Maoismus

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Das rote Buch, deutschsprachige Ausgabe, Peking 1972

Der Maoismus ist eine politische Strömung, die sich auf die Schriften des chinesischen Revolutionärs Mao Zedong stützt. Die bekannteste Schriftensammlung dieser Art ist wohl die so genannte Mao-Bibel (auch das "Rote Buch" genannt), eine thematisch geordnete Sammlung von Zitaten des "Großen Steuermanns" Mao Zedong, die während der Kulturrevolution in China zusammengestellt wurde und in Übersetzungen in der ganzen Welt verbreitet ist.

Die Theorie und ihr Einfluss in China

Die größte Bedeutung erreichte der Maoismus in seinem Ursprungsland, der Volksrepublik China, wo er seit der kommunistischen Revolution von 1949 offizielle Leitidee staatlich politischen Handelns war. Der Maoismus beruft sich auf die Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, aber eben auch ausdrücklich auf Lenin und Stalin, was die extrem autoritären Züge des Maoismus erklärt.

Diese westlichen Elemente verschmolz Mao mit traditioneller chinesischer Philosophie, etwa dem Denken in Konstellationen. Wichtiges Merkmal der chinesischen Philosophie ist aber vor allem die Vernachlässigung erkenntnistheoretischer und anderer abstrakter Probleme zugunsten der Probleme der materiellen Lebenswelt, die etwa auch dem Konfuzianismus eigen ist. Im Gegensatz zur wesentlich konservativen Ethik des Konfuzianismus suchte der Maoismus die allgemeine Wohlfahrt jedoch nicht in der guten Lebensführung des Einzelnen, sondern seine Praxis verlangt die revolutionäre Umgestaltung der Lebensverhältnisse und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.

Der Praxisbegriff

Die maoistische Theorie ist für ihren Schöpfer Mao Zedong der Praxis untergeordnet, eine Theorie ohne Praxis ist für ihn nichts als „Exkrement“. Jede Theorie muss sich daher in der Praxis beweisen und bei Misserfolgen im politischen Kampf geändert oder verworfen werden. Diese Praxisbetonung kann aus den Bedingungen ihrer Entstehung erklärt werden: Vor dem Sieg seiner Bewegung durchliefen Mao und seine Genossen eine jahrzehntelange Phase des Guerilla-Kampfes gegen die bürgerlichen Kräfte der Kuo Min Tang und die japanischen Invasoren (Stichwort: Chinesischer Bürgerkrieg). Mao ist daher weit mehr Soldat als Philosoph gewesen, seine Schriften bestehen ebenfalls zu einem großen Teil aus Ausführungen über Militärtaktik. Und da im Krieg nur der Sieg zählt, zählt auch bei der politischen Theorie nur ihre Anwendung, die Praxis. Die Betonung der Praxis spricht für den Maoismus, allerdings sinkt sie in letzter Konsequenz zu einem Spiel von Versuch-und-Irrtum herab. Das wohl grausamste Ergebnis dieser Versuche war der so genannte Große Sprung nach vorn, eine Kampagne zur Industrialisierung, bei der im ganzen chinesischen Hinterland ohne geschultes Personal und geeignete Rohstoffe Stahlproduktionsstätten aufgebaut werden sollten. Die Vernachlässigung der Landwirtschaft durch diese Kampagne verursachte eine Hungersnot (die „drei bitteren Jahre“) mit Millionen von Toten.

Fortschritt

Das Ziel der maoistischen Praxis ist letztendlich der industrielle Fortschritt, das Ein- und Überholen der ehemaligen Kolonialherren England und USA. Beim Lesen von Maos Schriften erscheint auch der Sozialismus nur als ein Mittel zur Erlangung des Fortschritts (siehe Zitat unten). Daher könnte man die mittlerweile fast abgeschlossene Wiedereinführung des Kapitalismus in China durch Maos Nachfolger als konsequente Verfolgung seiner Theorie interpretieren. Dieses Ziel der Industrialisierung um jeden Preis teilt der chinesische Maoismus mit dem Stalinismus, der ebenfalls die Industrialisierung auf der Basis von Diktatur und Zwangsarbeit aufbaute. Ein wesentliches, wenn nicht das eigentliche Ziel des Marxismus, nämlich die Emanzipation auch des einzelnen Menschen von äußeren Zwängen, ist hier aufgegeben. Verfolgte Marx noch das Ziel der „Assoziation der freien Produzenten“, so findet sich im Maoismus der einzelne unter totalem Zwang.

Für Marx war der technische und industrielle Fortschritt noch Vorbedingung für die Emanzipation des Menschen im Kommunismus - im Maoismus und den meisten Systemen des autoritären Staatssozialismus ist es umgekehrt. Das Mittel wird zum Zweck, der Mensch muss sich dem Fortschritt unterordnen anstatt ihn zur Erleichterung seines Lebens einzusetzen. Vertreter eines antiautoritären, undogmatischen oder pluralistischen Marxismus rücken daher wie Marx selbst den Menschen als Zweck ins Zentrum, Kommunismus und Fortschritt haben ihm zu dienen - nicht umgekehrt.

Die Widersprüche im Volke

Die Aufgabe der emanzipatorischen Ansprüche des Marxismus kaschierte Mao durch eine Anwendung seiner Widerspruchstheorie, einer Verflachung der Marxschen Dialektik. Diese "Lehre von den Widersprüchen im Volke" beruht auf der Unterscheidung zwischen Widersprüchen im Volke und Widersprüchen zwischen dem Volk und dem "Feind". Die Widersprüche im Volke, etwa zwischen Bauern und Arbeitern werden durch demokratische Diskussionen gelöst, die politischen Widersprüche in der kommunistischen Partei werden durch Kritik und Selbstkritik gelöst, die Widersprüche mit dem Feind jedoch durch Auslöschung des Feindes.

Das mag beim Krieg gegen die Invasion Japans noch tragbar gewesen sein, enthält aber bereits die Rechtfertigung der totalen Diktatur: indem Mao selbst definiert, wer Feind und wer Freund ist, hat er die Mittel und die Rechtfertigung zur physischen Vernichtung jeder Art von Opposition. Diese Reduktion der Dialektik auf ein Verhältnis von Freund und Feind forderte in China tausende von Todesopfern durch "Säuberungen". Zu ähnlichen, oft noch schlimmeren Exzessen ließen sich die Roten Khmer in Kambodscha hinreißen, die ebenfalls Maoisten waren, den Maoismus aber noch durch europäischen Antiimperialimus angereichert hatten.

Einfluss in anderen Staaten

Neben den Roten Khmern in Kambodscha wurde außerhalb Chinas eine am Maoismus angelehnte Spielart des Marxismus-Leninismus in Albanien nach dessen Austritt aus dem Warschauer Pakt zur offiziellen Staatsdoktrin unter Enver Hoxha. In der Zeit zwischen 1976 und 1979 kappte Hoxha allerdings auch diese Verbindung, da er die chinesische Außenpolitik (Theorie der Drei Welten) als opportunistisch kritisierte. Mehrere starke maoistische Parteien existieren noch in Nepal, so die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch), weitere sind: der so genannte "Leuchtende Pfad" (Sendero Luminoso) in Peru, die Kommunistische Partei der Philippinen und ihre Vorfeldorganisation "Nationale Demokratische Front der Philippinen" sowie verschiedene auf die Bewegung der Naxaliten um 1970 zurückgehende Organisationen in mehreren nordostindischen Bundesstaaten, darunter in Bihar, Jharkhand, Andhra Pradesh und Assam; diese Organisationen sind auch heute noch maoistisch orientiert. In der Türkei aktiv ist u.a. die maoistische TKP/ML und ihr bewaffneter Arm, die TIKKO. Auch bei den türkischen Immigranten in Deutschland hat die TKP/ML Anhänger, am ersten Mai in Berlin etwa kann man des öfteren rote Mao-Transparente wehen sehen.

Einfluss in der Bundesrepublik Deutschland

Datei:Maobadge1.jpg
Das Mao-Emblem zierte manche Jacke eines Maoisten, nicht nur in der BRD

Der Maoismus übte in der BRD während der Studentenbewegung ab 1967 einen großen Einfluss aus, viele politische Gruppen bekannten sich zum Maoismus. Einige der nach dem Zerfall des SDS entstandenen so genannten K-Gruppen waren maoistisch inspiriert. In der Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen spielten anfangs Angehörige der K-Gruppen eine große Rolle. Nach Maos Tod im Jahre 1976 ging den maoistischen Zirkeln jedoch überwiegend die Inspiration aus (bis auf einige wenige Ausnahmen wie etwa die TKPML). Prominenteste Ex-Maoisten in Deutschland sind wohl Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und der Fußballspieler Paul Breitner.

Zitate

  • Das Ziel der sozialistischen Revolution ist die Befreiung der Produktivkräfte. Die Verwandlung des individuellen Eigentums in der Landwirtschaft und im Handwerk in sozialistisches Kollektiveigentum und die Verwandlung des kapitalistischen Eigentums in den privaten Industrie- und Handelsbetrieben in sozialistisches Eigentum wird unweigerlich zu einer enormen Freisetzung von Produktivkräften führen. So werden die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine gigantische Entwicklung der Industrie und Agrarproduktion geschaffen (Rede auf der obersten Staatskonferenz 25. Januar 1956, Zitiert aus dem roten Buch, S. 32)
  • Probleme ideologischen Charakters oder Streitfragen, die im Volke entstehen, können nur mit der Methode der Demokratie, mit der Methode der Diskussion, Kritik, Überzeugung und Erziehung, nicht aber durch Zwangs- und Unterdrückungsmaßnahmen gelöst werden. (Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke (27. Februar 1957), Zitiert aus dem roten Buch, S. 63)
  • Jeder Kommunist muss diese Wahrheit begreifen: "Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen." ("Probleme des Krieges und der Strategie" (6. November 1938), Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Band II; Rotes Buch S. 74)
  • Wir treten dafür ein, dass der Krieg abgeschafft wird, wir wollen keinen Krieg; man kann aber den Krieg nur durch Krieg abschaffen, und wenn man will, dass es keine Gewehre mehr geben soll, muss man das Gewehr in die Hand nehmen. ("Probleme des Krieges und der Strategie", a.a.O., Rotes Buch S. 76)
  • Im Klassenkampf siegen gewisse Klassen, während andere vernichtet werden. Das ist der Lauf der Geschichte, das ist die Geschichte der Zivilisation seit Tausenden von Jahren. Erklärt man die Geschichte von diesem Standpunkt aus, so heißt das historischer Materialismus; nimmt man den entgegengesetzten Standpunkt ein, so ist das historischer Idealismus. ("Weg mit den Illusionen, zum Kampf bereit sein!" (14. August 1949). Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. IV; Rotes Buch S. 10)
  • Wir dürfen keineswegs, nur weil wir gesiegt haben, in der Wachsamkeit gegenüber den wütenden revanchistischen Machenschaften der Imperialisten und ihrer Lakaien nachlassen. Wer in dieser Wachsamkeit nachläßt, der wird sich politisch entwaffnen und in eine passive Position geraten.("Ansprache an den Vorbereitungsausschuss der Neuen Politischen Konsultativkonferenz" (15. Juni 1949), Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. IV; Rotes Buch S. 83)

Siehe auch

Literatur

  • Ingo Schäfer, Mao Tse-tung. Eine Einführung in sein Denken, München: C.H. Beck, 1978