Klimaplastischer Wald

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Mischwald mit mehreren Baumarten

Der Begriff klimaplastischer Wald bezeichnet ein Leitbild für eine zukünftige Waldentwicklung. Ein solches Leitbild soll Waldbesitzern und Förstern bei Entscheidungen helfen, dem Klimawandel und anderen langfristigen Veränderungen zu begegnen und auf Basis von Prognosen zukunftsfähige, nachhaltige Wälder zu entwickeln.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ansprüche an den Wald und die damit verbundenen Zielkonflikte wachsen nach Meinung des Rates für Nachhaltige Entwicklung ständig.[1] Das wichtigste Waldprodukt, Holz, wird traditionell nicht nur als Rohstoff für die Bau- und Möbelindustrie, sondern auch als Energieträger nachgefragt. Gleichzeitig fordern die Waldgesetze mehr Naturnähe bei seiner Bewirtschaftung, um Lebensräume für seltene Arten, aber auch den Erholungsraum für die Menschen zu erhalten. Für die Waldbesitzer verändern die regional möglichen Folgen des Klimawandels, z. B. Wasserknappheit, aber auch Kostendruck und Marktveränderungen die Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung. Sie müssen Entscheidungen für die Zukunft treffen, die möglichst allen Anforderungen gerecht werden, und dabei den wachsenden Risiken begegnen, die in einer kaum vorhersagbaren Entwicklung liegen. Die Gefahr von Fehlentscheidungen ist daher groß.

Eine mögliche Strategie, Risiken zu senken, wird in der Wirtschaft in der Diversifikation gesehen. Für die Wälder der Zukunft würde das unter anderem bedeuten, nicht monotone Reinbestände mit nur einer Baumart zu begründen, sondern baumarten- und strukturreiche Waldgesellschaften zu entwickeln, die möglichst viele Entwicklungspfade für die Zukunft offenhalten.

Wissenschaftliche Grundlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hierzu kann man eine besondere Eigenschaft von Waldökosystemen nutzen, die als ökologische Plastizität bezeichnet wird.[2] Wälder können sich nämlich unter bestimmten Bedingungen an Veränderungen der Umwelt so anpassen, dass funktionale und strukturelle Eigenschaften wie Produktivität und ein geschlossenes Kronendach oder auch das ausgeglichene Mikroklima erhalten bleiben. Wälder erreichen die Anpassung über eine allmähliche Veränderung ihrer Artenzusammensetzung. Die Veränderung ist dabei durch die physiologische Bandbreite der einzelnen Baumarten und deren genetische Diversität begrenzt. Je höher nun die Vielfalt an Arten und Genen, desto besser ist grundsätzlich die Anpassungsfähigkeit eines Baumbestandes. Die Artenzusammensetzung eines Baumbestandes ist immer dann besonders hoch, wenn jede darin vorkommende Baumart eine große ökologische Bandbreite mitbringt, d. h. euryök ist. Ein klimaplastischer Wald sollte also möglichst weite Bereiche wahrscheinlicher Umweltszenarien über eine geeignete Baumartenwahl abdecken (Jenssen 2009).[3]

Grundlagen für die waldbauliche Praxis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die knapp 40 Baumarten, die seit der letzten Eiszeit im nördlichen Mitteleuropa heimisch geworden sind, decken durch ihr breites Spektrum geografischer Herkünfte auch eine große Breite an klimatischen Verhältnissen ab. Vermutlich besteht damit eine ausreichende Menge an Baumarten, um einen klimaplastischen Wald aufzubauen, der die jeweiligen Eigenheiten des Standortes berücksichtigt. Es wird gehofft, dass sich ein solcher Wald an den vorhergesagten Temperaturanstieg mit geringem Aufwand an forstlicher Begleitung anpassen kann.

Tabelle: Wichtige Baumarten des klimaplastischen Waldes

Botanischer Name Wissenschaftlicher Name
Berg-Ahorn Acer pseudoplatanus
Berg-Ulme Ulmus glabra
Eberesche Sorbus aucuparia
Elsbeere Sorbus torminalis
Feld-Ahorn Acer campestre
Flatter-Ulme Ulmus laevis
Gemeine Esche Fraxinus excelsior
Hainbuche Carpinus betulus
Rotbuche Fagus sylvatica
Sand-Birke Betula pendula
Sommer-Linde Tilia platyphyllos
Spitz-Ahorn Acer platanoides
Stechpalme Ilex aquifolium
Stiel-Eiche Quercus robur
Trauben-Eiche Quercus petraea
Vogel-Kirsche Prunus avium
Wald-Kiefer Pinus sylvestris
Weißdorn Crataegus spp.
Wildapfel Malus sylvestris
Wildbirne Pyrus pyraster
Winter-Linde Tilia cordata

Je nach Geschwindigkeit und Ausmaß der Erwärmung könnte das relativ kleine Spektrum europäischer Baumarten nicht ausreichen, um gesunde Wälder zu erhalten. Forstwissenschaftler raten daher, auch den Anbau nicht invasiver fremdländischer Baumarten mit entsprechenden Eigenschaften (vor allem Douglasie, Roteiche, Robinie, Hybridpappel und Küstentanne) mit einzubeziehen. Von Seiten des Naturschutzes herrscht hier jedoch bislang breite Ablehnung, da mehr Nach- als Vorteile für die bestehenden Waldökosysteme gesehen werden. Allerdings existieren auch fremde Baumarten wie die Edelkastanie, die in Teilen Deutschlands bereits seit Jahrhunderten verbreitet sind und im Hinblick auf die Biodiversität ähnlich wertvoll sein können wie alte Eichenbestände, mit denen sie eng verwandt sind.[4] Zu bedenken ist dabei jedoch, dass die Esskastanie als in Europa autochthone und in vorherigen Zwischeneiszeiten auch in Mitteleuropa verbreitete Baumart erwartbarerweise ökologisch wertvoller ist, als fremdländische Arten aus etwa Nordamerika. Insofern kann es sinnvoller sein, statt einer pauschalen Unterteilung in „fremdländische“ und „einheimische“ Arten abgestuftere Kategorien einzuführen, die auch Erkenntnisse der Biogeographie und Paläoökologie berücksichtigen.[5]

Wissenschaftliche Arbeiten zum Thema[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein wissenschaftliches Konzept ist erst dann als Leitbild geeignet, wenn die Folgen seiner Anwendung abgeschätzt und die Machbarkeit seiner Umsetzung mit den jeweiligen Entscheidungsträgern abgestimmt wurde. Das Leitbild des klimaplastischen Waldes wurde in einem vom BMBF geförderten Verbundprojekt untersucht. Am Beispiel der Region Schorfheide-Chorin wurden die Chancen und Risiken einer konsequent an dem Leitbild orientierten Waldentwicklung unter zwei verschiedenen Klimaszenarien bis zum Jahr 2100 abgeschätzt. Die Computersimulationen für diese Region ergaben deutliche Hinweise auf Vorteile gegenüber der bisherigen Waldbewirtschaftung, unter anderem für den Wasserhaushalt, die Kohlenstoffspeicherung und den Schutz wertvoller Habitate.[6] Die Gesamtbilanz an klimaschädlichen Spurengasen ist bei allen Szenarien in etwa gleich, das Aufkommen an Rohholz bis zum Ende des Jahrhunderts würde geringfügig zurückgehen bei einer Verbreiterung des Holzartenspektrums.[7][8]

Weil ein allmählicher Umbau eines Waldes mehrere Jahrzehnte dauert, kämen einige der erwünschten Effekte allerdings erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zur Wirkung. Empfohlen wurde daher, sofort mit Anpassungsmaßnahmen zu beginnen. Das Leitbild wurde im Rahmen einer Landschaftswerkstatt (Anders et al. 2007)[9] unter wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten mit Interessenvertretern, unter anderem Flächeneigentümern, erörtert und gemeinsam weiterentwickelt.

Um eine Umsetzung des Leitbildes in der Modellregion langfristig abzusichern, wurden begleitende Bildungsmaßnahmen in Schule und Berufsbildung durchgeführt (Aenis et al. 2010).[10]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Waldwirtschaft als Modell für nachhaltige Entwicklung: ein neuer Schwerpunkt für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie. (PDF, 597 KB) Rat für Nachhaltige Entwicklung c/o Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, 10. Juni 2004, abgerufen am 7. Februar 2022.
  2. Wald im Klimawandel – Risiken und Anpassungsstrategien. (PDF, 2,6 MB) In: Eberswalder Forstliche Schriftenreihe Band 42. Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (MIL) des Landes Brandenburg Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE), Dezember 2009, abgerufen am 7. Februar 2022.
  3. Jenssen M.: Der klimaplastische Wald im nordostdeutschen Tiefland. Abschlussbericht zum BMBF-Forschungsvorhaben 0330562H. Waldkunde-Institut Eberswalde, Bad Freienwalde, 2009, 119 S.
  4. Olaf Schmidt: Nichtheimische Baumarten zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft, in LWF aktuell, 4 |2019, PDF, abgerufen am 10. März 2022. S. 28–31.
  5. Rhys T. Lemoine, Jens‐Christian Svenning: Nativeness is not binary—a graduated terminology for native and non‐native species in the Anthropocene. In: Restoration Ecology. Band 30, Nr. 8, November 2022, ISSN 1061-2971, doi:10.1111/rec.13636 (wiley.com [abgerufen am 15. Juli 2023]).
  6. Waldumbau in Brandenburg: Grundwasserneubildung unter Klimawandel. (PDF, 501 KB) Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 2011, abgerufen am 7. Februar 2022.
  7. Redaktion waldwissen.net LWF: Kohlenstoffspeicher Wald in Bayern. Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, 2. März 2012, abgerufen am 7. Februar 2022 (deutsch).
  8. Der „gute ökologische Zustand“ naturnaher terrestrischer Ökosysteme - ein Indikator für Biodiversität ? (PDF, 4,1 MB) In: Tagungsband zum Workshop in Dessau. UMWELTBUNDESAMT, 20. September 2007, abgerufen am 7. Februar 2022.
  9. Anders K., Fischer L., Jenssen M., Ende H.-P.: Ein Waldtyp der Zukunft in der Landschaftswerkstatt. In: AFZ Der Wald. 62, Heft 22, 2007 ISSN 0002-5860, S. 1206–1209.
  10. Aenis, Thomas cc Anders, Kenneth Beyer, Gregor Dannowski, Ralf Dietrich, Ottfried Ende, Hans-Peter Englert, Herrmann Elsasser, Peter Foos, Eva Gasche, Rainer Hannemann, Till: Klimaplastische Wälder im nordostdeutschen Tiefland. Humboldt-Universität zu Berlin, 1. Januar 2010, abgerufen am 7. Februar 2022.