Passportisation

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Unter Passportisation versteht man die massenhafte Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Bevölkerung eines bestimmten ausländischen Territoriums durch die Ausstellung und Verteilung von Reisepässen, in der Regel innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums.[1][2][3]

Das Vorgehen wurde vor allem von den russischen Behörden angewandt, die in der Regel Inhabern ehemaliger sowjetischer Pässe einen einfachen Zugang zur Beantragung russischer Pässe ermöglichten.[4] Grundlage für diese Einbürgerungen ist Art. 14 des 2002 geänderten russischen Staatsbürgerschaftsgesetzes, der die Einbürgerung in einem vereinfachten Verfahren ermöglicht,[5] insbesondere wird die Bedingung eines fünfjährigen Aufenthalts auf russischem Staatsgebiet für ehemalige Bürger der Sowjetunion ausgesetzt, Art. 14 Abs. 4 des russischen Staatsbürgerschaftsgesetzes. Wenn die Zahl der Inhaber russischer Pässe in Regionen angrenzender Staaten zunimmt, beruft sich Russland auf sein nationales Interesse am Schutz seiner Bürger, um die Unabhängigkeit oder Annexion dieser Regionen zu fördern.[4] Dieses Vorgehen war in Georgien und der Ukraine am häufigsten zu beobachten.

Georgien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Georgien war dies in den Regionen Südossetien und Abchasien der Fall,[6] wo die Einwohner weiterhin Bürger der Sowjetunion waren und ihre sowjetischen Pässe auch noch ein Jahrzehnt nach dem Zerfall der Sowjetunion behalten hatten.[7] Im Jahr 2002 vereinfachte ein neues russisches Staatsbürgerschaftsgesetz den Erwerb der Staatsbürgerschaft für jeden Bürger der Sowjetunion, unabhängig vom derzeitigen Wohnort. In Abchasien und Südossetien brachten russisch-nationalistische Nichtregierungsorganisationen wie der Kongress der russischen Gemeinden Abchasiens die Papiere zur Bearbeitung in eine nahe gelegene russische Stadt, so dass die Einwohner nicht reisen mussten, um die russische Staatsbürgerschaft zu erhalten.[8] Bis zum 25. Juni 2002 hatten etwa 150 000 Abchasen die russische Staatsbürgerschaft zusätzlich zu den 50 000, die sie bereits besaßen, mit dem Segen der Behörden in Suchum erhalten.[7] Das georgische Außenministerium verurteilte die Passvergabe als eine "beispiellose illegale Kampagne". Seit dem 1. Februar 2011 sind sowjetische Pässe für den Grenzübertritt zwischen Russland und Abchasien nicht mehr gültig.[9]

Im April 2009 stellte der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten der OSZE fest, dass "Druck auf die georgische Bevölkerung im Rajon Gali ausgeübt wird, indem ihre Rechte auf Bildung eingeschränkt werden, sie zwangsweise "passportisiert", zu den abchasischen Streitkräften eingezogen werden und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird".[10]

Die extraterritoriale Einbürgerungspraxis Russlands in Südossetien und Abchasien seit 2002 stellt eine völkerrechtswidrige Intervention dar und verletzt die territoriale Souveränität Georgiens.[11]

Ukraine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Russland hat seit 2019 in großem Umfang Menschen in den ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk eingebürgert.[12] Möglich wurde dies durch Art. 29 Abs. 1 des russischen Staatsbürgerschaftsgesetzes durch Gesetz vom 27. Dezember 2018 eingefügt wurde. Diese Bestimmung ermächtigt den russischen Präsidenten, Kategorien von ausländischen Staatsbürgern und Staatenlosen festzulegen, die die russische Staatsbürgerschaft im vereinfachten Verfahren beantragen können. Durch den Erlass Nr. 183 vom 24. April 2019 wurden die Einwohner der Regionen Donezk und Luhansk dazu berechtigt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Fabian Burkhardt, Cindy Wittke, Maryna Rabinovych, Elia Bescotti: What Makes a Citizen? Russia's Passportization of the Donbas. SSOAR 2022.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Toru Nagashima: Russia’s Passportization Policy toward Unrecognized Republics. In: Problems of Post-Communism. Band 66, Nr. 3, 4. Mai 2019, ISSN 1075-8216, S. 186–199, doi:10.1080/10758216.2017.1388182.
  2. Vincent M. Artman: Documenting Territory: Passportisation, Territory, and Exception in Abkhazia and South Ossetia. In: Geopolitics. Band 18, Nr. 3, 1. Juli 2013, ISSN 1465-0045, S. 682–704, doi:10.1080/14650045.2013.769963.
  3. Patrick R. Hoffmann: Völkerrechtliche Vorgaben für die Verleihung der Staatsangehörigkeit. Mohr Siebeck, Tübingen 2022, ISBN 978-3-16-161110-0, S. 147–152.
  4. a b Ramesh Ganohariti: Politics of Passportization and Territorial Conflicts. In: The Palgrave Encyclopedia of Peace and Conflict Studies. Springer International Publishing, 2020, S. 1–8, abgerufen am 19. Juni 2021 (englisch).
  5. Patrick R. Hoffmann: Völkerrechtliche Vorgaben für die Verleihung der Staatsangehörigkeit. Mohr Siebeck, Tübingen 2022, ISBN 978-3-16-161110-0, S. 149.
  6. Human Rights in the Occupied Territories of Georgia. Osce.org, abgerufen am 30. Oktober 2012.
  7. a b Inal Khashig: Abkhaz Rush For Russian Passports. Institute for War & Peace Reporting, 27. Juni 2002, archiviert vom Original am 22. Februar 2014; abgerufen am 14. März 2014.
  8. Russian Federation: Legal Aspects of War in Georgia. Library of Congress;
  9. Anton Krivenuk: Abkhaz Rush For Russian Passports. GeorgiaTimes, 1. Februar 2011, archiviert vom Original am 22. Februar 2014; abgerufen am 14. März 2014.
  10. OSCE High Commissioner on National Minorities deeply concerned by recent developments in Abkhazia. OSCE Press Release. 14 April 2009.
  11. Patrick R. Hoffmann: Völkerrechtliche Vorgaben für die Verleihung der Staatsangehörigkeit. Mohr Siebeck, Tübingen 2022, ISBN 978-3-16-161110-0, S. 277–284.
  12. Patrick R. Hoffmann: Völkerrechtliche Vorgaben für die Verleihung der Staatsangehörigkeit. Mohr Siebeck, Tübingen 2022, ISBN 978-3-16-161110-0, S. 149.