Freie Bühne Berlin

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Theaterzettel Vor Sonnenaufgang von 1889

Die Freie Bühne war ein Theaterverein in Berlin von 1889 bis 1909, der vor allem zeitgenössische Stücke aufführte. Er gilt als Wegbereiter des modernen naturalistischen Theaters in Deutschland. Im Umfeld des Vereins wurde 1890 die Monatsschrift Die Freie Bühne gegründet, die bis heute als Die neue Rundschau erscheint.

Am 5. März 1889 trafen sich zehn Theaterkritiker und Publizisten auf Einladung von Theodor Wolff und Maximilian Harden im Weinhaus Kempinski in Berlin, um den Verein Freie Bühne zu gründen.[1][2] Ziel war es, moderne Theaterstücke zeitgenössischer Autoren aufzuführen, die in anderen Theatern nicht gezeigt werden durften. Vorbild war das Théâtre Libre in Paris. Die Vereinsstruktur wurde gewählt, um die Zensurbestimmungen zu umgehen, was bei geschlossenen Veranstaltungen für Mitglieder möglich war.

Am 5. April erfolgte die Eintragung in das Vereinsregister. Im Juni veröffentlichten Otto Brahm als Vorsitzender, Paul Jonas als Rechtsbeistand und Samuel Fischer als Schatzmeister einen Aufruf, um neue Mitglieder zu werben.

Uns vereinigt der Zweck, unabhängig von dem Betriebe der bestehenden Theater und ohne mit diesen in einen Wettkampf einzutreten, eine Bühne zu begründen, welche FREI ist von den Rücksichten auf Theatercensur und Gelderwerb.

Es sollen während des Theaterjahres, beginnend vom Herbst 1889, in einem der ersten Berliner Schauspielhäuser etwa zehn Aufführungen moderner Dramen von hervorragendem Interesse stattfinden, welche den ständigen Bühnen ihrem Wesen nach schwerer zugänglich, sind.

Sowohl in der Auswahl der dramatischen Werke, als auch in ihrer schauspielerischen Darstellung sollen die Ziele einer der Schablone und dem Virtuosenthum abgewandten, lebendigen Kunst angestrebt werden.

In dieser Absicht ist der Verein FREIE BÜHNE gestiftet worden, dessen Aufführungen nur den Mitgliedern des Vereins zugänglich sein werden. Sollten Sie geneigt sein, das Unternehmen zu stützen, so ersuchen wir Sie, die inliegende Beitrittserklärung zu vollziehen und uns baldmöglichst, jedenfalls bis zum 30. d. M. zugehen zu lassen. [3]

Der Verein bestand aus zehn ordentlichen Mitglieder als Vorstand und den außerordentlichen Mitgliedern. Diese waren Theaterschaffende und Publizisten, aber vor allem Rechtsanwälte, Ärzte, Offiziere und weitere wohlhabende Bürger Berlins, vier Fünftel jüdischer Herkunft.[4] Sie hatten das Anrecht auf einen Platz in jeder Aufführung, aber keinen Einfluss auf die künstlerische Leitung.

Ende Juni 1889 konnte der Verein 360 Mitglieder verzeichnen, im November waren es bereits 900. Im ersten Jahresabschluss 1890 hatten 1025 Mitglieder 25500 Mark eingebracht und als Kassensaldo wurden knapp 3000 Mark als Guthaben auf das zweite Spieljahr übertragen.

Otto Brahm übernahm bald die fast alleinige Entscheidung über Programmauswahl und Inszenierungen.

Entwicklung bis 1893

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Karikatur von Ernst Retemeyer in Kladderadatsch 1890, zur Aufführung Vor Sonnenaufgang

Schon im Juni kam es zu einem Streit, nach dem die Erstinitiatoren Maximilian Harden, Theodor Wolff und W. Stockhausen den Verein verließen. Fritz Mauthner, Ludwig Fulda und der junge Schriftsteller Gerhart Hauptmann ersetzten die Ausgeschiedenen.

Am 29. September 1889 wurde Gespenster von Henrik Ibsen als erstes Stück der Freien Bühne im Lessing-Theater aufgeführt. Am 20. Oktober folgte Vor Sonnenaufgang von Gerhart Hauptmann. Dieses verursachte erhebliche Proteste schon bei der Aufführung. Die Aufregung um dieses Stück verschaffte der Freien Bühne eine große Aufmerksamkeit und sicherte durch neue Mitglieder deren wirtschaftliche Existenz.

1890 initiierte das Vereinsmitglied Bruno Wille nach derselben Grundidee einen weiteren Verein Freie Volksbühne. Dieser sollte einkommensschwächeren Mitgliedern den Besuch von qualitativ hochwertigen Theatervorstellungen ermöglichen.

1894 übernahm Paul Schlenther die Leitung der Freien Bühne, nachdem Otto Brahm Direktor des Deutschen Theaters geworden war. 1895 wurden Aufführungen auf Grund von neuen verschärften Zensurbedingungen verboten, das Privileg von geschützten nicht öffentlichen Theaterveranstaltungen wurde aufgehoben.

Seit 1897 gab es wieder einige Neuinszenierungen. 1898 übernahm Ludwig Fulda die Leitung des Vereins. Er wandte sich stärker dem lyrischen Theater zu und entfernte sich damit vom ursprünglichen Konzept des Naturalismus. 1901 fand die letzte Neuinszenierung unter seiner Leitung statt. 1909 leitete Otto Brahm noch einmal eine Aufführung der Gespenster von Ibsen zum zwanzigjährigen Bestehen des Vereins in der Fassung von 1889.

Danach hörte der Verein Freie Bühne auf zu bestehen. Das ursprüngliche Konzept des Naturalismus hatte sich schon lange auf den deutschen Bühnen etabliert und auch der Vereinsstatus war nicht mehr nötig, um moderne Dramatik aufführen zu können.

Die Freie Bühne inszenierte insgesamt 25 Theaterstücke zwischen 1889 und 1901.[5][6][7] Die herausragendsten Vorstellungen waren die Uraufführungen von Vor Sonnenaufgang (1889) und Die Weber (1893) von Gerhart Hauptmann. Die Schauspieler mussten für jede Inszenierung neu zusammengesucht werden, was wegen der heftigen Kritik an der Freien Bühne in Teilen der Öffentlichkeit zeitweise sehr schwierig war. Die Anfangszeiten der Vorstellungen lagen meist am Mittag, um den Abend für die Vorstellungen der jeweiligen Theater freizuhalten. Angegeben sind die Termine der Premieren, danach gab es weitere Vorstellungen.

In der ersten Spielzeit 1889/1890 war der Regisseur Hans Meery, die Leitung hatte Otto Brahm. Gespielt wurde im Lessingtheater (als Gäste).

Seit Herbst 1890 war Cord Hachmann der Regisseur, die Gesamtleitung hatte weiter Otto Brahm. Gespielt wurde im Residenztheater.

1895 übernahm Paul Schlenther die Gesamtleitung, 1899 Gustav Landauer. 1909 gab es die letzte Vorstellung, noch einmal unter der Regie von Otto Brahm.

Persönlichkeiten

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Gründungsmitglieder
Weitere Mitglieder
Überblicksdarstellungen
  • Gernot Schley: Die Freie Bühne in Berlin. Der Vorläufer der Volksbühnenbewegung. Ein Beitrag zur Theatergeschichte in Deutschland. Haude & Spener, Berlin 1967. Dissertation, grundlegende Darstellung zur Geschichte der Freien Bühne
  • Petra Kohse: Der Zwischenakt, in Tageszeitung (taz) vom 18. März 1989, S. 18–19
  • Albert Soergel: Dichtung und Dichter der Zeit. Leipzig 1911, 6. Auflage 1919 S. 58–67, mit Porträtfotos
Einzelaspekte
  • Katharina Günther: Literarische Gruppenbildung im Berliner Naturalismus. Bouvier-Verlag, Bonn 1972, ISBN 3-416-00843-X, (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 120).
  • Peter de Mendelssohn: S. Fischer und sein Verlag. Fischer, Frankfurt am Main 1970. S. 92f. und öfter
  • Paul Schlenther: Wozu der Lärm? Genesis der Freien Bühne. Fischer, Berlin 1889. Digitalisat

Einzelnachweise

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  1. Helmut Schanze: Theater – Politik – Literatur. Zur Gründungskonstellation einer "Freien Bühne" zu Berlin 1889. In: Hans-Peter Bayerdörfer, Karl Otto Conrady, Helmut Schanze (Hrsg.): Literatur und Theater im Wilhelminischen Deutschland. Niemeyer, Tübingen 1978, S. 275–291, beschreibt die verschiedenen Versionen der Gründungsgeschichte; vgl. Paul Schlenther: Wozu der Lärm? Genesis der Freien Bühne. Fischer, Berlin 1889. S. 3ff., mit der detailliertesten Gründungsgeschichte, die wahrscheinlich die richtige ist
  2. Petra Kohse: Der Zwischenakt, in Tageszeitung (taz) vom 18. März 1989, S. 18–19, gute Zusammenfassung der Geschichte
  3. Peter de Mendelssohn: S. Fischer und sein Verlag. Fischer, Frankfurt am Main 1970, S. 93
  4. »Alle Freiheit und feinere Kultur, wenigstens hier in Berlin, wird vorwiegend durch die reiche Judenschaft vermittelt«, Theodor Fontane
  5. Hans Joachim Piechotta, Ralph-Rainer Wuthenow, Sabine Rothemann (Hrsg.): Die literarische Moderne in Europa. Band 1. Opladen 1994, S. 86f., mit allen Inszenierungen und Terminen
  6. Berichte zu den einzelnen Aufführungen gab es in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften, besonders beachtenswert sind die von Theodor Fontane in der Vossischen Zeitung, meist mit Nennung der Besetzung, sowie im Berliner Tageblatt von Paul Lindau (der als ausgetretenes Gründungsmitglied meist negativ berichtete), und Fritz Engel (mit positiver Berichterstattung), auch im Berliner Volksblatt (bis 1890)
  7. Paul Schlenther: Die Freie Bühne, in Pan, 2/1, Juli 1896, S. 29, berichtete kurz über einzelne Inszenierungen und deren Wirkung
  8. Gespenster (1889) Ibsen Stage, mit Schauspielern
  9. Theodor Fontane: Freie Bühne, in Vossische Zeitung vom 8. April 1890, S. 3, mit Schauspielererwähnungen; Paul Lindau: Freie Bühne, in Berliner Tageblatt vom 8. April 1890, beide mit eher negativer Beurteilung des Stückes
  10. Theodor Fontane: Freie Bühne, in Vossische Zeitung vom 8. April 1890, kurzer Bericht
  11. Michael Robinson: An International Annotated Bibliography of Strindberg Studies 1870–2005 Volume 2, 2008, S. 803f.; mit Besetzung und Bibliographie der Zeitungsbesprechungen der Aufführung
  12. Berliner Tageblatt vom 1. Dezember 1890
  13. Berliner Tageblatt vom 1. Dezember 1890
  14. Michael Robinson: An International Annotated Bibliography of Strindberg Studies 1870–2005 Volume 2, 2008, S. 881f.; mit Bibliographie der Aufführungsberichte und Schauspielernennungen
  15. Fritz Engel: Freie Bühne, in Berliner Tageblatt vom 1. Dezember 1909, S. 1f., mit ausführlichem Bericht
  16. Paul Schlenther: Wozu der Lärm? Genesis der Freien Bühne. Fischer, Berlin 1889. S. 3–5, erwähnte Stockhausen als Theateragentgehilfen, d. h. Mitarbeiter in einer Theateragentur, als einen der ersten Beteiligten, vgl. Helmut Schanze: Theater – Politik – Literatur. Zur Gründungskonstellation einer "Freien Bühne" zu Berlin 1889. 1978, S. 275–277, hält dessen Darstellung für die richtige; ein Theateragent Stockhausen ist sonst nicht bekannt
  17. Stockhausen, W. In: Berliner Adreßbuch, 1889, I. Theil, S. 1161. „Stockhausen, W., Agent, N. Müllerstr. 40b“ (einziger Hinweis auf den Vornamen hier; 1890 nicht mehr im Adressbuch).
  18. Helmut Schanze: Theater – Politik – Literatur. Zur Gründungskonstellation einer "Freien Bühne" zu Berlin 1889. In: Hans-Peter Bayerdörfer, et al. (Hrsg.): Literatur und Theater im Wilhelminischen Deutschland. Niemeyer, Tübingen 1978, S. 276–277, weist auf widersprüchliche Angaben zu Julius Elias hin, Otto Brahm hatte ihn irrtümlich als Gründungsmitglied angegeben, Paul Schlenther gibt eine andere historisch wahrscheinlichere Darstellung, in der Julius Elias in der Gründungszeit nicht erwähnt wurde; dieser trat wahrscheinlich erst um 1892, nach seiner Rückkehr nach Berlin, im Verein und vor allem der Zeitschrift Freie Bühne stärker in Erscheinung (1889 war er ein junger Publizist, der für die Gründung eines Theatervereins keine wichtige Person sein konnte)