Paper Mill

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Als Paper Mill wird ein Unternehmen bezeichnet, das gegen Geld gefälschte wissenschaftliche Artikel erstellt und diese in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, üblicherweise in Open-Access-Zeitschriften, publiziert. Ein Autor kann sich auf diese Weise eine Autorenschaft in einer Fachzeitschrift kaufen. Im Gegensatz zu den als „räuberisch“ beschriebenen Zeitschriften und Verlagen, die ohne fundierte Prüfung wissenschaftlich minderwertige oder gefälschte Artikel gegen Gebühr veröffentlichen (Predatory Publishing), bieten Paper Mills das Fälschen von Daten und Text sowie das Eingreifen in den Begutachtungsprozess als Dienstleistung an.[1][2] Manchmal treten die Unternehmen als Dienstleister auf, die lediglich Unterstützung für Autoren anbieten, wie Hilfe beim Verfassen eines Forschungsartikels anhand eigener vorhandener Daten, Übersetzungen oder Lektorate. Erst bei näherer Betrachtung wird offensichtlich, dass gleich ganze Autorenschaften erworben werden können.

Wissenschaftler, die versuchen, solche Publikationen und die dahinter stehenden Paper Mills aufzudecken, gehen davon aus, dass diese teilweise mit Reviewern und Editoren der Zeitschriften gemeinsame Sache machen. Kunden der Paper Mills sind Ärzte und Akademiker, die auf diese Weise dem Publikationsdruck entgehen wollen.[3] Die Zahl der Einreichung von gefälschten Forschungsarbeiten, die häufig auch mit gefälschter Autorenschaft verbunden sind, nimmt zu und droht die Redaktionsprozesse einer beträchtlichen Anzahl von Zeitschriften zu überfordern.[3]

Die Betrüger einer Paper Mill gehen folgendermaßen vor: ein im Vorfeld hergestelltes Manuskript wird bei einer Zeitschrift eingereicht. Manche Paper Mills reichen die Manuskripte bei mehreren Zeitschriften gleichzeitig ein, um zu versuchen, bei einer akzeptiert zu werden. Zum Teil werden dabei gleich „Reviewer“ mit vorgeschlagen, die im Anschluss ein positives Review liefern. Startet eine Zeitschrift den Reviewprozess, wird das Paper auf der Webseite der Paper Mill angeboten und eine oder bis zu sechs Autorenschaften darauf verkauft. Die Preise variieren, je nach Impact Factor der Zeitschrift und Position in der Liste der Autoren (Erst- und Letztautorenschaft sind im vor allem betroffenen MINT-Bereich die „begehrten“ Plätze). Die Korrespondenz erfolgt nur über die Paper Mill, nicht mit den Autoren direkt. Wenn die Reviewer oder Editoren Rückfragen haben, werden von der Paper Mill typischerweise große Datenmengen nachgeliefert, um die Forschung zu „belegen“.

Eine beliebte Vorgehensweise ist über „Special Issues“, wenn eine Zeitschrift zu Einreichungen zu einem bestimmten Thema aufruft. Oftmals werden dann von einer Paper Mill gleich mehrere Artikel, passend zum Thema, eingereicht.

Die Manuskripte bestanden vor der flächendeckenden Verfügbarkeit von Large Language Models beispielsweise aus recycelten Text- und Bildvorlagen und gefälschten Daten und „Archivbildern“, was dazu führte, dass manchmal Manuskripte mehrere gemeinsame Merkmale aufwiesen. Diese groß angelegte, systematische Fälschung von Manuskripten war manchmal nur schwer zu erkennen, da sie erst beim Vergleich von Papern aus verschiedenen Ausgaben und sogar aus verschiedenen Zeitschriften deutlich wurde.[4]

Wird ein veröffentlichter Artikel in Frage gestellt, machen die „Autoren“ manchmal einen Rückzieher und verlangen, dass die Arbeit aufgrund von verschiedenen Problemen zurückgezogen wird, oder sie versuchen, zusätzliche Informationen vorzulegen, wie beispielsweise ein Unterstützungsschreiben von ihrer Institution, das dann ebenfalls eine Fälschung ist.

Kunden von Paper Mills

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Genauere Untersuchungen ergaben, dass die meisten gefälschten Arbeiten aus Saudi-Arabien kamen, gefolgt von Pakistan, Russland, China, Ägypten, Malaysia, Iran und Indien.[5]

Nach der Studie des Committee on Publication Ethics und STM vom Juni 2022[3] und einem Bericht in Nature vom März 2021[6] sind viele Kunden von Paper Mills chinesische Studenten und Ärzte, die an chinesischen Krankenhäusern arbeiten. Die Universitäten verlangen für einen Universitätsabschluss, die Krankenhäuser für eine Beförderung die Publikation von Forschungsergebnissen in einer oder sogar mehreren wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Dabei hätten die Ärzte keine Zeit, neben der Behandlung von Patienten noch eigene Forschung durchzuführen, auszuwerten und zu publizieren. Studenten würden nicht ausreichend angeleitet und wüssten nicht, wie man Forschungsergebnisse, wenn sie denn überhaupt eigene vorweisen können, publiziert. Dies führe dazu, dass es für das Fälschen von Daten nur ein gering ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein gebe und der Kauf einer Autorschaft als notwendige Investition in das eigene berufliche Fortkommen angesehen werde.[3] Auch wurden in China seit den 1990er Jahren Anreize geschaffen, in möglichst hochrangigen Zeitschriften zu publizieren, indem dafür teilweise hohe Prämien gezahlt werden. Für eine Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature oder Science beispielsweise zahlen manche Universitäten das Vielfache eines Jahresgehalts.[7][8] Ein weiterer Anreiz für den Kauf einer Autorenschaft bestünde für Forscher, die sich um Forschungsanträge zur Finanzierung ihrer Projekte bemühen. Eine längere Publikationsliste erhöhe hier die Chance, den Zuschlag zu erhalten.

Verbindung zu Predatory Publishing

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Die Ziel-Zeitschriften der Paper Mills sind nicht notwendigerweise als „räuberisch“ einzustufen. Es handelt sich vor allem um eher unbedeutende Journals von etablierten Verlagen mit einem nicht zu hohen Impact Factor.[9]

Eine Untersuchung des indischen Wissenschaftlers Pravin Bolshete zeigte, dass 16 % der in der Liste der Predatory Journals von Jeffrey Beall gelisteten Zeitschriften das Hinzufügen eines weiteren Autors, der zu der publizierten Forschung gar nichts beigetragen hatte, zu einem Paper akzeptieren. In einer fingierten E-Mail bat der Autor um eine Co-Autorschaft für ein beliebiges, im Publikationsprozess befindlichen Papers mit der Begründung, selbst keine Zeit für Forschung zu haben. Die Editoren der Zeitschrift bzw. des herausgebenden Verlags verlangten beispielsweise im Gegenzug von diesem Autor, die Publikationsgebühren für den betreffenden Artikel zu übernehmen.[10]

In einer im November 2022 veröffentlichten Untersuchung von zurückgezogenen Veröffentlichungen konnten beispielsweise 1182 Artikel identifiziert werden, die aus einer Paper Mill stammen.[11][12] Diese wurden zwischen 2004 und 2022 in verschiedenen, aber immer denselben Zeitschriften veröffentlicht, darunter das Journal of Cellular Biochemistry (Wiley), Biomedicine & Pharmacotherapy (Elsevier) und Artificial Cells Nanomedicine and Biotechnology (Taylor & Francis).

Im Jahre 2023 mussten bis Mitte Dezember mehr als 10.000 wissenschaftliche Artikel zurückgezogen werden. Ihr Anteil hatte sich gegenüber dem Jahr 2020 verdoppelt und lag bei etwa 0,2 Prozent. Bei den meisten dieser Arbeiten handelte es sich um Fälschungen, die aufgeflogen waren.[13]

Einzelnachweise

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  1. Ulrich Herb: Verfahren der Wissenschaftlichen Qualitäts-/Relevanzsicherung/Evaluierung in: Grundlagen der Informationswissenschaft, herausgegeben von Rainer Kuhlen, Dirk Lewandowski, Wolfgang Semar und Christa Womser-Hacker. DeGruyter 2023, doi:10.1515/9783110769043
  2. Ulrich Herb: Das wissenschaftliche Publikations- und Reputationssystem ist gehackt, Telepolis vom 15. April 2020
  3. a b c d COPE & STM (Hrsg.): Paper Mills: Research report from COPE & STM. 2022, doi:10.24318/jtbG8IHL (englisch, publicationethics.org [PDF; abgerufen am 10. Juni 2023]).
  4. Stefanie Heck, Franca Bianchini, Nicole Y. Souren, Corinna Wilhelm, Yvonne Ohl, Christoph Plass: Fake data, paper mills, and their authors: The International Journal of Cancer reacts to this threat to scientific integrity. International Journal of cancer, Volume 149, Issue 3, 2021, doi:10.1002/ijc.33604
  5. Frauke Zbikowski: Paper Mills produzieren Fälschungen am laufenden Band, in: FAZ, 5.1.2024
  6. Holly Else, Richard Van Noorden: The fight against fake-paper factories that churn out sham science. In: Nature. Band 591, Nr. 7851, 2021, S. 516–519, doi:10.1038/d41586-021-00733-5 (nature.com [abgerufen am 10. Juni 2023]).
  7. The Truth about China’s Cash-for-Publication Policy. Emerging Technology from the arXiv. In: MIT Technology Review. 12. Juli 2017, abgerufen am 10. Juni 2023 (englisch).
  8. Wei Quan, Bikun Chen, Fei Shu: Publish or impoverish: An investigation of the monetary reward system of science in China (1999-2016). In: Aslib Journal of Information Management. Band 69, Nr. 5, 2017, S. 486–502, doi:10.1108/AJIM-01-2017-0014.
  9. Ulrich Herb: Das wissenschaftliche Publikations- und Reputationssystem ist gehackt, Telepolis vom 15. April 2020
  10. Retraction watch, September 2017: Authorship for sale: Some journals willing to add authors to papers they didn’t write
  11. Candal-Pedreira et al.: Retracted papers originating from paper mills: cross sectional study, doi:10.1136/bmj-2022-071517
  12. Medical Tribune über das Paper im BMJ
  13. Frauke Zbikowski: Paper Mills produzieren Fälschungen am laufenden Band, in: FAZ, 5.1.2024