Ulrich Ritzel

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Ulrich Ritzel (* 1940 in Pforzheim) ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller.

Biographie

Er verbrachte seine Kindheit und Jugend auf der Schwäbischen Alb und lebt seit 1998 als freier Schriftsteller am Bodensee und bis 2006 zeitweise auch in Ulm, neuerdings statt dessen zeitweise im Südschwarzwald und seit ganz kurzer Zeit ist er als Gast in die Schweiz übergesiedelt.

Ulrich Ritzel studierte Jura in Tübingen, Berlin und Heidelberg. Danach schrieb er für verschiedene Zeitungen, u.a. in Mannheim, Kempten, Aichach, Nördlingen, Frankfurt (Frankfurter Rundschau), Friedrichshafen (Schwäbische Zeitung) und Ulm (leitender Redakteur bei der Südwest-Presse). Er wurde 1980 mit dem Wächterpreis ausgezeichnet.

Nach 35 Jahren Journalismus, in deren Verlauf er auch viele Gerichtsberichte verfasste, hörte er auf. Seither schreibt er Kriminalromane und Kriminalerzählungen, die einen Bezug zu Handlungsorten und Figuren in Süddeutschland haben.

Preise

2001 erhielt Ulrich Ritzel für seinen zweiten Roman Schwemmholz den deutschen Krimipreis, nachdem er 1998 in wenigen Wochen seinen ersten Roman Der Schatten des Schwans geschrieben hatte, der bei seinem Erscheinen zu einem Überraschungserfolg geworden war. 2004 erhielt er den Schweizer Burgdorfer Krimipreis für seinen vierten Roman Der Hund des Propheten.

Inhalt und Themen der Werke

Der 1999 erschienene Roman Der Schatten des Schwans lotet im Wechselspiel von Ermittlern und Tätern gesellschaftliche Untiefen aus. Im Winter 1998 wird die Leiche eines Manns aus Görlitz in einem verschneiten Steinbruch bei Ulm gefunden, der mit Psychopharmaka vollgepumpt ist. Die Ermittlungen von Kommissar Berndorf und seiner Kollegin Tamar Wegenast verknüpfen sich mit der Fahndung nach einem "Lebenslänglichen", der auf spektakuläre Weise ausgebrochen ist und als Rasiermesser-Mörder in und um Ulm blutige Rache an den Personen nimmt, die vor Jahren an seiner Verurteilung beteiligt waren. Die Ermittlungen ergeben Zusammenhänge mit einem schwäbischen Klüngel von Politik-, Wirtschafts- und Wissenschaftsprominenz und führen zu einem spektakulären Show-down vor laufenden Fernsehkameras am Fuß des Ulmer Münsters.

Der 2000 erschienene Roman Schwemmholz setzt mit einem Brandanschlag auf einen Wohncontainer einer Baustelle ein. Zwei Rechtsextremisten, denen die Tat zur Last gelegt wird, werden zwar verhaftet, aber vor Gericht freigesprochen. Während es zu weiteren Gewalttaten kommt, ergeben die Ermittlungen, wie stark einige private Bauunternehmen mit der lokalen Politik verfilzt sind. Am Schluss kommt es zu einer dramatischen Verfolgungsjagd am Bodensee.

Dem 2001 erschienenen Roman Die schwarzen Ränder der Glut liegt ein authentischer Fall zugrunde, in dessen Zusammenhang im Sommer 1972 im Zuge einer RAF-Fahnung ein Polizist im Rhein-Neckarraum einen Unschuldigen erschossen hat. Kommissar Berndorf ermittelt privat. Die Verwerfungen der alten 68er Linken und spätere Bestrebungen der neuen Rechten verknüpfen sich zu einem Politthriller.

Der 2003 erschienene Roman Der Hund des Propheten verbindet verschiedene Handlungen geschickt zu einer verwinkelten und verwickelten Geschichte. Es geht um Waffenhandel, Nazi-Gold, stramm-deutsche Pastoren, dubiose rechtsextremistische Hilfsorganisationen und bösartigen Klatsch in der kleinen schwäbischen Großstadt Ulm.

2005 hat Ulrich Ritzel in seinem Band Halders Ruh sieben Erzählungen vorgelegt, in denen ein Katz und Maus-Spiel stattfindet und das klassische Muster von Detektiv- und Kriminalgeschichten bewusst verlassen wird. Alle Erzählungen sind aus Plots entwickelt, die ursprünglich für größere Kriminalromane entworfen worden waren, dann aber in der knapperen Form einer Erzählung abgehandelt worden sind. In mehreren dieser Erzählungen agiert ein Auftragsmörder. In den Erzählungen werden unterschiedliche Schauplätze in Süddeutschland vorgestellt. U.a. steht „Jauchenburg“ für Nördlingen. Die Erzählung Ein Herz für Moldawien spielt in einem Ulmer Vorort.

Im Februar 2006 ist Ulrich Ritzels fünfter Roman mit dem Titel Uferwald erschienen. Die Schauplätze liefern wieder das an der Donau gelegene Ulm und seine Umgebung. Kommissar Berndorf, die Hauptfigur der ersten vier Romane, hat Ulm verlassen und ist zu seiner Lebensgefährtin Barbara nach Berlin gegangen. An seiner Stelle ermitteln die bereits aus den bisherigen Romanen bekannte Kriminalkommissarin Tamar Wegenast und der Kriminalkommissar Markus Kuttler. Im Mittelpunkt steht das fiktive Tagebuch des in der Neujahrsnacht 1999 bei einem mysteriösen Verkehrsunfall getöteten Tilman Gossler, eines verbummelten Jura-Studenten. Die sich daran erst sieben Jahre später anknüpfenden Ermittlungen stechen in ein Wespennest.

Im August 2007 ist Ulrich Ritzels Roman Forellenquintett erschienen. Drogenherstellung in Polen und Drogenschmuggel von dort nach Deutschland, rechtsextremistische Kriminalität und ein Mordgeschehen am Bodensee sind auf eine für den Autor bis dahin ungewohnt düstere Weise miteinander verflochten. Die ermittelnde Ulmer Kriminalkommissarin Tamar Wegenast gerät in Lebensgefahr. Der aufregende Showdown am Schluss überrascht den Leser und bietet staunenswerte Lösungen.

Schreibweise

Ulrich Ritzels Romane sind nicht als Schlüsselromane oder bloße Regionalromane zu lesen. Sie werden von Rezensenten abwechselnd als Factionkrimis, Thriller, Zeitromane oder Gesellschaftsromane bezeichnet. Sie enthalten scharfsinnige Gesellschaftsporträts der Gegenwart, welche über die lokalen Geschehnisse hinaus die bundesdeutsche Wirklichkeit abbilden. Oft wirkt auch Vergangenes aus zurückliegenden Jahrzehnten in die Gegenwart der Werke hinein. Zur großen Politik und Wirtschaft gibt es knappe Mitteilungen. Der Autor konzentriert sich auf diejenigen sozialen Milieus, in denen er sich als Journalist gut auskennt. Die Romane und Erzählungen sind sozialkritisch geschrieben, ohne den Leser belehren zu wollen. Der Autor erklärt: "Schreiben ist doch immer der Versuch, etwas zu benennen, etwas aufzudecken, etwas zu verstehen. [...] Ich schreibe, um etwas auf die Reihe zu bringen. [...] Insofern habe ich einen optimistischen Grundzug, als ich mir ausmale, etwas lasse sich aufräumen, in irgendeiner Weise." (Tobias Gohlis, 11. April 2007, Exklusiv-Interview mit dem Autor, gedruckt vom Verlag zusammen mit einer Vorab-Leseprobe des Romans Forellen-Quintett für Buchhändler und die Presse)

Das Handeln der Protagonisten in Ulrich Ritzels Romanen ist daraufhin gerichtet, Missstände, bis hin zum Verbrechen, entweder zu verursachen oder aufzudecken. Auch wenn sich der Autor selbst so nicht versteht, ist der Kriminalschriftsteller Ulrich Ritzel „ein Aufklärer“ (Gert Hensel). Ein Stück weit legt er jene Mechanismen bloß, welche die Gegenwartsgesellschaft bestimmen. Indirekt wird der Autor dadurch zum Kritiker und Ankläger. Er verwendet häufig bissige Sarkasmen und geißelt jene Zeitgenossen, welche durch Geldgier, Korruptheit, Karrieresucht, Machthunger und Rechthaberei auffallen. Zudem beleuchtet Ulrich Ritzel mit feinsinniger Ironie Belächelnswertes und Skurriles im Alltagsleben der Gegenwartswelt. Indessen verlässt der Autor nach eigenem Bekunden bewusst den „Anspruch eines realistischen Romans“, obwohl seine Romane vom „Anspruch her einen realistischen Ansatz“ haben. Der Autor erklärt „Ich erfülle mir Tagträume eines kleinen Jungen, dessen Held schon mal über die Scheißrealität triumphieren kann, wie es der Journalist Ritzel nicht tun konnte.“ (Interview mit Tobias Gohlis, 11. April 2007)

Ulrich Ritzels Sprache ist präzis. Sie wirkt elegant und leichtfüßig , vermeidet Klischees (aus der Begründung des Burgdorfer Krimipreises 2004) und ist häufig lakonisch.

Alle sechs Romane bedienen sich einer mehrsträngigen Erzählweise. Mit raffinierter Schnitttechnik sind Passagen der unterschiedlichen Handlungsstränge hintereinander gesetzt. Bei fortschreitendem Lesen fügen sich die nebeneinander laufenden Handlungsstränge immer enger zusammen. So entsteht für den Leser eine Art filmischer Ablauf, der sich am besten beim stundenlangen Lesen ohne Unterbrechung oder doch beim Lesen innerhalb weniger Tage ergibt. „Ulrich Ritzel erzählt mithilfe bewusster Fiktionalisierung eine gebrochene Realität. Mehrere gleichberechtigte [...] [Protagonisten] bieten mehrere Sichtweisen auf die Welt an, so dass [...] [der] Leser [...] wählen kann, mit wem er sich identifizieren möchte“ (Margret Weihrich).

Als Leitmotiv erweist sich im Roman Der Schatten des Schwans das Schwanenmotiv. Der Romantitel ist ein Zitat aus dem Gedicht „Wach“ der Lyrikerin Sarah Kirsch, das 1992 in dem Gedichtband Erlkönigs Töchter erschienen ist.

In seinen ersten beiden Romanen fügt der Autor literarische Zitate ein. Er lässt seinen Kommissar Berndorf parallel zu den Ermittlungen philosophische Essays lesen: Michel de Montaigne in Der Schatten des Schwans und Georg Christoph Lichtenberg in Schwemmholz. Seinen Kommissar Kuttler in Uferwald lässt Ritzel das fiktive Tagebuch Tilmann Gosslers lesen. Ein neues Element bringt der Autor in die Schreibweise seiner Romane ein, indem er in Uferwald den Kommissar alle Beteiligten in der Stammkneipe der Clique des zu Tode gekommenen Tilmann Gossler versammeln lässt. Mit ihrer Hilfe bringt Kuttler den Fall zu einer unerwarteten Lösung. Dieser Schluss lässt an Erzählmuster von Agatha Christie denken. Im Roman Forellenquintett entdeckt Kriminalkommissarin Tamar Wegenast, dass eine Musik-Tonaufnahme eine zentrale Rolle bei der Aufdeckung eines Mordes spielt, der lange vor der Zeit der Romanhandlung begangen worden ist. Schuberts Kunstlied „Die Forelle“ und sein daraus entwickeltes „Forellenquintett“, im Roman in Solo-Klavierfassung gespielt, erweisen sich als Leitmotive, welche mit der Kriminalromanhandlung verwoben sind.

In seinem Roman Der Schatten des Schwans schuf der Autor die Figur des Kriminalkommissars Berndorf. Dieser eigenwillige Ulmer Polizist ist die ruhige, literarisch und philosophisch reflektierte Hauptfigur einer erfolgreichen Serie von vier Kriminalromanen. Die wichtigsten Schauplätze in den Romanen Der Schatten des Schwans und Schwemmholz liefert die Doppelstadt Ulm/Neu-Ulm. Im fünften Roman Uferwald konzentriert sich der Autor auf Schauplätze, die fast ausschließlich in Ulm liegen. In Schwemmholz verarbeitet er Eindrücke vom Jahrhunderthochwasser 1999 in Ulm und Neu-Ulm. Dagegen spielt die Handlung des Romans Die schwarzen Ränder der Glut vor allem in Heidelberg und Mannheim, während sich das Geschehen des Romans Der Hund des Propheten überwiegend in Ulm, Tübingen und auf der Schwäbischen Alb abspielt. Mit Schauplätzen und Figuren geht Ulrich Ritzel spielerisch um. Er verfremdet sie auf vielerlei Weise. Neben tatsächlich an den Schauplätzen lebenden Vorbildern für seine literarischen Figuren importiert der Autor auch lebende Vorbildfiguren von anderen Orten an die Schauplätze seiner Romane und Erzählungen. Im sechsten Roman Forellenquintett sind die Schauplätze v.a. Kattowitz, Krakau, Berlin und Langenargen („Aeschenhorn“) sowie Friedrichshafen am Bodensee. Die kleine Großstadt Ulm spielt nur zeitweise eine Rolle. Weiterhin werden aber dem Leser Blicke hinter die wohlanständige Fassade der schwäbischen Gesellschaft geboten.

Werke

  • Der Schatten des Schwans, Roman. Lengwil: Libelle 1999; 2002 (btb-TB 72800)
  • Schwemmholz, Roman. Lengwil: Libelle 2000; 2002 (btb-TB 72801)
  • Die schwarzen Ränder der Glut, Roman. Lengwil: Libelle 2001; 2003 (btb-TB 73010)
  • Der Hund des Propheten, Roman. Lengwil: Libelle 2003; 2005 (btb-TB 73256)
  • Halders Ruh, Erzählungen. München 2005 (btb-TB 73332)
  • Uferwald, Roman. München: btb 2006 (btb-Tb 73667)
  • Forellenquintett, Roman. München: btb 2007

Literatur

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