Variationen und Fuge über ein Originalthema

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Variationen und Fuge über ein Originalthema fis-Moll op. 73 ist eine Komposition für Orgel von Max Reger. Das Stück entstand 1903 auf Anregung von Karl Straube. Mit einer Spieldauer zwischen ca. 30 und 45 Minuten gehört es zu den umfangreichsten und anspruchsvollsten Orgelwerken Regers.

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Widmung des Stücks lautet: „Karl Straube zur Erinnerung an den 14. Juni 1903“. Straube hatte in den Jahren zuvor häufig die Choralfantasien Regers aufgeführt, so auch am 14. Juni 1903 in Basel die Fantasie über „Ein feste Burg“ op. 27, und schrieb über die Entstehungsgeschichte von op. 73: „In Basel habe ich dann Max Reger gebeten, mir ein Orgelwerk ohne Bezugnahme auf evangelische Choräle schreiben zu wollen, damit ich in vorwiegend katholisch orientierten Städten ein nicht kirchlich gebundenes Stück für mein Programm hätte, und schlug ihm als Form Variationen und Fuge über ein eigenes Thema vor. Das ist die Entstehungsgeschichte von op. 73 und die Lösung des Rätsels der Widmung.“[1]

Das Stück wurde am 16. September 1903 fertiggestellt und erschien 1904 im Leipziger Verlag Lauterbach & Kuhn im Druck.[2] Die Uraufführung fand am 1. März 1905 durch Walter Fischer in der Neuen evangelischen Garnisonkirche Berlin statt. Karl Straube spielte die zweite Aufführung am 3. März 1905 in der Thomaskirche in Leipzig.[3]

Stellung im Gesamtwerk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die fis-Moll-Variationen sind ein komplexes Werk, zu dem mehrere umfangreiche und teilweise sehr unterschiedliche analytische Arbeiten vorliegen. Sie entstanden in einer Schaffensphase, in der Regers Musik in der Münchener Musikszene stark umstritten war. Er kultivierte in den Jahren 1903 und 1904 einen immer komplizierteren Stil ohne Rücksicht auf Verständlichkeit und gab in kurzer Zeit mehrere äußerst komplexe und avancierte Werke in den Druck.[4] Zusammen mit der Violinsonate op. 72 und dem Streichquartett op. 74 bildet op. 73 einen „qualitativen Höhenzug“ im Schaffen des Komponisten.[5]

Die Variationen gelten als gewichtiger Meilenstein in Regers Umgang mit der Variationsform. Sie lösen sich von der figurativen Variationstechnik der Choralfantasien (op. 27, op. 30, op. 40, op. 52). Indem sie den Variationsprozess sehr frei gestalten und an Brahms’ Technik der entwickelnden Variation von motivischem Material anknüpfen, bereiten sie Regers große Variationswerke seiner späteren Jahre vor (Hiller-Variationen op. 100, Mozart-Variationen op. 132 u. a.).[6][7]

Gliederung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Stück besteht aus drei großen Abschnitten: Introduktion – Thema und Variationen – Fuge. Nach ihrem Umfang bilden sie einen symmetrischen Aufbau: der zentrale Variationsabschnitt nimmt eine deutlich größere Spieldauer in Anspruch als die beiden kürzeren Rahmenteile.[8]

Die Introduktion nimmt mehrere Minuten in Anspruch, wird aber nicht im Titel des Werks genannt. Dadurch kann es für unvorbereitete Hörer schwierig sein, den Beginn des Variationsabschnitts und das eigentliche Variationsthema zu erkennen. Christoph Bossert interpretiert das Verschweigen der Introduktion im Werktitel als „inszenierte Desorientierung“ des Hörers.[9][10] Die Reger-Gesamtausgabe von Hans Klotz nennt das Stück ohne weiteren Kommentar „Introduktion, Variationen und Fuge über ein Originalthema“[11]; dies entspricht dem tatsächlichen Verlauf des Stücks, aber ist nicht der originale Titel.

Introduktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Introduktion besteht aus vielen musikalischen Fragmenten, die kein deutliches Thema formulieren und sich zu keiner geschlossenen Form zusammenfügen. Auch die Tonart fis-Moll wird noch nicht stabil und eindeutig dargestellt.[12] Im Gegensatz zu Regers Schüler Hermann Keller, der sie lediglich als „Fantasieeinleitung“ bezeichnet[13], betonen jüngere Autoren motivische und harmonische Zusammenhänge zwischen dem noch ungeordnet präsentierten Material der Introduktion und dem folgenden Variationsteil.[14][15]

Die Introduktion ist symmetrisch aufgebaut und besteht aus drei Abschnitten, deren mittlerer seinerseits von einem kurzen Einschub unterbrochen wird. Dadurch ergibt sich insgesamt ein fünfteiliger Aufbau A – B-C-B – A[16][17], zu erkennen an den Tempovorschriften AdagioMolto più mosso – Adagio (con moto) – Quasi vivacissimo – Adagio (con moto).

Thema und Variationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit dem Thema erscheint zum ersten Mal eine in sich geschlossene musikalische Gestalt in klarer Tonart. Darauf folgen dreizehn weitere Abschnitte. Diese sind nur zum kleineren Teil herkömmliche Variationen, in denen sich das Thema in seiner ursprünglichen und vollständigen Form als Vorlage wiedererkennen lässt. Viele Variationen verwenden das Thema nicht mehr im Ganzen, sondern greifen einzelne motivische Elemente heraus und gruppieren sie neu. Auch Motive aus der Introduktion werden einbezogen. Einzelne Variationen entfernen sich so weit vom Thema, dass sie in der Literatur als kontrastierende, nicht-thematische Episoden beschrieben werden. Gerd Zacher bezeichnet in diesem Sinn die 9. und 11. Variation als „Kontraste“.[18] Martin Weyer nennt die Abschnitte ohne manifeste Themenelemente „Intermezzi“ und rechnet zusätzlich zu den beiden genannten noch die 7. Variation dazu. Zugleich verdeutlicht er die Problematik, Nähe oder Entfernung zum Thema zu beurteilen, in der Bemerkung, dass man zwischen diesem und der 7. Variation „noch immer einige motivische Gemeinsamkeiten an den Haaren herbeiziehen kann“.[19] Reger selbst schrieb dazu:

„Nach meinem Begriff besteht die Variation nicht in Veränderung des musikalischen Gewandes, sondern ist auch möglich als Veränderung der Stimmung selbst, d. h. es ist selbstredend, dass dann das musikalische Material eben auch ein neues wird.“

Max Reger: Brief an Walter Fischer vom 28. Februar 1904[20]

Von ursprünglich vierzehn Variationen wurde eine von Reger noch vor der Drucklegung im Autograph durchgestrichen. Sie war dementsprechend in der Erstausgabe nicht mit abgedruckt. Trotz der eindeutigen Willensbekundung durch den Komponisten ist sie in der Gesamtausgabe von Hans Klotz enthalten, aus dieser sind die Taktzahlen der folgenden Übersicht entnommen.

Variation Takt[A 1] Tonart Tempo
Thema 1–15 fis-Moll Andante
1. 16–30 fis-Moll a tempo (quasi un poco più mosso)
2. 31–45 fis-Moll a tempo (quasi Allegretto con moto)
3. 46–60 d-Moll quasi prestissimo
4. 61–86 fis-Moll quasi tempo primo ma con moto
5. 87–101 fis-Moll quasi prestissimo
(von Reger gestrichen) 102-116 fis-Moll (-)
6. 117–131 a-Moll sostenuto
7. 132–146 d-Moll Vivacissimo
8. 147–155 d-Moll / fis-Moll Vivacissimo
9. 156–163 d-Moll Grave / Quasi prestissimo
10. 164–177 f-Moll / fis-Moll[A 2] Andante
11. 178–191 G-Dur Andantino
12. 192–206 fis-Moll Vivacissimo
13. 207–225 fis-Moll Andante con moto
  1. Alle Taktzahlen sind mit vorhergehendem Auftakt zu verstehen.
  2. Im Notentext bleibt es bei der Vorzeichnung mit einem b für d-Moll, angegeben sind die tatsächlich klingenden Tonarten.

Fuge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Vergleich mit der vieldeutigen Form und den vielfach wechselnden Ausdruckscharakteren der beiden ersten Abschnitte ist die Fuge klar, verständlich und in ihrem Ausdrucksgehalt einheitlich. Für das Gesamtwerk bildet sie einen ausgleichenden und stabilisierenden Abschluss.[21] Ihr Thema ist motivisch mit dem Variationsthema verwandt. Die Themeneinsätze befinden sich fast ausschließlich auf Hauptstufen der Tonart fis-Moll und bekräftigen diese nach den harmonisch schweifenden Variationen.[22]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hartmut Haupt: Max Regers Orgelvariationen op. 73. In: Ottmar Schreiber (Hrsg.): Mitteilungen des Max-Reger-Instituts. Heft 19. Bonn 1973.
  • Michael Pelzel: Symphonische Klangarchitektur in fis-Moll. Zur Analyse der Variationen op. 73 von Max Reger. In: Ars Organi. 64. Jahrgang, Heft 3, 2016, S. 148–159.
  • Martin Weyer: Die Orgelwerke Max Regers: ein Handbuch für Organisten (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Band 108). 3. Auflage. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2006, ISBN 3-7959-0528-1, S. 93–108.
  • Gerd Zacher: Protokoll einer Interpretation von Max Regers Variationen und Fuge über ein Originalthema für Orgel in fis-Moll, op. 73. In: Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Max Reger: zum Orgelwerk (= Musik-Konzepte. Band 115). Text + Kritik, München 2002, ISBN 3-88377-700-5, S. 6–61.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Karl Straube in einem Brief vom 25. Februar 1944 an Hans Klotz. Zitiert nach: Martin Weyer: Die Orgelwerke Max Regers: ein Handbuch für Organisten (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Band 108). 3. Auflage. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2006, ISBN 3-7959-0528-1, S. 94.
  2. Nach der Übernahme des Verlags erschienen weitere Auflagen bei Bote & Bock. Vgl. digitalisierte Ausgabe im International Music Score Library Project.
  3. Hans Haselböck: Einführung. in: Max Reger: Sämtliche Orgelwerke, Band 1, nach der Reger-Gesamtausgabe (Hans Klotz), durchgesehen von Martin Weyer. Breitkopf und Härtel, Wiesbaden o. J., Verlagsnr. 8491, S. 6
  4. Susanne Popp: Max Reger: Werk statt Leben. Biographie. 2., verbesserte Auflage. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-7651-0450-3, S. 183, 195.
  5. Martin Weyer: Max Reger zum 100. Todesjahr – eine Huldigung mit Fragezeichen. In: Ars Organi. 64. Jahrgang, Heft 1, 2016, S. 19.
  6. Andreas Jacob: Reger, Max. In: Hermann J. Busch, Matthias Geuting (Hrsg.): Lexikon der Orgel : Orgelbau, Orgelspiel, Komponisten und ihre Werke, Interpreten. Laaber Verlag, Laaber 2007, ISBN 978-3-89007-508-2, S. 460 f.
  7. Martin Weyer: Die Orgelwerke Max Regers: ein Handbuch für Organisten (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Band 108). 3. Auflage. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2006, ISBN 3-7959-0528-1, S. 97.
  8. Michael Pelzel: Symphonische Klangarchitektur in fis-Moll. Zur Analyse der Variationen op. 73 von Max Reger. In: Ars Organi. 64. Jahrgang, Heft 3, 2016, S. 153.
  9. Christoph Bossert: Das Orgelwerk von Max Reger in neun Konzerten. Begleittext zum Orgelseminar im Studienjahr 2015/2016 an der Hochschule für Musik Würzburg. PDF-Download auf https://orgelklasse.jimdofree.com/bossert-reger/, S. 26 ff.
  10. YouTube: Die zweite Musikalische Feierstunde im Reger-Jahr 2023 – Ev. Stadtkirche Giengen (Link 1906) 14.9.23
  11. Max Reger: Sämtliche Orgelwerke, Band 1, nach der Reger-Gesamtausgabe (Hans Klotz), durchgesehen von Martin Weyer. Breitkopf und Härtel, Wiesbaden o. J., Verlagsnr. 8491, S. 6 und 111
  12. Michael Pelzel: Symphonische Klangarchitektur in fis-Moll. Zur Analyse der Variationen op. 73 von Max Reger. In: Ars Organi. 64. Jahrgang, Heft 3, 2016, S. 149, 158.
  13. Hermann Keller: Reger und die Orgel. Hrsg.: Richard Würz (= Max Reger. Eine Sammlung von Studien aus dem Kreise seiner persönlichen Schüler. Heft IV). Otto Halbreiter, München 1923, S. 55 (unten) / 261 (oben).
  14. Gerd Zacher: Protokoll einer Interpretation von Max Regers Variationen und Fuge über ein Originalthema für Orgel in fis-Moll, op. 73. In: Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Max Reger: zum Orgelwerk (= Musik-Konzepte. Band 115). Text + Kritik, München 2002, ISBN 3-88377-700-5, S. 51 ff.
  15. Martin Weyer: Die Orgelwerke Max Regers: ein Handbuch für Organisten (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Band 108). 3. Auflage. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2006, ISBN 3-7959-0528-1, S. 104.
  16. Michael Pelzel: Symphonische Klangarchitektur in fis-Moll. Zur Analyse der Variationen op. 73 von Max Reger. In: Ars Organi. 64. Jahrgang, Heft 3, 2016, S. 149.
  17. Gerd Zacher: Protokoll einer Interpretation von Max Regers Variationen und Fuge über ein Originalthema für Orgel in fis-Moll, op. 73. In: Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Max Reger: zum Orgelwerk (= Musik-Konzepte. Band 115). Text + Kritik, München 2002, ISBN 3-88377-700-5, S. 39.
  18. Gerd Zacher: Protokoll einer Interpretation von Max Regers Variationen und Fuge über ein Originalthema für Orgel in fis-Moll, op. 73. In: Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Max Reger: zum Orgelwerk (= Musik-Konzepte. Band 115). Text + Kritik, München 2002, ISBN 3-88377-700-5, S. 8 f.
  19. Martin Weyer: Die Orgelwerke Max Regers: ein Handbuch für Organisten (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Band 108). 3. Auflage. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2006, ISBN 3-7959-0528-1, S. 101 ff.
  20. zitiert nach: Hans Haselböck: Einführung. in: Max Reger: Sämtliche Orgelwerke, Band 1, nach der Reger-Gesamtausgabe (Hans Klotz), durchgesehen von Martin Weyer. Breitkopf und Härtel, Wiesbaden o. J., Verlagsnr. 8491, S. 6
  21. Michael Pelzel: Symphonische Klangarchitektur in fis-Moll. Zur Analyse der Variationen op. 73 von Max Reger. In: Ars Organi. 64. Jahrgang, Heft 3, 2016, S. 152.
  22. Martin Weyer: Die Orgelwerke Max Regers: ein Handbuch für Organisten (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Band 108). 3. Auflage. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2006, ISBN 3-7959-0528-1, S. 105.