Vicus Petinesca

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Tempelbezirk von Petinesca
Tempel Nahaufnahme

Der Vicus Petinesca war ein 58 v. Chr. gegründeter römischer Ort (vicus), den man anhand spätrömischer Strassenkarten dem modernen Ort Studen im Kanton Bern in der Schweiz zuordnen konnte. Es war ein wichtiger Ort an der Nord-Süd- und Ost-West-Transversale, aber auch nahe der schiffbaren Aare gelegen. Die Station war bis 380 n. Chr. besetzt. Bereits im 19. Jahrhundert wurden erste Ausgrabungen getätigt. Konserviert sind die Reste eines Tempelbezirks und einer Toranlage. Neue Ausgrabungen förderten ein Handwerkerviertel, ein Gräberfeld und drei Ziehbrunnen zu Tage. Bisher konnten in Petinesca fünf Teile untersucht werden. Sie umfassen eine Toranlage, zwei Terrassensiedlungen, den Tempelbezirk und das Gräberfeld „Keltenweg“.

Die römische Toranlage

Die römische Toranlage wurde von der Gesellschaft Pro Petinesca bei erstmals systematischen Erforschungen ausgegraben. Sie besteht aus dem Tor und Resten der Befestigungsmauer. Offenbar wurde der spätrömische Turmbau im 4. Jahrhundert n. Chr. zu einem Strassenkastell mit Unterkunftsräumen ausgebaut.

Toranlage Petinesca

Erste Siedlungsspuren - 1. Jahrhundert

Die erste römische Strasse (Talstrasse) steigt von der Ebene Richtung unterer Hangterrasse an und mündet in die Vorderbergstrasse; die vom Unterdorf Richtung Aegerten führt. Letztere ist Talseitig durch eine Holzpalisade geschützt. Westlich der Talstrasse wurde zu diesem Zeitpunkt massiv Schuttmaterial abgelagert, das mit Töpfereiabfällen durchsetzt ist. In kurzer zeitlicher Abfolge werden zur Stabilisierung der Auffüllungen zwei Hangstützkonstruktion gebaut. Diese Aufschüttungen bedingen eine Allmähliche Verlagerung der Talstrasse in Richtung Osten (grüne Phase).

Älteres Steingebäude - 2./3. Jahrhundert

Spätestens mit der Aufgabe der jüngeren Hangstützkonstruktionen wird die Holzpalisade der Vorderbergstrasse entfernt, verfüllt und mit der neuen Strasse Richtung Unterdorf überdeckt. Zu Beginn des 2. Jahrhunderts wird südlich der Vorderbergstrasse, über teilweise mächtigen Planieschichten, das ältere Steingebäude angelegt. Der Niveauunterschied zwischen dem Nordost- und dem Südwesttrakt beträgt ca. 4 m. Das fast quadratische Steingebäude wird etwa in der Mitte des 3. Jahrhunderts durch einen Brand in Mitleidenschaft gezogen. Der quer zu den Mauern stehende Brunnen ist mit dem Steingebäude oder ev. schon früher errichtet worden. Er wird während der Benutzung des älteren Steingebäudes aufgegeben und verfüllt. Nordwestlich der neuen Vorderbergstrasse ist bereits um die Wende zun 2. Jahrhundert ein Holzhaus (mit Schwellbalkenkonstruktion) errichtet worden.

Jüngeres Steingebäude - 3./4. Jahrhundert

Für den Bau der spätrömischen Torturmanlage werden erneut massive Erdverschiebungen vorgenommen. Die beiden takseitigen Aussenmauern und die Innenmauern des älteren Steingebäudes werden abgebrochen und durch neue, bis zu 3 m mächtige Mauern ersetzt. Die beiden bestehenden hangseitigen Aussenmauern werden in den Neubau integriert. Aufgrund der vorgefundenen Keramik kann der Bau der Anlage in die zweite Hälfte der 3. Jahrhunderts datiert werden. Zu diesem Zeitpunkt sind die Vorderbergstrasse und vermutlich auch das an ihr gelegene Unterdorf aufgegeben worden. Die Talstrasse führt jetzt durch den Torturm. Eine ausserhalb des Turmes gefundene spätrömische Münze lässt vermuten, dass der Torturm auch im 4. Jahrhundert befahren worden ist.[1]

Nachrömischer Kanal

Nach dem teilweisen Abbruch der mächtigen südöstlichen Aussenmauer des spätrömischen Steingebäudes, ist auf dem verbliebenen Fundament ein Wasserkanal aufgemauert worden.

Die Tempel

Tempel mit Schutzdach
Sanierter Tempelbezirk

In den 1930er Jahren durchgeführte Grabungen führten zur Freilegung römischer Tempel und Kapellen auf der Hügelkuppe Gumpboden des Jensberges. Die Tempelanlage umfasst zwei Gruppen zu je drei gallorömischen Umgangstempeln sowie drei Kapellen und ein Priesterhaus, errichtet zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. Jahrhundert n. Chr. Die Anlage lag ursprünglich in einer Ummauerung mit drei Toren, von der ein Abschnitt der südöstlichen Mauer erhalten ist. Der westliche Tempel ist in seinen Grundmauern sehr gut erhalten und wurde teilweise rekonstruiert. Sein Schutzdach musste jedoch wegen Verwitterung bzw. Einsturzgefahr entfernt werden.

2012 wurde der Römische Tempelbezirk umfassend saniert. Die Mauerzüge wurden mit Markiersteinen nachgezogen und die Tempelinnenflächen wurden mit Mergelsteinen erkennbar gemacht. Die Gesamtkosten für Waldarrondierung und Instandstellung beliefen sich auf Fr. 439'000 Franken. Daran beteiligen sich das Bundesamt für Kultur mit 76'000 und der Lotteriefonds mit 128'500 Franken.[2]

Die Wallanlage

Zu Petinesca gehört eine vorrömische Wallanlage, von der der westlich gelegene Keltenwall am besten erhalten ist. Der Wall ist eine durch Baumstämme und eine Trockenmauer verstärkte Erdaufschüttung. Er schützte einst ein Oppidum.

Die Wallanlage wurde 1898 untersucht und als keltisches Befestigungswerk (Murus Gallicus) erkannt. Nord-, Süd- und Ostseite des Oppidums waren durch die natürlichen, steilen Hügelflanken gut geschützt. Zur Befestigung begnügte man sich dort wohl mit Palisaden. Spuren von Palisadenterrassen sind über weite Strecken immer noch sichtbar. Die Innenfläche der gesamten Anlage betrug rund 35 ha.

Bisher fehlen nähere Kenntnisse zur Entstehungszeit, zur Besiedlungsdauer und -struktur dieses Oppidums. Von vergleichbaren Anlagen weiss man, dass nur ein kleiner Teil der umwehrten Fläche bebaut war. Solche Festungen dienten vermutlich als Fluchtburgen. Zudem machte eine derart imposante Anlage auch Macht und Reichtum der herrschenden Oberschicht sichtbar.

Der um die Zeitwende entstandene römische Vicus lag grösstenteils ausserhalb des Oppidums. Eine Siedlungskontinuität konnte bisher nicht nachgewiesen werden, ist jedoch wahrscheinlich. Immerhin behielt das römische Dorf den keltischen Namen Petinesca.

Im Bereich des Oppidums wurden bisher kaum keltische Objekte gefunden. Zahlreiche latènezeitliche Metallgegenstände kamen jedoch während der 1. Juragewässerkorrektion in alten Zihlläufen zwischen Port und Schwadernau zum Vorschein. Sie wurden wohl als Opfergaben dem Fluss übergeben.[3]

Die Brunnen

Die Entstehungszeiten der bis zu 12 Meter tiefen Brunnen sind nicht eindeutig zu datieren. Ihre Aufgabe und Verfüllung erfolgte im 3. Jahrhundert n. Chr. Die gefundene Keramik reiht sich in die bekannten Referenzkomplexe des 3. Jahrhunderts aus dem schweizerischen Mittelland ein. Deutlich zeigt sie die im 3. Jahrhundert vollziehende Entwicklung der Glanztonware. Die Archäozoologie kann aufgrund der Zusammensetzung der Tierreste die Sämischgerberei nachweisen. Die Funde zeigen, dass etwa ab der Zeitenwende Feingerber tätig waren. Während ein Grubeninhalt aus dem l. Jahrhundert auf das Gerben von Schaffellen hinweist, belegen die Brunnenfunde die Produktion von Ziegenleder.

Der Hafen

Gleich neben dem Bahnhof in Studen - wo das neue Dorfzentrum Wydenpark steht – sind die Archäologen im Jahr 2010 auf die Überreste einer Brücke, einer Strasse und eines Dammes mit Holzpfählen und massiven Holzverbauungen gestossen. Der Damm folgt dem Verlauf einer bis zu sieben Meter breiten Strasse, die ebenfalls teilweise freigelegt wurde. Parallel zum Damm wurden drei Gräber mit gut erhaltenen Skeletten gefunden.[4] Weitere Grabungen bekräftigten, dass am alten Aarelauf ein römischer Hafen gewesen sein muss.[5]

Literatur

  • Rudolf Zwahlen u.a.: Vicus Petinesca, Vorderberg. Bd. 1-4. Staatlicher Lehrmittelverlag, Bern 1995-2007.
Commons: Petinesca – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Studen-Petinesca, Jensberg - Erziehungsdirektion
  2. Medienmitteilung Erziehungsdirektion Bern 19. Juni 2012.
  3. Studen-Petinesca, Jensberg - Erziehungsdirektion
  4. [1]
  5. Medienmitteilung Erziehungsdirektion Bern 22. Juli 2010.

Koordinaten: 47° 7′ N, 7° 17′ O; CH1903: 588781 / 217876