„Schulpflicht“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Zeile 50: Zeile 50:


== Kritik und Alternativen ==
== Kritik und Alternativen ==
Einige Bildungsforscher kritisieren die Schulpflicht als Ursache für Ablehnung der Bildungsinhalte und schlechte Leistungen. Der Soziologe Ulrich Oevermann spricht sich für die Abschaffung der Pflichtschule aus, weil sie gerade verhindere, was sie verspreche.<ref>{{Internetquelle|url=http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/zukunft-bildung/185878/geschichte-der-allgemeinen-schulpflicht|titel=Kurze Geschichte der allgemeinen Schulpflicht {{!}} bpb Zuerst erschienen in "Le Monde diplomatique Nr. 9/2008, S. 21.|titelerg=Der Aufsatz in bbp bezieht sich auf Ulrich Oevermann, "Brauchen wir heute noch eine gesetzliche Schulpflicht und welches wären die Vorzüge ihrer Abschaffung?", in: "Pädagogische Korrespondenz, Heft 30, Wetzlar (Büchse der Pandora Verlag) 2003, S. 54–70.|autor=Bundeszentrale für politische Bildung|hrsg=|werk=|datum=|sprache=de|zugriff=2017-02-22}}</ref>
Einige Bildungsforscher kritisieren die Schulpflicht als Ursache für Ablehnung der Bildungsinhalte und schlechte Leistungen. Der Soziologe [[Ulrich Oevermann (Soziologe)|Ulrich Oevermann]] etwa spricht sich für die Abschaffung der Pflichtschule aus, weil sie systematisch verhindere, was sie verspreche. Er kritisiert die "Trichterpädagogik" und konzipiert eine [[Sokratische Methode|sokratische]] [[Mäeutik|mäeutische]] Pädagogik des Verstehens.<ref>{{Internetquelle|url=http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/zukunft-bildung/185878/geschichte-der-allgemeinen-schulpflicht|titel=Kurze Geschichte der allgemeinen Schulpflicht {{!}} bpb Zuerst erschienen in "Le Monde diplomatique Nr. 9/2008, S. 21.|titelerg=Der Aufsatz in bbp bezieht sich auf Ulrich Oevermann, "Brauchen wir heute noch eine gesetzliche Schulpflicht und welches wären die Vorzüge ihrer Abschaffung?", in: "Pädagogische Korrespondenz, Heft 30, Wetzlar (Büchse der Pandora Verlag) 2003, S. 54–70.|autor=Bundeszentrale für politische Bildung|hrsg=|werk=|datum=|sprache=de|zugriff=2017-02-22}}</ref><ref>{{Literatur|Autor=Andreas Wernet|Titel=Pädagogische Permissivität: Schulische Sozialisation und pädagogisches Handeln jenseits der Professionalisierungsfrage|Verlag=Springer-Verlag|Datum=2013-03-07|ISBN=9783322809698|Online=https://books.google.de/books?id=TeMkBgAAQBAJ&pg=PA43&lpg=PA43&dq=oevermann+schulkritik&source=bl&ots=Ethl6Gnuow&sig=tKIQB3sIAJ6tIDEhuUkYEoYr6Xc&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=oevermann%20schulkritik&f=false|Abruf=2017-06-12}}</ref>


Schulen in privater oder kirchlicher Trägerschaft bieten eine Alternative zur öffentlichen Schule. Einige der privaten Schulen (Schulen in freier Trägerschaft) setzen bewusst auf die Anwendung alternativer Unterrichtsprinzipien, wie die [[Waldorfpädagogik|Waldorf-]] oder [[Montessoripädagogik]]. Die meisten Schulen in freier Trägerschaft erheben ein von den Eltern zu zahlendes Schulgeld. Damit wird schulspezifisch jener Anteil des Bildungsangebotes getragen, den der Staat den Schulen nicht finanziert.
Schulen in privater oder kirchlicher Trägerschaft bieten eine Alternative zur öffentlichen Schule. Einige der privaten Schulen (Schulen in freier Trägerschaft) setzen bewusst auf die Anwendung alternativer Unterrichtsprinzipien, wie die [[Waldorfpädagogik|Waldorf-]] oder [[Montessoripädagogik]]. Die meisten Schulen in freier Trägerschaft erheben ein von den Eltern zu zahlendes Schulgeld. Damit wird schulspezifisch jener Anteil des Bildungsangebotes getragen, den der Staat den Schulen nicht finanziert.

Version vom 12. Juni 2017, 22:14 Uhr

Ausflüge in die nähere Umgebung gehörten bereits im 19. Jahrhundert zum Lehrprogramm der „Volksschulen“.

Als Schulpflicht bezeichnet man die gesetzliche Verpflichtung für Kinder, ab einem bestimmten Alter, für Jugendliche und Heranwachsende bis zu einem bestimmten Alter, eine Schule zu besuchen. Dies muss im Fall der Minderjährigkeit der Schulpflichtigen durch die Erziehungsberechtigten (meist die Eltern) umgesetzt werden.

In den meisten europäischen Ländern besteht, wie auch in Deutschland vor 1919,[1] keine Schulpflicht, stattdessen Unterrichtspflicht oder Bildungspflicht. Die Vermittlung von Wissen ist mithin für das Kind nicht an den Besuch einer staatlichen oder staatlich anerkannten privaten Schule (Schulpflicht im eigentlichen Sinne) gebunden. Das Wie und Wo der Bildung steht frei und wird staatlich nicht vorgegeben.[2]

Geschichte

Das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken führte unter dem zum Calvinismus konvertierten Johann I. 1592 als erstes Territorium der Welt die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Knaben ein.[3][4] In Norwegen entstand das Volksschulwesen durch eine Verordnung vom 23. Januar 1739, die jedoch zwei Jahre später modifiziert werden musste.[5]

Anfang des 20. Jahrhunderts galten Gesetze zur Schulpflicht für Deutschland, Österreich-Ungarn und Skandinavien, Frankreich (seit 1882). In den Jahren des Nationalsozialismus wurde 1938 ein Reichsschulpflichtgesetz[6] erlassen. In England war die Regelung der Schulpflicht den einzelnen Gemeinden, in den USA den einzelnen Staaten vorbehalten. Das erste Land mit gesetzlich geregelter allgemeiner Schulpflicht war Liechtenstein.

Bildungspflicht nach Ländern

Länge der Bildungspflicht
  • 13+ Jahre
  • 10–12 Jahre
  • 7–9 Jahre
  • 0–6 Jahre
  • Schulpflicht in Deutschland

    Nach Anfängen im 16. Jahrhundert (Herzogtum Pfalz-Zweibrücken 1592, Straßburg 1598) wurde die Allgemeine Schulpflicht im 17. Jahrhundert in Sachsen-Gotha (1642), Braunschweig-Wolfenbüttel (1647) und Württemberg (1649) eingeführt. Im 18. Jahrhundert folgte Preußen (1717), wo es bis 1918 zwar eine Unterrichtspflicht, aber keine Schulpflicht gab.[7] Zuletzt führte Sachsen 1835 die allgemeine Schulpflicht ein, 1919 wurde sie in der Weimarer Verfassung einheitlich für ganz Deutschland festgeschrieben.[8]

    Im deutschen Bildungssystem ist die Schulpflicht – aufgrund der Kulturhoheit der Länder – in den einzelnen Landesverfassungen geregelt.

    Die Vollzeitschulpflicht dauert in der Regel bis zum Abschluss des 9. Schulbesuchsjahres, in einigen Bundesländern bis zum Abschluss des 10. Schulbesuchsjahres, in Rheinland-Pfalz zwölf Jahre.[9] Der Begriff Schulbesuchsjahr ist nicht mit der Jahrgangsstufe zu verwechseln. Übersprungene Klassen werden hingegen anerkannt, so dass die Vollzeitschulpflicht dennoch nach Klasse 9 bzw. 10 enden kann. Die Berufsschulpflicht beginnt nach Ablauf der Vollzeitschulpflicht.

    Die Schulpflicht erstreckt sich im Wesentlichen auf drei Bereiche: Teilnahme, Anmeldung und Schulwahl.

    Unterrichtspflicht in Österreich

    In Österreich ist im Schulpflichtgesetz eine Unterrichtspflicht festgelegt, die auch außerhalb von Schulen abgeleistet werden kann. Die Unterrichtspflicht beginnt mit dem auf der Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September, dauert neun Schuljahre und gilt für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten.[10]

    Die Unterrichtspflicht kann durch den Besuch einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule erfüllt werden (die öffentlichen Schultypen, die diese neun Pflichtschuljahre abdecken, werden Pflichtschulen genannt)[11], sowie durch die Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht (in Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht, im häuslichen Unterricht oder in einer im Ausland gelegenen Schule). In Österreich kann ein Kind die Unterrichtspflicht durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllen, falls dieser jenem an einer zur Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule (Pflichtschule) gleichwertig ist. Voraussetzung ist wie bei Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht die Ablegung einer Externisten-Prüfung am Ende jedes Unterrichtsjahres vor einer staatlichen Kommission, welche zu prüfen hat, ob der Lehrplan erfüllt wurde. Aus diesem Grund wird die Schulpflicht in Österreich – wie in anderen Ländern, die solche Möglichkeiten zulassen – auch als Bildungs- oder Unterrichtspflicht bezeichnet.[2]

    Die Unterrichtspflicht wurde bereits von Maria Theresia am 6. Dezember 1774 für Österreich und die unter habsburgischer Herrschaft stehenden Länder durch Unterzeichnung der „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt und Trivialschulen in sämtlichen Kayserlichen Königlichen Erbländern“ generell eingeführt (Dauer damals: sechs Jahre). Mit Inkrafttreten des Reichsvolksschulgesetzes im Jahre 1869 wurde die Unterrichtspflicht von sechs auf acht Jahre ausgeweitet.

    Außerdem gibt es eine zweite Form der Schulpflicht, diejenige im Rahmen der dualen Ausbildung Lehre/Berufsschule, die den begleitenden Schulbesuch verpflichtend macht. Diese Schulen heißen berufsbildende Pflichtschule, und die Schulpflicht erstreckt sich auf die – je nach Beruf – blockweisen Absolvierungen des Bildungsgangs bis zur Lehrabschlussprüfung.

    Schweiz

    In der Schweiz besteht – außer in zwei Kantonen – eine Bildungspflicht oder Unterrichtspflicht, die statt durch Schulbesuch durch Hausunterricht oder Unschooling (selbständiges Lernen) erfüllt werden kann. Diese betrifft nach Auslegung auch Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus (Sans-Papiers)[12][13].

    Schul- und Bildungspflicht in anderen Ländern

    • In Schweden besteht regelmäßig Schulpflicht, Ausnahmen sind laut Gesetz möglich, werden aber nur sehr restriktiv erteilt.
    • In der Türkei wurde im Jahre 2012 die Schulpflicht bis zum Abschluss der 12. Klasse eingeführt (davor 8. Klasse).
    • In Frankreich wurden 1833 mit dem Gesetz des protestantischen Unterrichtsministers Guizot die Gemeinden verpflichtet, eine Grundschule für Jungen zu schaffen. 1882 wurde mit dem „loi Ferry“ (benannt nach Unterrichtsminister Jules Ferry) eine Unterrichtspflicht («obligation scolaire») für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren eingeführt sowie ihre Kostenfreiheit. Am 13. August 1936 wurde in Frankreich per Gesetz diese Pflicht um ein Jahr verlängert. Mittels Erlass vom 6. Januar 1959 wurde sie von Charles de Gaulle um weitere zwei Jahre verlängert. Der Erlass drohte die Kürzung von Familienbeihilfen an, falls diese Pflicht ignoriert werde. Die Verlängerung wurde inspiriert vom Plan Langevin-Wallon (Juni 1947) und vom Kongress der Gewerkschaft FEN im Jahr 1958.
    • Im angloamerikanischen Raum Großbritannien, Australien und den USA, und in Dänemark gibt es eine Bildungspflicht oder Unterrichtspflicht. Diese kann sowohl durch Schulbesuch, als auch durch Hausunterricht oder selbständiges Lernen erfüllt werden.

    Daten zur Bildungspflicht in allen Ländern der Welt sammelt und veröffentlicht die Unesco im Rahmen ihres Programms Education for All (EFA). Übersichtstabellen und Berichte zur Bildungspflicht und anderen Bildungsindikatoren im internationalen Vergleich können im Internet-Angebot der Unesco abgerufen werden.

    Kritik und Alternativen

    Einige Bildungsforscher kritisieren die Schulpflicht als Ursache für Ablehnung der Bildungsinhalte und schlechte Leistungen. Der Soziologe Ulrich Oevermann etwa spricht sich für die Abschaffung der Pflichtschule aus, weil sie systematisch verhindere, was sie verspreche. Er kritisiert die "Trichterpädagogik" und konzipiert eine sokratische mäeutische Pädagogik des Verstehens.[14][15]

    Schulen in privater oder kirchlicher Trägerschaft bieten eine Alternative zur öffentlichen Schule. Einige der privaten Schulen (Schulen in freier Trägerschaft) setzen bewusst auf die Anwendung alternativer Unterrichtsprinzipien, wie die Waldorf- oder Montessoripädagogik. Die meisten Schulen in freier Trägerschaft erheben ein von den Eltern zu zahlendes Schulgeld. Damit wird schulspezifisch jener Anteil des Bildungsangebotes getragen, den der Staat den Schulen nicht finanziert.

    Außerhalb Deutschlands bietet die Bildungspflicht, die mit Hausunterricht („Homeschooling“) oder eigenständigem Unterricht (Unschooling) erfüllt werden kann, die Alternative zur allgemeinen Schulpflicht. Dieser Ansatz wird als ethische Selbstverpflichtung der Eltern und Erziehungsberechtigten verstanden.

    International bekanntere Schulen, die eine Anwesenheitspflicht im Unterricht ablehnen, sind

    Einen gegen die Schulpflicht und vergleichbare Ansätze gerichtete schulkritische Bewegung wird unter Deschooling verstanden.

    Literatur

    • Hermann Avenarius, Hans Heckel, Hans-Christoph Loebel: Schulrechtskunde. Ein Handbuch für die Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft. 7. Aufl., Luchterhand, Neuwied 2006, ISBN 3-472-02175-6.
    • Volker Ladenthin, Homeschooling – Fragen und Antworten. Aufsätze und Interviews. Bonn 2010.
    Wiktionary: Schulpflicht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

    Einzelnachweise

    1. Erst mit der Weimarer Republik galt sie in ganz Deutschland. (tagesspiegel.de [abgerufen am 22. Februar 2017]).
    2. a b In Übersetzungen von Darstellungen der Situation im Ausland der Bundesrepublik Deutschland (selbst solchen des Auswärtigen Amtes) ist jedoch häufig von „Schulpflicht“ die Rede, wenn eigentlich „Bildungspflicht“ gemeint ist. Auch die Behörden Österreichs verwenden die Begriffe Unterrichtspflicht und Schulpflicht meist synonym.
    3. Vgl. Emil Sehling (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Band 18: Rheinland-Pfalz I. Mohr-Siebeck, Tübingen 2006, S. 406.
    4. Erst mit der Weimarer Republik galt sie in ganz Deutschland. (tagesspiegel.de [abgerufen am 22. Februar 2017]).
    5. Karl Adolf Schmid, Christian David Friedrich Palmer, Albert Friedrich von Hauber, Johann David Wildermuth, Wilhelm Schrader (Herausgeber): Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Band 8, Seite 794. Gotha 1870, abgefragt am 22. Januar 2012
    6. Reichsschulpflichtgesetz
    7. Korrigierende Anmerkung von Margret Kraul in ihrer Rezension einer neuen Studie von Juliane Jacobi: Mädchen- und Frauenbildung in Europa. Von 1500 bis zur Gegenwart. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013 Inhaltsverzeichnis, ISBN 978-3-59339-955-3
    8. Artikel 145 ff der Weimarer Reichsverfassung
    9. 12: (§ 7 SchG) http://grundschule.bildung-rp.de/fileadmin/user_upload/grundschule.bildung-rp.de/Downloads/Amtliches/Amtliches_neu/Broschuere__Schulgesetz_RLP.pdf
    10. Österr. Schulpflichtgesetz
    11. Bildungswesen in Österreich: Überblick, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (bm:ukk)
    12. Broschüre über Rechte von Sans-Papiers der Schweiz. Flüchtlingshilfe, Seite 18
    13. Bericht der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen, Seite 62
    14. Bundeszentrale für politische Bildung: Kurze Geschichte der allgemeinen Schulpflicht | bpb Zuerst erschienen in "Le Monde diplomatique Nr. 9/2008, S. 21. Der Aufsatz in bbp bezieht sich auf Ulrich Oevermann, "Brauchen wir heute noch eine gesetzliche Schulpflicht und welches wären die Vorzüge ihrer Abschaffung?", in: "Pädagogische Korrespondenz, Heft 30, Wetzlar (Büchse der Pandora Verlag) 2003, S. 54–70. Abgerufen am 22. Februar 2017.
    15. Andreas Wernet: Pädagogische Permissivität: Schulische Sozialisation und pädagogisches Handeln jenseits der Professionalisierungsfrage. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-322-80969-8 (google.de [abgerufen am 12. Juni 2017]).