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Nationaler Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine

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Logo des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates
Das Präsidialamt der Ukraine, Sitzungsort des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats

Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine (ukrainisch Рада національної безпеки і оборони України, [РНБОУ], Abkürzung RNBO[U]) ist ein ständiges verfassungsmäßiges staatliches Organ der Ukraine zur Koordinierung und Kontrolle der Tätigkeiten der Exekutivorgane im Bereich der nationalen Sicherheit und Verteidigung.[1]

Seit 2014 hat das Gremium erweiterte Befugnisse erhalten, einschließlich der Einführung von Sanktionen. Unter der Präsidentschaft von Wolodymyr Selenskyj nutzt der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine (RNBO) seit 2021 aktiv Sanktionen gegen ukrainische Staatsbürger. Diese Praxis wird von Menschenrechtsorganisationen und Juristen kritisiert, da sie als Verstoß gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gilt und als politisch motiviert betrachtet wird.[2][3][4][5]

Der Rat wurde am 3. Juli 1992 zunächst unter der Bezeichnung Nationaler Sicherheitsrat geschaffen. Seine Aufgaben sind im Artikel 107 der Verfassung der Ukraine geregelt. Vorsitzender ist der Präsident der Ukraine. Dieser ernennt den Sekretär des RNBO.[1]

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 verbot der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine die Arbeit der größten Oppositionspartei Oppositionsplattform – Für das Leben und anderer prorussischer Parteien für die Dauer des Kriegsrechts.[6]

Anfang April 2023 veröffentlichte Oleksij Danilow, der Sekretär des Rats, auf seinem Facebook-Account einen zwölf Punkte umfassenden Deokkupationsplan für die Krim, der unter anderem vorsieht, nach der Annexion der Krim 2014 zugezogene Russen von der Krim auszuweisen und die Krim-Brücke abzureißen.[7][8]

Mit dem Erlass des Präsidenten Nr. 188/2024 vom 26. März 2024 wurde Oleksandr Lytvynenko zum Sekretär berufen und Oleksij Danilow abgelöst.[9]

Sanktionen gegen ukrainische Staatsbürger

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Die Sanktionspolitik des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine (RNBO) wird scharf kritisiert, da sie persönliche restriktive Maßnahmen gegen ukrainische Staatsbürger ohne gerichtliche Entscheidung vorsieht, was gegen die Verfassung sowie grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstößt.[2][3][4] Die Sanktionen werden durch RNBO-Beschluss auf Grundlage des Gesetzes „Über Sanktionen“ verhängt,[10] jedoch ist kein Gerichtsverfahren vorgesehen,[11] was den rechtlichen Standards der Europäischen Union und anderer demokratischer Staaten widerspricht.[12]

Menschenrechtsorganisationen wie das Zentrum für bürgerliche Freiheiten,[5] die Ukrainische Helsinki-Union für Menschenrechte und die Charkiwer Menschenrechtsgruppe verweisen auf die Verfassungswidrigkeit dieser Praxis. Sie betonen, dass der RNBO ein politisches Gremium ist, das keine Befugnis hat, quasijudizielle Funktionen auszuüben.[3][4] Im Februar 2025 veröffentlichten mehrere ukrainische Menschenrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung gegen die Nutzung von Sanktionen als Mittel zur Unterdrückung der Opposition.[3]

Kritiker sehen in diesem Sanktionsmechanismus zunehmend ein politisches Instrument des amtierenden Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, um politische Konkurrenten auszuschalten und den Einfluss auf Medien und Wirtschaft zu verstärken.[3][4][5] Von Sanktionen betroffen waren oppositionelle Politiker, Journalisten und Unternehmer, darunter der fünfte Präsident der Ukraine Petro Poroschenko,[13] die Unternehmer Ihor Kolomojskyj und Hennadij Boholjubow,[14][15] die Journalistin Switlana Kriukowa,[16] der ehemalige Berater des Präsidialamts Oleksij Arestowytsch[17] sowie der Geschäftsmann Kostjantyn Schewaho.[18]

Ähnliche Kritik äußerten auch internationale Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, das von einer „systematischen Nutzung von Sanktionen als Mittel politischer Verfolgung“ sprach.[19]

Liste der Sekretäre des RNBO

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Nr. Sekretär Amtszeit
1 Wolodymyr Horbulin 30. August 1994 – 10. November 1999
2 Jewhen Martschuk 10. November 1999 – 25. Juni 2003
3 Wolodymyr Radtschenko 25. Juni 2003 – 20. Januar 2005
4 Petro Poroschenko 8. Februar 2005 – 8. September 2005
5 Anatolij Kinach 27. September 2005 – 16. Mai 2006
Wolodymyr Horbulin 24. Mai 2006 – 10. Oktober 2006
6 Witalij Hajduk 10. Oktober 2006 – 12. Mai 2007
7 Iwan Pljuschtsch 12. Mai 2007 – 26. November 2007
8 Rajissa Bohatyrjowa 24. Dezember 2007 – 14. Februar 2012
9 Andrij Kljujew 14. Februar 2012 – 24. Januar 2014
10 Andrij Parubij 27. Februar 2014 – 7. August 2014
11 Oleksandr Turtschynow 15. Dezember 2014[20] – 19. Mai 2019
12 Oleksandr Danyljuk 28. Mai 2019[21] – 30. September 2019
13 Oleksij Danilow 3. Oktober 2019 – 26. März 2024
14 Oleksandr Lytvynenko 26. März 2024[9]

Zusammensetzung

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Folgende Personen sind seit dem 26. März 2024 Mitglied des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine:[22]

Fußnote:

¹ - Oleksandr Kamyschin war Minister für strategische Industrie im Kabinett Schmyhal vom 21. März 2023 bis zum 4. September 2024

² - Kein offizielles Amt in der Regierung - Es gab noch keinen Präsidentenerlass, die die Änderung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates vollzog

  • Martina Helmerich, Die Ukraine zwischen Autokratie und Demokratie: Institutionen und Akteure, Duncker & Humblot Verlag Berlin, 2003
  • Sebastian Baumann, Ever westward? – Die Westintegration der Ukraine in der geostrategischen Analyse, GRIN-Verlag München, 2009
  • Steven Pifer u. a „Die Euro-atlantischen Ambitionen der Ukraine. Entwicklung einer effektiven Politikkoordination“ in Ukraineanalysen Nr. 6, 2006 (PDF; 293 kB)
Commons: Nationaler Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Eintrag zum Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine in der Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine; abgerufen am 17. September 2019 (ukrainisch)
  2. a b UBA calls for reform of Ukraine's sanctions mechanism. In: Ukrainian Bar Association. 17. Oktober 2024; (englisch).
  3. a b c d e Human rights groups denounce Ukraine's sanctions as unconstitutional. In: Kharkiv Human Rights Protection Group. 15. Februar 2025; (ukrainisch).
  4. a b c d Sanctions against Ukrainian citizens: Legal analysis and human rights concerns – ZMINA Human Rights Centre, October 2023 (in Ukrainian).
  5. a b c Human rights defenders criticize NSDC sanction lists. In: Center for Civil Liberties. 14. Februar 2025, abgerufen am 15. Mai 2025 (ukrainisch).
  6. Größte Oppositionspartei betroffen: Ukraine verbietet prorussische Parteien. In: Der Spiegel. 20. März 2022, abgerufen am 20. März 2022.
  7. Oleksiy Danilov: 12 steps of deoccupation of Crimea. Odessa Journal, 2. April 2023.
  8. Ukrainian official offers plan for a Crimea without Russia. Associated Press, 2. April 2023.
  9. a b УКАЗ ПРЕЗИДЕНТА УКРАЇНИ №188/2024. Präsident der Ukraine, 26. März 2024, abgerufen am 8. September 2024 (ukrainisch).
  10. Official text of the Law of Ukraine "On Sanctions", adopted on August 14, 2014. Verkhovna Rada of Ukraine.
  11. The National security and defense council instead of the court: how the sanctions mechanism works in Ukraine. In: RBC-Ukraine. 23. Mai 2025; (englisch).
  12. Svitlana Kryukova: Zelenskyy's Decree on Personal Sanctions Against a Number of Ukrainians: Why It Won't Work. In: Obozrevatel. 12. Mai 2025; (ukrainisch).
  13. The rise of sanctions in Ukraine: Political tool or rule of law? In: Ukrainska Pravda. 17. Februar 2025, abgerufen am 19. Mai 2025 (englisch).
  14. Sanctions against Poroshenko mark a dramatic escalation in Ukraine's political battle. In: CNN. 13. Februar 2025, abgerufen am 15. Mai 2025 (englisch).
  15. Sanctions against Poroshenko: the start of Ukraine's election campaign. In: Centre for Eastern Studies (OSW). 14. Februar 2025, abgerufen am 15. Mai 2025 (englisch).
  16. Zelensky imposes sanctions on MPs Boyko, Shufrych, and journalist Kryukova. In: BBC News Ukrainian. 19. Januar 2025, abgerufen am 15. Mai 2025 (englisch).
  17. Arestovych in the sanctions list: Zelenskyy approves new NSDC decision. In: RBC-Ukraine. 15. Februar 2025, abgerufen am 19. Mai 2025 (russisch).
  18. Zhevago responds to NSDC sanctions. In: Ekonomichna Pravda. 16. Februar 2025, abgerufen am 19. Mai 2025 (ukrainisch).
  19. Ukraine: Use of sanctions undermines human rights – Amnesty International, March 2023.
  20. Dekret des Präsidenten der Ukraine zur Ernennung von Oleksandr Turtschynow zum Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine (Memento vom 16. Dezember 2014 im Internet Archive), abgerufen am 21. Dezember 2014.
  21. Dekret 415/2019 vom 19. Juni 2019 des Präsidenten der Ukraine Über die Änderung des Präsidialdekrets vom 7. Juni 2016 Nr. 242; abgerufen am 30. August 2019 (ukrainisch)
  22. Склад Ради національної безпеки і оборони України. Nationaler Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine, 26. März 2024, abgerufen am 8. September 2024 (ukrainisch).