Projektion (Psychoanalyse)

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Projektion bezeichnet in der Psychoanalyse allgemein – und von Schulen unabhängig – einen Abwehrmechanismus. Der Begriff Projektion umfasst das Übertragen und Verlagern innerpsychischer Inhalte oder eines innerpsychischen Konfliktes durch die Abbildung eigener Emotionen, Affekte, Wünsche, Impulse und Eigenschaften, die im Widerspruch zu eigenen und/oder gesellschaftlichen Normen stehen können, auf andere Personen, Menschengruppen, Lebewesen oder Objekte der Außenwelt. Die „Abwehr“ besteht dabei darin, dass durch Projektion vermieden wird, sich mit Inhalten bei sich selbst auseinanderzusetzen, die man beim anderen sieht.

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Wort Projektion kommt von lateinisch proicio, was ‚hinwerfen‘ und ‚vorwerfen‘ bedeutet. Auch der psychologische Begriff der Projektion kann umgangssprachlich grob als (unbewusster) Vorwurf übersetzt werden, und als ein „Hineinsehen“ von etwas in eine Person oder Situation gedeutet werden, was dort nicht oder nicht im vorgeworfenen Ausmaß vorhanden ist.

Abgrenzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Projektion wird oft mit dem psychoanalytischen Begriff Übertragung als Synonym verwendet. Allerdings stellt die Übertragung lediglich eine spezielle Form der Projektion dar, in der unbewusste Wünsche und Erfahrungen in einem bestimmten Beziehungsgeschehen reaktiviert werden. Dies trifft besonders auf die Übertragung im therapeutischen Umfeld zu. Sie wird beispielsweise am häufigsten bei der Paranoia – diese im Sinne einer Persönlichkeitsstörung – gefunden. Die neurotische Paranoia unterscheidet sich von der psychotischen dadurch, dass der Neurotiker kein bizarres Beeinträchtigungserleben hat. Die Projektion kann aber auch bei anderen psychischen Konflikten gefunden werden, so z. B. neigen Personen mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung häufig zur Abwehr durch Projektion.

Definitionen nach Schulen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Psychoanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Psychoanalyse nach Sigmund Freud versteht man unter Projektion einen Abwehrmechanismus, bei dem eigene, unerwünschte Impulse z. B. im Sinne von Gefühlen und Wünschen einem anderen Menschen (oder Gegenstand) zugeschrieben werden. Freud schrieb:

„Projektion ist das Verfolgen eigener Wünsche in anderen.“

Analytische Psychologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1. Grundlagen

Die Analytische Psychologie nach Carl Gustav Jung versteht unter Projektion das Zuschreiben von in der eigenen Psyche vorhandenen, unter Umständen archetypischen Inhalten an andere Personen oder auf materielle Objekte: „Projektion bedeutet die Hinausverlagerung eines subjektiven Vorganges in ein Objekt; ... indem ein subjektiver Inhalt dem Subjekt entfremdet und gewissermaßen dem Objekt einverleibt wird“. Gegenstand der Projektion seien sowohl „peinliche, inkompatible Inhalte, derer sich das Subjekt entledigt, wie auch positive Werte, die dem Subjekt aus irgendwelchen Gründen, zum Beispiel infolge Selbstunterschätzung, unzugänglich sind.“[1] Zugleich sah Jung die Projektion als den allgemeinen Vorgang an, das eigene im anderen zu sehen, denn „so projizieren wir doch ungescheut und naiv unsere eigene Psychologie in den Mitmenschen“. Auch alle „Inhalte unseres Unbewußten sind konstant projiziert in unsere Umgebung“; und nur wenn diese Projektionen als „Imagines“, als „Symbolträger“ durchschaut würden, „gelingt es uns, sie von den wirklichen Eigenschaften derselben [Objekte] zu unterscheiden.“[2] Jung sieht in der Projektion einen natürlichen und immer unbewussten Vorgang;[3] sie „ist aber erst dann als Projektion zu bezeichnen, wenn die Notwendigkeit der Auflösung der Identität mit dem Objekt eingetreten ist“, weil sie „Gegenstand der Kritik geworden ist, sei es der eigenen Kritik des Subjektes, sei es der Kritik eines anderen“. Dann sei eine Projektionsrücknahme für die soziale oder persönliche Entwicklung hilfreich, für die vorher vielleicht die Projektion hilfreiche Brücken gebaut hatte.[1]

2. Projektion archetypischer Inhalte

Jung meinte, die „gesamte Mythologie wäre eine Art Projektion des kollektiven Unbewußten. ... So wie die Konstellationsbilder an den Himmel projiziert werden, so wurden ähnliche und andere Figuren in Legenden und Märchen oder auf historische Personen projiziert.“[4] Auch die polytheistischen Götterwelten entsprechen nach Jung einer Projektion archetypischer Muster menschlicher Urerfahrungen, z. B. des Paares „Weiblich-Männlich“ oder des „Vaters“, auf Göttergestalten.[5] Es werden z. B. beschrieben:

  • „Der Archetypus der Mutter bildet die Grundlage des sogenannten Mutterkomplexes“,[6] Die Projektion des Mutterarchetyps auf die persönliche Mutter bzw. andere Frauen kann zu einer Vielzahl psychischer Störungen führen,[7] u. a. dem von Sigmund Freud beschriebenen Ödipuskomplex. Jung beschrieb auch zahlreiche positive Wirkungen des Mutterkomplexes.[8]
  • Die Projektion des Schattens, also unbeliebter eigener Eigenschaften, Wünsche und Taten – vor allem solcher, die mit gesellschaftlichen Normen in Konflikt stehen, oder für die sich der Projizierende schämt – auf andere Menschen, um sich selbst von diesen distanzieren zu können. Es handelt sich um einen Abwehrmechanismus zur Bewältigung der Negativanteile der eigenen Persönlichkeit. Dieser Abwehrmechanismus führt aber häufig zu sozialen Konflikten, bis hin zu der Verfolgung von Minderheiten und Krieg.

Eine weitere Form von Projektion umfasst das Hineinlegen eigener Vorstellungen in mächtigere Personen oder Wesen, um diesen Rechtfertigung und Nachdruck zu verleihen. Beispiele für diese Form der Projektion finden sich bei Puritanern oder Fundamentalisten: „Gott will, dass alle Ungläubigen bekehrt werden“.

Weiterführende Begriffe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Projektive Identifikation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die über die Projektion hinausgehende projektive Identifizierung ist das Konzept eines psychischen Mechanismus, der mit der Schule von Melanie Klein im Zusammenhang mit ihren Forschungen zu frühkindlichen Abwehrmechanismen beschrieben und weiterentwickelt wurde. Sie bewirkt, dass der Mensch, welcher Ziel der Projektion ist, sich in seinem Verhalten den Erwartungen des Projizierenden anzugleichen beginnt und diese im Rahmen von dessen manipulierendem Verhalten erfüllt. Dabei richtet der Projizierende seine Wahrnehmung des Gegenübers nach seinen eigenen Maßstäben aus, d. h. was in die eigenen Vorstellungen passt, wird bevorzugt wahrgenommen, wohingegen nicht Passendes nicht oder weniger gewertet wird (selektive Wahrnehmung). Das interpersonelle Manipulieren ist hierbei die nicht nur hinreichende, sondern sogar notwendige Voraussetzung für die Diagnose eines Vorliegens der projektiven Identifikation. So werden durch provozierendes oder verführendes Verhalten bei dem Menschen, der Ziel der Projektion ist, diejenigen Verhaltensweisen hervorgerufen, die der Projizierende erwartet. Die Klein'sche Schule legt hierbei noch nicht fest, was in dem projektiv Identifizierten das erwünschte Verhalten auslöst, wobei spätere Schulen den interaktionellen Anteil zur Definition voraussetzen. Manche Therapeuten sehen die projektive Identifikation als sehr archaischen Abwehrmechanismus an und sehen ihn nur in frühen Störungen, wohingegen andere Therapeuten diesen Mechanismus auch bei anderen Störungsbildern sehen.

Institutionelle Abwehr[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff institutionelle Abwehr wurde von Stavros Mentzos vorgeschlagen. Als Synonyme für institutionelle Abwehr werden auch Begriffe wie psychosoziale Kompromisslösung und psychosoziales Arrangement gebraucht (s. a. Annelise Heigl-Evers). Als gleichbedeutend wird auch der von Jürg Willi geprägte Begriff Kollusion verwendet.

Die Autoren Hoffmann und Hochapfel verwenden den Begriff psychosoziale Abwehr. Er besagt, dass zivile Personen wie auch Institutionen Abwehr und kompensatorische Funktionen ausüben können. Die Bedeutung des Begriffs ist als in sich gegensätzlich zu verstehen. Einmal können die von der Institution angebotenen Rollen vom einzelnen zum Zweck der individuellen neurotischen Abwehr benutzt werden, andererseits übernehmen Institutionen sekundär die Befriedigung neurotischer Bedürfnisse. Interpersonelle und institutionelle Abwehr gehören zu den am häufigsten vertretenen und auch in der Öffentlichkeit eingenommenen Abwehrmechanismen (s. a. Stavros Mentzos). Es erscheint gerechtfertigt, die institutionelle und interpersonelle Abwehr als Unterformen der Projektion zu betrachten, da es sich bei diesen Abwehrformen um eine Externalisierung handelt: Ein innerseelischer Konflikt wird in eine reale zwischenmenschliche und zuweilen soziale oder institutionelle Beziehung verlagert.

Diese Ähnlichkeit und das Zusammenwirken von intraindividueller und interindividueller Balance wird insbesondere von Jürg Willi hervorgehoben. Erich Neumann spricht von einer Psychologie des Sündenbocks als eine ethische Primitivform. Sie deckt sich mit dem universalgeschichtlich zu verfolgenden Entwicklungsstadium der Gruppenidentität bzw. mit dem entwicklungsgeschichtlichen Stadium des Narzissmus.

Dabei kommt es zu einem Kreislauf der Gewalt als äußere Ausgrenzung in Form von Projektion auf der Objektstufe (z. B. Fremdenhass) und innerpsychischer Abspaltung (Schattenproblem). Dieser Schatten führt erneut zur Projektion auf die Politik bzw. auf extremistische politische Gruppierungen. Hierdurch werden alle mit dem wertidentischen Bewusstsein nicht übereinstimmenden Inhalte auf eine Person oder Personengruppe übertragen, die – möglicherweise im Umweg über politische Institutionen – nun zur Zielscheibe aller verdrängten destruktiven Affekte wird (z. B. Achse des Bösen).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Annegret Eckhardt-Henn, Gereon Heuft, Gerd Hochapfel, Sven Olaf Hoffmann (Hrsg.): Neurotische Störungen und psychosomatische Medizin. Schattauer, Stuttgart/New York 2003, ISBN 978-3-7945-2619-2, S. 59 f.
  • Annelise Heigl-Evers, Franz Heigl: Die psychosozialen Kompromißbildungen als Umschaltstelle innerseelischer und zwischenmenschlicher Beziehungen. In: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. 14, 1979, S. 310–325.
  • Karl König: Abwehrmechanismen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen/Zürich 2007, ISBN 978-3-525-45607-1.
  • Karl König: Einführung in die psychoanalytische Krankheitslehre. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen/Zürich 1997, ISBN 3-525-45788-X.
  • Jean Laplanche, Jean-Bertrand Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-518-27607-7.
  • Stavros Mentzos: Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. Fischer, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-42239-6, S. 50, 256, 259, 265.
  • Stavros Mentzos: Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, ISBN 978-3-518-28309-7.
  • Das Kollusionskonzept. In: Jürg Willi: Die Zweierbeziehung, Spannungsursachen / Störungsmuster / Klärungsprozesse / Lösungsmodelle – Analyse des unbewußten Zusammenspiels in Partnerwahl und Paarkonflikt. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 167.
  • Erich Neumann: Tiefenpsychologie und neue Ethik. Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-596-42005-9. (Stichwörter Sündenbockpsychologie: S. 39, 40, 44, 46 und Gruppenidentität: S. 40, 61 (Fn. 1), 62)

Medien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b C.G. Jung (1921, 8. Aufl. 1950): Psychologische Typen. Zitiert nach GW 6: § 793.
  2. C.G. Jung (1916–1948): Allgemeine Gesichtspunkte zur Psychologie des Traumes. Zitiert nach GW 8: § 507.
  3. C.G. Jung (1935/1961): Über Grundlagen der analytischen Psychologie (Tavistock Lectures). Zitiert nach GW 18/1: § 315.
  4. C.G. Jung (1927–1950): Die Struktur der Seele. Zitiert nach GW 8: § 325.
  5. C.G. Jung (1936, rev. 1954): Über den Archetypus mit besonderer Berücksichtigung des Animabegriffes. GW § 111–147, Belegstellen siehe GW 9/1: § 120-22.
  6. C.G. Jung (1938, rev. 1954): Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus. GW 9/1: § 148–198, Zit.§ 161.
  7. C.G. Jung (1938, rev. 1954): Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus. GW 9/1: § 148–198; siehe § 184-86.
  8. C.G. Jung (1938, rev. 1954): Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus. GW 9/1: § 148–198; siehe § 172–183.