Pidder Lüng

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Pidder Lüng ist eine Ballade des deutschen Dichters Detlev von Liliencron (1844–1909), zum ersten Mal publiziert in 1892.[1] Sie basiert auf einer Erzählung des Sylter Heimatautors und Lehrers Christian Peter Hansen (1808–1879). Hansen verbindet darin eine lokale Tradition auf Sylt mit der Geschichte des westfriesischen Freiheitskämpfers und Seeräubers Pier Gerlofs Donia (um 1480–1520), der unter den Namen Grutte Pier („Langer Peter“) bekannt war.[2]

Person[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sage nach war Pidder Lüng (auch wohl Pidder Lyng) ein Seeräuberhauptmann und Fischer aus Hörnum auf der Insel Sylt, der im 15. oder am Anfang des 16. Jahrhunderts gelebt haben soll.[3] Der Kern der Erzählung betrifft eine Räubersbande, deren sieben Mitglieder erfasst und hingerichtet wurden. Das jüngste Mitglied hätte man zwar begnadigt, doch dieser setzte nachher aus Rache das Haus des Landvogts ins Feuer. Die prägnante Geschichte wurde 1845 durch Karl Müllenhoff in seiner Sammlung Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg veröffentlicht.[4]

Christian Peter Hansen, von dem die Sage stammte, publizierte eine erweiterde Fassung in Karl Biernatzkis Volksbuch für 1846.[5] Die von ihm verbuchte Überlieferungen verband er unkritisch mit Chronikauszügen aus längst vergangenen Zeiten.[6] Dabei bezog er sich vor allem auf einen Passus in der nordfriesischen Chronik des Anton Heimreichs, in dem die Piraterei des Westfriesen Pier Gerlofs Donia um 1515 beschrieben wurde.

„Bey seiner (des späteren Königs Friedrich I.) Regierung war ein Seerauber in der Westsee, so ein geborner Freese und Langer Peter ist genannt, der ungefähr 500 Mann bei sich hatte, welche alle lose, leichtfertige, ehr- und gottvergessene Buben und verlaufene Kriegsknechte gewesen, denen er auf ihren Kleidern zum Feldzeichen Galgen und Rad gegeben, und die mit Rauben und Plündern in der Westsee grossen Schaden gethan haben.[7]

Im Anschluss an die Chronik taufte Hansen seinen Hauptperson Lange Peter von Hörnum.

Das vermeintliche Leiblied der Hörnumer „Frei ist der Fischfang“ wurde 1846 von Geographen Johann Georg Kohl veröffentlicht.[8] Der Journalist Ernst Willkomm publizierte 1850 eine halb friesische Fassung „Fry is de Fischfang“, die er als den Wahlspruch der ehemaligen See- und Strandräuber bezeichnete.[9]

Alle Erzählelemente kamen bereits 1853 in einem Zeitungsaufsatz von Biernatzki zusammen.[10] Dabei wurde auch den bekannten Spruchs „Lever düd als Sklav“ erwähnt, hier aber verstellt als „Bevor düd als Sklav“. Hansen vervollständigte seine Geschichte von Pidder Lüng demnächst mit anderen Motiven, zuerst in seiner Sammlung Uald’ Söld'ring Tialen (1858), sodann in Sagen und Erzählungen der Sylter Friesen (1877), wo er behauptet, er hätte sämtliche Erzählungen bereits in seiner Jugend aus dem Munde einer gewissen Frau Maike Niß Takens gehört.[11] Sein Freiheitsheld, so versichert er, hätte den Sohn des Amtmannes Henning Pogwisch getötet, weshalb er nach Westfriesland fliehen musste.

Hansens Ausführungen fanden einigen Widerhall in den Niederlanden,[12] doch sie wurden von den Historikern durchaus kritisch aufgenommen. Der westfriesische Seeräuber war ein wirklicher Person, meinte man, doch mit Schleswig-Holstein hatte er nichts zu tun.[13] Dessen ungeachtet blieben Hansens Phantasmen weiterhin in der Öffentlichkeit wirksam.

Der Heimatautor Wilhelm Lobsien publizierte 1910 den Roman Pidder Lyng, der Liekendeeler von Sylt. Die Liekendeeler („Gleichteiler“) oder Vitalienbrüder waren eine Piratenbande, die um 1400 im Ostseegebiet und in Ostfriesland tätig war.

Inhalt der Ballade[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In das vor allem an der deutschen Nordseeküste und in anderen Teilen Norddeutschlands bekannte Gedicht beschreibt Detlev von Liliencron historisierend den Widerstandssinn und die Kampflust der mittelalterlichen Friesen. Diese werden personalisiert in der Figur des Sylter Fischers Pidder Lüng, der sich gegen die ungerechte dänische Landesherrschaft kehrt, für die der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch, Pate steht.[14] Bei dem brutalen Versuch des Adligen, in dessen Gefolge sich ein Priester und bewaffnete Landsknechte befinden, von den Friesen Abgaben einzufordern, kommt es in der Fischerhütte Pidder Lüngs zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Lüng auf die gewohnheitsrechtlichen Freiheiten der Friesen[15] verweist und die Steuerzahlung verweigert. Diese Freiheiten sind der Ballade in lyrischer Form vorangestellt:

Leitspruch unter Darstellung des Wappens der Nordfriesen
Eine Illustration zu Pidder Lüng auf einem Notgeldschein aus Kellinghusen von 1921.
Frii es de Feskfang,0 0 0 0 0 0 0 Frei ist der Fischfang,
frii es de Jaght, 0 0 0 0 0 0 0 0 0 frei ist die Jagd,
frii es de Strönthgang,0 0 0 0 0 0 frei ist der Strandgang,
frii es de Naght, 0 0 0 0 0 0 0 0 0 frei ist die Nacht,
frii es de See, de wilde See 0 0 0 frei ist die See, die wilde See
en de Hornemmer Rhee.0 0 0 0 0 an der Hörnumer Reede.[16]

Auf diese Verweigerung reagiert der dänische Amtmann, indem er voll Verachtung in den Grünkohltopf spuckt, der auf dem Herd der armen Fischersfamilie köchelt. Daraufhin packt Lüng Pogwisch und drückt dessen Gesicht so lange in den heißen Kohl, bis dieser erstickt ist. Erst dann greifen die bewaffneten Männer ein, erstechen den Fischer und ziehen zu einer Racheaktion über Sylt.

Wie jede Strophe endet auch die letzte mit der Parole „Lewwer duad üs Slaav!“ („Lieber tot als Sklave!“).

Die Schreibweise des Spruchs weicht von dem heute bevorzugten Buchstabierung im Sölring ab. Die Unterschiede mit anderen nordfriesischen Dialekten sind erheblich größer.[17]

Die Ballade und noch mehr der vermeintliche Friesenspruch erlangten eine ungemein große Popularität im Dritten Reich, wo sie gebraucht wurden, um den Kampfgeist zu steigern den und Defaitismus zu verurteilen. Seit Kriegsbeginn wurde der Spruch aber weniger auf Nordfriesisch zitiert, weil man Regioalgefühle als bedrohlich für die Einheit der Nation sah.

Hörspiel von Karl Kriekeberg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Karl Kriekeberg stammt ein niederdeutsches Sendespiel (Original-Hörspiel) unter dem Titel: Pidder Lüng. Schauspill in dree Optög. Detlev v. Liliencron to'n Gedenken. Der produzierende Sender war die NORAG in Hamburg. Das Stück wurde am 17. Juni 1926 auf die Funkbühne gebracht und live ohne Aufzeichnung gesendet, da es zu der damaligen Zeit eine solche Möglichkeit noch nicht gab.

Unter der Regie von Hans Böttcher sprachen

Verschiedenes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Liliencrons Ballade wurde 1978 von Rockmusiker Achim Reichel auf dem Album Regenballade vertont.
  • Pidder Lüng ist eine Seenotrettungskreuzer der DGzRS aus 2008. Es war auch der Name eines Fährschiffes von der Hallig Hooge aus 1954.
  • Zwei Autofähren der Wyker Dampfschiffs-Reederei Föhr-Amrum GmbH aus 1962 und 1972 wurden Pidder Lyng getauft. Der Pidder Lyng II wurde 2002 aus der Fahrt genommen.
  • Der Pidder-Lüng-Kaserne war eine Kaserne der Bundeswehr in Hörnum (Sylt), der 1994 geschlossen und 2005 niedergerissen wurde.
  • Pidder-Lüng-Haus ist ein Jugendgästehaus in Hörnum (Sylt).

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Volker Griese: Detlev von Liliencron: Chronik eines Dichterlebens. 3. AuUfl., Nordenstedt 2021, S. 162.
  2. Zu der Person von Grutte Pier: Mark Raat: Grote Pier (ca. 1480-1520). Een samenvatting van feiten, fictie en beeldvorming omtrent Frieslands bekendste volksheld. In: Groniek 51, 2019, nr. 118, S. 33–47. Jacob J. Kalma: Grote Pier van Kimswerd. Leeuwarden 1970.
  3. Willy Krogmann (Hrsg.): Sylter Sagen, in der ursprünglichen Fassung nach C.P. Hansen. Göttingen 1966, Nr. 4. Jurjen van der Kooi: Der Ring im Fischbauch. Sagen aus Nordfriesland. Leer 1998, S. 151, 227.
  4. Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 39 (Nr. 37: Der lange Peter).
  5. Christian Peter Hansen: Das unheimliche Dünenland Hörnum und dessen einstmalige Bewohner, in: Karl L. Biernatzki (Hrsg.): Volksbuch für 1846, S. 42–53.
  6. Vgl. Heinrich Handelmann: Nachträge und Zusätze zu Müllenhoff's Sagen, Marden und Liedern der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lanenburg. In: Jahrbücher für die Landeskunde von Schleswig, Holstein und Lauenburg 1, 1858, S. 132–138, hier S. 132.
  7. Nikolaus Falck (Hg.): M. Anton Heimreichs, nordfresische Chronik Tondern 1819, Bd. 1, S. 296, vgl. S. 281.
  8. Johann Georg KOhl: Marschen und Inseln der Herzogthümer Schleswig und Holstein. Bd. 2, Kiel 1846, S. 160.
  9. Ernst Willkomm: Wanderungen an der Nord- und Ostsee. Leipzig 1850, S. 60.
  10. K.L. B(iernatzki): Pidder Lüng. In: Buch der Welt: illustrirtes Volksblatt, Stuttgart 1853, S. 371–376. Auch als:: Pidder Lüng der Freibeuter’. In: Lesefrüchte vom Felde der neuesten Literatur des In- und Auslandes 4, Hamburg 1854, S. 73–80, 90-83.
  11. Christian Peter Hansen: Uald’ Söld'ring Tialen. Møgeltønder 1858, S. 52–58. Ders.: Sagen und Erzählungen der Sylter Friesen. Nebst einer Beschreibung der Insel Sylt als Einleitung. Garding 1875, S. 206–215.
  12. Jan J. Gouverneur: Lange Peter. Eene bijdrage tot de geschiedenis der vrijbuiterij op de Friesche kusten. In: De Huisvriend 12, 1854,, S. 408–412. Montanus de Haan Hettema: Groote Pier. (PDF; 4,3 MB) In: Nieuwe Friesche Volks-Almanak 5, 1857, S. 59–70.
  13. Jacobus van Loon, Jzn.: Groote Pier, een Kimswerder. (PDF; 5,6 MB) In: Friesche Volksalmanak, 1886, S. 189–199 (mit Beiträgen von Hans Andreas Carstensen und Heinrich Handelmann). Zu den vielen von Hansen selbst hergestellten Sagen: Willy Krogmann (Hrsg.): Sylter Sagen, in der ursprünglichen Fassung nach C.P. Hansen. Göttingen 1966.
  14. Zur Vorgeschichte vom Verhältnis zwischen Friesen und Dänen, siehe: Besiedlung durch Friesen und Jüten und Beziehungen zu Dänemark.
  15. siehe hierzu, allerdings für die Ostfriesen, Friesische Freiheit
  16. Hörnumer Rhee ist ein kleiner wattseitiger Hafen bzw. Ankerplatz an der Südspitze Sylts.
  17. Die heutige übliche Schreibweise im Sylterfriesischen wäre „Lewer duar üs Slaav“ (vgl. Sölring Uurterbok, Kiel 2006). Liliencron markiert das kurze „e“ in „lewwer“ wie im Deutschen durch einen nachfolgenden Doppelkonsonanten. In moderner friesischer Schreibweise wird jedoch ein kurzer Vokal durch einfache Schreibung markiert, gegenüber der doppelten Schreibweise bei Langvokalen. Der Unterschied von „duad“ zu „duar“ ist durch die Nähe des Zungenspitzen-„r“ zum „d“ und leichte Dialektunterschiede zu erklären (vgl. auch die Varianten in der Schreibung des Namens „Pidder“ bzw. „Pirrer“ z. B. in J.P. Hansen: Di Söl'ring Pir'rersdei. Flensburg 1809).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

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