Lagerbordell

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Lagerbordelle wurden zwischen 1942 und 1945 in zehn NS-Konzentrationslagern eingerichtet und sollten männlichen Häftlingen als Anreiz zur Mehrarbeit dienen.

Der Historiker Robert Sommer schätzt, dass 210 Frauen in den Bordellen deutscher Konzentrations- und Vernichtungslager zur Prostitution gezwungen wurden, für 174 Frauen wurde dies namentlich nachgewiesen.[1]

Geschichte

Die Idee der Einrichtung von Lagerbordellen geht zurück auf einen Besuch des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, im KZ Mauthausen und den umliegenden Steinbrüchen.[2] Nach seinen Vorstellungen sollte die totale Ausbeutung der Arbeitskraft von männlichen KZ-Häftlingen durch die Einführung von Gratifikationen forciert werden. Privilegierten männlichen Häftlingen sollte der Besuch des „Sonderbaus“ – so der Euphemismus der SS für diese Bordellbaracken – erlaubt werden.

„Für notwendig halte ich allerdings, daß in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.“

Heinrich Himmler: 1942[3]

Im Mai 1943 wurde eine „Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge“ im gesamten KZ-System eingeführt.[4] Darin wurden männlichen Häftlingen bei höherer Arbeitsleistung das Tragen eines militärischen Haarschnitts, die Zuteilung von Zigaretten, eine höhere Brieffrequenz, Einkäufe in der Kantine und der Bordellbesuch gestattet.[2]

Auf Befehl von Heinrich Himmler entstand in Mauthausen im Juni 1942 das erste von zehn Häftlingsbordellen. Hierfür wurden Frauen „abgestellt“, die zur Häftlingskategorie „asozial“ gehörten. In diese Gruppe fielen Frauen, die sich nicht in den NS-Staat eingefügt hatten und beispielsweise den Bund Deutscher Mädel ablehnten.[2] Weiters gehörten auch Frauen, die sich prostituiert hatten und nicht den Auflagen nachgekommen waren, zu den „Asozialen“. Viele dieser zur Prostitution gezwungenen Frauen kamen aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Zogen sich Frauen eine Geschlechtskrankheit zu, wurden sie für medizinische Versuche zur Verfügung gestellt. Schwangere wurden einer Zwangsabtreibung unterzogen.

Das Lagerbordell im KZ Auschwitz I wurde ab Juni 1943 auf Geheiß Himmlers im Block 24a (gegenwärtig Sitz des Museum-Archivs) eingerichtet. Zuvor hatte die SS den Plan verworfen, eine Bordellbaracke (Bauvorhaben 93) hinter dem Block 11 zu errichten. Es eröffnete im Oktober 1943 und sollte privilegierten Funktionshäftlingen zur Belohnung dienen. Den SS-Wachen war der Besuch verboten, sie besuchten ein Bordell in der Stadt Auschwitz. Über 60 deutsche, polnische und ukrainische Frauen selektierte die SS im Frauenlager im KZ Auschwitz II–Birkenau für die beiden Bordellkommandos in Auschwitz I und KZ Auschwitz III–Monowitz. Das Lagerbordell bestand bis wenige Tage vor der Evakuierung von Auschwitz.[5]

Ab 1943 gab es innerhalb des Schutzhaftlagers in Buchenwald ein Lagerbordell für Häftlinge als „Antriebsmittel für höhere Leistungen“. Zu diesem Zweck wurden im Juli 1943 16 weibliche Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück nach Buchenwald verbracht und zur Prostitution gezwungen.

Am 11. Mai 1944 wurde im KZ Dachau ein Lagerbordell in Betrieb genommen, sechs Frauen aus Ravensbrück trafen ein. Es stand in Zusammenhang mit der Dienstvorschrift Oswald Pohls, außergewöhnliche Arbeitsleistungen bei Häftlingen zu honorieren und damit zu steigern. Gegen Ende des Jahres löste man es wieder auf.[6]

Übersicht

KZ errichtet aufgelöst Gebäude Lage (mit Koordinaten) heutiger Zustand Foto
Mauthausen Juni 1942 ? Baracke 1, umgebaut am Appellplatz gegenüber der Wäscherei restauriert
Gusen Herbst 1942 ? eigener Bau am Appellplatz neben dem Jourhaus privates Wohnhaus
Flossenbürg Sommer 1943 ? eigener Bau am Lagerrand hinter dem Arrestblock zerstört, Fundamente erkennbar .
Buchenwald 16. Juli 1943[7] Befreiung April 1945[8] eigenes Gebäude zwischen Krankenbaracke und dem Kleinen Lager[9] zerstört, Fundamentreste, Gedenktafel .
Auschwitz-Stammlager Oktober 1943 Januar 1945, wenige Tage vor der Evakuierung Block 24a (1. Stock von Block 24), adaptiert linker Hand des Lagertors Museumsarchiv, Gucklöcher in den Türen erhalten
Auschwitz-Monowitz Herbst 1943 . . zwischen Häftlingsküche und Gärtnerei zerstört .
Neuengamme Frühjahr 1944 . eigenes Gebäude außerhalb des Häftlingslagers, durch einen Zaun abgetrennt zerstört, Fundamentreste, Gedenktafel .
Dachau 11. Mai 1944 Ende 1944 eigenes Gebäude (Block 170a oder 31) in der nordöstlichen Ecke des Hauptlagers[10] zerstört .
Sachsenhausen Sommer 1944 . eigenes Gebäude in der "Todeszone", durch doppelten Zaun abgetrennt . .
Mittelbau-Dora Anfang 1945 . . nördlich des Appellplatzes zerstört, Fundamentreste, Gedenktafel

Die Frauen

Die Frauen in diesen Bordellen waren Häftlinge des zentralen Frauen-KZ Ravensbrück oder des Frauenlagers im KZ Auschwitz-Birkenau. Anfangs versuchte die SS mit der falschen Vorgabe einer Haftentlassung nach sechsmonatigem Bordelldienst Frauen dazu zu bringen, sich "freiwillig" zu melden. Später wurden Frauen selektiert, denen der Charakter des Dienstes verschwiegen wurde.[2] Nachweislich waren 180, wahrscheinlich aber zwischen 200 und 220 Frauen in den zehn Lagerbordellen eingesperrt. Die meisten der Frauen waren Deutsche, die als „Asoziale“ in ein Konzentrationslager verschleppt worden waren und von der SS weiterhin so bezeichnet wurden. Andere waren Polinnen, Ukrainerinnen, Weißrussinnen, aber auch „Zigeunerinnen“.[11] Jüdische Frauen gab es in den Lagerbordellen nie.[2]

Die Bordellbesucher

Die Bordellbesucher waren zunächst nur Funktionshäftlinge. Erst ab 1943, nach Einführung des Prämiensystems, konnten auch andere Häftlinge das Bordell besuchen.[2] SS-Männern war der Besuch des Lagerbordells nicht gestattet.[12] Jüdischen Häftlingen und sowjetischen Kriegsgefangen war der Bordellbesuch nie erlaubt. Zunächst wurden die Bordelle von Häftlingen, die es sich körperlich leisten konnten, gut besucht. Später sanken aber die Besuchszahlen rapide.[2] Viele politische Häftlinge lehnten den Besuch eines solchen Bordells aus moralischen Gründen ab. Für die meisten Häftlinge war das Lagerbordell im täglichen Überlebenskampf bedeutungslos und wurde als groteske Einrichtung wahrgenommen.[13]

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die staatlich errichteten Lagerbordelle tabuisiert und totgeschwiegen. Fast alle Frauen verschwiegen nach dem Krieg, zur Arbeit in einem Lagerbordell gezwungen worden zu sein. Möglicherweise auf Grund der früheren Einstufung als "Asoziale" und/oder der falschen Einschätzung ihrer Zwangslage verweigerten ihnen nach dem Krieg beide deutschen Staaten die Anerkennung ihres Opferstatus.[14] Sie waren der Öffentlichkeit zumeist unbekannt und wurden erst seit den 1990er Jahren von Wissenschaftlern thematisiert.[15]

Bis in die 1990er Jahre galten die Betroffenen nicht als Opfer des Nationalsozialismus und erhielten keine Entschädigung.[16][17] [18]

Filme

Siehe auch

Literatur

Prostitution im Nationalsozialismus

  • Christa Paul: Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus. Edition Hentrich, Berlin 1994, ISBN 3-89468-141-1.
  • Gabriele Czarnorwski: Frauen – Staat – Medizin. Aspekte der Körperpolitik im Nationalsozialismus. In: Frauen zwischen Auslese und Ausmerze. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. Köln 1985, Nr. 14, ISSN 0722-0189.

Bordelle in Konzentrationslagern – Monografien

  • Baris Alakus, Katharina Kniefacz, Robert Vorberg: Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Mandelbaum, Wien 2006, ISBN 3-85476-205-4.
  • Robert Sommer: Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Schöningh, Paderborn 2009, ISBN 978-3-506-76524-6.

Bordelle in Konzentrationslagern – Aufsätze

  • Kerstin Engelhardt: Frauen im Konzentrationslager Dachau. In: Dachauer Hefte. Dachau 1998, 14, ISSN 0257-9472.
  • Brigitte Halbmayr: Arbeitskommando „Sonderbau“. Zur Bedeutung und Funktion von Bordellen im KZ. in: Dachauer Hefte. Dachau 2005, 21, ISSN 0257-9472.
  • Peter Heigl: Zwangsprostitution im KZ-Lagerbordell Flossenbürg. In: Geschichte Quer. Aschaffenburg 1998, 6.
  • Reinhild Kassing, Christa Paul: Bordelle in deutschen Konzentrationslagern. In: K(r)ampfader. Kasseler FrauenLesbenzeitschrift. Kassel 1991, Nr. 1.
  • Hans-Peter Klausch: Das Lagerbordell von Flossenbürg. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Berlin 1992, Nr. 4, ISSN 0942-3060.
  • Christa Schikorra: Prostitution weiblicher Häftlinge als Zwangsarbeit. Zur Situation „asozialer“ Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück. In: Dachauer Hefte. Dachau 2000, 16, ISSN 0257-9472.
  • Christa Schulz: Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in den Bordellen der Männerkonzentrationslager. In: Claus Füllberg-Stolberg u. a. (Hrsg.): Frauen in Konzentrationslagern. Bergen-Belsen Ravensbrück. Edition Temmen, Bremen 1994, ISBN 3-86108-237-3.
  • Robert Sommer: Der Sonderbau. Die Errichtung von Bordellen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Morrisville 2006, ISBN 1-84728-844-8.
  • Robert Sommer: Die Häftlingsbordelle im KZ-Komplex Auschwitz-Birkenau. Sexzwangsarbeit im Spannungsfeld von NS-‘Rassenpolitik‘ und der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. in: Akim Jah, Christoph Kopke, Alexander Korb, Alexa Stiller (Hrsg.): Nationalsozialistische Lager. Neue Beiträge zur Geschichte der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zur Theorie und Praxis von Gedenkstättenarbeit. Münster 2006, ISBN 3-932577-55-8.
  • Robert Sommer: „Sonderbau“ und Lagergesellschaft. Die Bedeutung von Bordellen in den KZ. in: Theresienstädter Studien und Dokumente. Prag 2007.
  • Christl Wickert: Tabu Lagerbordell. Vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945. in: Insa Eschenbach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk (Hrsg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Campus, Frankfurt am Main/New York 2002, ISBN 3-593-37053-0.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Robert Sommer, Das KZ-Bordell, Paderborn 2009, S. 287
  2. a b c d e f g Robert Sommer im Interview mit Franziska von Kempis: Himmlers KZ-Bordelle – "Die verfluchten Stunden am Abend". In: Süddeutsche Zeitung, 19. Juni 2009. Abgerufen am 1. Februar 2012.
  3. Heinrich Himmler über die Errichtung von Bordellen in Konzentrationslagern, Brief an Oswald Pohl vom 23. März 1942, Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Sig. NS 19/2065.
  4. Dienstvorschrift für die „Gewährung von Vergünstigungen an Häftling“ vom 15. Mai 1943, Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Sig. NS 3/ 426.
  5. Robert Sommer: Die Häftlingsbordelle im KZ-Komplex Auschwitz-Birkenau. Sexzwangsarbeit im Spannungsfeld von NS-'Rassenpolitik' und der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“, in: Jah, Kopke, Korb, Stiller (Hrsg.): Nationalsozialistische Lager. Neue Beiträge zur Geschichte der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zur Theorie und Praxis von Gedenkstättenarbeit, Münster 2006.
  6. Stanislav Zámečník: (Hrsg. Comité International de Dachau): Das war Dachau. Luxemburg, 2002.
  7. Gedenkstätte Buchenwald: Lagerbordelle - Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern abgerufen am 1. September 2013
  8. Arbeitsmaterialien für Projekttage in der Gedenkstätte Buchenwald. Seite 39
  9. Arbeitsmaterialien für Projekttage in der Gedenkstätte Buchenwald. Seite 40
  10. Robert Sommer: Der Sonderbau: die Errichtung von Bordellen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Seite 46
  11. Robert Sommer: „Sonderbau“ und Lagergesellschaft. Die Bedeutung von Bordellen in den KZ. in: Theresienstädter Studien und Dokumente. 2006, S. 300, Prag 2007
  12. Hauke Friederichs: Himmler als Zuhälter. In: Die Zeit, 6. Juli 2009. Abgerufen am 28. Jänner 2012.
  13. Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Europa, Wien/München 1997, S. 598. ISBN 3-203-51243-2.
  14. Christa Schikorra: Prostitution weiblicher Häftlinge als Zwangsarbeit. Zur Situation „asozialer“ Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück. in: Dachauer Hefte. Dachau 2000,16. ISSN 0257-9472.
  15. Christl Wickert: Tabu Lagerbordell. Vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945. in: Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk (Hrsg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Campus, Frankfurt am Main und New York 2002. ISBN 3-593-37053-0.
  16. Helga Amesberger, Katrin Auer, Brigitte Halbmayr: Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern. Wien 2004.
  17. Die Aussteller - Verein zur Förderung von historischen und kunsthistorischen Ausstellungen: Rundgang durch die Ausstellung Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern
  18. Baris Alakus, Katharina Kniefacz, Robert Vorberg: Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Wien 2006, ISBN 3-85476-205-4.
  19. Diese verfluchten Stunden am Abend – Häftlingsbordelle im KZ. Abgerufen am 22. Oktober 2013.