Tzschelln

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Koordinaten: 51° 27′ N, 14° 30′ OKoordinaten: 51° 27′ 10″ N, 14° 30′ 24″ O
Eingemeindung: 1. Januar 1977

Tzschelln (obersorbisch Čelno, veraltet Třělno) ist ein ehemaliges Dorf in der Oberlausitz, 10 km südwestlich von Weißwasser. Der an der Spree zwischen Neustadt/Spree und Boxberg gelegene Ort wurde 1979 wegen des Braunkohlenabbaus durch den Tagebau Nochten devastiert. 276 Personen wurden umgesiedelt. Der überwiegende Teil davon zog nach Weißwasser und Schleife.[1]

Ort Tzschelln
Ort Tzschelln
TzschellnNochtenBärwaldeMerzdorfBoxbergSchadendorf
Verweissensitive Grafik: Nähere Umgebung Tzschellns auf der 1745 erschienenen Karte des Priebussischen Kreises nebst der Herrschaft Muskau von Johann George Schreiber

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ort, der stets zur Standesherrschaft Muskau gehörte, trug verschiedene Bezeichnungen. 1453 wurde der unter dem Namen Czhillen, 1479 unter Tschellen, 1513 unter Schellin und Schelm, 1704 Zscheln, 1791 Zschellen, 1831 Tschelln verzeichnet.

Tzschelln zinste im 15. Jahrhundert – vermutlich zusammen mit Mulkwitz und Mühlrose – den Herren von Pannewitz. Fabian von Schoenaich, der die Herrschaft Muskau zwischen 1551 und 1573 mit Gütern erweiterte, erwarb von den Pannewitzern auch die Ländereien um Mühlrose, Mulkwitz, Tzschelln und die Ruhlmühle, so dass sich das Muskauer Herrschaftsgebiet im Westen bis an die Spree ausdehnte.

Die Filialkirche von Schleife gehörte bis 1588 zum Archidiakonat Oberlausitz unter der Propstei Bautzen. Im Jahr 1588 wurde die Kirche zu Tzschelln mit der Nochtener Kirche verbunden, wobei die Hauptkirche in Tzschelln stand. Seit 1890 war die Kirchgemeinde Sprey nach der Tzschellner Kirche eingepfarrt. Urkundlich belegt ist, dass nach einem Brand (1745) der Turm und das Dach im Jahr 1748 erneuert wurden. Im Jahr 1807 erfolgte eine Wiederherstellung der Kirche von Grund auf. Die Gemeinde feierte deshalb 1907 ein Kirchenjubiläum.[2]

1835 entstand im Ort eine Schule, 1890 eine Pappenfabrik.

Am 27. Februar 1904 kam nach einer Treibjagd unweit des Dorfes ein Wolf, der Tiger von Sabrodt, zur Strecke.

Der Ort gehörte 1908 zum Amtsbezirk Reichwalde und zum Amtsgerichtsbezirk Muskau. Seit 1816 gehörte Tzschelln zum neugebildeten Landkreis Rothenburg (Ob. Laus.), ab 1952 zum Kreis Weißwasser. Seit dem 28. Dezember 1910 bestand der Gutsbezirk Kuthen, ein Forst, der aus Teilen der Landgemeinde Tzschelln gebildet wurde. Die Tzschellner Kuthen benannten Parzellen im Umfang von 371 ha gehörten zu der Gemarkung Forst Muskau.[3] Sie wurden am 30. September 1929 in die Landgemeinde Neustadt im Amtsbezirk Burghammer, Kreis Hoyerswerda eingegliedert.

Am 10. Februar 1928 wurde der Amtsbezirk Nochten durch Herauslösung der Landgemeinden Boxberg, Nochten, Tzschelln und Sprey aus dem Amtsbezirk Reichwalde gegründet.[4]

Im Jahr 1936 wurde Tzschelln im Rahmen der Eindeutschung slawischstämmiger Ortsnamen nach einer nahen Anhöhe in Nelkenberg umbenannt. 1947 wurde die Umbenennung wieder rückgängig gemacht.

Seit den 1960er Jahren wurde Tzschelln vom Braunkohleabbau beeinflusst. Im westlichen Teil des Kreises Weißwasser wurde mit dem Tagebau Nochten ein Großtagebau aufgeschlossen, der bis 2038 Kohle abbauen soll.

Bevölkerung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jahr Einwohner
1630 14 besessene(r) Mann, 10 Häusler
1777 7 besessene(r) Mann, 7 Häusler, 5 Wüstungen
1825 174
1871 222
1885 218
1905 236
1925 312
1939 328
1946 308
1950 313
1964 311

Sorbische Sprache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ort Tzschelln gehörte zum sorbischen Sprachgebiet. Der sorbische Sprachforscher Ernst Mucke dokumentierte 1884, dass 90 % (ca. 196 Personen) der Bevölkerung sorbisch sprach. Um 1950 waren es 85 % (ca. 266 Personen).[5] Es gab im Ort nach dem Zweiten Weltkrieg eine Schule der Kategorie B. In diesen wurde Sorbisch als Fremdsprache gelehrt. Möglicherweise wurde in einigen Fächern auch bilingual unterrichtet. In Tzschelln wurde der Nochtener Dialekt gesprochen.

Waldeisenbahn Muskau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weißwasser–Ruhlmühle
von Muskau
nach Ziegelei
Weißwasser
Bahnstrecke Berlin–Görlitz
Tiergarten Ost
Jagdschloss
Ladegleis
Tzschelln
Ruhlmühle

Der Muskauer Standesherr Graf Hermann von Arnim ließ 1895 zur Erschließung der Wälder und Rohstoffvorkommen im Umfeld von Muskau und Weißwasser eine Pferdebahn mit einer Spurweite von 600 mm anlegen. Außerdem sollten damit die entstandenen Industriebetriebe (Braunkohlegruben, Ziegeleien, Sägewerke, Papierfabriken und Glashütten) an das Bahnnetz angeschlossen werden. Schon 1895 wurden die ersten beiden Dampfloks angeschafft. Bis zur Jahrhundertwende wuchs das Gleisnetz auf etwa 50 km. Ein Zweig der Strecke von Weißwasser zur Ruhlmühle führte bis nach Tzschelln.

Devastierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gedenktafel
Gedenktafel
Gedenkstein mit Inschrift
Gedenkstein mit Inschrift

Der Ort musste in den 1970er Jahren dem fortschreitenden Tagebau Nochten weichen. Er wurde in mehreren Etappen abgerissen. Der Tzschellner Ausbau mit 18 Wirtschaften wurde in den Jahren 1972 und 1973 umgesiedelt. Die weitere Beräumung wurde 1976 abgeschlossen. Es mussten zuletzt 195 Umsiedler den Ort verlassen. Formal wurde der Ort 1977 nach Weißwasser eingemeindet. Die Fachwerkkirche wurde 1978 gesprengt. An den Ort erinnert heute an historischer Stätte eine Gedenktafel.

Bedeutende Persönlichkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hendrich Jordan (1841–1910), sorbischer Lehrer, Schriftsteller und Volkskundler

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Heiner Mitschke (Red.): Von der Muskauer Heide zum Rotstein. Heimatbuch des Niederschlesischen Oberlausitzkreises. Lusatia Verlag, Bautzen 2006, ISBN 3-929091-96-8, S. 263 f.
  • Robert Pohl: Heimatbuch des Kreises Rothenburg O.-L. für Schule und Haus. Buchdruckerei Emil Hampel, Weißwasser O.-L. 1924, S. 193 f.
  • Hermann Graf von Arnim, Willi A. Boelcke: Muskau. Standesherrschaft zwischen Spree und Neiße. 2. Auflage. Verlag Ullstein, Frankfurt am Main u. a. 1978, ISBN 3-549-06695-3.
  • Frank Förster: Verschwundene Dörfer. Die Ortsabbrüche des Lausitzer Braunkohlenreviers bis 1993. (= Schriften des Sorbischen Instituts. Band 8). Bautzen 1995, ISBN 3-7420-1623-7.
  • Helmut Faßke (Hrsg.): Der Niedersorben Wendisch. Eine Sprach-Zeit-Reise. Domowina-Verlag, Bautzen 2003, ISBN 3-7420-1886-8.
  • Edmund Pech: Die Sorbenpolitik der DDR 1949–1970. Domowina-Verlag, Bautzen 1999, ISBN 3-7420-1807-8.
  • Archiv verschwundener Orte (Hrsg.): Dokumentation bergbaubedingter Umsiedlungen. Forst 2010
  • Evangelische Kirchengemeinde Horno (Hrsg.): Verlorene Heimat, Der Bergbau und seine Auswirkungen auf Kirchen und Kirchengemeinden der Ober- und Niederlausitz. Horno 2007, ISBN 3-935826-88-5

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Tzschelln – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Tzschelln – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Archiv verschwundener Orte (Hrsg.): Dokumentation bergbaubedingter Umsiedlungen. Forst 2010, S. 265
  2. Evangelische Kirchengemeinde Horno (Hrsg.): Verlorene Heimat, Der Bergbau und seine Auswirkungen auf Kirchen und Kirchengemeinden der Ober- und Niederlausitz. Horno 2007, ISBN 3-935826-88-5, S. 50
  3. Territoriale Veränderungen in Deutschland und deutsch verwalteten Gebieten 1874–1945: Amtsbezirk Reichwalde. Abgerufen am 16. Dezember 2013.
  4. Territoriale Veränderungen in Deutschland und deutsch verwalteten Gebieten 1874–1945: Amtsbezirk Nochten. Abgerufen am 16. Dezember 2013.
  5. Evangelische Kirchengemeinde Horno (Hrsg.): Verlorene Heimat, Der Bergbau und seine Auswirkungen auf Kirchen und Kirchengemeinden der Ober- und Niederlausitz. Horno 2007, ISBN 3-935826-88-5, S. 51