Höhenhirnödem

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Klassifikation nach ICD-10
G93.6 Hirnödem
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Ein Höhenhirnödem (abgekürzt HACE, von engl. high-altitude cerebral edema) ist eine gefährliche seröse Flüssigkeitseinlagerung oder -ansammlung im Gehirn, von der Bergsteiger betroffen werden können. Der Schädel kann sich aufgrund seiner knöchernen Struktur nicht ausdehnen und es kommt zu einem gefährlichen Druckanstieg im Gehirn. Es kommt zum Höhenrausch und zum Höhenkoller.[1] Wenn nicht sofortige Therapiemaßnahmen ergriffen werden, endet das Höhenhirnödem meist tödlich. In Kombination mit einem Höhenlungenödem (HAPE) ist die Sterblichkeitsrate besonders hoch.

Vorkommen und Risikofaktoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Häufigkeit wird zwischen einer Höhe von 4200 bis 5500 m mit 0,5 % bis 1 % angegeben[2], eine Studie zum Kilimandscharo fand jedoch nur eine Häufigkeit von 0,022 % bis 0,026 % der Bergsteiger.[3] Je nach Erhebungsart (Fragebögen, Daten aus umliegenden Krankenhäusern) und genauer Definition des Höhenhirnödems (basierend auf Angaben des Patienten oder gesichert durch eine Bildgebung) schwankt die Häufigkeit.

Risikofaktoren sind ein verminderter Sauerstoffpartialdruck im Blut vor Bergsteigung, eine Höhenüberwindung von mehr als 500 m/Tag und Höhen über 4000 m. Vorangegangene Höhenkrankheiten bei anderen Aufstiegen erhöhen ebenfalls das Risiko. Der wichtigste Risikofaktor ist jedoch die akute Höhenkrankheit, weil sich so gut wie alle Höhenhirnödeme aus einer Höhenkrankheit entwickeln.[4]

In sehr seltenen Fällen kann ein Höhenhirnödem auch bei Höhen von weniger als 3000 m auftreten.[5]

Pathophysiologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gefahr liegt im reduzierten Partialdruck von Sauerstoff (hypobare Hypoxie) in großen Höhen. Auf Niveau des Meeresspiegel beträgt der Sauerstoffpartialdruck in der eingeatmeteten Luft in der Lunge 149 mmHg (entspricht 198 mbar), wohingegen auf dem Gipfel des Mount Everest der Partialdruck nur 42 mmHg (55 mbar) beträgt. Der Körper versucht nun über verschiedene Mechanismen ausreichend Sauerstoff in die Zellen zu bekommen. Wie diese Anpassungen oder Fehlanpassungen zu einem Hirnödem führen ist noch unklar. Folgende Vorgänge werden diskutiert:

  • gestörte Anpassung der Atmung mit reduzierten Sauerstoffpartialdruck und erhöhten Kohlenstoffdioxidpartialdruck im Blut führt zu einer verstärkten Durchblutung des Gehirns und damit zu mehr Volumen durch das vermehrte Blut und einem Druckanstieg.[6]
  • "tight-fit-Hypothese: Wenn das Gehirn das Innere des Schädels fast vollständig ausfüllt, erhöht sich der Druck im Schädel bei geringer Ausdehnung des Gehirns bereits stark, weil die Volumenausdehnung des Gehirns nicht durch Verschiebung von Blut oder Nervenwasser aus dem Schädel ausgeglichen werden kann. Dies entspricht der Monro-Kellie-Doktrin. Individuen mit einem relativ zum Schädel großen Gehirn würden also bei geringer Ausdehnung des Gehirns bereits ausgeprägte Symptome entwickeln. Die Beweislage hierfür ist jedoch gering: Bei drei Probanden wurden Messungen des intrakraniellen Drucks in 5030 m Höhe durchgeführt, was ein nicht statistisch signifikantes Ergebnis für die Hypothese ergab.[7] In anderen Arbeiten konnte hingegen kein Zusammenhang zwischen relativer Hirngröße und Druckerhöhung durch Hypoxie gezeigt werden.[8]
  • weiter werden Störungen der Flüssigkeitsregulation vermutet, die zu einer vermehrten Flüssigkeitsansammlung im Hirngewebe führt.[9]
  • auf molekularer Ebene wird Inflammation oder übermäßige Ausschüttung von Vascular Endothelial Growth Factor verdächtigt, die zu einer gestörten Blut-Hirn-Schranke mit begleitender Ödematisierung des Hirngewebes führt.[10]

Die oben geschilderten Vorgänge führen zu einer Wassereinlagerung im Hirngewebe mit Druckanstieg im Schädel und damit direkte Schädigung des Gehirns durch den erhöhten Druck. Zunächst aktivieren sich Schmerzrezeptoren und Kopfschmerz entsteht. Nach und nach fallen mehr Hirnfunktionen aus, bis man in ein Koma fällt. Hält der erhöhte Druck an, sterben letztlich Nervenzellen ab und das Gehirn geht irreversibel zugrunde.

Das Höhenhirnödem tritt auch bei anderen Säugetieren auf, was die Forschung an Mäusen erlaubt.[11] Interessanterweise kann die Streifengans bis 9000 m aufsteigen und kein Höhenhirnödem entwickeln, was durch spezielle Anpassung des Sauerstofftransportproteins Hämoglobin ermöglicht wird.

Symptome[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Leitsymptom des Höhenhirnödems ist die Ataxie, die insbesondere den Rumpf betrifft und beispielsweise das Gehen auf einer imaginären Linie erschwert. Eine Extremitätenataxie, wie man sie mit dem Finger-Nase-Versuch überprüft, liegt jedoch hingegen meist nicht vor. Dieses Auftreten von Bewegungsstörungen ist ein wichtiges Anzeichen für den Übergang von der akuten Höhenkrankheit in ein Höhenhirnödem, das sich innerhalb kurzer Zeit aus einer schweren akuten Höhenkrankheit entwickeln kann. Die Symptome schreiten bei fehlender Therapie fort.

Weitere Symptome sind:[12]

  • schwerste Kopfschmerzen mit teilweise Lichtscheue
  • Übelkeit und Erbrechen, Schwindel
  • Halluzinationen
  • Verwirrung
  • Dysarthrie
  • Lähmung des sechsten Hirnnervs (Abduzensparese)
  • Inkontinenz
  • Seh- oder Höreinschränkungen
  • Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma.

In einer neurologisch-körperlichen Untersuchung finden sich dementsprechend keine spezifischen Zeichen, die ein Höhenhirnödem beweisen. Stauungspapillen, Pyramidenbahnzeichen oder Tonusänderungen der Muskulatur können auftreten.[13]

Manche der Symptome können auch bei einer schweren Unterzuckerung, Dehydratation oder Hypothermie auftreten und mit einem Höhenhirnödem verwechselt werden.

Das Höhenhirnödem lässt sich im MRT nachweisen. Als besonders und spezifisch für ein Höhenhirnödem finden sich Auffälligkeiten im Splenium des Corpus Callosum.

Therapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ziel der Therapie ist die Erhöhung des Sauerstoffgehalts im Blut, damit entspricht die Therapie der einer schweren Höhenkrankheit. Aufgrund des raschen Fortschreitens sollte die Therapie nicht verzögert eingeleitet werden. Der einfachste und schnellste Weg ist der Abstieg, was damit an erster Stelle bei Verdacht auf ein Höhenhirnödem erfolgen sollte. Der Sauerstoffgehalt kann über die Gabe von reinen Sauerstoff in einem mitgeführten Druckbehälter ebenfalls erhöht werden. Falls ein Abstieg nicht möglich sein sollte und entsprechende Ausrüstung vorhanden ist, bietet sich ein portabler Überdrucksack an.

Medikamentös hilft Dexamethason das Hirnödem im Ausmaß etwas zu reduzieren.[14]

Bei rascher Behandlung und Abstieg bilden sich die Symptome meist wieder zurück. Anhaltende Ausfälle können in wenigen Fällen bestehen bleiben.

Das Höhenhirnödem ist eine präventiv verhinderbare Erkrankung, womit der Vorbeugung große Wichtigkeit zukommt.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. "Roche Lexikon Medizin", 5. Auflage, Urban & Fischer, München, Jena 2003, ISBN 3-437-15156-8, Seite 847.
  2. Andrew M. Luks, Erik R. Swenson, Peter Bärtsch: Acute high-altitude sickness. In: European Respiratory Review. Band 26, Nr. 143, 31. März 2017, ISSN 0905-9180, S. 160096, doi:10.1183/16000617.0096-2016, PMID 28143879, PMC 9488514 (freier Volltext) – (ersjournals.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  3. Marieke C.J. Dekker, Alex Mremi, Kajiru G. Kilonzo, Gissela Nyakunga, Francis Sakita, Mark Mvungi, Sarah J. Urasa, Gileard Masenga, William P. Howlett: Altitude-Related Disorders on Mount Kilimanjaro, Tanzania: Two-Year Survey in a Local Referral Center. In: Wilderness & Environmental Medicine. Band 32, Nr. 1, März 2021, S. 36–40, doi:10.1016/j.wem.2020.10.003 (elsevier.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  4. Altitude Illness Clinical Guide For Physicians. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 18. Oktober 2006; abgerufen am 8. Januar 2023.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.high-altitude-medicine.com
  5. Todd Bolotin, Kayla E. Prokopakis, Bruce Becker: Atypical High-Altitude Cerebral Edema Presentation at an Altitude of Less Than 3000 Meters Elevation: A Case Report. In: Open Access Emergency Medicine. Band 14, 29. März 2022, S. 119–122, doi:10.2147/OAEM.S336951, PMID 35378869, PMC 8976477 (freier Volltext) – (dovepress.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  6. Andrew M. Luks: Physiology in Medicine: A physiologic approach to prevention and treatment of acute high-altitude illnesses. In: Journal of Applied Physiology. Band 118, Nr. 5, 1. März 2015, ISSN 8750-7587, S. 509–519, doi:10.1152/japplphysiol.00955.2014 (physiology.org [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  7. Mark H. Wilson, James Milledge: DIRECT MEASUREMENT OF INTRACRANIAL PRESSURE AT HIGH ALTITUDE AND CORRELATION OF VENTRICULAR SIZE WITH ACUTE MOUNTAIN SICKNESS: BRIAN CUMMINS' RESULTS FROM THE 1985 KISHTWAR EXPEDITION. In: Neurosurgery. Band 63, Nr. 5, November 2008, ISSN 0148-396X, S. 970–975, doi:10.1227/01.NEU.0000327885.15132.CA (lww.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  8. Marilena Marinescu, James Bouley, Juyu Chueh, Marc Fisher, Nils Henninger: Clot Injection Technique Affects Thrombolytic Efficacy in a Rat Embolic Stroke Model: Implications for Translaboratory Collaborations. In: Journal of Cerebral Blood Flow & Metabolism. Band 34, Nr. 4, April 2014, ISSN 0271-678X, S. 677–682, doi:10.1038/jcbfm.2014.1, PMID 24424380, PMC 3982093 (freier Volltext) – (sagepub.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  9. Andrew M. Luks: Physiology in Medicine: A physiologic approach to prevention and treatment of acute high-altitude illnesses. In: Journal of Applied Physiology. Band 118, Nr. 5, 1. März 2015, ISSN 8750-7587, S. 509–519, doi:10.1152/japplphysiol.00955.2014 (physiology.org [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  10. Marieke Cornelia Johanna Dekker, Mark H Wilson, William Patrick Howlett: Mountain neurology. In: Practical Neurology. Band 19, Nr. 5, Oktober 2019, ISSN 1474-7758, S. 404–411, doi:10.1136/practneurol-2017-001783 (bmj.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  11. Ping Guo, Han Luo, Yong Fan, Yongjun Luo, Qiquan Zhou: Establishment and evaluation of an experimental animal model of high altitude cerebral edema. In: Neuroscience Letters. Band 547, Juni 2013, S. 82–86, doi:10.1016/j.neulet.2013.05.008 (elsevier.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  12. Marieke Cornelia Johanna Dekker, Mark H Wilson, William Patrick Howlett: Mountain neurology. In: Practical Neurology. Band 19, Nr. 5, Oktober 2019, ISSN 1474-7758, S. 404–411, doi:10.1136/practneurol-2017-001783 (bmj.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  13. John Dickinson: High Altitude Cerebral Edema: Cerebral Acute Mountain Sickness. In: Seminars in Respiratory and Critical Care Medicine. Band 5, Nr. 02, Oktober 1983, ISSN 1069-3424, S. 151–158, doi:10.1055/s-2007-1011445 (thieme-connect.de [abgerufen am 8. Januar 2023]).
  14. Marieke Cornelia Johanna Dekker, Mark H Wilson, William Patrick Howlett: Mountain neurology. In: Practical Neurology. Band 19, Nr. 5, Oktober 2019, ISSN 1474-7758, S. 404–411, doi:10.1136/practneurol-2017-001783 (bmj.com [abgerufen am 8. Januar 2023]).