (Hrsg.): Muttersprache. Band 130, Nr. 1, März 2020, S. 83–87 (fu-berlin.de [PDF; abgerufen am 10. Juni 2023]).