Flora Tristan

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Flora Tristan

Flora Tristan (* 7. April 1803 in Paris; † 14. November 1844 in Bordeaux) war eine peruanisch-französische Schriftstellerin, Sozialistin und Frauenrechtlerin.

Die ersten drei Jahrzehnte

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Mariano Tristán y Moscoso, Flora Tristans Vater, ein reicher peruanischer Adeliger, verstarb 1807 und ließ seine Frau Anne-Pierre Laisnay, eine Französin, und seine vierjährige Tochter völlig mittellos zurück. Um der Armut zu entkommen, ging Flora, die sich mit 15 Jahren in einer Graveurwerkstatt verdingt hatte, 1821 als 18-Jährige eine Vernunftehe mit ihrem Arbeitgeber ein, dem Lithographen und Maler André Chazal. Chazal demütigte und misshandelte seine junge Frau. Sie verließ ihn vier Jahre später. Nach dem damals gültigen Code civil galt dies als Ehebruch – eine Scheidung war nicht möglich. Fünf Jahre lang, von 1825 bis 1830, war sie auf der Flucht vor ihrem Mann und der Justiz. Zwei ihrer drei Kinder starben, nur ihre Tochter Aline überlebte. Um sich, ihre Mutter und ihre Tochter über Wasser zu halten, arbeitete sie zeitweilig als Reisebegleiterin für wohlhabende Familien.

In der Hoffnung auf Unterstützung der Familie ihres Vaters und dessen Erbe reiste Flora Tristan im April 1833 nach Peru. Acht Monate verbrachte sie auf den Besitzungen der wohlhabenden und mächtigen Verwandtschaft ihres Vaters in Arequipa. Doch ließ sie die Welt der lokalen Elite immer wieder hinter sich, besuchte die Sklaven auf den Plantagen[1] und empörte sich über die Klassen- und Rassengegensätze der peruanischen Gesellschaft und über „den Egoismus, den Zynismus und die Frivolität“ der „Höheren Stände“.[2] Ihrer Familie war ihre Parteinahme unverständlich und peinlich. An die Rückgewinnung ihres Erbes war nicht mehr zu denken. Im Juli 1834 schiffte sie sich nach Frankreich ein.

Nach Paris heimgekehrt, veröffentlichte Flora Tristan ihre Reiseeindrücke und -notizen 1837 unter dem Titel Pérégrinations d’une paria. Ihr Buch ist „die erste in Westeuropa erschienene kritische Studie der politischen, sozialen und kulturellen Realitäten der außereuropäischen Welt aus der Sicht einer Frau“.[3] Sie „oszilliert zwischen dem Ethnozentrismus der arroganten Pariserin und dem Impetus der Sozialreformerin“.[4] Das Aufsehen, das ihr Reisebericht erregte, verdankt sich nicht zuletzt ihrer anschaulichen Darstellung: „Emotionale Äußerungen wechseln sich mit geschichtsphilosophischen Betrachtungen und mit Situationsbeschreibungen ab, wobei Tragik und Komik oft eng beieinander liegen. Zugleich war es der erste in französischer Sprache verfasste Reisebericht, in dem die Verhältnisse im unabhängigen Peru geschildert wurden, so dass die Pérégrinations in dieser Beziehung eine Pionierarbeit darstellten.“[5]

Sobald Chazal von Flora Tristans Rückkehr erfuhr, nahm er ihre Verfolgung wieder auf und entführte mehrmals die gemeinsame Tochter. Das Gericht sprach das Sorgerecht für Aline dem Vater zu. Als sie in einem herausgeschmuggelten Brief von Aline lesen musste, dass Chazal die Tochter „in unaussprechlicher Weise“ berührt hatte, klagte Flora Tristan ihn wegen Inzest an und erlangte das Sorgerecht.[6] Daraufhin versuchte Chazal am 4. September 1838, Flora Tristan zu ermorden. Sie überlebte nur knapp die Schussverletzungen und litt an deren Folgen bis an ihr Lebensende. Der Prozess und die Verurteilung Chazals zu Deportation und 20 Jahren Zwangsarbeit ermöglichten ihr endlich die Scheidung.

Frühsozialistin

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Ihre Erfahrungen als alleinstehende, erwerbstätige Frau verarbeitete sie in ihren Schriften. Auf ihren Reisen besuchte sie Fabriken, Ghettos, Gefängnisse und Bordelle und schrieb darüber Reiseberichte und Reportagen.[7] 1839 besuchte sie englische Industriestädte. Ihre Beobachtungen der Zustände der englischen Arbeiterklasse, Promenades dans Londres, ou l'aristocratie et les prolétaires anglais veröffentlichte sie bereits 1840, fünf Jahre vor Friedrich EngelsDie Lage der arbeitenden Klasse in England.

Ende 1843 und das Jahr 1844 hindurch reiste Flora Tristan rastlos per Postkutsche und Schiff kreuz und quer durch Frankreich und hielt Vorträge, um die Arbeiter zu bewegen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Sie war überzeugt, dass sich die Befreiung der Arbeiterklasse und die Emanzipation der Frau nur gemeinsam verwirklichen ließen.[8] In ihrem 1843 erschienenen Hauptwerk L’union ouvrière (Arbeiterunion) formulierte sie, dass die einzige Chance der Arbeiter in ihrem vereinten Handeln liege: „Eh bien! sortez de votre isolement; unissez-vous! L’union fait la force. Vous avez pour vous le nombre, et le nombre, c’est beaucoup!“[9] (etwa: „Verlasst eure Isolation und schließt euch zusammen! Die Einheit macht die Stärke aus. Ihr habt die Zahl für euch, und die Zahl ist groß!“) Aufgrund von Passagen wie diesen gibt es Vermutungen, ob gegebenenfalls auch der berühmte Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels so oder ähnlich eigentlich von Flora Tristan stamme. Tristan wird insbesondere der schriftlich in Tagebüchern verfasste Aufruf "Proletarier, vereinigt euch!" zugeschrieben.[10][11] In ihren Überlegungen schloss Flora Tristan Arbeiterinnen immer explizit ein.[12]

Tod in Bordeaux

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Grab auf dem Cimetière de la Chartreuse in Bordeaux

Flora Tristan war ständigen Repressionen und Bespitzelungen durch die Polizei ausgesetzt; die konservative Presse verspottete sie. In Bordeaux brach sie vor Erschöpfung zusammen und starb kurz darauf im Alter von 41 Jahren am 14. November 1844 an Typhus. Ihr Grab befindet sich auf dem Cimetière de la Chartreuse in Bordeaux.

Flora Tristan war eine Zeitgenossin von und in ihren Überzeugungen verbunden mit George Sand, Victor Hugo, Henri de Saint-Simon und Charles Fourier.

Ihre Tochter Aline heiratete den Journalisten Clovis Gauguin. Aus dieser Ehe ging 1848 der Maler Paul Gauguin hervor.

  • Meine Reise nach Peru. Fahrten einer Paria. Einleitung und Übersetzung durch Friedrich Wolfzettel. Societäts, Frankfurt am Main 1983; wieder Insel, mit einem Vorwort von Mario Vargas Llosa, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-458-34737-2.
    • In Pérégrinations d’une paria (1837 in zwei Bänden erschienen, in Teilen bereits als Vorabdruck in der Revue de Paris) schildert sie ihre Erlebnisse und Eindrücke in Peru, als alleinreisenden Frau und alleinerziehenden Mutter unterwegs. Neudruck Maspéro, Paris 1980 (coll. La Découverte)
  • Méphis (1838), zweite Auflage unter dem Titel Maréquita l’Espagnole. Méphis (1844)
    • ein romantisch-empfindsamer, feministisch-utopischer Roman über die Liebe zwischen der Andalusierin Maréquita und ihrem Geliebten, dem proletarischen Künstler Méphis, und ihre wechselseitige, befreiende Herzensbildung
  • Im Dickicht von London oder Die Aristokratie und die Proletarier Englands, ISP-Verl., Köln, 1993, ISBN 3-929008-20-3.
    • In ihren Promenades dans Londres, ou l'aristocratie et les prolétaires anglais (1840) berichtet sie in einer Art politischer Reportage über die Situation der Arbeiter in den englischen Industriestädten. Darauf aufbauend entstand später L'Union Ouvrière.
  • Arbeiterunion. Sozialismus und Feminismus im 19. Jahrhundert, ISP-Verlag, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-88332-128-1.
    • In ihrem Hauptwerk, L'Union Ouvrière (1843), analysierte sie ihre Erfahrungen in London und anderen Industriestädten. Sie rief alle Arbeiter auf, sich zusammenzuschließen und gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Besonderes Augenmerk legte sie dabei auf das Recht auf Ausbildung – auch und ganz besonders für Frauen.
  • Le tour de France. État actuel de la classe ouvrière sous l'aspect moral, intellectuel, matériel. Éditions Tête de Feuilles, Paris 1973.
    • Tagebuch ihrer (letzten) Reise durch Frankreich 1843/1844 und ihres Bemühens, örtliche Arbeitervereine ins Leben zu rufen

Literatur und Belletristik

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  • Evelyne Bloch-Dano: Flora Tristan, la femme messie. Grasset, Paris 2001, ISBN 2-246-57561-3.
  • Máire Cross: The feminism of Flora Tristan. Berg, Oxford 1992, ISBN 0-85496-731-1.
  • Maire Fedelma Cross: In the Footsteps of Flora Tristan. Liverpool University Press, Liverpool 2020, ISBN 978-1-78962-245-4.
  • Ute Gerhard (Hrsg.): Klassikerinnen feministischer Theorie. Bd. 1: 1789–1919. Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2008, ISBN 978-3-89741-242-2. Darin S. 50–62: Flora Tristan (1803–1844). Französische Schriftstellerin, Feministin und Sozialistin.
  • Isabel Heinemann: La vraie fondatrice de L’internationale. Flora Tristan und die vergessenen feministischen Wurzeln des internationalen Sozialismus. In: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris, Band 47, 2020, S. 267–294.
  • Florence Hervé (Hrsg.): Flora Tristan oder: Der Traum vom feministischen Sozialismus. Dietz, Berlin 2013, ISBN 978-3-320-02293-8.
  • Susanne Knecht: Flora Tristan und Maria Graham, Lady Callcott. Die zweite Entdeckung Lateinamerikas. EVA, Hamburg 2004, ISBN 3-434-50573-3
  • Gerhard Leo: Aufruhr einer Paria. Das abenteuerliche Leben der Flora Tristan. Dietz, Berlin 1990, ISBN 3-320-01568-0.
  • María de las Nieves Pinillos Iglesias: Flora Tristán. Fundación Emmanuel Mounier, Madrid 2002, ISBN 84-95334-22-4.
  • Jules-Louis Puech: La Vie et l'Œuvre de Flora Tristan. Rivière, Paris 1925 (Digitalisat, PDF).
  • Berta Rahm: Flora Tristan. Ala Verlag, Zürich 1971, ISBN 3-85509-002-5.
  • Luis Alberto Sánchez: Flora Tristán. Una mujer sola contra el mundo. Biblioteca Ayacucho, Caracas 1992
  • Mario Vargas Llosa: Das Paradies ist anderswo. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-41600-6.
  • Friedrich Wolfzettel: „Ce désir de vagabondage cosmopolite“. Wege und Entwicklung des französischen Reiseberichts im 19. Jahrhundert. Max Niemeyer, Tübingen 1986, ISBN 3-484-50215-0 Kap. 6.4., S. 139–146: Flora Tristan (über das Peru-Buch); und passim
  1. Magnus Mörner: Europäische Reiseberichte als Quellen zur Geschichte Lateinamerikas von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis 1870. In: Antoni Mą̜czak, Jürgen Teuteberg (Hrsg.): Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel 1982, ISBN 3-88373-031-9. S. 281–314, hier S. 301.
  2. Pierre-Luc Abramson: Las utopías sociales en América Latina en el siglo XIX. Fondo de Cultura Económica, Mexiko-Stadt 1999, ISBN 968-16-5396-3. S. 46.
  3. Krystyna Tausch: Frauen in Peru. Ihre literarische und kulturelle Präsenz. Eberhard Verlag, München 1993, ISBN 3-926777-31-1. Zitat S. 127.
  4. Katharina Städtler: Literatura de viaje y género - Flora Tristán, Étienne de Sartiges y Johann Jakob von Tschudi en el Perú (1830-40). In: Sonja Steckbauer, Günther Maihold (Hrsg.): Literatura - Historia - Política. Articulando las relaciones entre Europa y América Latina. Vervuert, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-86527-182-0. S. 127–136. Zitat S. 129.
  5. Inge Buisson: Frauen in Hispanoamerika in Reiseberichten von Europäerinnen, 1830–1853. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas, Bd. 27 (1990), S. 227–257, Zitat S. 230.
  6. Susanne Knecht: Flora Tristan und Lady Callcott. Die zweite Entdeckung Lateinamerikas. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2004, ISBN 3-434-50573-3. S. 157.
  7. Catherine Nesci: Flora Tristan’s Urban Odyssey. In: Journal of Urban History 27 (2001), S. 709–722.
  8. Kristen Ghodsee: Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit. Suhrkamp Verlag 2019, S. 137.
  9. Flora Tristan: L’union ouvrière. Troisième édition, Paris und Lyon 1844, S. 6.
  10. Gisela Notz:"Proletarier aller Länder, vereinigt euch!", Schrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung (abgerufen am 6. Mai 2024).
  11. Geniale Frauen: Flora Tristan, Arte (abgerufen am 5. April 2023).
  12. Isabel Heinemann: La vraie fondatrice de L’internationale. Flora Tristan und die vergessenen feministischen Wurzeln des internationalen Sozialismus. In: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris, Band 47, 2020, S. 267–294, hier: S. 278.
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