Tapentadol

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Strukturformel
Strukturformel von Tapentadol
Allgemeines
Freiname Tapentadol
Andere Namen

3-[(1R,2R)-3-(Dimethylamino)-1-ethyl-2-methylpropyl]phenol (IUPAC)

Summenformel C14H23NO
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 175591-23-8
EG-Nummer (Listennummer) 605-757-6
ECHA-InfoCard 100.131.247
PubChem 9838022
ChemSpider 8013742
DrugBank DB06204
Wikidata Q414463
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N02AX06

Wirkstoffklasse

Analgetika

Eigenschaften
Molare Masse 221,34 g·mol−1
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Tapentadol ist ein zentral wirkender, schmerzstillender Wirkstoff, der von der Grünenthal GmbH entwickelt wurde. Er wirkt zum einen als Agonist am μ-Opioidrezeptor und zum anderen als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer am Noradrenalin-Transporter.[2]

Tapentadol ist ein stark wirksames Opioid-Analgetikum, das prinzipiell der Stufe III im WHO-Stufenschema (Klassifizierung der Schmerztherapie) zuzuordnen ist. Allerdings gilt diese Zuordnung nur eingeschränkt, da bis 2014 keine randomisierten, kontrollierten Vergleichsstudien mit dem ähnlichen Tramadol oder anderen Opioiden vorliegen.[3]

Pharmakologische Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wirkungsmechanismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tapentadol ist ein Agonist am μ-Opioidrezeptor. Er wirkt als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Der Mechanismus der Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung wird auch in der adjuvanten medikamentösen Schmerztherapie mit Antidepressiva genutzt.[3]

Die Affinität von Tapentadol zu den μ-Opioidrezeptoren (Ratte, Mensch) ist etwa 15- bis 20-fach höher als die des strukturell verwandten Tramadols, hingegen um den Faktor 2,7 niedriger als die des pharmakologisch aktiven Metaboliten (+)-O-Desmethyltramadol. Es bestehen im Vergleich zu Tramadol Unterschiede hinsichtlich des Verhältnisses von Anreicherung im ZNS zu μ-Rezeptoraktivität und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung, die nahelegen, dass sich die beiden Wirkmechanismen hinsichtlich ihres synergistischen Effekts für Tapentadol und Tramadol unterschieden.[4]

Anders als Tramadol hemmt Tapentadol die Serotoninwiederaufnahme nicht.[4]

Aufnahme und Verteilung im Körper[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tapentadol wird im Magen-Darm-Trakt zu etwa 30 % resorbiert. In der Leber erfolgt Glucuronidierung und Sulfatierung. Der Metabolit wird zu 95 % über die Niere ausgeschieden. Die Plasmahalbwertszeit beträgt vier Stunden. Arzneilich verwendet wird das wasserlösliche Tapentadolhydrochlorid.

Klinische Angaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anwendungsgebiete (Indikationen)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tapentadol ist zugelassen für die Behandlung starker chronischer Schmerzen (Retardformulierung) und mäßig starker bis starker akuter Schmerzen (rasch freisetzende Formulierung), die nur mit Opioidanalgetika angemessen behandelt werden können. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in Deutschland empfahl 2012, Tapentadol wegen fehlender Daten bei Tumorpatienten nur bei Patienten mit schweren nicht-tumorbedingten chronischen Schmerzen einzusetzen, bei denen retardiertes Morphin keine ausreichende Wirkung erzielte oder Morphin nicht vertragen wurde.[5]

Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gegenanzeigen entsprechen denen der anderen Opioide (Unverträglichkeit des Wirkstoffes, Gefahr der Atemdepression, nicht bei Ileuszuständen, Intoxikationen durch zentral wirksame Substanzen).

Die Anwendungsbeschränkungen (Verwendung nur unter besonderer Beobachtung möglich) entsprechen weitgehend denen der anderen Opioide (Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, Koma, schwere Schädel-Hirnverletzungen, Hirntumoren, fortgeschrittene Niereninsuffizienz, schwere Lebererkrankungen, Opiatabhängigkeit, schwere Störungen der Atemfunktion, Hypotension, Blasenentleerungsstörungen, Pankreas- und Gallenwegserkrankungen, Phäochromozytom).

In der Schwangerschaft ist eine Atemdepression des Fötus nicht auszuschließen. Tapentadol kann in die Muttermilch übertreten und zur Atemdepression des Säuglings führen.

Wegen der zentral dämpfenden Wirkung kann es die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen. Patienten mit leichter Niereninsuffizienz oder ältere Patienten benötigen keine Dosisanpassung. An Interaktionen mit anderen Medikamenten ist zusätzlich zu denen anderer Opioide insbesondere die Wechselwirkung mit serotoninergen Stoffen bei Medikamenten mit z. B. selektiven Serotonin-Wiederaufnahme- und Monoaminooxidase-Hemmern zu beachten.

Unerwünschte Wirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tapentadol weist die üblichen unerwünschten Wirkungen der Opioide auf. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen gehören Schwindel, Somnolenz, Kopfschmerzen, Übelkeit und Verstopfung. Als häufig angegeben werden verminderter Appetit, Angst, depressive Verstimmung, Schlafstörungen, Unruhe, Tremor, unwillkürliche Muskelkontraktionen, Erröten, Dyspnoe, Erbrechen, Diarrhoe, Magen-Darmstörungen, Juckreiz, Schwitzen, Hautausschlag, Müdigkeit, Missempfinden der Körpertemperatur, trockene Schleimhäute und Ödeme.

Es besteht ein Suchtpotential.

Die gemeinsame Einnahme von Tapentadol und MAO-Hemmern oder Serotonin-Wiederaufnahmehemmern kann zu starken Blutdruckanstiegen führen. Die Einnahme mit Alkohol oder anderen zentral dämpfenden Substanzen verstärkt den negativen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit.

Wirksamkeit und Verträglichkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die analgetische Potenz von Tapentadol liegt bei 0,3–0,5 und damit zwischen der von Tramadol (0,1) und Morphin (Mustersubstanz, analgetische Potenz 1,0) Tapentadol stellte sich in einer Zulassungsstudie des Herstellers bei chronischen Arthrose- und Rückenschmerzen bezüglich Übelkeit, Obstipation und Erbrechen verträglicher dar als Oxycodon. Die Anzahl der durch Nebenwirkungen bedingten Therapieabbrüche unter Tapentadol war halb so hoch wie diejenige unter Oxycodon. Kritisch ist, dass Oxycodon entsprechend dem Studienprotokoll nicht in der Dosis reduziert werden durfte und wahrscheinlich überdosiert war.[6][7]

Eine Überlegenheit von Tapentadol gegenüber reinen Opioiden oder Tramadol hinsichtlich Wirksamkeit oder Verträglichkeit ist nicht durch randomisierte, kontrollierte Studien belegt.

Pharmazeutische Informationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tapentadol erhielt in den Ländern der EU den Marktzugang über ein dezentrales Zulassungsverfahren, das im August 2010 abgeschlossen wurde. Im selben Monat kam in Deutschland Tapentadol in Form von Retardtabletten auf den Markt; 2014 folgte die Vermarktung einer Lösung zum Einnehmen zur Behandlung akuter Schmerzen.[8] In den USA wurde Tapentadol als Nucynta 2008 zugelassen.

Tapentadol ist seit 25 Jahren der erste neue Wirkstoff, der für die orale Behandlung mäßig starker bis starker akuter und chronischer Schmerzen in den Markt eingeführt wurde. Einem Bericht der Krankenkassen zufolge sei er jedoch von geringer Innovationskraft, deutlich teurer als vorhandene Therapieoptionen (wie Tramadol oder Morphin) und werde mangels Studiendaten für die Behandlung von Tumorschmerzen nicht empfohlen.[9]

Tapentadol unterliegt betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften; in Deutschland ist es als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuft.[10] In der Schweiz fällt es ebenfalls unter das Betäubungsmittelgesetz, in Österreich unter das Suchtmittelgesetz.

Tapentadol verteuert die Therapie in äquivalenter Dosis zu Morphin etwa um den Faktor 2,5 (Stand 2012).

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Palexia (D, A, CH), Yantil (DK, ES), Nucynta (USA)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • R. Terlinden, J. Ossig, F. Fliegert, K. Gohler: Pharmacokinetics, excretion and metabolism of tapentadol HCl, a novel centrally acting analgesic in healthy subjects. In: Program and abstracts of the 25th Annual Scientific Meeting of the American Pain Society. May 3–6, 2006; San Antonio, Texas. Poster 689.
  • S. Daniels, D. Upmalis, A. Okamoto, C. Lange, J. Haeussler: A Randomized, Double-Blind, Phase III Study Comparing Multiple Doses of Tapentadol IR, Oxycodone IR, and Placebo for Postoperative (bunionectomy) Pain. In: Current Medical Research and Opinion. Bd. 25, Nr. 3, 2009, S. 765–776.
  • C. Hartrick, I. van Hove, J. Stegmann, C. Oh, D. Upmalis: Efficacy and Tolerability of tapentadol Immediate Release and Oxycodone HCl Immediate Release in Patients Awaiting Primary Join Replacement Surgery for End-Stage Joint Disease: A 10-day, Phase III, Randomized, Double-Blind, Active and Placebo Controlled Study. In: Clinical Therapeutics. Vol 31, No. 2, 2009.
  • R. Kleinert, C. Lange, A. Steup, P. Black, J. Goldberg, P. Dejardins: Single Dose Analgesic Efficacy of Tapentadol in Postsurgical Dental Pain: The Results of a Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Study. In: International Anesthesia Research Society. Bd. 107, Nr. 6, Dezember 2008.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vorlage:CL Inventory/nicht harmonisiertFür diesen Stoff liegt noch keine harmonisierte Einstufung vor. Wiedergegeben ist eine von einer Selbsteinstufung durch Inverkehrbringer abgeleitete Kennzeichnung von Phenol, 3-[(1R, 2R)-3-(dimethylamino)-1-ethyl-2-methylpropyl]- im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 11. Mai 2020.
  2. T. M. Tzschentke, T. Christoph, B. Kögel, K. Schiene, H. H. Hennies, W. Englberger, M. Haurand, U. Jahnel, T. I. Cremers, E. Friderichs, J. De Vry: (1R, 2R)-3-(3-Dimethylamino-1-ethyl-2-methyl-propyl)-phenol Hydrochloride (Tapentadol HCl): a Novel μ-Opioid Receptor Agonist/Norepinephrine Reuptake Inhibitor with Broad-Spectrum Analgesic Properties. In: Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics. 323(1), 2007 Oct, S. 265–276. PMID 17656655, doi:10.1124/jpet.107.126052
  3. a b Schmerztherapie mit Opioiden. (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive) In: Der Arzneimittelbrief. Nr. 45/2011, abgerufen am 7. Februar 2014.
  4. a b Öffentlicher Beurteilungebericht Palexia/Yantil Filmtabletten
  5. Wirkstoff AKTUELL (Memento vom 19. Oktober 2012 im Internet Archive) (PDF; 935 kB) eine Information der KBV in Kooperation mit der AkdÄ, abgerufen am 7. Februar 2014.
  6. B. Lange, B. Kuperwasser, A. Okamoto, A. Steup, T. Häufel, J. Ashworth u. a.: Efficacy and Safety of Tapentadol Prolonged Release for Chronic Osteoarthritis Pain and Low Back Pain. In: Adv Ther. 27(6), 2010, S. 381–399.
  7. OPIOIDANALGETIKUM TAPENTADOL (PALEXIA RETARD). In: arznei-telegramm online. 2010, abgerufen am 7. Februar 2014.
  8. Fachinformation Palexia 20 mg/ml Lösung zum Einnehmen (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive), abgerufen am 15. Februar 2014.
  9. Innovationsreport 2013 (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive) auf: tk.de (PDF; 20,6 MB)
  10. Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes.