Handlungsschema

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Handlungsschema (syn. Handlungsmuster, Operationsschema oder Handlungsentwurf) ist ein Fachterminus der Entwicklungspsychologie, der motorische Phänomene im Entwicklungsstadium des 4./5. Lebensjahrs zusammen mit einem ausgeprägten Symbolcharakter beschreibt. Der maßgeblich von Jean Piaget geprägte Begriff „Handlungsschema“ wurde schon vor ihm von der Individualpsychologie verwendet und später von der Soziologie, Psychoanalyse, ebenso wie von der Wissenschaftstheorie aufgenommen. Er ist teilweise auch im allgemeinen Sprachgebrauch anzutreffen. Neben der Entwicklung der Sprache im 3./4. Lebensjahr, die ebenfalls auf motorischen Fähigkeiten aufbaut und gleichfalls Symbolcharakter besitzt, kommt es im 4./5. Lebensjahr zur Ausbildung weiterer Handlungsperspektiven im Zusammenhang mit einer intensiveren Entwicklung der Phantasietätigkeit und eigenen Zukunftsvorstellungen.[1][2][3]

Allgemeiner Sprachgebrauch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist das „Handlungsschema“ eine oft pejorativ gebrauchte Redewendung, mit der eine allzu starre Handlungsweise zum Ausdruck gebracht wird. Hiernach wird immer wieder gehandelt, indem die mit dem Schema verbundenen gefühlsmäßigen Wertvorstellungen zum Tragen kommen, wie etwas geschehen oder ablaufen soll.[4]

Individualpsychologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Alfred Adler (1870–1937) schreibt, dass das Schema, dessen sich das Kind bedient, um handeln zu können und sich zurechtzufinden, dem Drängen des Verstandes entspricht, „das Chaotische, Fließende, nie zu Erfassende in feste Formen zu bannen, um es zu berechnen“. Dabei würden unreale Annahmen durch Fiktionen gemacht.[5] Adler vertrat hierbei eine ähnliche Position wie Hans Vaihinger (1852–1933). Dieser fand, dass so „in dem wilden Wirrwarr eindringender Empfindungen“ eine Ordnung geschaffen werde.[6]

Psychoanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wolfgang Loch (1915–1995) ist der Auffassung, dass das frühkindliche Handlungsschema auf affektive Grunderfahrungen des Guten und Bösen zurückzuführen ist. Er schlägt daher den dynamischen Begriff des affektiven Handlungsschemas vor, den er mit dem statischen Begriff der Imago in Beziehung setzt. Die verinnerlichten affektiven Schemata sind ebenso Relikte des Erlebten wie Reaktionsbasis für zukünftige Handlungen.[7]

Soziologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Alfred Schütz (1899–1959) hat den zielgerichteten Charakter der Handlungsentwürfe betont. Der handelnde Mensch hat stets eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung „vor Augen“ von dem, was er mit seinen Handlungen realisieren bzw. erreichen will. Diese Zielvorstellung ist nichts anderes als die vorweggenommene realisierte Handlung, die als Gesamtbild „entworfen“ und in die Zukunft projiziert wird.[8][9]

Wissenschaftstheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ernst von Glasersfeld (1917–2010) versucht die Theorien der a) Vererbung von Lernfähigkeit, b) des Konzepts der kognitiven Schemata von Jean Piaget (1896–1980) und c) der Theorie der Abduktion von Charles Sanders Peirce (1839–1914) in einem konstruktivistischen Ansatz zu verbinden.[10][11]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mentzos, Stavros: Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-42239-6; Seite 99 f.
  2. Piaget, Jean: Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. (1936), Klett, Stuttgart 1969
  3. Glasersfeld, Ernst von: Piagets konstruktivistisches Modell: Wissen und Lernen. (1994)
  4. The Freedictionary
  5. Adler, Alfred: Über den nervösen Charakter. Grundzüge einer vergleichenden Individual-Psychologie und Psychotherapie. Bergmann, Wiesbaden 1912; Seite 58
  6. Vaihinger, Hans: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche, 1911. Zweite Auflage: 1913, Seite 320.
  7. Wolfgang Loch: Zur Theorie, Technik und Therapie der Psychoanalyse. S. Fischer, Conditio humana, (hrsg. von Thure von Uexküll und Ilse Grubrich-Simitis) 1972, ISBN 3-10-844801-3, S. 30, 34, 55, 83, 138, 142 f., 145.
  8. Schütz, Alfred: Wissenschaftliche Interpretation und Alltagsverständnis menschlichen Handelns. (1955) In: Gesammelte Aufsätze, Bd. I, Den Haag 1971, Seite 3–53
  9. Schütz, Alfred: Das Wählen zwischen Handlungsentwürfen. (1955) In: Gesammelte Aufsätze, Bd. I, Den Haag 1971, Seite 55–109
  10. Glasersfeld, Ernst von: Die Schematheorie als Schlüssel zum Paradoxon des Lernens. In: Hans Rudi Fischer & Siegfried J. Schmidt (Hg.): Wirklichkeit und Welterzeugung. In memoriam Nelson Goodman. Carl Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 2000, Seiten 119–127. [engl.: "Scheme theory as a key to the learning paradox", in: Tryphon, A. / Vonèche, J. (ed.) (2001): Working with Piaget: Essay in honor of Bärbel Inhelder, London: Psychology Press, 139-146].
  11. Schematheorie

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Glasersfeld, Ernst von: Learning as a Constructive Activity. (1983)
  • Glasersfeld, Ernst von: Piaget's Legacy: Cognition as Adaptive Activity. (1997)
  • Piatelli-Palmarini, Massimo (Hg.): Language and Learning.- The Debate between Jean Piaget and Noam Chomsky. (1980)
  • Riegler, Alexander: Ein kybernetisch-konstruktivistisches Modell der Kognition. (2001)